Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 12 in der NFL

Von Adrian Franke
28. November 202214:17
SPOXgetty
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Mike White lässt Zach Wilson ganz schlecht aussehen, während die Buccaneers und Ravens empfindliche Pleiten kassieren. Außerdem: Kommt in Arizona jetzt der große Umbruch? Und bei den Rams womöglich auch? SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Woche 12 in der NFL.

Die erste große Storyline dieser Woche gab es schon lange, bevor auch nur der Thanksgiving-Kickoff ertönt war. Denn nach nur 20 Starts hatten die New York Jets Zach Wilson, den Nummer-2-Overall-Pick des Vorjahres, gebenched. Für Mike White, ein glasklares Backup-Kaliber.

Es war insofern überraschend, als dass das anstehende Spiel gegen die Chicago Bears wie die ideale Partie wirkte: Ein Matchup gegen eine anfällige Defense, in der Wilson sich von seiner besten Seite zeigen kann. Und wenn ihm das nicht gelingt, ist der Schritt, ihn zu benchen, noch viel naheliegender.

Mike White zeigte, wie das aussehen kann. Er lieferte eine glänzende Leistung ab, und gab den Jets genau das, was dieses Team von der Quarterback-Position braucht: Einen Spieler, der keine gravierenden Fehler macht, und der es den Playmakern erlaubt, Plays zu machen.

Vielleicht sah Saleh aber auch eine ganz andere Timeline noch viel dringlicher: Was, wenn er eine reelle Gefahr sah, den Locker Room zu verlieren?

Ich hatte genau darüber bereits nach dem Patriots-Spiel geschrieben, denn so sehr die sportliche Leistung Grund zur Sorge gibt - es war vor allem Wilsons Auftreten nach dem Spiel, dass Salehs Prozess beschleunigt und ihm vielleicht sogar keine Wahl gelassen hat.

Ein junger Quarterback sollte Zeit bekommen, um sich zu entwickeln. Doch gleichzeitig muss er diese Zeit auch rechtfertigen, indem er Fortschritte zeigt. Wilson hat das bislang nicht, auf und abseits des Platzes, und das wirft die Frage in den Raum: Wie geht es jetzt weiter für Zach Wilson?

Auf der Pressekonferenz, auf der Saleh seine Entscheidung verkündete, sagte er auch: "Es ist unsere volle Absicht, Zach an irgendeinem Punkt in diesem Jahr wieder aufs Feld zu bekommen." Wilsons Karriere bei den Jets sei "nicht vorbei". Das sind erwartbare Aussagen von einem Head Coach, aber wenn wir ganz realistisch sind: Von welchem Fenster sprechen wir hier?

Wenn sich White jetzt weiterhin gut schlägt - und dieser Auftritt wird ihm schon etwas Zeit verschaffen -, bleiben die Jets im Playoff-Rennen; würde Saleh währenddessen den Quarterback tauschen? Wann? Und wie realistisch ist Wilsons Ausblick innerhalb der Organisation wirklich, wenn er, sagen wir, maximal noch zwei Spiele in diesem Jahr macht?

Würden die Jets dann wirklich ohne ernsthafte Alternativoption auf der Quarterback-Position in die kommende Saison gehen? Das kann ich mir schon jetzt nicht mehr vorstellen. Setzt sich Wilson dann da durch? Holt man einen Jimmy Garoppolo direkt als Starter?

Unabhängig davon, wie dieser Weg im Detail aussieht: Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass Wilson als unangefochtener Starter in die 2023er Saison geht, auf die Gefahr, das Fenster mit einem starken Kader weiter zu riskieren. Und die logische Schlussfolgerung ist dann, dass es gut möglich ist, dass Zach Wilson nicht mehr als noch eine Handvoll Starts im Trikot der Jets in seiner Zukunft hat.

1. Reality-Checks für die Ravens und die Bucs

Diese Diskussion müssen wir bei dem einzigen Quarterback, der im 2021er Draft noch höher als Zach Wilson ausgewählt wurde, nicht führen - auch wenn es bei Trevor Lawrence in dieser Saison durchaus auch schon Kritik gab, insbesondere, nachdem die Jags nach einem guten Saisonstart insgesamt als Team merklich abgebaut haben.

Und Lawrence selbst hatte dabei einige schwächere Auftritte, aber in meinen Augen hat er auch besser gespielt, als das Narrativ um ihn herum zwischenzeitlich wirkte; dieses Narrativ war stark geprägt von massiven Problemen in der Red Zone, die Jacksonville immer wieder plagten. Auch hier gilt: Lawrence war dabei nicht unschuldig.

Doch die positiven Dinge überwogen bei ihm klar, und während Justin Fields aus der gleichen Draft-Klasse mit spektakulären Rushing-Auftritten auf die Bühne stürmte, waren es bei Lawrence weniger auffällige, aber dennoch ermutigende Fortschritte im Passspiel, die Grund für Optimismus mit sich bringen. Gegen die Raiders, gegen die Chiefs, es waren nicht immer die Monster-Zahlen, aber es waren gute Spiele von einem Quarterback, der klar mehr ist als "nur" ein talentierter Arm.

