Es sind nicht nur Penguins-Superstar Sidney Crosby und NHL-Topscorer Claude Giroux: Eine Unmenge von Stars fällt aktuell mit Gehirnerschütterungen aus. NHL-Legende Chris Chelios greift im SPOX-Interview die Liga scharf an, vor allem seinen ehemaligen Teamkollegen Brendan Shanahan. Außerdem spricht Chelios, der mit 47 Jahren noch in der besten Liga der Welt spielte, über Samuel L. Jacksons Coaching-Künste, Kid Rock und Bobfahren.
SPOX: Chris, die erneute Zwangspause von Sidney Crosby nach seinem Comeback ist natürlich ein Riesenthema in der NHL. Und die Gehirnerschütterungen reißen nicht ab, auch Liga-Topscorer Claude Giroux hat es erwischt. Nun versucht die NHL ja verstärkt, die brutalen Hits aus dem Spiel zu bekommen. Brendan Shanahan ist in die Rolle des Richters geschlüpft. Geht es da Ihrer Meinung nach in die richtige Richtung?
Chris Chelios: Die Sache ist folgende: Brendan Shanahan war derjenige, der die Regeln in der NHL so verändert hat, dass nichts mehr erlaubt ist. Kein Haken, kein Halten, keine Behinderung. Damit hat er sich sein eigenes Monster geschaffen. Denn genau deshalb haben die Spieler jetzt diese offenen Bahnen, um Hits anzubringen. Und das müssen nicht mal brutale Dinger sein. Spieler knallen Schulter an Schulter zusammen und tragen Gehirnerschütterungen davon. Selbst im Basketball ist es erlaubt, dass man Blocks stellt und verteidigt, aber in der NHL kannst du deinen Teamkollegen gar nicht mehr beschützen.
SPOX: Das heißt, die NHL geht die Thematik vom Grundsatz her völlig falsch an.
Chelios: Genau. Sie reden immer nur von den brutalen Hits, aber das ist gar nicht der eigentliche Punkt. Es wird immer wieder Kollisionen geben wie die von Sid und Dave Steckel, als er sich zum ersten Mal verletzt hat. Beim zweiten Mal war es dann ein Hit von hinten, dafür war er einfach nicht bereit. Nein, es geht darum, dass man seinen Teamkollegen beschützen können muss. Es muss erlaubt sein, dass man den Stürmer aufhält, solange man den Stock nicht benutzt. Aber die NHL weigert sich, das Thema so zu sehen. Ich sage es noch mal: Brendan Shanahan hat die Regeln so gemacht und jetzt bezahlen die Spieler den Preis dafür.
spoxSPOX: Aus Ihnen spricht der Verteidiger...
Chelios: Klar, Shanahan war ein Stürmer, ein Goalscorer. Er hat die Regeln geändert, um mehr Offense zu erzeugen, aber das Resultat ist, dass gerade auch die Verteidiger jetzt üble Hits abbekommen. Wenn der Stürmer auf dich zukommt und den Puck vorbei chippt, dann darfst du ihn nicht anfassen, aber er darf dich über den Haufen fahren, wenn du den Puck spielst. Es ist etwas Grundlegendes falsch mit den Regeln. Es ist eine Schande, dass derselbe Typ, der das alles kreiert hat, jetzt die Urteile spricht und nicht einsehen will, dass er einen Fehler gemacht hat.
SPOX: Kommen wir zu Ihnen. Sie waren beim Deutschland Cup als Assistant Coach im Team USA dabei. Können wir daraus schließen, dass Sie jetzt die Trainerlaufbahn einschlagen und wir Sie einmal als Head Coach in der NHL sehen werden?
Chelios: Ich bin immer noch in einer Phase, in der ich herausfinden will, was ich machen sollte. Aber nachdem ich ein Jahr lang im Management der Detroit Red Wings tätig war, tendiere ich doch sehr stark zum Coaching. Mir macht es einfach mehr Spaß, mit den Spielern auf dem Eis zu stehen, als die Spiele von der Press Box aus anzuschauen. Beim Deutschland Cup war ich jetzt zum ersten Mal Co-Trainer eines US-Teams, das war eine tolle Sache für mich.
SPOX: Sie haben in Ihrer langen Karriere für viele großartige Coaches gespielt, aber ich muss Sie auch nach einem gewissen Jules Winfield fragen, gespielt von Samuel L. Jackson...
Chelios: (lacht) Sie haben sicher den Clip gesehen.
SPOX: Selbstverständlich.
Chelios: Er ist wirklich so witzig, wie es da ausschaut. Auch wenn er natürlich nicht den geringsten Plan von Eishockey hat. Das war schon eine der lustigsten Geschichten, die ich in meiner Karriere so mitgemacht habe. Wir haben es damals für die ESPYs gemacht. Ich muss zugeben, dass ich mich heute noch schlapp lachen kann, wenn ich den Clip ab und zu mal wieder sehe.
