Die 10 größten Fragen vor der Preseason

Von Adrian Franke
09. August 201710:52
J.J. Watt kehrt nach langer Verletzungspause zurück - doch in welcher Verfassung?getty
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Week 1 der Preseason steht vor der Tür - und damit die große Frage: Auf was genau sollte man eigentlich achten? Wer kann seine Aktien noch ordentlich nach oben treiben, wer kämpft um einen Startplatz? Und welche Teams könnten gänzlich verändert aussehen? SPOX beleuchtet zehn der wichtigsten Fragen zum Start der Preseason.

1. Können McVay und Shanahan ihre Offenses herumreißen?

Was haben wir letztes Jahr von der Offense der Atlanta Falcons geschwärmt: Unter Kyle Shanahan brachten die Falcons eine der spektakulärsten Offenses der letzten Jahre auf den Platz, weil es Shanahan gelang, die individuelle Qualität im Team mit einem tollen Scheme und herausragenden Match-Plans zu vereinen.

Das wird ihm, das sollte jetzt keinen 49ers-Fan schocken, bei seinem neuen Team in San Francisco auf diesem Niveau nicht (sofort) wieder gelingen - die Niners hatten im vergangenen Jahr noch eine der individuell am schwächsten besetzten Offenses. Doch die Free-Agency-Neuzugänge lassen darauf schließen, dass Shanahan zumindest versuchen wird, die Grundzüge seines Schemes beizubehalten.

Brian Hoyer, Pierre Garcon oder auch Logan Paulsen: Die 49ers haben mehrere Spieler verpflichtet, die Shanahans Scheme bereits kennen. Kyle Juszczyk gibt San Francisco indes eine starke Fullback-Präsenz - eine Position, die Shanahan in der Vorsaison ligaweit wohl am besten eingesetzt hat - und Marquise Goodwin sorgt für die notwendigen Speed-Elemente. San Francisco ist somit ein spannendes Experiment: Wie viel können Scheme und guter Matchplan eine individuell nach wie vor zumeist unterlegene Offense tragen?

Und auch in Los Angeles ist ein junger Offensive Coordinator als Head Coach geholt worden: Sean McVay soll Jared Goff, Todd Gurley und Co. in die Spur bringen. Die Rams hatten in der Vorsaison eine desolate Offense, auch in puncto Scheme. An welchen Schrauben kann McVay hier drehen? McVays Offense basiert unter anderem auf Spread-Elementen, also horizontal stark ausgedehnten Formationen - ein erster Baustein, den Goff bestens aus dem College kennt.

In Washington zeigte McVay großes Talent, wenn es darum ging, Underneath-Receiver (Tight Ends oder Slot Receiver) via Scheme frei zu bekommen, um dem Quarterback so einfache Pässe zu ermöglichen. Dafür nutzt er auch gerne Play Action. Gleichzeitig aber spielen auch Downfield-Pässe, etwa mit tiefen Crossing-Routes, eine wichtige Rolle. Es ist kein Zufall, dass Redskins-QB Kirk Cousins von allen Startern im Schnitt die meisten Air Yards pro Pass (4,85) verzeichnete. Was werden wir davon in L.A. sehen? Und was kann Goff davon umsetzen?

2. Wie funktioniert die Dolphins-Offense mit Jay Cutler?

In den allermeisten Fällen bedeutet eine schwere Verletzung des Starting Quarterbacks mehr oder weniger das Ende der Saison. Ein Ersatzmann mag vielleicht noch den einen oder anderen Sieg holen, die ursprünglichen Ambitionen aber gehen schnell in den Keller. Mit diesem Gedanken im Kopf könnte man fast sagen, dass Miami zumindest ein wenig Glück im Unglück hatte.

Keine Frage: Die Verletzung von Ryan Tannehill ist bitter, und das umso mehr, da Tannehill im Laufe der vergangenen Saison unter Coach Adam Gase deutliche Fortschritte gezeigt hatte. Doch Miamis Antwort darauf könnte sich angesichts der Umstände als echter Glücksfall entpuppen.

Gase gelang es, Jay Cutler aus dem Ruhestand zu holen und den durchaus kontrovers diskutierten Quarterback zu verpflichten. Cutler kennt die Offense aus Chicago, er kennt die Grundzüge des Playbooks und die Sprache. Die Dolphins haben mit der Offensive Line, dem Receiving-Corps und Running Back Jay Ajayi auf dem Papier eine spannende Offense - und mit ein wenig Glück können sie den Ausfall ihres Starting Quarterbacks ohne größere Rückschläge auffangen. Dolphins-Fans dürften es kaum abwarten können, Cutler in der Preseason auf dem Platz zu sehen.

