Cal Ripken von den Baltimore Orioles: Der Iron Man, der nur spielen wollte

Stefan Petri
19. Juli 201813:04
Cal Ripken auf seiner Ehrenrunde. Zuvor hatte er den Rekord von Yankees-Legende Lou Gehrig gebrochengetty
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Cal Ripken Jr. ist einer der besten Shortstops der MLB-Geschichte und revolutionierte seine Position. Noch viel bekannter ist der Hall of Famer aber für seine unglaubliche Serie von 2632 Spielen ohne Pause. SPOX stellt den "Iron Man" der Baltimore Orioles vor - und blickt zurück auf den magischen 6. September 1995, an dem Ripken sogar Präsident Bill Clinton sprachlos machte.

Es war das All-Star Game 1998 und der erste Auftritt von Yankees-Legende Derek Jeter beim Midsummer Classic. Auf der Bank neben ihm saß ein Spieler, der die Shortstop-Position über Jahre, nein, über mehr als ein Jahrzehnt bestimmt hatte, und schon zum 16. Mal ins All-Star Team berufen worden war.

Also lehnte sich der 24 Jahre alte Jeter wissbegierig zur Seite und flüsterte: "Was ist das Geheimnis dahinter, jeden Tag zu spielen? Wie machst du das?"

"Weißt du, Derek, ich ... ich spiele einfach."

162 Spiele: Ist Baseball ein Ausdauersport?

Was reine Ausdauerwerte angeht, steht ein Baseball-Spiel sicherlich nicht ganz oben auf der Liste, sieht man mal von den Starting Pitchern ab. Man steht etwa drei bis sechsmal an der Platte und schafft es vielleicht ein paar Mal auf Base, in der Defense gehen die Bälle oft gar nicht in die eigene Richtung, und eine Menge Pausen gibt es obendrein.

Einem Stammspieler in der MLB wird dennoch ein enormes Durchhaltevermögen abverlangt. Schließlich hat die Saison - und viele reagieren ungläubig, wenn sie diese Zahl zum ersten Mal hören - 162 Spiele. Playoffs ausgenommen. Diese 162 Spiele werden in rund sechs Monaten durchgepeitscht, also im Schnitt hat man vielleicht alle zehn Tage einmal frei.

Wer diese 162 Partien in einer Saison durchstehen will, kann sich körperlich und mental also nicht viele Auszeiten nehmen. Dazu kommen Jetlag, Training, Öffentlichkeitsarbeit, Krankheiten, Kollisionen. Doubleheader oder sechs Stunden dauernde Abendspiele, gefolgt von einem Auftritt am nächsten Tag um 13 Uhr. Gegnerische Pitches, die auf Hüfte, Arm oder sogar Gesicht zielen. Und natürlich Formschwankungen.

Kein Wunder, dass in der laufenden Saison gerade mal fünf Akteure alle Spiele ihres Teams bestritten haben.

Kein Wunder, dass Yankees-Legende Lou Gehrig über mehr als fünf Jahrzehnte den Rekord für die meisten Spiele am Stück hielt, und zwar von 1925-1939 mit unglaublichen 2.130 Spielen ohne Pause. Dafür verpasste man ihm den Spitznamen "Iron Horse".

Und dann kam Cal Ripken Jr.

Cal Ripken auf seiner Ehrenrunde. Zuvor hatte er den Rekord von Yankees-Legende Lou Gehrig gebrochengetty

Cal Ripken Jr.: Zu groß für einen Shortstop

Cal Ripken Jr. wurde 1960 in eine Baseball-Familie hineingeboren: Vater Cal Sr. war selbst Minor Leaguer und arbeitete sich als Coach und Manager im Farmsystem der Baltimore Orioles hoch, Bruder Billy wurde ebenfalls Baseball-Profi. Die MLB-Karriere war für Junior also förmlich vorgezeichnet, und obwohl er sich auf der High School auch als Pitcher auszeichnen konnte, wählten ihn die Orioles im Draft 1978 an 48. Stelle aus und setzten ihn im Farmsystem als Shortstop ein.

