NBA - Dirk Nowitzki im Interview: "LeBron James fühlt sich nicht respektiert"

Frederik Harder
10. Oktober 202006:26
SPOXgetty / Darren Carroll/NBAE
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Fast 18 Monate ist es nun schon her, dass Dirk Nowitzki seine Karriere bei den Dallas Mavericks beendete. Im Interview mit DAZN und SPOX spricht der Deutsche über die NBA Finals, die Entwicklung von Luka Doncic und seine persönliche Zukunft, womöglich auch als Coach.

Außerdem berichtet der 42-Jährige, wie es als virtueller Fan in Spiel 1 der Finals war und welche Erinnerungen er an die Miami Heat hat.

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Herr Nowitzki, Sie waren in Spiel 1 der Finals virtuell als Fan auf einer riesigen Videoleinwand dabei, inmitten einer Riege an Superstars. Wie hat sich das angefühlt?

Dirk Nowitzki: Das war schon komisch, hat aber Spaß gemacht. Wir leben in einer virtuellen Zeit. Ich war mit all diesen Legenden in einem riesigen Zoom-Chat und wir konnten uns somit sogar unterhalten, während wir uns das erste Viertel angeschaut haben. Ex-US-Präsident Barack Obama war dabei und hat erzählt, was gerade so los ist. Shaquille O'Neal hat mit jedem rumgeflachst. Es war eine coole, neue Erfahrung. Das Spiel war allerdings nicht so toll zu verfolgen, das war über das Internet etwas holprig.

Was erzählt man sich denn so, wenn der Ex-Präsident dabei ist?

Nowitzki: Als der Präsident dazugeschalten wurde, wurden alle etwas ruhiger und haben nur noch zugehört. Vorher hat Shaq durchgehend rumgealbert und mit mir auf Deutsch gesprochen. Er wurde ja in Deutschland geboren. Er hat dann versucht, mit mir Witze auf Deutsch über die anderen zu machen. Dann kamen Pau Gasol und Manu Ginobili dazu, mit denen hat er auf Spanisch geflachst. Er hat also den ganzen Raum unterhalten, obwohl er in jeder Sprache nur ein paar Worte kann.

Dirk Nowitzki über die NBA Finals: "Wenn sich da jemand rauskämpfen kann, dann Miami"

Lassen Sie uns etwas tiefer auf die Finals eingehen. Bei Miami sind die Verletzungssorgen groß. Was muss passieren, damit die Serie doch noch einmal spannend wird?

Nowitzki: Miami hat schon ein paar schwere Serien hinter sich, sie sahen deshalb auch ein bisschen müde aus, nicht aggressiv genug und oft einen Schritt zu langsam. Das hat man auch in der Zonenverteidigung gesehen, auf die sich die Lakers zudem ausgiebig vorbereiten konnten. Sie haben in den vergangenen Runden viel mitgemacht. Miami ist leider ein bisschen angeschlagen, aber ich weiß aus eigener Erfahrung: Wenn sich da jemand rauskämpfen kann, ist es Miami. Sie haben diese Kultur, nie aufzugeben, immer weiterzukämpfen und für verletzte Spieler in die Bresche zu springen. Diese Kultur herrscht dort seit vielen Jahren.

LeBron James hat nach Spiel 1 selbst darauf hingewiesen, dass man sich nicht zu sicher sein sollte und dabei auch auf die Finalserie 2011 verwiesen, in der Sie ein Hauptprotagonist waren. War Miami vielleicht der größte Rivale Ihrer Karriere, weil Sie beide Finalserien gegen die Heat bestritten haben?

Nowitzki: Natürlich war Miami einer unserer großen Rivalen, obwohl wir nur zweimal in den Playoffs gegen sie gespielt haben. Die größten Rivalitäten im Westen hatten wir mit San Antonio und Phoenix, als Steve Nash gegangen ist und wir zweimal in den Playoffs auf die Suns trafen. Auch gegen Sacramento haben wir am Anfang meiner Zeit oft gespielt, damals noch mit Peja Stojakovic, Vlade Divac und Chris Webber. Aber an Miami erinnere ich mich trotzdem am meisten.

