Heute vor fünf Jahren ereignete sich das vielleicht wichtigste Spiel der jüngeren NBA-Geschichte: Spiel 6 der Western Conference Finals 2016. SPOX blickt zurück und erklärt, warum das "Klay Game" die NBA nachhaltig geprägt hat.
Dieser Artikel erschien erstmals am 28. Mai 2020.
Manchmal stellen einzelne Ereignisse den kompletten Verlauf der Dinge in der NBA auf den Kopf. Es kann ein zu spät eingereichtes Fax sein, ein geplatztes Meeting, ein Front Office, das im Draft die völlig falschen Prioritäten setzt, alles Mögliche. Im besten Fall kann auch ein einziges Spiel die Geschichte der Liga umschreiben.
Wenn man auf die letzten zehn Jahre blickt und nach solchen Spielen sucht, landet man unweigerlich bei Spiel 6 der Western Conference Finals 2016; dem Spiel, das als "Klay Game" in die Geschichtsbücher einging, weil es den Legenden-Status des zweiten Splash-Bruders Klay Thompson begründete. Es tat jedoch weitaus mehr als das.
Allen voran legte es den Grundstein für die Entstehung des wohl besten Teams der letzten 20 Jahre, für den Wechsel von Kevin Durant zum damals schon besten Regular Season-Team der NBA-Historie. Und bedingte mehr "Was wäre, wenn"-Fragen als jedes andere Spiel der letzten Jahrzehnte.
OKC schlug die Warriors mit den eigenen Waffen
Zur Erinnerung: Die Warriors hatten 2016 73 Siege in der Regular Season eingefahren, Stephen Curry wurde zum ersten einstimmigen MVP der Liga-Historie gewählt. Der amtierende Champion hatte sich noch gesteigert, schien auf dem Weg zur Titelverteidigung. Doch in den Playoffs traf das Überteam auf einen Gegner, der Golden State mit den eigenen Waffen schlagen konnte.
Die OKC Thunder konterten Golden States Small-Ball mit Kevin Durant und Serge Ibaka auf den großen Positionen, hatten dazu in Russell Westbrook einen Über-Athleten auf der Eins, der den ohnehin angeschlagenen Curry attackieren konnte, wenn ihn nicht gerade Thompson verteidigte. Zu Beginn der Serie wirkte OKC stärker, athletischer und vor allem länger als die Dubs.
Gleich im ersten Spiel klaute OKC den Heimvorteil, nach vier Spielen führten die Thunder dominant mit 3-1 und hielten Curry gut in Schach. Die Niederlage im fünften Spiel nickte OKC unbesorgt ab, Durant und Westbrook lachten sich auf der anschließenden Pressekonferenz sogar über die Frage kaputt, ob Currys Defense "unterschätzt" sei. Spiel 6 sollte in OKC die Entscheidung bringen.
gettyOKC hatte eine 88-prozentige Siegchance
Und es lief gut für die Thunder. Zur Pause führte OKC mit 5 Zählern, Curry stand bei nur 9 Punkten und wirkte abermals eingeschränkt. Obwohl er sich in der zweiten Hälfte steigerte (am Ende 31 Punkte), konnte er das Ruder nicht herumreißen. Knapp sechs Minuten vor dem Ende führte OKC immer noch mit 7 Punkten, hatte laut Inpredictable eine 88-prozentige Siegchance.
Die historische Saison der Warriors schien am Ende, KD und Russ endlich vor ihrer zweiten Chance nach 2012, einen gemeinsamen Titel zu holen. Doch daraus wurde nichts - dank der großen Stunde von Thompson, dessen Hand im letzten Viertel nicht nur heiß wurde, sondern lichterloh in Flammen stand.
Klay Thompson und der "Korkenzieher"
Thompson stand zu Beginn des Durchgangs bei 22 Punkten, sechs Dreier hatte er bereits auf dem Konto. Zwölf Minuten später waren es elf, bis heute Playoff-Rekord. Klay hatte in der Regular Season ein 37-Punkte-Viertel hingelegt, die 19 Zähler in diesem Durchgang waren jedoch im Gesamtkontext so viel wichtiger.
Thompson erhob Catch-and-Shoot zur Religion. Die erste Possession des Viertels endete mit einem ansatzlosen Dreier über Anthony Morrow, die vierte mit einem Wurf über Durant. Den vorigen Playoff-Rekord von neun Triples in einem Spiel stellte Thompson ein, als noch knapp neun Minuten zu absolvieren waren. Gute vier Minuten später folgte der albernste Wurf des Spiels.