Dabei machte Ripken für einen Shortstop eigentlich eine extrem untypische Figur: Im Infield ist Shortstop, also die Position zwischen Second und Third Base, defensiv gesehen am wichtigsten, weil die meisten Bälle in diese Richtung gehen. Traditionell wurde hier also ein eher kleiner, flinker Spieler mit großer Reichweite eingesetzt, der im Gegenzug am Schlagmal allerdings nicht sonderlich viel Power mitbrachte. Offense wurde in dem Fall für Defense geopfert.

Cal Ripken Jr. war dagegen mit 1,93 Metern hochaufgeschossen, dazu über 100 Kilogramm schwer. Womöglich tat er sich deshalb in den Minors anfänglich schwer, sodass er erst einmal zur dritten Base wechselte, einer nicht ganz so anspruchsvollen Position, die eher einem Spieler seiner Statur entsprach.

Ohne Vorwarnung: Ripken wird zur Legende

Aber er war auch ein guter Athlet, ein Vollprofi, der ständig an sich arbeitete und mit höchster Professionalität zu Werke ging. Und er war offensiv stark, machte in den Nachwuchsligen durch gutes Power-Hitting auf sich aufmerksam. Im August 1981 wurde er erstmals in den Kader der Orioles berufen, in die folgende Saison ging er als Stammspieler an der dritten Base.

Dass er drei Monate später zurück auf die Shortstop-Position wechselte, hatte er seinem Manager Earl Weaver zu verdanken. Der versetzte ihn ohne Vorwarnung auf die schwierigste Position im Infield. "Ich hatte schon zwei oder drei Jahre nicht mehr Shortstop gespielt", erinnerte sich Ripken später. "Er sagte zu mir: 'Mach dir keine Sorgen. Konzentrier dich einfach auf die ganz normalen Plays. Und wenn du dich wieder daran gewöhnt hast, dann kannst du Shortstop spielen wie früher."

So wurde "Rip" einer der besten Shortstops aller Zeiten. Bis 1997 gab der lange Schlacks mit den eisblauen Augen den wichtigsten Mann im Infield, gewann mit den Orioles 1983 die World Series und wurde in der American League zweimal zum MVP gekürt. Achtmal gewann er den Silver Slugger Award für den besten Offensivspieler auf seiner Position, hatte einen Stammplatz im All-Star-Team und beendete seine Karriere 2001 als einer von nur acht Spielern mit 400 Homeruns (431) und 3.000 Hits (3.184).

Cal Ripken Jr.: Offensiv stark, defensiv stärker?

Ripkens Offensivleistungen allein wären vielleicht schon genug für die Hall of Fame gewesen. Ihn darauf zu reduzieren, wäre jedoch vermessen. Vielmehr spielte er über viele Jahre einen ausgezeichneten Shortstop, der viel mehr lieferte als nur die gewöhnlichen Plays. Mögliche Nachteile in Sachen Wendigkeit machte er durch obsessive Vorbereitung und ausgezeichnetes Positionsspiel wett und war konstant unter den besten Fieldern zu finden. Dabei dirigierte er seine Mitspieler - und sagte aus seiner Position sogar Pitches an. "Er war wie ein Coach auf dem Feld", staunte Phil Regan, einer seiner Manager, im Buch The Streak von John Eisenberg.

Er war es auch, durch den bei so manchem (General) Manager ein Umdenken einsetzte: Shortstops mussten gar nicht klein und schmächtig sein. So bereitete er der nächsten Generation von kraftvollen Shortstops wie Alex Rodriguez oder Miguel Tejada den Weg.

Doch all diese Leistungen, die 19 Teilnahmen am All-Star-Game, ja sogar Ripkens Aufnahme in die Hall of Fame 2007 verblassen hinter einer Leistung, die ihn zum "Iron Man" machte. Eine Leistung, die Aufnahme fand in die Liste der MLB-Rekorde, die wohl niemals mehr gebrochen werden.

Cal Ripken Jr. und "The Streak" sind untrennbar miteinander verbunden.

Cal Ripkens Streak: Er spielte einfach

Niemand wusste am 30. Mai 1982, dass Ripken bei der 0:6-Niederlage seiner Orioles gegen die Toronto Blue Jays eine der eindrucksvollsten Serien der Baseball-Geschichte beginnen würde. Ohne einen Hit beendete der 21-Jährige seinen Arbeitstag, mit einem Walk und einem Strikeout. Eines dieser Spiele, an die sich Jahre später eigentlich niemand mehr erinnert. Eigentlich.

