Kawhi Leonard entschied eine unglaublich enge Serie mit einem noch unglaublicheren Wurf. Für die Toronto Raptors ist es gleichzeitig die späte Rache über die Philadelphia 76ers, die 2001 nach einem Fehlwurf Vince Carters triumphierten. Leonards Leistung ist auch im historischen Kontext einzigartig. Doch nun wartet noch eine größere Aufgabe auf ihn.
Es ist schon erstaunlich, dass es in der langen und ruhmreichen Geschichte der NBA noch nie vorkam, dass ein Spiel 7 per Buzzerbeater entschieden wurde - bis zum 13. Mai 2019.
Bis zu dem Tag als Kawhi Leonard einen unfassbar schwierigen Wurf über Joel Embiid mit Ablauf der Uhr im Korb unterbrachte und die Toronto Raptors in die Conference Finals hievte (Analyse).
"Wichtigster Wurf in der Raptors-Historie"
Gut möglich, dass der Wurf rückblickend einen ähnlichen Stellenwert wie Michael Jordans "The Shot" haben wird. "Das muss einer der zwei oder drei besten Würfe aller Zeiten sein, vielleicht ist er auch an 1", war sich Ex-NBA-Spieler Jameer Nelson sicher. Und für Suns-Veteran Jamal Crawford war es "der wichtigste Wurf in der Raptors-Historie."
Stoisch und pragmatisch wie man ihn kennt, ordnete dagegen der Protagonist selbst den Wurf ein. "Es war großartig. So etwas habe ich vorher noch nicht erlebt. Spiel 7. Game-Winner. Es ist ein Segen, dass ich dorthin gekommen bin, den Wurf getroffen habe und den Moment erleben durfte. Das ist etwas, worauf ich in meiner Karriere zurückschauen kann", sagte Leonard.
Zumindest das Play, das zum Sieg führte, hatte er schon mal erlebt. In der ersten Runde gegen die Orlando Magic ließ Coach Nick Nurse einen ähnlichen Spielzug für Kawhi laufen.
"Da habe ich nur den Ball gefangen und geworfen. Es dauerte so drei Sekunden und ich wusste, dass ich zumindest genug Zeit für eine Pump Fake und ein Dribbling hatte. Als er dieses Play heute wieder aufgemalt hat und wir noch vier Sekunden hatten, erinnerte ich mich und wusste, dass ich noch ein bisschen Zeit habe, um ein bisschen Platz zu bekommen, anstatt direkt zu fangen und zu werfen", erklärte er ruhig seinen Gedankengang während der Auszeit.
Kawhi der bessere Vince
Kurz nach dem Wurf war auch er mal für einen Moment aus sich herausgekommen und hatte die ganze Anspannung und Freude herausgeschrien, ehe die jubelnden Teamkollegen ihn unter sich begruben. "Es war verrückt. Es war ein unglaublicher Moment", freute sich Teamkollege Kyle Lowry und verglich den Wurf mit Vince Carters Versuch vor 18 Jahren gegen Sixers. "Im Jahr 2001 wollte der Wurf für Vince Carter nicht fallen, 2019 fiel er für Kawhi."
Damals waren die Raptors die Leidtragenden und verpassten den Einzug in die Conference Finals so haarscharf wie nun Philadelphia.
Joel Embiid weint nach Ausscheiden der Philadelphia 76ers durch Leonards Buzzerbeater
Denn bei aller Euphorie über den Sieg, es war ein Spiel auf Messers Schneide mit vielen Führungswechseln, richtig guter Defense und starken Spielern. Ein Abbild der Serie selbst, komprimiert auf 48 Minuten und dann auf einen Ball, der vier Mal auf dem Ring sprang, ehe er letztlich doch hindurch fiel.
Kawhi vs. Giannis: Das Giganten-Duell
Wie schon in der ganzen Serie musste Kawhi alles geben, das Team schultern und fast im Alleingang zum Sieg führen. 39 Mal warf er auf den Korb, in einem Spiel 7 tat dies in der Historie nur Elgin Baylor häufiger. Der Lakers-Star der 60er Jahre nahm im letzten Spiel der Finals 1962 gegen die Celtics 40 Würfe, hatte aber auch noch eine Verlängerung zur Verfügung.
41 Punkte erzielte Leonard am Ende. 34,7 Punkte im Schnitt waren es in der Serie und das bei knapp 40 Minuten Spielzeit. Das oftmals in der Regular Season belächelte Load Management des Forwards könnte sich nun bezahlt machen. Kawhi wirkt fit.
Und jetzt wartet eine Serie, die den Superstar noch mehr fordern dürfte. Gegen Milwaukee wird sich Leonard auch defensiv aufreiben müssen, um MVP in spe Giannis Antetokounmpo irgendwie einzubremsen. Es kann nur gut werden.