3. Osweiler, Siemian, Watson und Co.: Welche QBs setzen sich durch?

In gewisser Weise sind sie das Highlight der Preseason: Die Quarterback-Duelle. Man mag Scheme-Veränderungen nur in Grundzügen erahnen können - wie sich ein Quarterback in der Pocket verhält, ob er durch seine Reads geht und wie genau seine Pässe kommen lässt sich da vergleichsweise gut analysieren. Und Quarterback-Duelle gibt es auch dieses Jahr wieder genügend.

Da wären die Cleveland Browns, die Brock Osweiler zunächst nur für den Draft-Pick holten, inzwischen aber mit ihm als als Starting-Quarterback in die Preseason gehen. Dahinter glänzte aber auch DeShone Kizer im Training, und dann gibt es ja auch noch Cody Kessler. Der aber scheint aktuell hinter Osweiler und Kizer zurückgefallen zu sein.

Auch Osweilers Ex-Ex-Team, die Denver Broncos, haben längst noch keine Quarterback-Entscheidung getroffen. Trevor Siemian und Paxton Lynch werden wenigstens je ein Preseason-Spiel starten, ehe sich Coach Vance Joseph festlegt - und die Broncos-Verantwortlichen haben bereits betont, dass es womöglich keine schnelle Entscheidung gibt.

Besonders spannend ist auch die Situation in Houston: Die Texans haben ohne Frage eine Elite-Defense, die in diesem Jahr sogar noch besser sein sollte. Doch was passiert auf der anderen Seite des Balls? Wie lange braucht Deshaun Watson, um die komplexe Offense zu lernen? Kann Tom Savage längerfristig als Game Manager fungieren? Wie tritt derweil in Chicago Mike Glennon nach all den Turbulenzen rund um den Draft auf? Und kann Christian Hackenberg bei den Jets endlich für positive Schlagzeilen sorgen, oder hat doch Josh McCown das Ruder fest in der Hand?

4. Wie sehen die neuen Offenses in der NFC South aus?

Matt Ryan, Drew Brees, Cam Newton und Jameis Winston - die NFC South hat das beste Quarterback-Quartett aller Divisions zu bieten. Und doch könnten alle vier Offenses 2017 deutlich verändert aussehen, was die ersten Hinweise in der Preseason im Süden besonders spannend macht.

Da wären die Saints, die sich Adrian Peterson geholt und plötzlich ein Running-Back-Überangebot haben. Insbesondere interessant hierbei: Peterson könnte ins Run Scheme der Saints gut passen, die große Frage ist, ob er wirklich eine Rolle auch als Pass-Catcher erhält - und wie New Orleans die Ausfälle in der Offensive Line kompensiert.

Die Panthers haben im Draft mit Christian McCaffrey und Curtis Samuel ganz deutlich gemacht, dass ihre Offense anders aussehen soll: Mehr schnelle Pässe, weniger Newton-Runs. Vor allem McCaffrey hat im Training bisher einen glänzenden Eindruck hinterlassen. Aber Stichwort Newton: Carolinas Quarterback plagen noch immer Probleme mit der Schulter, zumindest im ersten Preseason-Spiel wird er nicht auflaufen.

Und die Bucs? Tampa Bay hat alles daran gesetzt, Jameis Winston mit einem möglichst gut bestückten Waffen-Arsenal zu umgeben. DeSean Jackson als Speedster, O.J. Howard als dominanter Tight End, Chris Godwin als weiterer Deep-Threat. Bleiben drei Fragen: Wie werden all diese Waffen eingesetzt? Wie sieht die Offensive Line aus? Und was hat Doug Martin dieses Jahr zu bieten?

Dann wären da noch die Atlanta Falcons, und hier steht eine Frage im Mittelpunkt: Wie entwickelt sich die Offense weiter? Der Abgang von Coordinator Kyle Shanahan hinterlässt eine große Lücke, Steve Sarkisian wurde aus Alabama verpflichtet. Quarterback Matt Ryan ließ bereits durchblicken, dass die grundsätzlichen Elemente der Shanahan-Offense erhalten bleiben - doch Änderungen wird es fraglos geben.

5. Welche Rookies können glänzen?

Die große Unbekannte zum Start einer jeden Preseason sind die Rookies. Nachdem ein paar kurze Clips aus den Trainingseinheiten durchgesickert sind, ist die Preseason die perfekte Bühne, um sich einen ersten Eindruck außerhalb des College-Tapes zu verschaffen.