SPOX: Sie haben noch mit 47 Jahren in der NHL gespielt. Ganz ehrlich: Das ist doch unfassbar! Die erste Frage: Warum?
Chelios: Dass ich so lange gespielt habe, hatte sehr viel damit zu tun, dass ich in Detroit Teil eines so erfolgreichen Teams war. Wenn es einen Punkt gegeben hätte, an dem ich aus Detroit hätte weggehen müssen, wäre ich früher zurückgetreten. Ich hätte meine Familie nicht mehr zurückgelassen. Aber wir hatten dann in Detroit immer weiter Erfolg, wir haben den Stanley Cup gewonnen und so habe ich eben weitergemacht. Dazu kommt, dass die Red Wings wirklich an ihre erfahrenen Spieler glauben. Und ich bin gesund geblieben, das war natürlich auch wichtig. Ich habe ja aber auch nur noch 10 bis 12 Minuten pro Spiel gespielt. Ich hatte wirklich großes Glück, so lange in Detroit sein zu dürfen.
SPOX: Sie haben dann auch noch eine kurze Zeit in der AHL für die Chicago Wolves gespielt. Und in der NHL gab es ganz am Ende eine kurze Episode bei den Atlanta Thrashers.
Chelios: Die Chicago-Geschichte war eine tolle Erfahrung für mich. Ich habe noch einmal zusammen mit meinen Eltern gelebt, meine beiden Söhne haben in der Juniorenliga gespielt - wir waren alle zusammen, das war super. Als ich dann in Atlanta war, hat es mir aber überhaupt keinen Spaß mehr gemacht. Ich habe nur acht Minuten gespielt, ich habe meine Familie nicht mehr gesehen - da war dann der Punkt gekommen aufzuhören.
SPOX: Legende Gordie Howe hat sogar mit 52 noch gespielt und hält damit den Rekord. War es für Sie kein Ziel, ihn noch zu übertreffen?
Chelios: Nein, darüber habe ich nie nachgedacht. Was Gordie Howe gemacht hat, war sowieso unfassbar. Er hat in seiner letzten Saison ja immer noch 15 Tore für die Hartford Whalers gemacht. Mit 52 Jahren. Das kann man sich kaum vorstellen.
SPOX: Howe hat am Ende sogar noch mit seinen Söhnen in einem Team gespielt.
Chelios: Mal schauen, ob ich das auch noch erleben darf. Sollten es meine Jungs einmal in die Minors schaffen, muss ich mal schauen, ob wir das noch zustande bekommen. (lacht)
Chelios über McEnroe, seinen härtesten Gegenspieler und Bobfahren
SPOX: Die andere Frage, die sich einem aufdrängt, wenn man Sie mit 47 noch hat spielen sehen: Wie? Wie haben Sie sich so verdammt fit gehalten?
Chelios: Grundsätzlich war Training nie etwas, das mir schwer gefallen ist. Ich habe immer gerne trainiert. Ich habe in Kalifornien eine Gruppe von Leuten gefunden, mit der ich in der Offseason ein Haufen Zeug gemacht habe. Wir sind nicht nur einfach ins Fitnessstudio gegangen, wir haben immer geschaut, dass wir eine gute Mischung finden, damit es nicht langweilig wird. Wir waren beim Mountainbiking, wir haben das Paddelsurfen für uns entdeckt, das ist echt großartig auf den Wellen - wir haben alles Mögliche gemacht. Auch nach meiner Karriere machen mir die Workouts noch Spaß, nicht in dem Maße wie früher, aber ich habe zwei Söhne im Alter um die 20, mit den beiden trainiere ich viel.
SPOX: Wie sah denn dann ein normaler Tag im Sommer so aus?
Chelios: Nach dem Aufstehen sind wir nach Venice ins Gym gefahren, das ist ungefähr 20 Minuten entfernt. Als wir wieder zurück waren, sind wir zum Mountainbiking gegangen, und nach dem Mittagessen ging es dann raus aufs Wasser. Ich habe mich damals vor 22 Jahren dazu entschieden, mir ein Haus in Malibu zu kaufen, weil ich einfach einen Zufluchtsort gesucht habe. Ich wollte im Sommer weg, auch um mich richtig aufs Training fokussieren zu können. Wenn man das ganze Jahr in Chicago oder Detroit lebt, schätzt man so zwei Monate am Strand auch viel mehr. Die ganze Familie hatte eine super Zeit dort. Und keine Sorge, wir hatten auch noch genug Zeit, um uns mal an den Strand zu legen.
SPOX: Sie haben in Kalifornien auch viele neue Promi-Freunde getroffen. Mit wem haben Sie viel Zeit verbracht?