Das bekamen am Sonntag auch die Ravens zu spüren. Lawrence bot insgesamt eine sehr gute Partie, das klare Highlight allerdings war der Game-Winning-Drive in den finalen zwei Minuten - mit mehreren Franchise-Quarterback-Würfen:

  • Vierter-und-Fünf, an der eigenen 30-Yard-Line: Hier hätte das Spiel schon vorbei sein können. Die Ravens stellten die Line of Scrimmage zu, brachten dann zwar nur vier, aber kreierten einen freien Rusher durch die Mitte. Eine von Lawrences besten Qualitäten ist es, unter Druck den Ball schnell noch werfen zu können. Das gelang ihm hier, mit Antizipation nach außen.
  • Zweiter-und-Zehn, an der eigenen 40-Yard-Line: Ein sehenswerter Wurf in das Fenster zwischen Linebacker und Safety, für 17 Yards zu Christian Kirk.
  • Dritter-und-Sechs, an der gegnerischen 39-Yard-Line: Mit noch knapp über 30 Sekunden auf der Uhr zeigten die Ravens wieder einen Blitz, brachten erneut nur vier. Dieses Mal hielt die Line besser. Das verschaffte Lawrence die Zeit, um einen fantastischen Ball Richtung Sideline auf Zay Jones raus zu feuern.
  • Erster-und-Goal, an der gegnerischen 10-Yard-Line: Nach dem Big Play auf Jones drückten die Jags direkt aufs Gaspedal. Lawrence sah Baltimores Cornerbacks kurz vor der eigenen Endzone in Man Coverage und servierte den Ball zu Marvin Jones perfekt über den Kopf von Marcus Peters.

Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte, und irgendwo passt es natürlich, dass Doug Pederson dann auch aufs Ganze ging und mit der 2-Point-Conversion das Spiel gewann. Dieser Drive insgesamt aber muss Jaguars-Fans mit dem Gefühl zurücklassen, dass man seinen Franchise-Quarterback gefunden hat. Und das nicht zum ersten Mal in dieser Saison.

Ravens stoßen an schmerzhafte Grenzen - erneut

Dass es jedoch überhaupt so weit kommen konnte, war ein Musterbeispiel für die Probleme, die Baltimore begleiten - und die es für die Ravens vermutlich schwer machen werden, in den Playoffs wirklich für Furore zu sorgen.

Es war nämlich ein Spiel, in dem Baltimore - ähnlich wie letzte Woche gegen die Panthers - sein Run Game außerhalb von Lamar Jackson nicht wirklich ins Rollen brachte. Und in dem dann wieder deutlich wurde, dass Baltimore schlicht und ergreifend die Waffen im Passspiel fehlen.

Nichts beschrieb das besser als die Sequenz bei dem Drive vor der Halbzeitpause, als Jackson erst bei Zweiter-und-14 und dann bei Dritter-und-10 Fullback Patrick Ricard (!) im Passspiel suchte.

Jackson ist hier nicht unschuldig, auch er überwarf das eine oder andere Mal seine Receiver, und es war dann schon ein "ausgerechnet"-Moment, als er dann DeSean Jackson für einen spektakulären 62-Yarder Downfield fand. Ein extrem schwieriger Wurf, Jackson war aus dem Slot hinter die Defense gekommen - und kurz danach standen die Ravens in der Endzone.

Es schien fast so, als hätte Baltimore es mal wieder geschafft, mal wieder das eine Big Play gefunden, das sie durch die Luft gebraucht haben. Doch dieses Mal hielt die Defense nicht. Auch weil die Offense einen kritischen Fumble beisteuerte. Das ist der haarscharfe Ritt auf der Rasierklinge, den Baltimore bewältigen muss, weil Offensiv die Alternativen fehlen. Und das ist ein Problem, insbesondere, wenn wir über die Postseason sprechen.

Buccaneers: Nicht viel übrig vom München-Zauber

Die Ravens waren allerdings nicht das einzige Team mit klaren Playoff-Ambitionen, das am Sonntag einen Schuss vor den Bug bekam. Und dabei dachte ich, dass das Matchup gegen die Browns ein ideales "wir finden einen Rhythmus"-Spiel für die Bucs werden könnte - stattdessen wurde es zu einem Hinweis darauf, dass die Probleme nach wie vor eklatant sind; dass man Nick Chubb nicht stoppen und offensiv Cleveland nicht dominieren kann.

Tampa Bay hatte sich in München gegen Seattle deutlich verbessert präsentiert und traf jetzt auf eine der ligaweit anfälligsten Defenses, mit der Chance, sich in der eigenen Division schon abzusetzen.

Das galt insbesondere für dieses Matchup, weil die Bucs nach wie vor den Ball unbedingt laufen wollen. Auch ohne eine dominante Offensive Line, auch ohne ein sonderlich kreatives oder vielseitiges Run Game, auch ohne einen Back, der viel kreieren kann oder einen Quarterback, der eine Gefahr im Run Game darstellt. Das wurde den Bucs schon häufiger in dieser Saison zum Verhängnis, gegen die schwächste Run-Defense der Liga sollte das anders aussehen.

Und so fing es eigentlich auch an: Die ersten beiden Runs von Rachaad White, der den verletzten Leonard Fournette vertrat, gingen für sieben und 35 Yards, der längste Bucs-Run in dieser Saison, und kein Run beim Opening-Drive der Bucs ging für weniger als vier Yards.

Bowles' Time-Management problematisch

Das änderte sich bereits mit dem zweiten Drive, und die Bucs kamen zu diesem frühen Erfolg am Boden nie wieder zurück - gegen eine Front, die in den vergangenen Wochen immer wieder eher mit Busts in der Run-Defense als mit Stops aufgefallen war.

