Quo vadis, alte Herren?

Ole Frerks
24. Mai 201708:29
Den San Antonio Spurs steht eine ungewisse Zukunft bevorgetty
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Ohne ihren besten Spieler Kawhi Leonard schieden die San Antonio Spurs gegen die Golden State Warriors chancenlos mit 0-4 aus. Wie geht es nun weiter? Was passiert mit den alten Hasen Tony Parker und Manu Ginobili - und wie kann Gregg Popovich sein Team noch verbessern? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Hätten die Spurs mit Leonard eine echte Chance gehabt?

Die Frage, woran es gelegen hat, erübrigt sich in diesem Fall natürlich - die Spurs wurden in dieser Postseason von Verletzungen heimgesucht, wobei der Ausfall von Kawhi Leonard der mit Abstand schwerwiegendste, aber nicht einzige war. Auch Tony Parker verpasste die kompletten Conference Finals und damit fehlte den Spurs nicht nur ihr mit MVP-Kandidat, sondern auch der (noch immer) dynamischste Playmaker.

Was man fairerweise gestehen muss: Auch mit einem komplett fitten Team wären die Spurs keineswegs favorisiert gewesen. Um es mit Gregg Popovich zu sagen: Man kann eigentlich alles richtig machen und sich den Hintern aufreißen, aber wenn man aufblickt, stehen da auf der anderen Seite immer noch vier All-Stars. So einfach ist es manchmal. Die Warriors haben mehr Talent als jedes andere Team und sie spielen offensiv wie defensiv mittlerweile herausragend zusammen.

Mit Sicherheit wäre es aber kein Sweep geworden. Popovich hatte sich einen effektiven Game-Plan überlegt, mit dem sein Team in Spiel 1 tatsächlich lange dominierte. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Warriors über zweieinhalb Viertel wirklich schlecht spielten und längst nicht alles mit der Defense San Antonios zu tun hatte.

Dennoch hätte man sich kaum vorstellen können, dass die Spurs ihre 25-Punkte-Führung mit einem fitten Leonard tatsächlich noch verzockt hätten. Deswegen war Popovich am nächsten Tag auch so angefressen und ungewöhnlich aggressiv in Richtung von Zaza Pachulia. Er wusste, dass dieses Spiel vielleicht die einzige Chance war, um diese Serie wirklich eng und interessant zu gestalten.

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Mit Leonard wären die Spurs nicht chancenlos gewesen. Aber um die Serie zu gewinnen, hätten sie viermal perfekt spielen müssen. Das ist der fundamentale Unterschied zu Golden State und bisweilen auch Cleveland: Sie können es sich nicht leisten, zwei oder drei Viertel zu verschenken, weil sie nicht diese Explosivität, dieses unfassbare offensive Talent haben.

Es ist allerdings eine mittelschwere Tragödie, dass sie nicht einmal die Chance dazu bekamen, es mit voller Kraft zu versuchen. Denn wenn ein Team die Disziplin mitbringt, um über eine Serie nahezu perfekten Basketball zu spielen, sind es diese Spurs - auch in der ersten Saison ohne Tim Duncan. Dass das System Popovich nach wie vor funktioniert, hat man die ganze Saison über und auch in den Playoffs gesehen. Im Gegensatz zu den Warriors konnten sie es sich nur eben nicht leisten, einen MVP-Kandidaten zu verlieren. Sie hatten "nur" den einen.

Hat LaMarcus Aldridge in San Antonio noch eine Zukunft?

Eigentlich sollten die Spurs ja zumindest noch einen zweiten Star haben. In Abwesenheit von Leonard sah Aldridge allerdings nicht wie ein solcher aus - mit der Defense von Draymond Green und bisweilen JaVale McGee (!) kam der Big Man kaum zurecht. 15,5 Punkte (bei 15,8 Würfen!), 5,8 Rebounds und 2,5 Turnover sind für einen Max-Player ein mittelschweres Armutszeugnis. Noch signifikanter war im Fall Aldridge allerdings die Enttäuschung von Popovich, wann immer er über seinen Forward sprach.

Nach Spiel 2, in dem Aldridge auf 8 Punkte kam, nannte Popovich ihn "zögerlich" und regte sich über fehlende Aggressivität auf. Nach Spiel 3, in dem LMA immerhin auf 18 Zähler kam (mit 17 Würfen), antwortete Pop auf die Frage, ob er mit Aldridge zufrieden sei, lediglich genervt mit "Sure." Im vierten Spiel wurde es nicht besser (8 Punkte). Über vier Spiele verloren die Spurs mit auf 100 Ballbesitze hochgerechnet 26 Punkten (!), wenn Aldridge auf dem Court stand.