Chelios: Kid Rock lebt jetzt wieder in Detroit, aber er hatte sich vor Jahren auch ein Haus in Malibu gekauft. Das war, als er dieses kurze Liebesabenteuer mit Pam Anderson hatte. (lacht) John McEnroe ist auch jemand, den ich in den letzten 15 Jahren gut kennengelernt habe und mit dem ich viel rumhänge. Wir haben Kinder im gleichen Alter, wir haben wirklich viel zusammen unternommen.
SPOX: Zurück zu Ihrer NHL-Karriere. Sie haben dreimal den Stanley Cup gewonnen. Welcher hat Ihnen am meisten bedeutet?
Chelios: Das war mein erster Stanley-Cup-Triumph, in meinem zweiten Jahr in Montreal. Zu dem Zeitpunkt schien so ein Stanley-Cup-Sieg gar nicht so hart zu erreichen zu sein, aber 27 Jahre später habe ich insgesamt eben nur drei gewonnen. Ich sollte aber nicht sagen "nur", ich muss mich glücklich schätzen, wenn man sieht, dass ein Ray Bourque zum Beispiel bis zum letzten Jahr seiner Karriere warten musste. Es ist so verdammt hart, den Stanley Cup zu gewinnen. Aber das merkt man erst mit der Zeit.
SPOX: Was war das beste Spiel, an dem Sie beteiligt waren? Was war die schlimmste Niederlage?
Chelios: Mein absolutes Highlight war der World Cup 1996, als wir Kanada in Kanada geschlagen haben. Und mein Tiefpunkt waren die Olympischen Spiele 2002 in Salt Lake City, als wir gegen Kanada verloren haben.
SPOX: Wer war der beste Stürmer, gegen den Sie je gespielt haben?
Chelios: Mark Messier. Messier, Wayne Gretzky und Mario Lemieux würde ich als meine Top 3 nennen. Kurioserweise habe ich in den Playoffs nie gegen Messier oder Gretzky gespielt, verrückt, wenn man bedenkt, wie viele Playoff-Spiele ich gemacht habe. Mario hat uns einmal in den Finals geschlagen. Sie waren alle drei überragend, aber Messier war für mich am toughsten. Er hatte das ganze Paket.
SPOX: Sie haben auch noch gegen die neue Generation an Superstars gespielt...
Chelios: Ja, aber das war nicht mehr das Gleiche. Ich hatte nicht mehr das direkte Matchup gegen Crosby, Ovechkin und Co. - höchstens noch im Penalty Killing. Joe Sakic und Peter Forsberg fallen mir noch ein, gegen diese Jungs war es immer hart. Vor allem Forsberg, puh, das war ein unglaublich talentierter und physisch starker Junge. Aber klar, Crosby ist in seiner Generation jetzt der Star, Sid ist vor allem ein großartiger Skater, wie stark er auf den Schlittschuhen steht, das ist der Wahnsinn.
SPOX: Crosby ist 24 Jahre alt. Als Sie 1984 in Sarajevo Ihre ersten Olympischen Spiele mitgemacht haben, war er also noch gar nicht geboren. Wie war es, mit Jungs zusammenzuspielen, die fast alle Ihre Kinder hätten sein können?
Chelios: Wenn die Jungen in der Kabine das Kommando über die Musikauswahl bekommen, dann wird es brenzlig. (lacht) Ich hatte Glück in Detroit. Wir waren ja ein Team mit vielen Veteranen. Brett Hull, Steve Yzerman, Brendan Shanahan - da hat man sich nicht fehl am Platz gefühlt. Als die dann einer nach dem anderen aufhörten, war es nicht mehr so komfortabel, aber ich hatte immer noch Nick Lidström, Kris Draper, Kirk Maltby oder Chris Osgood um mich herum. Ich denke, ich habe am Ende den richtigen Zeitpunkt erwischt, um von Bord zu gehen.
SPOX: 1984 waren in Sarajevo dabei, 22 Jahre später waren Sie wieder bei Olympia: 2006 in Turin. Und fast wären Sie nicht beim Eishockey-Turnier dabei gewesen, sondern hätten sich im Eiskanal versucht...
Chelios: Ich hatte die griechische Bob-Mannschaft 2002 bei den Olympischen Spielen getroffen und sie haben mich dann irgendwann gefragt, ob ich nicht ins Team kommen wolle. Ihnen würde ein Mann fehlen. Ich hatte so viel Spaß an der Sache, dass ich ein paar Monate mit ihnen trainiert habe, aber dann kam einer der Bobfahrer wieder zurück und ich wollte ihm den Platz nicht wegnehmen. Aber es war eine großartige Erfahrung für mich. Es gibt einem einen ganz schönen Kick, wenn man den Eiskanal runter brettert. Ein paar Mal sind wir auch gestürzt und lagen plötzlich anders herum da, das war nicht so angenehm. (lacht) Ich habe insgesamt gemerkt, dass es viel mehr Training benötigt, als ich dachte.
SPOX: Abschließend: Ihr Stanley-Cup-Pick?
Chelios: Detroit Red Wings. Was soll ich schon anderes sagen?!
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