Am Ende knackte Tampa Bay nicht einmal die 100-Rushing-Yard-Marke, während die eigene Run-Defense, mit einem angeschlagenen Vita Vea, doch wieder einknickte. Das öffnete die Tür für einen spektakulären Last-Minute-Sieg der Browns, die, im letzten Spiel vor der Rückkehr von Deshaun Watson nach abgesessener Sperre, offensiv nochmal in bester Stefanski-Chubb-Manier auftraten.

Horrendes Clock-Management am Ende des Spiels von Todd Bowles, der Zeit verstreichen ließ, statt eine Timeout zu nehmen, ehe Brady Julio Jones für 26 Yards Raumgewinn traf, rundete das Bild aus Sicht der Bucs ab, und so bleiben die Bucs doch in der Kategorie, die sie scheinbar gerade dabei waren, zu verlassen: Ein Team mit zu vielen - nicht selten selbst verschuldeten - Gewichten, welche das Bucs-Schiff runter ziehen und verhindern, dass Tampa echte Schritte nach vorne machen kann.

Selbst wenn Brady noch zwei Scoring-Drives fast komplett durch die Luft dirigiert, selbst wenn die Crosser zu Godwin immer besser aussehen. Jetzt haben die Bucs auch noch Tristan Wirfs potenziell längerfristig verloren, die Line-Problematik wird also eher größer. Ich sehe immer noch positive Entwicklungen im Passspiel; aber ich sehe um diese Erkenntnis herum auch ein Team, dem das nicht reichen wird, um über all die anderen Problemzonen hinwegzutäuschen.

2. Die 49ers und der große Vorteil einer Team-Identität

Als Team hat man eine Identität, oder man hat keine Identität, davon bin ich überzeugt. Und eine solche Identität kann je nach Team in einzelnen Bereichen stärker oder schwächer ausgeprägt sein, aber man erkennt klar die übergreifende Handschrift.

Der klarste Indikator dafür, ob ein Team eine Identität hat und wie stark diese ausgeprägt ist, ist, wie gravierend sich ein Thema durch alle Bereiche der Franchise zieht.

Die San Francisco 49ers sind dafür eines der besten Beispiele in der NFL aktuell. Das ist ein Team, bei dem sich die Identität in Form der Spielphilosophie durch alle Teile zieht: vom Scouting über die Spielerentwicklung, das Roster Building bis hin zum Coaching und Play-Calling.

Was San Francisco sich offensiv über die Jahre zusammengebaut hat, ist eine Unit, die Shanahans Idee von Football eins zu eins verkörpert: eine gute Offensive Line im Run Game, explosive Backs dahinter, und die beste Gruppe an Yards-after-Catch-Spielern in der NFL. Das kombiniert mit dem wohl besten Run Game und Underneath Passing Game Designer in der NFL sorgt für eine Offense, die nicht nur eine klare Handschrift hat, sondern die auch Spiele mit sehr durchschnittlichem Quarterback-Play gewinnen kann, ein riesiger Vorteil.

Kein Team über die letzten Jahre ist konstanter was Yards nach dem Catch angeht - Garoppolo führte die Liga 2019 und 2021 in Yards nach dem Catch pro Completion an, und ging mit fast einem vollen Yard auf den Zweitplatzierten Vorsprung in diesen Spieltag - bis zu dem Punkt, dass die Niners bisweilen offensiv ein anderes Spiel spielen als andere Teams.

Niners: Offense und Defense gehen Hand in Hand

Und auch defensiv erkennt man eine klare Philosophie, die sich durch die angesprochenen Bereiche - Scouting, Spielerentwicklung, Roster Building, Play-Calling - zieht: das ist ein Team, das über Jahre hohe Ressourcen in seine Defensive Line investiert hat, das einen der besten Defensive-Line-Coaches in der NFL hat, und das mit seinen Linebackern und Safeties insbesondere im Zentrum stark besetzt ist.

Wenn dann also die Defensive Line eine gegnerische Offense eindimensional macht, und der Ball viel im Kurzpassspiel bewegt werden muss, sind mehr als genügend hochqualitative Spieler bereit, um auf diese kurzen Pässe zu triggern und zu tackeln. Den Ball auf diese Art und Weise zu bewegen ist sehr mühsam.

Und so arbeiten beide Teile sogar Hand in Hand. Die Offense, die in der Lage ist, lange Drives hinzulegen - und die Defense, die anschließend eine ähnliche Geduld vom Gegner erzwingt. All das verpackt in den übergreifenden Aspekt, dass man auf beiden Seiten des Balls die Line of Scrimmage gewinnen, wenn nicht sogar dominieren kann.

Die 49ers und die Garoppolo-Lance-Entscheidung

All das sind Dinge, die San Francisco einen sehr hohen Floor geben. Die den Niners in vielen Spielen eine Chance geben - selbst wenn man den schlechteren Quarterback auf dem Platz hat. Es ist kein Zufall, dass Garoppolo bei 10 Siegen und nur 2 Niederlagen steht, in Spielen, in denen er selbst keinen Touchdown aufgelegt hat - der beste Record für einen Quarterback in solchen Spielen in der Super Bowl Ära.