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Der Punkt ist: Aldridge kam mit den Warriors noch nie gut zurecht. Dass er ohne Kawhi große Probleme kriegen würde, dürfte niemanden überrascht haben - schon gar nicht Popovich, der mehr über Basketball weiß als Dr. James Naismith. Sein Ärger mit dem fehlenden Einsatz lässt jedoch aufhorchen. Denn während die Spurs das wilde Spiel von Manu Ginobili stets toleriert haben, war das bei fehlendem Einsatz nie der Fall. Wer sich nicht komplett reinhängt, ist raus.

Insofern scheint es durchaus möglich, dass die Spurs und Aldridge im Sommer getrennte Wege gehen könnten. LMA hat noch zwei Jahre Vertrag (Spieler-Option für 2018/19), es müsste also per Trade geschehen. Dummerweise war sein Trade-Wert noch nie geringer als jetzt. Einen Star wird man für ihn nicht bekommen, vielleicht aber wenigstens einen oder zwei Rotationsspieler. Versuchen wird man es, davon kann man nach Pops Aussagen relativ sicher ausgehen.

Wie geht es mit Manu Ginobili und Tony Parker weiter?

Aldridge ist freilich längst nicht die einzige fragliche Personalie bei den Spurs in dieser Offseason. Zunächst ist da Parker: Nach einer nicht wirklich guten Saison, in der zahlreich eine Ablösung auf der Eins gefordert wurde, drehte der 35-Jährige in den Playoffs plötzlich wieder auf, nur um sich dann gegen Houston eine schwere Quadrizeps-Verletzung zuzuziehen. Schon wurden Fragen laut, ob er seine Karriere nun vielleicht sogar schon beendet. Die Reha könnte vier bis acht (!) Monate dauern.

Parker hat sich bisher nicht öffentlich geäußert, ob er ernsthaft über einen Rücktritt nachdenkt. Kommende Saison stehen ihm noch 15,5 Millionen Dollar zu. Es wurde in den letzten Jahren allerdings zunehmend offensichtlich, dass er nicht mehr allzu lange den Starting Point Guard geben sollte.

Je nachdem, wie gut er sich erholt, könnte er noch immer ein sehr guter Sixth Man sein, es braucht jedoch eine neue Langzeitlösung auf der Eins, der heutzutage wichtigsten Position im Basketball. Denkbar wäre auch, dass Patty Mills kurzfristig startet und dann in ein oder zwei Jahren von Rookie Dejounte Murray abgelöst wird, der in den Playoffs sein großes Potenzial offenbarte.

Bei Ginobili deutet derweil noch mehr auf ein baldiges Karriereende hin - nicht zuletzt die Tatsache, dass Popovich ihn in Spiel 4 starten ließ und danach sagte, er hätte nicht die letzte Chance verpassen wollen, den Argentinier zu ehren. Ginobili, dessen Vertrag ausläuft, sagte nach dem Spiel selbst, dass er sich einige Wochen Zeit lassen wolle, bis er sich entscheidet.

In San Antonio wird man hoffen, dass er sich ein weiteres Mal überreden lässt. Nicht (nur) deshalb, weil er nach Duncan der vielleicht populärste Spur aller Zeiten ist und man ihn einfach lieb gewonnen hat. Manu ist immer noch ein Zocker! Nach dem Ausfall von Leonard war der 39-Jährige Ginobili gegen die Warriors der beste Offensivspieler der Spurs - und das nicht einmal sonderlich knapp.

In seinen Minuten gewannen die Spurs mit durchschnittlich 15 Punkten. Außer Kyle Anderson (und Kawhi) hatte kein einziger Spurs-Spieler ein positives Net-Rating. "Man sieht ihm einfach an, wie sehr er das Spiel liebt", staunte auch Kevin Durant. Und Pau Gasol fasste es trefflich zusammen: "Manu ist einfach ein fucking fantastischer, atemberaubender Spieler."

Kurzum: Über den Verlauf einer Regular Season kann und sollte man ihn nicht Tag für Tag in die Schlacht werfen. In den Playoffs jedoch ist Manu auch jetzt noch ein Spieler, der kurzzeitig übernehmen kann und mit seiner Kreativität jede Defense vor Probleme stellt. Er kann noch - die Frage ist, ob er auch noch will. Nur er kann sie beantworten.

Was passiert mit den weiteren Free Agents?

Neben Ginobili werden noch einige weitere Spieler Free Agents oder haben zumindest die Möglichkeit, dies zu tun. Pau Gasol (16,2 Millionen) wird seine Option höchstwahrscheinlich ziehen, ein vergleichbares Gehalt dürfte der 36-Jährige nach dieser Saison nirgendwo sonst bekommen. Bei den eher spärlich bezahlten Dewayne Dedmon (3 Millionen) und David Lee (1,6) ist es an sich eher unwahrscheinlich, dass sie ihre Optionen ziehen, wobei Lee sich ja ebenfalls verletzt hat und eine mögliche Operation mit langer Reha seine Entscheidung sicherlich beeinflussen könnte.