Warum ist das so?

Nowitzki: In den Finals ist der Druck am allergrößten. 2006 haben wir eine 2-0-Führung verspielt, 2011 waren wir der absolute Underdog und haben uns trotzdem durchgekämpft und das Ding gewonnen. Deshalb ist Miami für mich immer eine schöne und schlechte Erinnerung zugleich. Als ich in meinem letzten Jahr nochmal in die Halle gekommen bin, haben mich die Emotionen überkommen. Ich habe den Banner von 2006 gesehen, der unter der Decke hängt, gleichzeitig dachte ich auch an unsere Meisterschaft. Deshalb gehe ich da immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge aus der Arena.

Dirk Nowitzki wurde 2011 mit den Dallas Mavericks Meister - gegen die Miami Heat und gegen LeBron James.getty

Dirk Nowitzki über LeBron James: "Der beste All-Around-Spieler, den unser Sport gesehen hat"

LeBron James steht jetzt zum zehnten Mal in den Finals. Viele nehmen diese Erfolge als selbstverständlich hin. Auch im fortgeschrittenen Alter dominiert er noch auf Top-Niveau. Wie sehen Sie seine Leistungen?

Nowitzki: Er ist unglaublich. Er ist einer der Besten, die dieses Spiel je gespielt haben. Dass er immer noch auf diesem Level spielen kann, ist unglaublich - wie athletisch er ist, er ist fast nie verletzt und spielt jeden Abend konstant auf hohem Level. Das ist schon Wahnsinn. Er hat das Spiel im Griff, verteidigt super, kümmert sich am Ende des Spiels um die wichtigsten Spieler. Er ist wahrscheinlich der beste All-Around-Spieler, den unser Sport gesehen hat. Er war auch in diesem Jahr nicht weit vom MVP-Award weg.

War es für Sie deshalb nachvollziehbar, dass er kein großes Verständnis dafür hatte, nur 16 First-Place-Votes bei der MVP-Wahl erhalten zu haben?

Nowitzki: Die größten Spieler verwenden ganz kleine Sachen, um sich für die Playoffs zu motivieren. Das hat man auch in der Michael-Jordan-Doku "The Last Dance" super gesehen. Die Stars steigern sich da rein, um auf allerhöchstem Niveau spielen zu können für eine so lange Zeit. LeBron fühlt sich angespornt und nicht respektiert. Für mich hat Giannis aber den MVP verdient. Es ist ja auch im All-Star Game so, dass jedes Jahr zwei oder drei Spieler nicht gewählt werden, die dann enttäuscht sind. Aber das ist nun einmal so und gehört dazu, es gibt eben nur einen MVP und die Plätze im All-Star Game sind begrenzt.

Dirk Nowitzki über Luka Doncic: "War auch für mich überraschend"

Einer der Spieler, der in dieser Diskussion ebenfalls genannt werden muss, ist Luka Doncic, auch wenn es nur für die erste Playoff-Runde reichte. Sie haben ihn noch auf dem Feld erlebt. Wie haben Sie seine Entwicklung wahrgenommen?

Nowitzki: Vor seiner zweiten Saison dachte ich, dass es schwer für ihn sein wird, erneut auf einem solch hohen Level zu spielen, weil sich die Verteidigungen besser auf ihn einstellen und versuchen ihn abzustellen. Im ersten Jahr hatte er noch den Überraschungseffekt auf seiner Seite. Dass er es schafft, ein noch besseres Jahr hinzulegen, war auch für mich überraschend.

Was zeichnet sein Spiel besonders aus?