Mit Garoppolo ist es eine gut geölte Maschine, die zwar immer ein gewisses Defizit auf der Quarterback-Position mit sich trägt, aber die funktioniert.

Es kann für Shanahan nicht einfach gewesen sein, diesen mühsam aufgebauten Floor ins Wanken zu bringen, indem man mit Trey Lance auf einen physisch fraglos viel talentierteren, aber gleichzeitig auch viel roheren Quarterback setzt. Und so wie diese Saison läuft, und falls die Niners einen erneuten Playoff Run hinlegen, wird es eine sehr spannende Entscheidung sein, ob man mit Lance weitermacht - und dann Garoppolo unweigerlich ziehen lässt - oder ob man Garoppolo einen neuen Vertrag gibt und Lance ins zweite Glied - oder auf den Trade Block - rückt.

Wie viele Teams können eine Identität entwickeln?

Doch das ist eine Diskussion für einen anderen Tag. Denn je länger ich mich mit den Niners hierfür beschäftigt habe, desto präsenter wurde in meinem Kopf die Frage danach, welche anderen Teams auch qualitativ ähnlich gut darin sind, eine Identität zu entwickeln.

Die Chiefs sind eine offensichtliche Antwort hier, ein Team, das seit Jahren zwar eine explosive Offense um Mahomes herum aufbaut, das aber seine Premium-Ressourcen in die Offensive Line steckt, um Mahomes zu schützen - mit einer Defense, die auf Aggressivität ausgelegt ist, um die stets punktstarke Offense zu ergänzen.

Ich würde hier auch die Titans nennen, mit ihrem Fokus auf einer physischen, dominanten Defensive Line, die Spiele eng halten soll, damit die Offense mit dem Run Game gewinnen kann. Die Bills und Eagles haben jetzt ebenfalls über mehrere Jahre gezeigt, dass sie sukzessive ein Team entwickeln und mit einer klaren Vision aufbauen können.

Aber die Liste dieser Teams ist kurz. Und in einer Liga, die auf Chancengleichheit ausgelegt ist, werden die Unterschiede zwischen den Teams, die hier positiv herausstechen, und den Teams, die häufiger Entscheidungen im Vakuum zu treffen scheinen, umso deutlicher.

Team-Kultur für die entscheidenden Prozentpunkte?

Wenn wir von der "Kultur" eines Teams sprechen, dann spielen da zusätzlich sehr viele Soft Skills mit rein, die wir von außen quasi nicht bewerten können. Wie wird intern mit einem Tief umgegangen? Wer sorgt dafür, dass Spieler zur Verantwortung gezogen werden? Wer führt, wer unterstützt, wer steuert dagegen?

Wir bekommen maximal die Resultate all dieser Fragen zu sehen, in Form der Antworten auf dem Platz. Und auch hier ist natürlich Vorsicht geboten, denn manchmal gewinnt auch einfach individuelles Talent, und überspielt so die Risse hinter der Fassade.

Ich halte es für einen vergleichsweise guten Maßstab, darauf zu schauen, wie Teams mit Rückschlägen im Spiel umgehen. Ist ein Selbstverständnis zu beobachten, eine Geschlossenheit? Oder fällt man aus einem negativen Moment in eine Abwärtsspirale?

Diese soften Faktoren beschreiben nicht den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Team, wie bei so vielen Diskussionen geht es auch hier letztlich um ein paar Prozentpunkte. Doch diese Prozentpunkte können den Unterschied ausmachen.

3. Rebuild? Arizona hatte das größte Horror-Jahr in der NFL

Die Cardinals präsentierten sich nach einem indiskutablen Auftritt gegen San Francisco am Montagabend gegen die Chargers deutlich verbessert. Die Offense - erstmals mit DeAndre Hopkins und Marquise Brown gemeinsam auf dem Platz - hatte einen klaren Plan, agierte mehr Under Center, nutzte Kyler Murray mehr im Run Game.

Dennoch stand am Ende eine weitere Niederlage. Weil die Cardinals gegen eine desolate Chargers-Run-Defense die Uhr in mehreren Versuchen nicht runterlaufen konnten. Weil die Defense dann doch irgendwann einknickte, obwohl die Chargers-Line ähnlich dezimiert ist wie die der Cardinals. Weil es nicht gelang, den Sack zu zu machen.

In meinen Augen gibt es übergreifend zwei Dinge, die einen Teambesitzer mit Nachdruck dazu bringen, tiefgreifende Änderungen innerhalb seiner Organisation vorzunehmen: Das eine ist anhaltende sportliche Erfolglosigkeit, welche meist unweigerlich mehrere Ursachen haben, welche für sich betrachtet Kündigungsgründe sein können: Fehlentscheidungen auf der Quarterback-Position, erfolglose Coaches, schlechtes Roster Management.

Die andere Ursache ist ein sehr menschlicher Aspekt: Wenig führt so zuverlässig zu gravierenden Umbrüchen, wie wenn ein Owner und seine Franchise in der Öffentlichkeit schlecht aussehen, wenn die NFL-Öffentlichkeit sich über die eigene Franchise lustig macht.

Ich würde argumentieren, dass über die letzten zwölf Monate keine Franchise so schlecht ausgesehen hat und so viel Spott auf sich gezogen hat wie die Cardinals.