Ripken spielte einfach. Er spielte alle verbleibenden Partien der Orioles in der Saison und wurde Rookie of the Year in der American League. Er spielte, als die Orioles im Jahr darauf die dritte World Series der Franchise-Historie gewannen. Er spielte, als das Team im Jahr 1987 seinen Vater Cal Sr. als Manager verpflichtete - und er spielte, als der ein Jahr später wieder entlassen wurde. Er spielte durch starke Phasen, er spielte durch Durststrecken.

"1989 habe ich Steve Garvey überholt und stand mit 1208 Partien in Serie auf Platz drei. Da bekam meine Serie zum ersten Mal nationale Aufmerksamkeit", blickte Ripken im Players' Tribune zurück. Aber damit wollte er sich nicht beschäftigen. "The Streak" war nur Beiwerk seines Jobs: "Ich habe nie zu einem Manager gesagt: 'Ich jage Lou Gehrigs Rekord, also setz mich ein.'"

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War Cal Ripken Jr. ein Egoist?

Und so spielte er weiter. Familie? Seine beiden Kinder wurden an spielfreien Tagen geboren - keine Auszeit nötig. Verletzungen? Ripken spielte trotz verstauchter Knöchel 1985 und 1992. Er spielte, als er sich 1993 in einer Massenschlägerei mit den Mariners das Knie verdrehte. Und auch, als White-Sox-Pitcher Roberto ihm bei einem Fotoshooting vor dem All-Star Game unabsichtlich die Nase brach. 5045 Ausflüge auf die Disabled List registrierte die MLB während Ripkens Serie. Er selbst spielte einfach weiter.

Er spielte, als er in den 90er Jahren näher und näher an das "Iron Horse" heranrückte - und beileibe nicht nur Lob auf ihn einprasselte. Gerade in Zeiten, wenn es mal nicht so lief: Egoistisch sei die Jagd auf das Yankee-Idol, er würde dem Team schaden. Ripken solle sich lieber den einen oder anderen freien Tag gönnen, das könne seiner Form nur gut tun.

Ein Gedanke, dem sich Ripken verweigerte: "Ich weiß noch, wie ich [vor einem Spiel gegen Roger Clemens] dachte: 'Mann, es wäre wirklich einfach zu sagen: Ich habe so viele Spiele gespielt, dieser Herausforderung soll sich jetzt jemand anders stellen.' Aber das ist nur eine Ausrede, und so bin ich nicht erzogen worden. So will ich weder den Sport noch das Leben angehen."

The Streak holt den Sport aus der Krise

Der Druck wurde noch größer, als sich die Öffentlichkeit irgendwann hinter Ripken stellte. Plötzlich fieberten alle dem Rekord entgegen, die Nummer 8 der Orioles wurde als Retter des Sports bejubelt. Ganz besonders nach dem Streik 1994, dem die World Series zum Opfer fiel, weil sich Liga und Spieler hoffnungslos zerstritten hatten. Die folgende Saison hätte um ein Haar mit Ersatzspielern begonnen, was das Ende der Serie bedeutet hätte. Dabei fehlten nur noch 122 Spiele.

Schließlich begann die Saison 1995 doch, auf 144 Spiele verkürzt, Ripkens Rekordspiel Nummer 2131 würde auf den 6. September fallen. ESPN hatte sich die Übertragungsrechte gesichert, natürlich würde es ein Heimspiel werden. Die ganze Nation wartete auf den magischen Tag.

Und Ripken? Hielt der sich zurück, um seine Bestmarke bloß nicht zu gefährden? Natürlich nicht. "Ich kam ins Clubhouse und sah, wie er sich mit Teamkollegen raufte", erzählt der damalige PR-Direktor John Maroon. "Ich rief: Was machst du da bloß?" Aber Ripkens Mantra war ganz einfach: "Alles kann passieren. Und hätte schon all die Jahre passieren können."