Natürlich stehen dabei die Top-Picks besonders im Fokus: Wie etwa sehen die ersten NFL-Auftritte von Myles Garrett aus? Was zeigt Mitchell Trubisky, der in der Preseason ordentlich zum Einsatz kommen sollte?

Könnte Leonard Fournette tatsächlich der Spieler sein, der die Jaguars-Offense umkrempelt? Wie prominent wird O.J. Howard bereits bei den Bucs eingesetzt? Und wie präsentieren sich College-Stars wie Solomon Thomas, Jamal Adams, Jabrill Peppers oder Derek Barnett? Die kommenden Wochen werden einen ersten Eindruck liefern.

6. J.J. Watt und Marshawn Lynch sind zurück - aber wie?

Jeder Football-Fan dürfte sich ein wenig betrogen gefühlt haben, als J.J. Watts 2016er Saison bereits nach Week 3 beendet war, und mit Rückenproblemen ist bekanntermaßen nicht zu spaßen. Das gilt noch ein wenig mehr, wenn man Watts Physis und seine Aufgabe auf dem Football-Feld mit in Betracht zieht.

Umso spannender die Frage: Kommt er wirklich zu 100 Prozent zurück? Und wenn ja: Wie genau bauen die Texans ihre Front um Watt, Jadeveon Clowney und Whitney Mercilus auf? Es könnte die beste Defense der NFL sein, wenn Watt fit bleibt.

Umgekehrt haben die Oakland Raiders die Chance auf eine Top-Offense: Das Passing Game um Derek Carr, Michael Crabtree, Amari Cooper und Jared Cook steht, dazu kommt eine der besten Offensive Lines der Liga - und dann auch noch Marshawn Lynch. Der beste Contact-Runner der letzten Jahre hinter einer Top-3-Line? Es wird hochspannend sein zu sehen, wie die Raiders Lynch einsetzen - und in welcher Verfassung Beast Mode ist.

Weitere Comeback-Spieler, die man im Auge behalten sollte: Keenan Allen, Luke Kuechly, Tyrann Mathieu und der bereits erwähnte Adrian Peterson.

7. Lacy oder Rawls: Wie sieht Seattles Run Game aus?

Stichwort Run Game: Seattle hat den echten Marshawn-Lynch-Nachfolger noch immer nicht gefunden. Thomas Rawls und Eddie Lacy sollten sich in der Preseason ein heißes Duell um den Startplatz liefern, während der Posten des Pass-Catching-Backs fest C.J. Prosise gehören dürfte.

Einerseits also darf man sich auf harte Runs von Lacy und von Rawls freuen, andererseits steht eine aus Seahawks-Sicht noch wichtigere Frage in diesem Zusammenhang im Raum: Wie schlägt sich die neu zusammengestellte Offensive Line? Große Investitionen gab es auch in diesem Jahr nicht - auch wenn die acht Millionen für Luke Joeckel aus Seahawks-Sicht schon herausstechen - und doch dürfte die Line nochmals deutlich anders aussehen als 2016. Seattle muss sich hier deutlich steigern, um Russell Wilson eine Chance zu geben.

8. Wie setzen die Patriots ihre Running-Back-Armada ein?

"Wir werden (im Backfield) etwas mehr Vielseitigkeit haben als in den vergangenen Jahren", brachte es Pats-Coach Bill Belichick jüngst bei Sirius XM auf den Punkt und erklärte weiter: "LeGarrette war sehr gut in Short-Yardage-Situationen, ein Runner für First und Second Down. Ich denke, Burkhead kann jedes Down spielen, Gillislee ist ebenfalls vielseitiger. Dion Lewis kann alle drei Downs spielen, James White wie wir im Laufe der vergangenen Saison gesehen haben ebenfalls, auch wenn wir ihn vor allem bei Third Down eingesetzt haben. Brandon Bolden kann alle drei Downs spielen."

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Patriots haben, auch ohne den ganz großen Namen, ein spektakuläres Backfield. Der Abgang von Blount wurde durch die Verpflichtungen von Burkhead und Gillislee aufgefangen, Burkhead hat aktuell die besten Chancen auf den Starter-Platz - falls es so etwas in diesem Jahr in New England überhaupt gibt.