Die Browns mit der ganzen Watson-Sache wären vermutlich die härteste Konkurrenz, auch wenn das dann ein ganz anderes Thema ist. Bei Arizona hat man den Eindruck, dass, angefangen bei der Führungsetage, anhaltende Inkompetenz für einen beherzten Schritt in ein Fettnäpfchen nach dem anderen sorgt.

Cardinals: Timeline eines Horror-Jahres

Das ist nur eine grobe Timeline der alarmierenden Dinge, die seit dem Ende der vergangenen Saison bis jetzt passiert sind:

  • Das blamable Playoff-Aus gegen die Rams beendete die Saison. Wenig später kursierten an ESPN geleakte Berichte, wonach Murray unreif und kein guter Leader sei
  • Wenige Wochen nach diesem Spiel wandte sich Kyler Murrays Berater Erik Burkhardt in einem öffentlichen Brief an die Cardinals und forderte die Franchise heraus, Murray - natürlich in Form eines neuen Vertrags - zu zeigen, dass sie langfristig mit und um ihn etwas aufbauen wollen.
  • Die neuen Verträge für GM Steve Keim und Head Coach Kliff Kingsbury ergaben insofern Sinn, als dass man beide nicht als Lame Ducks präsentieren wollte, ehe es mit Spielern an den Verhandlungstisch ging. Eine Vertragsverlängerung für beide um vier (!) Jahre war aber schon damals unerwartet lange - und sieht jetzt noch viel schlimmer aus.
  • In der Free Agency präsentieren sich die Cardinals unerwartet passiv. Statt das Fenster, solange Murrays Cap Hit niedrig ist, aggressiv auszunutzen, waren die nennenswertesten Deals die neuen Verträge für Running Back James Conner, Tight End Zach Ertz und Wide Receiver A.J. Green. Der Conner-Deal sieht schon jetzt wie ein großer Fehler aus, Green ist so gut wie gar kein Faktor. Die Baustellen auf Edge-Rusher und Cornerback waren riesige Problemzonen mit Ansage.
  • Der neue Vertrag für Kyler Murray rückte schnell aufgrund einer absurden Klausel in den Hintergrund: Eine Klausel, welche von Murray fordert, pro Woche in seiner Freizeit vier Stunden in das Studieren des Game Plans und des nächsten Gegners zu investieren - ohne dabei, unter anderem, "fernzusehen, Videospiele zu spielen oder im Internet zu surfen". Eine irre Klausel, nachdem man einen 230-Millionen-Dollar-Vertrag gegeben hatte, und erwartungsgemäß flog sie allen Beteiligten um die Ohren. Murray selbst meldete sich in einem emotionalen Monolog zu Wort, und die Klausel wurde kurzum aus dem Vertrag gestrichen - aber der Schaden war selbstredend längst angerichtet.
  • Im August stellten die Cardinals Running-Backs-Coach James Saxon frei, da gegen Saxon Vorwürfe der häuslichen Gewalt im Raum standen. Diese Saison bestreiten die Cardinals seither mit einer internen Lösung auf der Running-Backs-Coach-Position, und haben seither bereits ein Mal intern von Don Shumpert zu Spencer Whipple - eigentlich Co-Pass-Game-Coordinator - gewechselt.
  • Der Trip nach Mexiko in Woche 11 endete für Arizona nicht nur mit einer krachenden Niederlage gegen die 49ers - er brachte auch die Entlassung eines der wichtigsten Assistent Coaches in Kingsburys Trainerstab mit sich: Sean Kugler wurde, Berichten zufolge, weil er eine Frau begrapscht haben soll, noch vor dem Spiel gegen San Francisco gefeuert und zurück nach Arizona geschickt. Kugler war Arizonas Line-Coach und Run-Game-Coordinator, und während die Entscheidung vonseiten der Organisation absolut nachvollziehbar und richtig ist, wird das sportlich auf Coaching-Seite zu einem großen Loch führen, von dem ich aktuell noch nicht sehe, wie das aufgefangen werden soll.

Ich wiederhole nochmal: Ich denke nicht, dass ein Team über die letzten zwölf Monate verheerender in der Öffentlichkeit aussah. Und ich denke nicht, dass eine Franchise in diesem Zeitraum weniger Leadership-Qualitäten an den Tag gelegt hat.

Und, um auf den zweiten eingangs erwähnten Punkt zurück zu kommen: Dieses Bild der Franchise in der Öffentlichkeit, das bekommen Teambesitzer mit.

Mehr noch, die Cardinals übertragen dieses Bild ganz bewusst nach außen - weil sie sich dazu entschieden, In-Season-Hard-Knocks einzuladen, natürlich mit der Idee im Hinterkopf, die eigene Marke zu stärken und das Bild der Öffentlichkeit von der Franchise zu verbessern. Das ist für den Moment gehörig nach hinten losgegangen.

Wie viel Spielraum hat Steve Keim noch?

Wie vielleicht dem einen oder anderen aufgefallen ist, habe ich bei der Auflistung noch kein Wort über die tatsächliche sportliche Situation dieser Saison gesprochen; darüber, wie desolat die Cardinals über weite Teile der Saison auftraten, mit den Playoffs zum Start des letzten Saisondrittels schon fast außer Reichweite.

Das macht das Bild rund: Diese Saison ist auf bestem Wege, eine sportliche Enttäuschung zu werden - während die Franchise in der Öffentlichkeit ein katastrophales Bild abgibt. Beide Alarmsirenen sollten bei Teambesitzer Michael Bidwill also aufschrillen; und vielleicht ist das auch der Weckruf, den er braucht.