Ripkens Homerun im Rekordspiel

Der Rekord rückte immer näher. Die Orioles hatten sich vorbereitet und auf der Backsteinfront des alten Lagergebäudes hinter der Right-Field-Tribüne große Banner angebracht, auf denen mitgezählt wurde. 2128. 2129. 2130. Als Ripken den Rekord von Gehrig einstellte, belohnte er sich selbst mit einem Homerun.

Und dann: Der 6. September 1995 war da, die Augen der Nation waren auf Camden Yards gerichtet. Das Wetter spielte mit, wie es schon das gesamte Jahr über mitgespielt hatte. Präsident Bill Clinton und Vize Al Gore hatten sich angekündigt - und holten sich vor dem Spiel noch schnell Autogramme vom Star des Abends. 35 Jahre alt war der mittlerweile, vom schwarzen Haarschopf war über die Jahre kaum mehr als ein Kranz verdächtig silbern schimmernder Stoppel geblieben.

Aber Shortstop spielen, das konnte er immer noch. Und Homeruns schlagen: Im vierten Inning prügelte er einen Ball zum 3:1 gegen die California Angels in die Zuschauer im Left Field - und während die Nummer 8 die Bases umrundete, fingen die Kameras einen klatschenden, ungläubig lachenden Präsidenten ein.

Wahnsinn, welche Geschichten der Sport manchmal schreibt.

The Streak: 22 Minuten für eine Ehrenrunde

Die glückseligen 46.272 Zuschauer hatten sich kaum beruhigt, da brachte Orioles-Pitcher Mike Mussina das fünfte Inning hinter sich. Jetzt würde auch ein vorzeitiger Spielabbruch nichts mehr ändern, die Partie würde auf jeden Fall gewertet. Und Cal Ripken Jr. war der neue "Iron Man". Jubel. Standing Ovations. "2131" entfaltete sich in übergroßen Lettern hinter der Tribüne. Luftballons. Feuerwerk. Die Angels und sogar die Umpires applaudierten.

Insgesamt 22 Minuten dauerten die Standing Ovations. Eigentlich viel zu lange für Ripken, ganz der Profi, der die Partie am liebsten direkt fortgesetzt hätte. "Es gab drei oder vier oder fünf Curtain Calls", sagte er Jahre später zu ESPN. "Ich weiß noch, wie Rafael Palmeiro und Bobby Bonilla sagten: 'Pass auf, das Spiel wird erst weitergehen, wenn du eine Runde durch das Stadion gedreht hast.' Ich sagte: 'Ich drehe keine Runde durch das ganze Stadion.'"

"We want Cal!" rief die Menge.

Mit vereinten Kräften drückten ihn die beiden Teamkollegen schließlich aus dem Dugout, und so rannte er los, schüttelte Hände mit Polizisten, bedankte sich bei den Fans - und fing an, den Moment zu genießen: "Zuerst war es mir etwas peinlich, dass das Spiel so lange unterbrochen wurde, aber als ich auf die Runde ging, war es mir vollkommen egal."

"One Moment in Time" von Whitney Houston erschallte aus den Lautsprechern im Camden Yards. Ein unvergesslicher Moment der Baseball-Geschichte. Der Iron Man hatte das Iron Horse überholt.

Ripkens Serie - ein Rekord für die Ewigkeit

Als Cal Ripken Jr. seine Karriere nach der Saison 2001 beendete, hatte er seine Bestmarke auf 2632 Spiele ausgebaut. 16 komplette Spielzeiten ohne Pause, und noch einmal 40 Spiele obendrauf. Ein für alle Zeiten unangreifbarer Rekord? Es scheint so. Doch dieser Rekord hätte ihn nie motiviert, betont er bis heute. Und ein Iron Man, das sei er ebenfalls nicht: "Wenn ich das schaffen kann, dann können es auch andere."

Die Serie hatte Ripken übrigens am 20. September 1998 auf eigenen Wunsch beendet. Unangekündigt, ohne großes Trara nahm er sich eines Tages selbst aus dem Lineup. Es war einfach an der Zeit.

Um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: "Es ging nie wirklich um The Streak. Es ging darum, alles zu geben für das Team, das ich liebe."

Dieser Artikel wurde ohne vorherige Ansicht durch die Major League Baseball veröffentlicht.