Von Komfortzone zu Komfortzone

Ole Frerks
05. Juli 201714:35
Isaiah Thomas und Gordon Hayward spielen von nun an zusammen getty
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Gordon Hayward hat sich nach einem chaotischen Hin und Her letztendlich doch für die Boston Celtics entschieden. Sind die Celtics nun ein echter Contender? Welche Moves folgen als nächstes? Und was wird aus den Utah Jazz? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Warum verlief der Wechsel so chaotisch?

Wie schon Kevin Durant im Vorjahr suchte sich Hayward mit dem 4. Juli einen (in den USA) Feiertag aus, um seine Entscheidung zu verkünden. Und er wählte auch dieselbe Plattform: Mit einem Artikel im Player's Tribune wollte Hayward mit über 2.000 Wörtern (!) alle Wogen glätten und seine Beweggründe so gründlich erklären, dass ihm womöglich nicht einmal eingefleischte Jazz-Fans böse sein würden.

Das Problem: Sein Umfeld machte Hayward einen Strich durch die Rechnung. Stunden vor der Publikation seines Briefs "Thank You, Utah" vermeldete zunächst ESPN-Reporter Chris Haynes, Hayward habe sich für Boston entschieden, dann bestätigten Zach Lowe und Sam Amick, sie hätten aus "Quellen, die Hayward nahstehen" das Gleiche gehört.

Was dann folgte, war Chaos. Zunächst sickerte durch, es sei noch gar keine Entscheidung gefallen, dann wurde berichtet, Hayward und sein Camp seien "sauer" und würden alles noch einmal überdenken. Jazz-Präsident Steve Starks sagte bei Twitter, seinem Wissensstand nach sei "keine Entscheidung gefallen" und man vertraue Gordon und seinem Agenten. Isaiah Thomas' Ehefrau hatte ihr Instagram-Video, in dem IT sich tanzend über die Verpflichtung freute, bereits wieder gelöscht.

Isaiah Thomas und Gordon Hayward spielen von nun an zusammen getty

Noch absurder wurde es, als Berichte kursierten, es würde womöglich an diesem Tag gar keine Entscheidung geben. Ob man im Celtics-Lager zu diesem Zeitpunkt schon eine DeAndre-Jordan-Situation befürchtete? Angeblich habe sich Hayward "in den letzten vier Tagen viermal umentschieden."

Am Ende kam dann doch alles so, wie Haynes es angekündigt hatte. Hayward veröffentlichte seinen Brief und nahm Stellung zu den Gerüchten: "Das Verrückte ist - bevor ich mich überhaupt entschieden und diesen Brief schreiben, bevor ich mit meinen Liebsten darüber sprechen konnte - konnte ich schon Berichte lesen, wo ich hingehen würde. Ich nehme an, dass es im Jahr 2017 einfach so läuft. Aber es tut mir leid, dass es so gelaufen ist."

Apropos 2017: Haynes, dem im Laufe des Tages die Verbreitung von "Fake News" vorgeworfen wurde, reagierte nach der Bekanntgabe des Wechsels bei Twitter mit einem Bild von Hulk Hogan, der die "Ich kann euch nicht hören"-Pose zeigte. Es gab also keinen Emoji-War wie bei DeAndre - unterhaltsam und chaotisch verlief der Wechsel trotzdem.

Was bedeutet der Deal für die Jazz?

Wo wir schon bei Social Media sind: Rudy Gobert reagierte mit einem Instagram-Video, in dem er bei einem nicht gerade zweideutigen Lied mitsang, wenig später gab es bereits die ersten Videos von frustrierten Jazz-Fans, die Hayward-Trikots verbrannten. Deutlich mehr Klasse zeigte da die Organisation, gerade General Manager Dennis Lindsey: "Wir sind stolz darauf, wie sich Gordon bei uns entwickelt hat, und wünschen ihm und seiner Familie das größtmögliche Glück."

Lindsey fuhr in seinem Statement fort, man habe immer noch einen "sehr guten jungen Kern" an Spielern, und auch Starks sprach davon, dass man weiter das Ziel einer Championship im Sinne habe. Natürlich trifft der Abgang Haywards die Jazz aber extrem hart.

Hayward war der einzige All-Star des Teams (wenngleich Gobert auch einer hätte sein MÜSSEN) und hat gerade seine beste Saison hinter sich. Zum ersten Mal seit 2010 führte Hayward die Jazz soeben erst in die zweite Playoff-Runde. Gerade offensiv war Hayward unverzichtbar und es dürfte relativ unmöglich sein, einen Spieler von ähnlichem Format nach Utah zu lotsen. Zumal die Jazz erst einige Moves tätigen beziehungsweise Optionen verstreichen lassen müssten, um Cap Space zu schaffen.