Denn ich würde Kingsbury und Keim hier nicht über einen Kamm scheren wollen. Unter Kingsbury hat sich das Team über die letzten Jahre schrittweise verbessert, und auch wenn er für meinen Geschmack schematisch nach wie vor zu limitiert ist, denke ich nicht, dass er ein schlechter Head Coach ist. Die Frage ist dann eben, ob wir den Peak für die Cardinals unter ihm schon gesehen haben.

Bei Keim muss man die Frage stellen, wie er nach so vielen Fehlgriffen, nach so wenig Erfolg, überhaupt noch im Amt sein kann. Was ihn als GM aus positiver Perspektive auszeichnet - abgesehen von der Tatsache, dass Bidwill offensichtlich eine enge Beziehung zu Keim, der bereits seit 1999 in der Franchise ist, hat.

Arizona: Steht der große Umbruch bevor?

Die Realität der Situation, wie ich sie sehe, ist die einer dysfunktionalen Franchise, die diese Dysfunktionalität nur loswerden kann, wenn es einen radikalen Umbruch gibt. Wenn intern zu lange festgefahrene Strukturen aufgebrochen werden. Wenn es keine zweifelhaften Leaks an die Medien mehr gibt, wenn die Franchise mit einem klaren Plan und klarer Struktur neu aufgestellt wird.

Nochmal, Kingsbury hat positive Dinge in dieses Team gebracht, und seine Beziehung zu Kyler Murray ist ein Faktor. Aber die Probleme in der Franchise reichen zu tief, als dass er hier Teil der Lösung sein könnte.

Der Trip - auf und abseits des Platzes - nach Mexiko City, die Art und Weise, wie man das Spiel gegen die Chargers noch hergegeben hat, hat diese Punkte nochmals deutlich gemacht.

Die Cardinals sind an einem wichtigen Moment angekommen. Die Frage lautet, wie man die Qualitäten von Kyler Murray maximal zur Entfaltung bringen, und wie man ihm, gerade auch wenn sein Cap Hit nach oben schießt, ein kompetitives Team zur Seite stellen kann. Und an diesem Punkt kann man kaum noch zu dem Schluss kommen, dass Keim - als Leader und Architekt der Franchise -, oder Kingsbury - als Play-Caller und Game-Planner - dafür die richtige Besetzung sind.

4. Ist Washington ein ernstzunehmender Playoff-Kandidat?

Der Duell zwischen Washington und Atlanta war auch das Duell der "Playoff-Hoffnungsvollen" in der NFC. Zwei Teams, die vor der Saison kaum jemand im Playoff-Kontext gesehen hat, und deren Record vielleicht auch ein klein wenig schmeichelhaft daherkommt.

Zwei Teams, von denen, wenn überhaupt, nur einer auf die dritte Wildcard schielen kann. Und deren direktes Duell dementsprechend zumindest ein klein wenig Playoff-Brisanz mit sich brachte. Was nach dem Sieg der Commanders dann auch die Frage aufwirft: Sind die Commanders ein ernsthafter Playoff-Kandidat? Kann Washington vielleicht sogar in der Postseason für Probleme sorgen?

Dafür ist es wichtig, sich genau vor Augen zu führen, was die Stärke dieses Teams ist. Die Commanders gingen in diesen Spieltag mit den sechstmeisten Sacks, den zweitmeisten Hurries und den meisten Quarterback-Hits aller Teams, wenn der Pass-Rush mit vier oder weniger Pass-Rushern umgesetzt wird.

Nur sechs Teams ließen weniger Yards pro Run mit sechs oder weniger Verteidigern in der Box zu, nur vier prozentual noch seltener ein First Down am Boden. Nach defensiver Success Rate gegen den Run waren über die ersten elf Spiele nur Tennessee, die Rams und die 49ers besser.

Es ist eine gravierende Umstellung im Vergleich zur vergangenen Saison, als Washington trotz seines riesigen Potenzials - und der kostspieligen Ressourcen, die auf dieser Seite des Balls stecken - eine der ligaweit schwächsten Defenses stellte. Die Defensive Line ist das klare Rückgrat nicht nur dieser Defense, sondern dieses Teams insgesamt. Doch auch dahinter hat sich Washington klar gesteigert, allen voran mit einem starken, jungen Safety-Duo.

In gewisser Weise reihen sich die Commanders damit wunderbar in das Thema ein, über das ich jüngst bereits geschrieben habe, damals dann als Überleitung auf die Tennessee Titans: Den unheimlichen Floor und die Gelegenheiten, die einem eine dominante Defensive Line gibt. Den Spielraum für eigene offensive Fehler, den Luxus, schlechte Teams mit der eigenen Defense dominieren zu können und die Qualität, über der eigenen Gewichtsklasse zu boxen und Favoriten zu ärgern.

Washington: Heinicke jüngst erst zum Starter erklärt

Das ist die Grundlage dafür, dass Washington nach Woche 12 noch im Playoff-Rennen ist. Und gleichzeitig muss man die Quarterback-Situation ansprechen.

Erst nach Woche 11 erklärte Head Coach Ron Rivera Taylor Heinicke zum Starter und gab damit Carson Wentz, für den man in der Offseason noch teuer getradet hatte, zumindest vorübergehend auf.