Richtig interessant wird es dagegen bei Patty Mills, der erstmals überhaupt Unrestricted Free Agent wird. Der Australier galt einst als möglicher Thronfolger für Parker, in den Playoffs ist er den Beweis allerdings schuldig geblieben, dass er als Starter einen Gang höher schalten kann. In sechs Spielen kam er auf 10,8 Punkte bei nur 34,9 Prozent aus dem Feld und 29,3 Prozent von der Dreierlinie.

In San Antonio kennt man Mills natürlich schon lange und kann es besser einschätzen, ob er sich an die Rolle erst gewöhnen müsste, aber Stand jetzt ist es nicht garantiert, dass sie ihm allzu viel Geld anbieten werden. Ihm fehlt als Playmaker und auch als Scorer eigentlich die Dynamik, um ein überdurchschnittlicher Starter auf der Eins zu sein. Sollte ein fremdes Team das anders sehen, könnte Mills im Sommer den Arbeitgeber wechseln.

Bei Jonathon Simmons verhält sich die Lage etwas anders. Der 27-Jährige, der noch vor zwei Jahren selbst für seine Teilnahme an einem Camp der Spurs bezahlte, hat sich zu einer der schöneren Stories der letzten paar NBA-Jahre entwickelt und war auch in den Playoffs einer der besten Spieler der Spurs. Der Swingman gehört zu den wenigen Top-Athleten im Roster und dürfte mit seinen Leistungen in den Playoffs viele Begehrlichkeiten geweckt haben.

Das macht es für die Spurs natürlich nicht einfacher. Simmons ist Restricted Free Agent, sie können ihn also auf jeden Fall behalten - aber um jeden Preis? Es ist gut möglich, dass ein fremdes Team mit viel Cap Space (Brooklyn?) ihm ein Offer Sheet im Bereich von (etwa) 60 Millionen Dollar über vier Jahre anbietet. Ob San Antonio da mitzieht, wird wohl auch von den anderen Bewegungen im Roster abhängig sein.

Welche Spieler könnten für die Spurs interessant werden?

Ungewöhnlich für die Spurs gehen sie als eines der spannendsten Teams in die anstehende Offseason. Denn ihre Lage ist kompliziert: Selbst wenn sie jeden ihrer Spieler halten würden, wären sie noch lange nicht auf dem Talentniveau von Golden State. Und sie wären mit neuen Deals für Simmons, Mills und womöglich Ginobili weit über der Cap-Grenze.

Deswegen sind auch die Spekulationen, sie könnten sich um einen der Top-Point Guards wie Chris Paul oder Kyle Lowry bemühen, mit Vorsicht zu genießen. Beide müssten auf eine Wagenladung Geld verzichten, um für die Spurs überhaupt in Frage zu kommen. Ein solches Kaliber wäre nur realisierbar, wenn sie mindestens einen der fetten Verträge von Aldridge oder Gasol per Trade loswerden könnten.

Da beide mit ihren Gehältern und ihrem Spielstil aber nicht unbedingt en vogue sind, müsste man dabei vermutlich auch noch mindestens einen jungen Spieler oder Picks mit abgeben. Diese haben die Spurs zwar, allerdings war es für sie eben auch schon immer eine Art Jungbrunnen, dass sie aus Picks am Ende der ersten Runde noch einiges rausholen konnten. Murray ist dafür das jüngste Beispiel.

Bei aller Komplexität und Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer (Spieler-Optionen, Rücktritte und so weiter) gibt es aber keinen Grund für die Spurs, den Kopf in den Sand zu stecken. Leonard ist erst 25 Jahre alt und wird immer noch besser - solange er und das System Pop am Riverwalk residieren, werden die Spurs immer mindestens 50 Spiele gewinnen. Vermutlich könnten sie auf der Eins dafür sogar eine Scheibe Schweinebraten starten lassen.

Es kann daher gut sein, dass die Spurs einen Großteil ihres Teams zusammenhalten werden, ohne dabei die Cap-Situation für die Zukunft zu sehr zu belasten. Ein oder zwei Jahre "abwarten" und die Warriors in voller Besetzung vielleicht beim nächsten Mal wirklich ärgern. Und dann, wenn Aldridge und Gasol nicht mehr in den Büchern stehen, mit einem Leonard in seiner absoluten Blütezeit einen neuen Co-Star suchen. Man kann geduldig sein, wenn man untot ist.

Das Playoff-Bracket im Überblick