Natürlich hat Utah immer noch einen ordentlichen Kader: Gobert dürfte durch Neuzugang Ricky Rubio noch besser in Szene gesetzt werden, Derrick Favors steht vor einem Contract Year, Joe Ingles wurde erst gehalten, Dante Exum, Rodney Hood und auch Alec Burks haben immer noch viel unausgeschöpftes Potenzial und Rookie Donovan Mitchell sah zumindest bei seinem Summer League-Debüt sehr vielversprechend aus.

Das Problem: Die Jazz spielen im Westen. Während ihr Team im Osten wohl Playoff-Format hätte, ist das in der nahezu lächerlich aufgeplusterten Western Conference äußerst unwahrscheinlich. Defensiv werden sie auch nächste Saison extrem unangenehm für jeden Gegner sein - unklar ist aber, wo die Punkte herkommen sollen. Kann Hood ein 20-Punkte-Scorer werden? Oder sonst jemand?

Für die Vakanz auf Small Forward schaut man sich Berichten zufolge bereits nach einigen Spielern um, wobei unter anderem die Namen James Johnson, Rudy Gay und Otto Porter (mit Brooklyn einig, RFA) genannt wurden. Zu einem Contender würden sie freilich mit keinem noch verfügbaren Spieler werden.

Lindsey und das restliche Front Office der Jazz muss nun abwägen, wie es weitergeht - mit dem nicht garantierten Vertag von Boris Diaw und vielen jungen Spielern hätte man die Assets, um einen Win-Now-Trade für beispielsweise Carmelo Anthony einzufädeln (dem dieser allerdings zustimmen müsste). Eigentlich wäre das aber kein Move, der zu den Jazz passen würde.

Wahrscheinlicher ist: Man wächst weiter mit seinen jungen Spielern, versucht, vielleicht noch ein oder zwei Talente für die alternden Joe Johnson oder Diaw zu bekommen und fängt zwar nicht ganz von vorne, aber eben ein Stück weiter vorne wieder neu an. Mund abputzen, weitermachen - das mag frustrieren, es gibt aber keine andere Option. So läuft die Free Agency.

Was bedeutet der Deal für die Celtics?

Der erklärte Wunschspieler ist in Boston gelandet - Hayward macht die Celtics offensiv und auch defensiv sofort besser und behebt ihre vielleicht größte Schwäche. Wo Isaiah Thomas in der Vorsaison im letzten Viertel noch regelmäßig die (fast) einzige Option war, ist Hayward als guter Shooter, Ballhandler und Playmaker eine sehr gute zweite, manchmal vielleicht auch erste Option neben IT.

Da sowohl Hayward als auch Thomas (und Al Horford) sehr gut abseits des Balles funktionieren, sollten die besten Spieler des Teams ziemlich gut miteinander harmonieren. Dass Brad Stevens und Hayward sich bestens kennen, ist natürlich auch kein Nachteil - Hayward dürfte sich in Boston schnell und gut einfinden.

General Manager Danny Ainge hat freilich trotzdem noch einige Arbeit vor sich. Zunächst einmal muss er Platz für Haywards fetten Vertrag schaffen: Das Qualifying Offer an Kelly Olynyk wurde bereits zurückgezogen, womit der Kanadier vor dem Abschied steht. Die Cap Holds für Jonas Jerebko, James Young und Gerald Green wird man "renouncen", den ungarantierten Vertrag von Demetrius Jackson könnte man ebenfalls auflösen.

Damit wäre es aber noch nicht getan: Mindestens einen weiteren Vertrag müsste man noch loswerden. Das könnte Avery Bradley, Jae Crowder, Marcus Smart und Terry Rozier betreffen - wobei Smart vielleicht der logischste Kandidat ist. Genau wie Bradley und Thomas wird er nächsten Sommer Free Agent und alle drei Guards wird Boston unter Garantie nicht bezahlen können oder wollen.

Ob Haywards Deal eine Auswirkung auf den kolportierten Deal von Daniel Theis haben wird, ist unwahrscheinlich, da Theis ohnehin kein Großverdiener wäre. Als günstiger Big Man würde er den Celtics sowieso gut zu Gesicht stehen - der Frontcourt ist dünn besetzt, neben Horford sind Rookie Ante Zizic und Jordan Mickey momentan die einzigen Big Men im Kader.

Im Raum steht des Weiteren eine Verpflichtung von Power Forward Guerschon Yabusele, den Boston letztes Jahr draftete, der "französische Draymond" könnte aber auch noch ein weiteres Jahr in Übersee bleiben. Ein paar günstige Optionen, um den Kader zu füllen, wird es freilich auch noch auf dem Free-Agent-Markt geben.

Was bedeutet der Wechsel für Hayward?

Ein paar - na gut, viele - Jazz-Fans werden Hayward wahrscheinlich erst einmal verfluchen und seine Ehre in Frage stellen. Aus falscher Solidarität werden das vielleicht auch einige OKC-Fans tun. Dass sein Wechsel Frustration auslöst, ist auch vollkommen logisch, aber Hayward hat diese Entscheidung nun eben getroffen und wird damit leben müssen, dass er nicht mehr nur Fans hat.

