NBA - Die Brooklyn Nets nach der Trennung von Coach Kenny Atkinson: Star-Power schlägt Kultur

Robert Arndt
10. März 202008:45
Kevin Durant und Kyrie Irving wollen mit den Brooklyn Nets Meister werden.getty
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Die Brooklyn Nets haben sich am Samstag überraschend von Head Coach Kenny Atkinson getrennt. Laut Franchise geschah die Trennung einvernehmlich. Wie kam es dazu, wie geht es nun in New York weiter und welche Rolle spielten die beiden Superstars Kyrie Irving und Kevin Durant dabei?

Warum entließen die Nets Kenny Atkinson jetzt?

Noch in der Nacht auf Samstag feierten die Brooklyn Nets einen überzeugenden 139:120-Erfolg über die San Antonio Spurs, umso überraschender kam es, dass Coach Kenny Atkinson nur wenige Stunden später nicht mehr im Amt war.

Die Nets stehen zwar im Moment nur bei einer Bilanz von 29-34, befinden sich aber klar auf Playoff-Kurs. Als Siebter in der Eastern Conference beträgt der Vorsprung auf Platz neun (Washington Wizards) immerhin sechs Spiele. Für ein Team, das nur insgesamt 658 Minuten auf einen fitten Kyrie Irving zurückgreifen konnte und die komplette Saison auf den besten Spieler in Kevin Durant (Achillessehnenriss) verzichten musste, ist dies aller Ehren wert.

Trotz ständiger Verletzungssorgen stellen die Nets über die Saison gesehen eine Top-10-Defense, im Angriff lag der Hase im Pfeffer - eigentlich wenig verwunderlich, wenn die beiden besten Offensiv-Spieler fehlen. Und trotzdem hielten es anscheinend beide Parteien für sinnvoller, sich knapp 20 Spiele vor der Postseason zu trennen.

"Kenny und ich hatten einige sehr offene Gespräche, die erst am vergangenen Abend stattfanden", verriet General Manager Sean Marks auf einer schnell einberufenen Pressekonferenz. "Es ging nicht um die vergangenen 24 Stunden oder um das vergangene Spiel. Es war nur der Höhepunkt einiger Vorkommnisse über das komplette Jahr."

Atkinson sei dabei absolut ehrlich gewesen und hätte sich selbst eingestanden, dass seine Stimme in der Kabine nicht mehr so gehört wurde, wie es noch zu Beginn der Fall war, ließ Marks weiter verlauten.

Der Kompromiss war demnach eine einvernehmliche Trennung, die auch vom neuen Besitzer Joseph Tsai so abgesegnet wurde. Diverse Berichte decken sich mit den Aussagen von Marks, Vincent Goodwill von Yahoo Sports schrieb unter anderem, dass es Atkinsons Wunsch war, das Team zu verlassen.

Für den früheren Coach ist das ein guter Zeitpunkt, sein Ansehen innerhalb der NBA ist enorm hoch. Er kann nun in Ruhe andere Teams scouten und dürfte ein heißer Kandidat sein, wenn im Sommer Posten frei werden. Die New Yorker Medienlandschaft brachte umgehend die New York Knicks ins Spiel, aber auch in Chicago dürfte das Management einen Blick auf Atkinson werfen.

Der 52-Jährige hat sich in Brooklyn einen Ruf als exzellenter Rebuild-Coach erworben und definitiv seinen Anteil daran, dass sich Spieler wie Spencer Dinwiddie, Caris LeVert, Joe Harris oder Jarrett Allen von No-Names zu wichtigen Rotationsspielern oder gar Stars entwickelten. Einzig mit den größeren Namen schien es noch nicht so gut zu laufen.

Welche Rolle spielten Kyrie Irving und Kevin Durant?

Spieler wie Dinwiddie oder Harris waren womöglich nicht gemeint, als Marks betonte, dass Atkinson die Kabine nicht mehr wie gewünscht erreicht hätte. Schließlich haben sie Atkinson viel zu verdanken. Auffällig war auch, dass sich zahlreiche Ex-Nets-Spieler zu Wort meldeten und ihren früheren Coach unterstützten.

"Das muss mir erstmal jemand erklären, wieso ein großartiger Coach wie Kenny Atkinson gefeuert wird", schrieb DeMarre Carroll, der vergangene Saison noch für Brooklyn aktiv war. Auch Jared Dudley und D'Angelo Russell, der unter Atkinson überraschend zum All-Star reifte, schlugen in eine ähnliche Kerbe.

Sind wir ehrlich: Wenn Irving und Durant gewollt hätten, dass Atkinson Coach in Brooklyn bleibt, dann wäre der 52-Jährige weiterhin im Amt. Durant war während der Pressekonferenz ebenfalls im HSS Training Center, dem brandneuen Trainingsgelände im achten Stock über den Dächern von Sunset Park in Brooklyn, wollte sich aber nicht äußern und sich lieber auf seine Reha konzentrieren.