Nowitzki: Er ist beim Lesen des Spiels noch cleverer geworden. Wie er die Pick'n'Roll-Coverages schlägt, zum Korb zieht, seine Kraft und Größe einsetzt und auch in schwierigen Situationen nicht die Übersicht verliert, diese Konstanz mit 21 ist der absolute Wahnsinn! Für mich war es am Anfang immer das Schwierigste, Konstanz in mein Spiel zu bringen. Nach einem guten Spiel wirst du vom Coach und den Medien gelobt, freust dich total und bist auf einem emotionalen Hoch. Es war für mich schwer, zwei Tage später wieder eine gute Leistung zu zeigen. Die ganzen Lobeshymnen, die auf ihn einprasseln, steckt er ganz locker weg und arbeitet weiter hart. Das ist mehr als beeindruckend.

Würden Sie sich wünschen, die Uhr fünf Jahre zurückzudrehen, um mit Doncic länger zusammenspielen zu können?

Nowitzki: Da müssten wir die Uhr mehr als fünf Jahre zurückdrehen, eher zehn, dann hätten wir richtig Spaß zusammen. Ich hatte allerdings auch in meiner Karriere sehr viel Glück, habe mit Steve Nash und Jason Kidd zusammengespielt, zwei der besten Point Guards aller Zeiten, die immer für mich gespielt haben. Als Big Man brauchst du Leute, die dich in Szene setzen, Doncic oder James Harden brauchen das nicht. Trotzdem wäre das natürlich eine schöne Sache gewesen, aber immerhin konnten wir uns in diesem einen Jahr noch ein wenig kennenlernen.

Kommt es vor, dass Doncic oder auch Kristaps Porzingis Sie um Rat fragen?

Nowitzki: Wir texten gelegentlich, wenn es mal ein besonders gutes oder ein schlechtes Spiel gab, bei dem die Körpersprache nicht so gepasst hat. Dann frage ich nach: 'Wie geht's der Mannschaft? Was ist los?' Aber es ist natürlich schwer, seine Meinung abzugeben, wenn man nicht jeden Tag dabei ist. Wir sind vor der Corona-Pause viel gereist, sodass ich auch nicht alle Spiele gesehen habe. Aber ich habe Luka nach seinen Leistungen in der Bubble geschrieben, dass ich stolz auf ihn bin.

Dirk Nowitzki spielte in seiner letzten Saison an der Seite von Luka Doncic.getty

Dirk Nowitzki über Coaching: "Da lasse ich mir die Tür offen"

Wäre es in ein paar Jahren interessant, die Jungs zu coachen?

Nowitzki: Als mich Steve gefragt hat, ob ich Lust hätte, mit ihm als Coach zu den Brooklyn Nets zu gehen, hat es schon ein bisschen gekribbelt. Aber das Timing stimmte noch überhaupt nicht, ich bin erst eineinhalb Jahre raus und es macht gerade sehr viel Spaß mit meiner Familie und den Kids. Jetzt kam noch das Home-Schooling dazu und da bin ich sehr involviert. Wenn ich ein paar Jahre Abstand gewonnen habe, würde mich das schon interessieren. In welcher Funktion, ist ziemlich offen. Ich habe immer gesagt, dass ich eigentlich nicht die Mentalität eines Coaches habe, aber da lasse ich mir die Tür offen. Tim Duncan hat es dieses Jahr ja auch probiert als Assistant Coach.

Was fehlte den Mavericks dieses Jahr noch, um den nächsten Schritt zu machen? Wäre ein Spieler wie Marcus Smart sinnvoll, der die Verteidigung auf ein anderes Level heben könnte?

Nowitzki: Auf jeden Fall. Es fehlte ein tough guy, ein physischer Spieler auf dem Flügel, der alles verteidigen und hart anpacken kann, auch mal ein bisschen dreckig spielt und vorangeht. Auf den großen Positionen können sie auch noch ein oder zwei Verstärkungen gebrauchen. Porzingis war am Schluss verletzt, Maxi hat eine super Saison gespielt und sich durchgesetzt, Dwight Powell hat sich leider die Achillessehne gerissen. Da waren wir etwas dünn besetzt, auch wenn es Boban Marjanovic gut gemacht hat, wenn er eine Chance bekam. Ansonsten ist das eine gute, junge Truppe. Wenn sie sich weiter von Jahr zu Jahr verbessern, wird es in den nächsten zehn Jahren Spaß machen, ihnen zuzuschauen.