Denn Tatsache ist: Die Pats können ihr Backfield nach Belieben und je nach Gegner komplett umkrempeln, genau die Art Flexibilität, die Belichick gefällt. Soll es ein Power-Run-Ansatz sein? Dann dürfte Gillislee mehr Snaps sehen. Eine durchschnittliche Mischung? Vermutlich wäre das ein Burkhead-Spiel. Eine Fokussierung auf den Pass? Hier kommen vor allem White und Lewis ins Spiel. Die Preseason sollte einen ersten Fingerzeig liefern, wie New England seine Running-Back-Armada einsetzen will.

9. Goff und Wentz: Nächste Saison, nächster Schritt?

Jared Goff und Carson Wentz waren vor ziemlich genau einem Jahr die beiden heiß diskutierten Spieler - Quarterbacks, für welche die Rams beziehungsweise die Eagles im Draft einen teuren Preis bezahlt hatten. Die Rookie-Saisons verliefen dann stark unterschiedlich: Wentz startete gut, litt aber im Laufe der Saison unter dem schlechten Receiver-Arsenal sowie der dezimierten Offensive Line.

Gleichzeitig aber gelang es ihm noch nicht, in puncto Komplexität der Offense den nächsten Schritt zu machen. Stattdessen agierten die Eagles mit einer eher simplen Offense, auf die sich Gegner zunehmend einstellen konnten. Wentz muss jetzt seine Reads und sein Spielverständnis auf die nächste Stufe heben - die Waffen für den nächste Schritt hat er inzwischen. Offenses sind in der Preseason, genau wie Defenses, noch vergleichbar simpel. Trotzdem sollten sich hier Fortschritte, sofern es sie gibt, erkennen lassen.

Und Goff? Der wurde während der vergangenen Saison in eine der undankbarsten Situationen für einen noch sehr rohen Rookie-Quarterback geworfen. Die Rams-Offense von Jeff Fisher war eine der unkreativsten und ineffizientesten überhaupt, in Kombination mit der schlechten Offensive Line und dem unterdurchschnittlichen Receiving-Corps ein Rezept für eine maßlos enttäuschende Rookie-Saison.

Genau so kam es auch, jetzt soll alles anders werden: Mit Sean McVay (Washington) und Matt LaFleur (Atlanta) haben sich die Rams bei zwei der besseren Offenses der letzten Jahre bedient, zudem wurde die Offensive Line mit Andrew Whitworth deutlich verbessert. Goff erklärte bereits, dass der Unterschied im Vergleich zum Vorjahres-Camp für ihn "wie Tag und Nacht" sei, einige Berichte aus dem Training scheinen diesen Eindruck zu bestätigen. Jetzt muss er in der Preseason dringend Fortschritte in nahezu allen Bereichen zeigen.

10. Wie funktioniert die neue Defense der Arizona Cardinals?

Schon seit Jahren gehört die Cardinals-Defense zu den exotischsten in der NFL - und definitiv zu den aggressivsten. Die Cardinals blitzten 2016 bei 40,9 Prozent der gegnerischen Pass-Versuche, die ligaweit zweithöchste Zahl. Bei First Down generell blitzte Arizona in 41,1 Prozent der Fälle, der höchste Wert der NFL und deutlich vor dem Schnitt von 27,1 Prozent, dazu kommen einige der effizientesten Stunts. Die Cards ermöglichen ihren Edge-Rushern Chandler Jones und Markus Golden so Eins-gegen-Eins-Duelle, und setzen ihre Safeties und Linebacker kreativ ein.

All das könnte 2017 auf ein neues Level gehoben werden: Zwar hat Arizona mit Calais Campbell und Tony Jefferson zwei wichtige Bestandteile der Defense verloren, mit Budda Baker und Haason Reddick allerdings auch zwei weitere flexible Matchup-Waffen dazu gewonnen.

Das deutete sich bereits beim Preseason-Auftakt gegen Dallas an: Baker hatte drei Run-Stops, glänzte mehrfach in Coverage und ließ nur 0,29 Yards pro Coverage-Snap zu. Arizona setzte ihn im Slot, Outside und auf Linebacker-Positionen ein. Reddick spielte zwar weniger, aber auch er kam bereits als Linebacker und Outside-Blitzer zum Einsatz.

Mit den Fortschritten von Tyrann Mathieu im Training Camp sowie Deone Bucannon, der bis zum Regular-Season-Start fit werden soll, verfügt Defensive Coordinator James Bettcher über gleich vier Spieler, die er rund um die Line of Scrimmage fast nach Belieben herum schieben kann. Wie er mit dieser Vielfalt schematisch umgeht wird mehr als spannend.