Und ich wüsste nicht, wie man sich den Sieg über Atlanta - der im NFC-Wildcard-Rennen noch sehr wertvoll sein könnte! - anschauen kann, und nicht zu dem Schluss kommt, dass hier viel Glück involviert war.

Die Falcons hatten die Chance, mit einem Touchdown plus Extrapunkt das Spiel in der Schlussminute zu gewinnen, als Da'Ron Payne seinen Gegenspieler ins Backfield schob, die Hand im richtigen Moment hochbekam - und der abgeblockte Ball landete bei den Commanders zum Turnover.

Doch das war noch nicht alles, denn die Falcons stoppten Washington sehr schnell und erzwangen den Punt - nur um dann in den Punter zu laufen. Und damit konnten die Commanders abknien.

Heinickes Glück lässt gegen die Falcons nach

Es war auch ein Spiel, in dem Heinickes gerade erwähntes "Glück" nachließ: Die Interception über die Mitte kurz vor der Halbzeitpause war ein absurder Wurf, wo er entweder einen Verteidiger überhaupt nicht registriert, oder aber seinen Wurf komplett falsch kalibriert hatte.

Der Pick Anfang des dritten Viertels zu A.J. Terrell dann war ein weiterer zu später Wurf von Heinicke, der es Terrell erlaubte, vor Terry McLaurin zu kommen und den Ball abzufangen.

Aber es gab natürlich auch positive Takeaways. Der erste Touchdown von Brian Robinson zeigte, dass er auch auf der Wheel Route aus dem Backfield Plays machen kann, und der Offense etwas Explosivität aus dem Backfield geben kann, die Washington noch zu häufig fehlt.

Findet Washington gerade seine Identität?

Doch auch ohne mehrere explosive Plays am Boden war das Run Game insgesamt gut: Washington holte elf seiner 20 First Downs am Boden raus, lief den Ball für 4,8 Yards pro Run. Diese konstante Production ist eine wichtige Säule für die Commanders.

So ähnlich sah das auch gegen Houston aus (40 Runs für 153 Yards) und gegen die Eagles (49/152), sowie bei der Niederlage gegen Minnesota (30/137) und auch beim Sieg gegen die Packers (38/166).

Ich denke, hier findet Washington gerade seine Identität, als das Team, das das sie vermutlich ohnehin sein wollen, und jeder hoch gedraftete Defensive Lineman und jeder Running Back, in den sie investieren, unterstreicht das: Ein Team, das mit seiner Defensive Line und dem Run Game enge Spiele gewinnen kann, vergleichbar mit dem, was die Titans machen.

Washington hat keinen Ryan Tannehill, und das ist ein gewichtiger Unterschied, der wieder zur Quarterback-Frage zurückführt. Taylor Heinicke ist eine tolle Story, und es ist relativ klar erkennbar, dass er intern anders wahrgenommen wird, als Carson Wentz. Ich denke, dass das reichen kann, um die Giants abzufangen und sich den letzten Playoff-Platz zu sichern.

Ich denke aber auch, dass sehr viel Glück nötig sein wird, um diese Welle, die Washington und insbesondere Heinicke über die letzten Wochen geritten ist, bis in die Postseason zu reiten. Falls das klappt? Dann denke ich, dass die Commanders außerhalb der Quarterback-Position die Formel haben, die wie gemacht dafür ist, um gerade in dieser Saison für eine Playoff-Überraschung zu sorgen.

5. Die Rams am Tiefpunkt: Kommt jetzt der radikale Umbruch?

Fast jede Woche fällt mir während der Betrachtung der NFL, dem Austausch mit Fans und den medial gepushten - oder ignorierten - Storylines auf, wie stark doch immer alles von Narrativen geprägt ist; und das obwohl diese Narrative meist auf sehr dünnem Eis aufgebaut sind.

Das liegt in der NFL in der Natur der Sache. Während die anderen großen US-Ligen mehr als 80 Regular-Season-Spiele bestreiten, hat die NFL gerade einmal derer 17 - jedes Spiel ist umso gewichtiger, und das Problem der kleinen Sample Size ist während einer NFL-Saison allgegenwärtig.

In Kombination mit den Ein-Spiel-Playoffs gilt das erst recht, und dann kann man bis ans Ende aller Tage darüber diskutieren, ob die Bengals letztes Jahr wirklich das beste Team in der AFC waren - wer dafür argumentiert, wird immer anbringen, dass man die Chiefs geschlagen und die AFC-Krone gewonnen hat.

Darum soll es hier allerdings nicht gehen, sondern vielmehr um das Team, welches Cincinnatis Märchensaison beendete, bevor die Prinzessin den Frosch küssen konnte. Denn auch die Los Angeles Rams, die als amtierender Champion drauf und dran sind, ihre Titelverteidiger-Saison mit einem Top-5-Pick - der dann nach Detroit wandert - zu beenden, sind ein großartiges Beispiel für diese Beobachtung.

Rams: Der Titel rechtfertigt vieles

Wo man dieser Tage rund um die Rams auch Analysen, Podcasts und dergleichen hört, der Tenor ist häufig auffällig ähnlich: Ja, sie stehen vor einem potenziell radikalen Umbruch, und dem Kader fehlt es, gemessen daran, wo man letztes Jahr war, überdeutlich sichtbar an Talent - aber das war es alles wert, immerhin hat der aggressive All-In-Ansatz in einem Super-Bowl-Titel gemündet!