In den vergangenen Monaten standen auch viele Themen abseits des Feldes im Fokus. Sie waren während Ihrer Karriere in viele soziale Projekte wie NBA Cares involviert. Wie wichtig sind die Zeichen, die die NBA in den USA gegen Rassismus und für soziale Gerechtigkeit setzt und wie kommen diese an?

Nowitzki: Viele Sportligen haben sich klar positioniert, da gehört die NBA natürlich dazu und geht mit gutem Beispiel voran. Die Liga macht ihre Spieler mündig und ermutigt sie dazu, ihre Plattform zu nutzen für soziale Gerechtigkeit. Im Moment gibt es wichtigere Dinge als den Basketball, aber dennoch hat die NBA mit der Bubble eine gute Lösung gefunden. Es gab viele Zweifler und Kritiker, aber es wurde für die Sicherheit aller Beteiligten - ob Spieler, Familien oder Schiedsrichter - gesorgt. In einem schweren Klima haben sie das gut hinbekommen.

Dirk Nowitzki über das Leben nach der Karriere: "Komme gut zurecht"

Es war für alle eine schwere Saison, angefangen mit dem Tod von Kobe Bryant. Wie sind Sie, der sich in einer ähnlichen Phase nach dem Karriereende befand, damit umgegangen?

Nowitzki: Das war unglaublich tragisch, die gesamte Basketballgemeinde vermisst ihn. Es ist sehr schwer, damit umzugehen, da nicht nur er sein Leben verloren hat, sondern auch seine Tochter und weitere Familien. Ich denke sehr oft an ihn. Nach Tragödien reflektiert man sich selbst noch mehr und versucht Sachen bewusster wahrzunehmen. Das war auch bei mir der Fall. Durch Corona war die Zeit da, mehr mit der Familie zu machen und sich virtuell mit Freunden zu verknüpfen, die man jahrelang nicht gesehen hat.

Zum Abschluss: Wie hatten Sie sich Ihr erstes Jahr nach dem Karriereende vorgestellt und wie war es in der Realität?

Nowitzki: Ich komme gut damit zurecht, in Rente zu sein. Ich dachte, dass ich es ein bisschen mehr vermissen werde. Ich habe 21 Jahre alles gegeben, mental und physisch. Jeden Sommer habe ich mit Holger (Geschwindner, Anm. d. Red.) wochen- und monatelang trainiert. Ich war einfach reif für die Rente und habe mich auf die Zeit danach gefreut - auf die Familie, das Reisen auf der ganzen Welt, keine Rücksicht mehr auf das Essen nehmen zu müssen. Ich muss keine Diäten mehr machen und kann hier und da einen Wein genießen. Wenn tolle Spiele im Fernsehen laufen und Luka wie in Spiel 4 gegen die Clippers den Stepback-Dreier mit dem Buzzer reinhaut, dann denkt man schon: 'Dieses Gefühl wirst du nie mehr haben.' Aber im Endeffekt habe ich alles erlebt und war in der glücklichen Lage, so lange zu spielen. Ich habe versucht, Abstand zu gewinnen. Gebt mir noch ein oder zwei Jahre, dann werde ich es ein bisschen mehr vermissen.

Die Auszeichnungen von Dirk Nowitzki

AuszeichnungJahr
NBA Champion2011
NBA Finals MVP2011
NBA MVP2007
NBA All-Star14x (2002-2012, 2014, 2015, 2019)
All-NBA First Team4x (2005-2007, 2009)
All-NBA Second Team5x (2002, 2003, 2008, 2010, 2011)
All-NBA Third Team3x (2001, 2004, 2012)
NBA Three-Point Shootout Champion2006
NBA Teammate of the Year2017
FIBA World Cup MVP2002
FIBA World Cup Scoring Champion2002
FIBA EuroBasket MVP2005
FIBA EuroBasket Top Scorer3x (2001, 2005, 2007)
Europas Spieler des Jahres6x (2002-2006, 2011)
Silbernes Lorbeerblatt2011