Im vorigen Play hatte Thompson uncharakteristisch per Layup getroffen, nun bediente ihn Draymond Green knapp hinter dem Logo. Thompsons Beine zeigten keineswegs in die richtige Richtung, mit Andre Roberson stand ihm der beste OKC-Verteidiger im Weg.
Kein Problem: In einer völlig unnatürlichen Bewegung (Thompsons früherer Agent Bill Duffy nannte es einen "Korkenzieher") stieg Klay hoch, drehte sich im Wurf nach vorn und traf. Playoff-Rekord. Und doch war OKC immer noch vorne.
Klay Thompson wollte "mindestens 13 Dreier"
Thompsons Explosion hatte den Dubs jedoch die Zweifel genommen. Nun war es Curry, der die Partie mit zwei Dreiern erstmals seit dem 0-0 ausglich, 1:35 Minuten vor Schluss traf Thompson seinen finalen Dreier und brachte Golden State damit erstmals im Spiel in Führung. OKC erzielte keinen einzigen Punkt mehr (Durant im vierten Viertel: 1/7 FG; Westbrook: 2/7, 4 Turnover).
Für die Thunder war der Sieg die ganze Zeit über zum Greifen nah, doch es sollte einfach nicht reichen. Thompson allein erzielte im letzten Viertel mehr Zähler als die Thunder (19:18) und hielt sein Team in der Serie. "Wenn wir die Finals gewinnen, wird das das Spiel sein, an das wir uns später erinnern", schwärmte Harrison Barnes später. "Das wird das beste Spiel in unser aller Leben sein."
Thompson selbst bediente weniger Pathos, schimpfte sogar, dass er "mindestens 13 Dreier" hätte haben müssen, weil er zu Beginn des Spiels einige weit offene Looks verfehlt hatte. Wie dem auch sei.
Keiner bei den Warriors hatte Zweifel, dass es Thompson gewesen war, der sie in dieser Serie gerettet hatte, auch wenn in Spiel 7 wieder Curry mit 36 Zählern die Regie übernahm. Warriors-Besitzer Joe Lacob verbeugte sich nach Spiel 6 sogar vor Thompson und fiel auf die Knie.
Golden State lachte zuletzt
Die weitere Geschichte ist natürlich bekannt: Die Warriors erlebten in den Finals das gleiche Schicksal, das sie OKC zuvor zugefügt hatten, verloren nach einem 3-1-Vorsprung noch gegen die Cleveland Cavaliers und "Ultimate Warrior" LeBron James und machten sich damit weltweit zum Gespött.
Zuletzt lachte indes das Team aus der Bay Area, das Anfang Juli Durant von einem Wechsel überzeugen konnte und die Liga - und James - quasi Schachmatt setzte. Die nächsten beiden Championships gehörten ihnen, vielleicht wäre es auch ein Threepeat geworden, hätte sich Durant nicht im Lauf der 2019er Playoffs schwer verletzt.
Steve Kerr: Kein Durant ohne Klay-Game
Was passiert, wenn Klay in Spiel 6 nicht in den God-Mode schaltet? Gewinnen die Thunder den Titel und die Stadt Cleveland wartet bis heute auf einen Ring? Hätte LeBron die Cavs ohne Titel noch einmal verlassen? Bleiben Westbrook und Durant zusammen? Haben James Hardens Houston Rockets mittlerweile einen Ring? Wie sieht es mit den Toronto Raptors aus?
Das ist nur eine kleine Auswahl der Teams und Spieler, die durch Thompsons Monsterspiel direkt oder indirekt betroffen waren. Ziemlich sicher ist jedoch, dass im Juli 2016 nicht die unheilige Allianz zwischen KD und den Warriors zustande gekommen wäre. "Schwer vorstellbar, dass er zu uns gekommen wäre", sagte Dubs-Coach Steve Kerr später zu ESPN.
Kerr war es auch, der Thompsons Spiel am besten einordnen konnte. "Ich erinnere mich an eine Frau, die in diesen extrem teuren Sitzen am Spielfeldrand neben den Coaches saß. Sie war im Schockzustand. Ich sah sie nur an und sagte: 'Ich habe auch keine Ahnung, wie er das macht.'"