Auch hier gilt: Das ist ein Argument, das schwer zu widerlegen ist. Man kann bis in alle Ewigkeit darüber diskutieren, dass die Rams bisweilen viel Glück in jener Regular Season hatten - das hatten sie -, dass selbst der Division-Titel durch kritische Verletzungen bei den Division-Gegnern begünstigt wurde - wurden sie -, dass der Weg in den Playoffs - wo L.A. seinen besten Football spielte - viel steiniger hätte sein können.

Es ist nicht leicht, einen 4-Spiele-Stretch aus der vergangenen Saison auszuwählen, in dem die Rams das beste Team der Liga waren - abgesehen von den Playoffs. Aber an irgendeinem Punkt muss man die Resultate für das nehmen, was sie sind. Die Rams sind ultra-aggressiv All-In gegangen, sie haben einen Titel gewonnen. Und jetzt ist die Rechnung fällig, was eine Warnung an all jene sein sollte, die überlegen, ähnlich vorzugehen. Eine Rechnung, die sehr viel dramatischer und schneller eingefordert wird, als gedacht: Die Rams gingen bei den Buchmachern als höchster Außenseiter aller Teams in diesen Spieltag.

Allen Robinson als Sinnbild für das ständige Rams-Risiko

Bereits vor der Saison war klar, dass der Kader qualitativ nicht so stark sein würde, wie im Vorjahr. Von Miller, Andrew Whitworth, Odell Beckham, Darious Williams, Austin Corbett - sie alle waren Starter, und, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung, tragende Säulen. Die Abgänge in der Offensive Line und im Pass-Rush sind bis heute gravierende Probleme, welche die Rams-Saison prägen, und der Plan, den verletzten Beckham durch Allen Robinson zu ersetzen, ist komplett schiefgegangen.

Es gibt viele Puzzleteile, die hier relevant sind. Robinson ist nur eines davon, aber er steht auch ein wenig sinnbildlich für zumindest einen Teil der Problematik: Wenn man regelmäßig alle Chips auf eine Zahl legt, dann ist der Effekt umso gravierender, wenn diese Zahl nicht trifft. Der Trade für Jalen Ramsey war ein Treffer, Von Miller und OBJ waren - kurzzeitig - Treffer, Whitworth war damals ein Treffer, Stafford, trotz seiner Schwächephasen, war ein Treffer, weil er die Offense im Vergleich zu Jared Goff öffnen konnte.

Irgendwann musste ein teures Risiko mal schiefgehen, und Robinson, bei dem die Rams davon überzeugt waren, dass er in ihrer Offense wieder ein signifikant besseres Level erreichen würde, scheint das zu werden. In diesem Jahr wird er definitiv kein Faktor mehr sein, McVay bestätigte nach der Niederlage gegen die Chiefs, dass Robinson den Rest der Saison aufgrund einer Fußverletzung verpassen wird.

Und wenn man seine Ressourcen über so viele Jahre so strapaziert hat, fehlt irgendwann schlicht der Talentnachschub. Es ist auch für 2023 keine Lösung für die Offensive Line in Sicht, auch nicht, wenn Joe Noteboom dann zurückkommt. Die Offense braucht dringend Speed, die Defense bessere Edge-Rusher und Cornerbacks. Das sind Baustellen, die man nicht innerhalb einer Offseason geschlossen bekommt - erst recht nicht, wenn man am Ende womöglich einen Top-5-Pick abgibt.

Rams: Wie schnell kommt der Umbruch?

Das führt unweigerlich zu einer weiteren, weichenstellenden Frage. Denn wenn wir davon ausgehen, dass die Rams mehrere Offseasons benötigen werden, um wieder einen schlagkräftigen Kader zusammenzustellen, dann rücken die Dinge, über die infolge des Super Bowls schon diskutiert wurde, plötzlich wieder sehr präsent in den Fokus.

Erwägt Aaron Donald sein Karriereende? Unterschreibt Sean McVay einen lukrativen Vertrag als TV-Kommentator? Endet nach dieser Saison eine Rams-Ära, die sportlich gesehen bereits mit dem Triumph im Super Bowl ihr natürliches Ende erreicht hat?

McVay soll seine Zukunft intern direkt an seine Stars geknüpft haben, in erster Linie Donald, Stafford, Kupp, Ramsey - wenn dieser Kern auseinandergeht, zieht sich auch McVay zumindest vorerst von der Coaching-Bühne zurück, so die durchaus nachvollziehbaren Berichte.

Gut möglich, dass dieser Prozess jetzt beschleunigt wird. Vielleicht auch in Form eines Dominoeffekts - etwa, wenn Stafford nach jetzt mehreren Gehirnerschütterungen, sagt, dass es ihm reicht. Will McVay dann einen Rebuild ohne Quarterback einleiten? Hat Donald so viel Geduld? Oder ein Spieler wie Jalen Ramsey, der erst 28 Jahre alt ist und im Zuge eines Rebuilds ein attraktiver Trade-Chip sein könnte, um endlich mal Kapital zu sammeln.

Oder ist die Gier aller Beteiligten nach einem weiteren Titel noch groß genug, um diese Saison abzuhaken, die Baustellen in Kauf zu nehmen und den Körper nochmal auf eine weitere Saison einzustellen?