Die Dallas Mavericks durften im Draft 2017 erstmals seit langer Zeit wieder unter den ersten Zehn ziehen. Mit Dennis Smith Jr. könnten die Mavs einen echten Steal gelandet haben. Der Point Guard hat herausragende Anlagen. In ihm könnte ein kommender Rookie of the Year stecken.
Ein 10-jähriger Junge, der trotz der sommerlichen Hitze Handschuhe trägt, prellt auf einem Platz voller Dreck und Gras einen Basketball, der in einer Plastiktüte steckt.
Ein 19-Jähriger Mann zwängt sich in Las Vegas zwischen dem 2,03 Meter großen Josh Jackson und seinem 2,08 Meter großen Nebenmann Marquese Chriss hindurch, um per Jumper die ersten 2 Punkte der Dallas Mavericks zu erzielen.
Beide hören auf den Namen Dennis Smith Junior.
Am 22. Juni wählten die Mavericks Smith den Freshman der North Carolina State University, mit dem neunten Pick des Drafts. Die Texaner wählten einen jungen Mann, der bereits eine Kreuzbandverletzung erlitten hatte und nur als viert- oder fünftbester Point Guard seines Jahrgangs galt. Und Dallas hat richtig gewählt.
Der Junge vom Dirtcourt in North Carolina zauberte auf dem glänzenden Parkett der Summer League in Las Vegas beim Sieg gegen die Phoenix Suns eine grandiose Statline: 25 Punke, 8 Rebounds und je 4 Assists und Steals standen hinter seinem Namen im Boxscore. In nur 27 Minuten.
Auch ein weiteres Highlight gehörte ihm: Nach einem verpatzten Einwurf seiner Teamkollegen verfolgt Smith den gegnerischen Point Guard über das halbe Feld, hält ihn vor sich, bringt sich in Position, springt - und donnert den Korbleger-Versuch zurück in Richtung Kameraleute. Es ist nur ein einziger Block. Doch er sagt viel über ihn aus.
Dennis Smith Jr. - Eine Jugend mit strengen Regeln
Dennis Smith Junior hat nie gelernt, aufzugeben. Kein defensives Play, kein 50-50-Ball und kein Rebound, um den er nicht fighten würde. Genau dieser Kampfgeist, diese Energie und Aufopferungsbereitschaft sind der Grund, warum die Mavericks von ihrem Pick so angetan sind. Eingeimpft wurden ihm diese Werte bereits im Kindesalter.
DSJ wuchs gemeinsam mit seiner zwei Jahre älteren Schwester De'Aira bei seinem Vater Dennis Smith Senior in Tera Gardens, North Carolina auf. Seine Mutter hatte die Familie verlassen.
In der Wohnsiedlung lernte er, alles einem einzigen Ziel unterzuordnen. Schule, Bibelkurse, anschließend Training - damit verbrachte der Junior die meiste Zeit seiner Jugend. Spätestens sobald die Straßenlaternen angingen, kam er nach Hause.
Smith von Null auf Hundert
"Der Unterschied zu den anderen in seinem Alter war, dass er auf mich gehört hat", sagte sein Vater in einem Sportsday-Interview mit Eddie Sefko. Der andere Unterschied war, dass er sich mit 13 das Dunken selbst beibrachte.
Sein damaliger Coach Brown erinnert sich daran, dass Smith kurzerhand in einem Spiel einen einhändigen Dunk durch die Reuse hämmerte. "Zwei Wochen später hat er in einem Spiel einen Windmill-Dunk ausgepackt", sagt Brown. "Von Null auf Hundert - so etwas habe ich noch nie gesehen."
Spätestens da war allen klar, was dieser Junge drauf hat: Seine Auftritte im heimischen Smith Recreation Center avancierten zu einem solchen Spektakel, dass sogar die Polizei zu den Spielen erscheinen musste, um für Ordnung zu sorgen. Zu viele Fans wollten dem Ausnahmetalent aus der Nachbarschaft zuschauen. Plötzlich war DSJ der bekannteste Junge in ganz Tera Gardens.
College: Freshman des Jahres
Es ging jedoch nicht immer nur bergauf mit Smiths Traum von der NBA. Im Senior-Jahr an der High School verletzte der Point Guard sich am Kreuzband und musste beinahe ein ganzes Jahr pausieren. Auch wegen dieser Verletzung fiel Smith im Draft bis auf Position neun. Die Mavs, die bekanntlich selten ein Risiko unter Owner Mark Cuban scheuten, griffen dankbar zu.
Ein Grund dafür waren seine starken Leistungen am College. An der North Carolina State schaffte er es zwar nicht, das Wolfpack ins NCAA-Turnier zu führen, legte aber über 18 Punkte und 6 Assists pro Spiel auf.
Die Stats reichten dann auch, um die Trophäe des ACC Freshmen of the Year abzustauben. Der Hype, der durch seine Verletzung abgekühlt war, begann wieder aufzulodern und spätestens am 22. Juni in New York entwickelte er sich zum Flächenbrand.
Und das Feuer loderte auch in der Summer League in Vegas, auch wenn Smith betont kühl und bescheiden daherkommt: "Wir kommen vom Land", sagte er, nachdem er gemeinsam mit seinem Dad die Halle in Las Vegas verlassen hatte. "Wir brauchen das ganze Scheinwerferlicht nicht. Wir machen das, wozu wir hier sind, und kümmern uns um unseren eigenen Kram."