Vor der Saison schwärmte Durant noch von Atkinson. So habe der zweifache Finals-MVP vor seiner Unterschrift in Brooklyn den Stil von Atkinson studiert und für sich beschlossen, dass dieser gut zu seinem Spiel passen würde. Auch am vergangenen Mittwoch betonte Durant dies noch einmal, als er während des Spiels gegen die Grizzlies ein Interview mit dem YES! Network gab.

"Unsere Entscheidung basierte nicht auf den Meinungen der Spieler", stellte Marks klar. Durant und Irving hätten laut des GMs genauso viel Einfluss gehabt wie alle anderen 15 Spieler im Kader auch.

Nach einigen Gerüchten über launiges Verhalten von Irving in der Preseason gab es dabei nach außen hin wenig Negatives. Atkinson verteidigte Irving während der Spielzeit mehrfach, einerseits als es sportlich nicht lief, andererseits als Kyrie wegen einer mysteriösen Schulterverletzung Monate ausfiel, obwohl er im Injury Report nur als Day-to-day gelistet wurde.

Trotzdem soll Irving unzufrieden mit seinem Coach gewesen sein, und das laut Goodwill schon länger. Shams Charania (The Athletic) bestätigte dies, seinen Quellen zufolge haben Durant und Irving wenig Interesse daran gehabt, kommende Saison unter Atkinson zu spielen. Und auch der Coach selbst war angeblich nicht unbedingt davon angetan, die beiden Star-Spieler zu coachen.

Ein kleines Politikum stellte dabei DeAndre Jordan dar, den Brooklyn wohl aufgrund seiner Freundschaft zu den beiden Stars verpflichtete; Atkinson bevorzugte (richtigerweise) Jarrett Allen als Starting Center. Wohl nicht ganz zufällig wechselte Interimscoach Jacque Vaughn direkt und ließ in seinem ersten Spiel gegen Chicago Jordan starten.

Seit Irving 2011 in die Liga kam, hat der Point Guard nun bereits sechs Coaches gesehen, keiner war länger als zwei Jahre da. Natürlich ist ihm das aber nicht alleine anzulasten, ohne die exakten Vorgänge zu kennen. Stefan Bondy (New York Daily News) etwa berichtete, dass auch Tsai einen großen Einfluss auf diese Entscheidung hatte.

Wie geht es für die Nets weiter?

Zunächst einmal ist es weiterer Beweis dafür, dass die Spieler in der Liga die Macht besitzen. Über drei Jahre hatten die Nets nach dem Trade-Desaster mit den Boston Celtics einen Rebuild aus dem Bilderbuch hingelegt. Bei der Ankunft von Atkinson waren die Nets vermutlich die trostloseste Franchise der Liga, ein Team ohne Potenzial und ohne Draft-Picks.

Und trotzdem wurden die Nets vor allem durch die vergangene Saison eine Feel-Good-Story. Womöglich war dies auch einer der Gründe, weswegen sich Kyrie und KD lieber Brooklyn anstatt den populäreren Knicks anschlossen. So äußerten diese es zumindest im Lauf der Offseason.

Die Kultur wurde immer wieder als Faustpfand der Nets genannt, doch Marks musste während den nun acht Monaten mit den beiden Superstars lernen, dass die Kultur noch so ausgeprägt sein kann - die Musik spielen in der NBA die großen Namen. War es deswegen falsch, sich diese beiden Stars ins Boot zu holen? Auf keinen Fall.

Die Alternative wäre gewesen, Russell zu bezahlen, was dem Team ein gewisses Limit gesetzt hätte. Mit Durant und Irving wurde die Latte höher gesetzt, ein potenzieller Contender geschaffen (wenn KD zumindest 90 Prozent seiner Leistungsfähigkeit wieder erreicht). Das sollte das Ziel jeder ambitionierten Franchise sein, das damit einhergehende Risiko musste Marks in Kauf nehmen. Selbst wenn deswegen das Fundament bröckelt, das über drei Jahre mühsam geschaffen wurde.

Vaughn wird ein gutes Verhältnis mit den Stars nachgesagt, diese Entscheidung könnte dafür ein erster Fingerzeig sein. Vaughn, der als Head Coach drei Jahre Erfahrung in Orlando vorweisen kann, wird nun zumindest für den Rest der Saison übernehmen. Dass der frühere Assistent von Atkinson auch in der kommenden Spielzeit die Geschicke leiten wird, darf dennoch bezweifelt werden.

Laut Goodwill soll Kyrie sich seinen ehemaligen Coach aus Cavs-Zeiten, Tyronn Lue, wünschen, dieser steht im Moment aber noch als Assistent von Doc Rivers bei den L.A. Clippers unter Vertrag. Dabei soll das Verhältnis zwischen Irving und Lue in Cleveland am Ende alles andere als gut gewesen sein, weshalb dieser Name in dem Zusammenhang doch etwas überrascht.

Die Nets stehen vor einer Grundsatzentscheidung. Wollen sie ihren Stars alle Wünsche erfüllen oder will Marks weiter Kultur predigen und auf den Weg mit den selbst entwickelten Youngstern bestehen? Dies wird die entscheidende Frage bis zum Sommer sein, die Entwicklungen der vergangenen Tage deuten jedoch darauf hin, dass Ersteres der Fall sein wird.