Wenn es bei den Celtics erwartungsgemäß gut läuft, wird er aber auch sehr schnell etwas anderes feststellen: Sein Spiel dürfte nun endlich die Beachtung finden, die es verdient hat. Hayward war letzte Saison zum ersten Mal All-Star, für die All-NBA-Teams wurde er nicht berücksichtigt, die meisten "casual" NBA-Fans haben vor dieser Offseason wahrscheinlich selten einen Gedanken an Hayward verschwendet.

Das lag nicht an seinem Spiel, sondern einerseits an seiner unscheinbaren Art und andererseits - und das wird sich ändern - an dem kleinen Markt, in dem er spielte. Utah war jahrelang kein Playoff-Team, aber auch in der vergangenen Saison wurde vergleichsweise wenig über das Team mit der viertbesten Bilanz im Westen gesprochen, das - ohne die vielen Verletzungen - eher noch mehr Siege als 51 geholt hätte.

Hayward hat auch individuell eine bessere Saison hinter sich als beispielsweise Paul George, dennoch würden die wenigsten behaupten, er sei auch nur ansatzweise so gut wie PG-13. Vielleicht ist er das im Großen und Ganzen auch nicht, aber der Punkt ist, dass er einfach nie eine vergleichbare Aufmerksamkeit erfahren hat. Das wird sich in Boston, einem der größten Märkte der USA, schnell ändern. Hayward muss beweisen, dass er das viele Geld wirklich wert ist.

Ein Narrativ a la "Raus aus der Komfortzone" ist trotzdem nicht angebracht - denn da ist ja noch der Faktor Stevens. Der Celtics-Coach war einst der erste, der den Highschooler Hayward rekrutierte, als dieser noch ein völlig Unbekannter war. Über zwei Jahre in Butler entwickelten die beiden ein Band, das bis heute besteht. Hayward wechselt also eher von einer Komfortzone in die nächste.

Das mag nicht der einzige Grund gewesen sein, aber ein wichtiger. Hayward schloss seinen Brief mit den folgenden Worten: "Die unerledigte Aufgabe, die wir damals hatten, als ich 2010 von Butler in die NBA gewechselt bin ... so wie ich das sehe, besteht die all die Jahre später immer noch. Es geht darum, eine Meisterschaft zu gewinnen."

Werden die Celtics eine echte Gefahr für Cleveland?

Nicht in diesem Jahr - zumindest Stand jetzt nicht. Hätte man zuvor bereits Jimmy Butler oder Paul George geholt, würde die Antwort vielleicht anders ausfallen, aber das ist bekanntlich nicht passiert. Nun hat Boston vorerst seinen Status als "zweite Kraft" im Osten zementiert und die Lücke zu den Cavs verkleinert, geschlossen ist sie aber eher nicht.

Dazu hat sich Ainge aber auch mehr oder weniger bereitwillig entschlossen, indem er seine jungen Talente Jaylen Brown und Jayson Tatum Berichten zufolge für "untouchable" erklärte. Indem er Hayward nun bekommen hat, scheint er den Spagat zwischen Ambitionen und Geduld geschafft zu haben: Hayward passt als 27-Jähriger zu Thomas, Horford, Bradley und Co., er wird aber auch dann noch gut sein, wenn Tatum, Brown, Zizic und Co. ihre Prime erreichen.

Natürlich ist all dies riskant - Thomas will nächstes Jahr als 29-jähriger Winzling zum Großverdiener werden, Horford ist bereits 31 Jahre alt; vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Ainge in diesem Sommer All In gegangen wäre. Vielleicht fliegt ihm die Vorsicht bei Trades (die größer gemacht wird, als sie ist) eines Tages um die Ohren.

Vielleicht geht seine Strategie aber auch auf. Die Celtics sind mit ihrer Mischung aus Stars und Lottery-Picks besser positioniert als jedes andere Team, um die Krone im Osten zu übernehmen, sollte LeBron James nächstes Jahr wirklich in den Westen wechseln oder eines Tages abbauen - na gut, so geduldig ist vielleicht nicht einmal Ainge.

Die Celtics können lauern und 55+ Siege einfahren und haben trotzdem noch eine Menge Assets und künftige Picks in der Hinterhand - Paul George ein Jahr lang "mieten" hat nicht gereicht, vielleicht reicht aber eines Tages ein anderer Name. Sollte ein Anthony Davis (nur als Beispiel!) eines Tages verfügbar werden, hat immer noch kein Team eine bessere Verhandlungsgrundlage als Boston.

Ainge spielt ein Geduldsspiel, das frustrieren kann - und wenn Hayward sich für Utah oder Miami entschieden hätte, wäre Boston einer der Verlierer der Offseason gewesen. Hat er aber nicht, also geht das Spiel weiter.