Rick Carlisle: Smith ist Starter
Ein solcher Fokus ist bei jungen Spielern nicht selbstverständlich. "Ich bin sehr begeistert von seiner Einstellung", sagte auch Mavs-Coach Rick Carlisle. Und diese Begeisterung zahlt sich aus: Der langjährige Dallas-Trainer ist nicht unbedingt als Rookie-Fan bekannt - trotzdem attestierte er Smith Junior bereits im ersten Jahr Starterqualitäten und bezeichnete ihn als "Instant-Impact Guy".
Doch natürlich ist die Mentalität nur die halbe Miete. In die NBA kommt nur, wer das orange-braune Leder dribbeln, passen, werfen oder stopfen kann. In Smiths Fall trifft beinahe alles davon zu.
Sein Dribbling ist extravagant, sein Antritt blitzschnell und sein Handling sicher. Kein Wunder: Wer jahrelang im Sommer mit Handschuhen und einem Ball in der Plastiktüte trainiert, fühlt sich auf den glatten Parkett natürlich wie im siebten Himmel - die kuriosen Trainingsmethoden seines Vaters zahlen sich jetzt aus.
MVP? Erstmal Rookie of the Year
Punkten kann Smith auf viele verschiedene Arten - das mussten die Suns am eigenen Leib erfahren. Beeindruckend sind dabei seine Drives zum Korb, da er für einen Point Guard eine überragende Physis aufweist.
Außerdem macht ihn seine Sprungkraft trotz 1,88 Meter Körpergröße zum starken Finisher am Korb - wie die deutlich größeren Marquese Chriss und Josh Jackson, vierter Pick des Drafts, mehrmals erkennen mussten.
Diese Mischung aus Athletik, Explosivität und Aggressivität nährt auch den häufiger auftauchenden Vergleich zu OKCs Russell Westbrook. Zuletzt kam der auch von Coach Carlisle persönlich und Smith kennt keine falsche Bescheidenheit: "Ich würde sagen, die Einschätzung ist fair."
Dass qualitativ natürlich (noch) ein großer Unterschied zum MVP besteht, räumt Smith bereitwillig ein - aber die Spielweise, die sei gleich. Das mag durchaus mit ein Grund sein, warum die meisten NBA-Experten Smith eine strahlende Zukunft prophezeien. Oder wie ein NBA-Scout gegenüber ESPN-Reporter Marc Spears sagte: Dennis Smith wird der 2018 NBA Rookie of the Year.
Dallas Offense: Pick your poison
Natürlich ist es bis dahin noch eine lange Zeit. Seine Leistungen in der NBA jetzt schon zu bewerten wäre verfrüht und auch Lonzo Ball und Markelle Fultz haben da wohl etwas gegen einzuwenden. Aber es zeigt, welches Potenzial in Smith stecken kann.
Bei den Mavs wird er gemeinsam mit Harrison Barnes, Yogi Ferrell, Nerlens Noel und Dorian Finney-Smith die Post-Nowitzki-Ära einleiten. Zum ersten Mal seit Jahren dürfte diese Vorstellung Mavs-Fans keine Angstschauer über den Rücken laufen lassen.
Man ist bereit für den Abgang des großen Deutschen. So bereit es eben geht. Mavs-Experte Ian Miller schreibt in seinem Blog gar von einer "Pick your Poison"-Offensive mit aggressiven Drives von Smith und Shooting von Barnes, Wes Matthews und Seth Curry.
Kein Konkurrenzkampf in Dallas
Doch das ist noch Zukunftsmusik. Wie gut Ferrell und Smith Jr. harmonieren, konnte man hingegen bereits in der Summer League beobachten. Gegen die Suns sorgten sie in der zweiten Halbzeit mit kombinierten 18 Punkten, 7 Rebounds und 6 Assists für den Sieg.
Auch die Hackordnung ist bereits klar. "Ich habe das Gefühl, er ist ein Schlüsselstück für unseren Erfolg", sagte Ferrell. Deswegen werde er sich selbst zurücknehmen, "ihn machen lassen und dafür sorgen, dass er sein Übergang in die NBA so einfach wie möglich wird."
Die Mavericks werden alles dafür geben, dass sich Smith wohl fühlt, denn er ist die größte Hoffnung und der höchste Draftpick der Franchise seit - ja seit Nowitzki, der bekanntlich auch mal ein neunter Pick war.
Smith Jr.: "Nächstes Mal kriege ich ihn"
Natürlich hinkt der Vergleich zwischen den beiden - was sie aber gemeinsam haben ist die Arbeitsmoral und der ständige Wunsch, sich zu verbessern. Zum Beispiel in der Defense. "Es geht Schritt für Schritt", sagte Smith Jr., "ich lerne, wie man NBA-Defense spielt. Heute hatte ich vier Steals, gestern nicht - ich mache also Fortschritte."
Angesprochen auf ein missglücktes Alley-Oop-Finish, bei dem ihm nach Vorlage von Finney-Smith der Ball durch die Finger rutschte, sagte er nur: "Nächstes Mal kriege ich ihn." Und das wird er vermutlich.
Ob er seine Fortschritte auch weiter in der Summer League macht, ist jedoch unsicher, da Mavs-Offizielle bereits davon sprechen, lieber keine Verletzung ihres Top-Picks zu riskieren. Spätestens zum Saisonstart werden die Fans ihn aber wieder sehen. Als Starter. Auf der Eins. Und im American Airlines Center haben auch viel mehr Menschen Platz als im Smith Recreation Center von Tera Gardens.