Andre Greipel: "Glücklich, kein Fußballer zu sein"

Torsten Adams
09. Oktober 200917:31
Andre Greipel (v.) war mit vier Etappensiegen der überragende Sprinter bei der VueltaGetty
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Sie gehören in ihrer Sportart zu den Besten der Welt, finden aber häufig nicht die Beachtung, die sie verdienen. Sie sind die Schattenmänner und Schattenfrauen des Sports. SPOX widmet ihnen ab sofort ein eigenes Format. Los geht es mit Radprofi Andre Greipel.

Mit dem Triumph beim französischen Eintagesrennen Paris-Bourges hat Andre Greipel seine Ausbeute an Siegen in diesem Jahr auf die fabelhafte Zahl von 20 erhöht.

Der Sprinter vom Team Columbia ist damit der erfolgreichste deutsche Radprofi in diesem Jahr und untermauerte seine Favoritenrolle für den am Sonntag stattfindenden Sprinterklassiker Paris-Tours eindrucksvoll.

Dabei hatte die Saison für den 27-Jährigen alles andere als rosig begonnen. Auf den Gewinn der ersten Etappe der Australien-Rundfahrt im Januar folgte ein Sturz mit katastrophalen Auswirkungen: Schultereckgelenks-Sprengung und vier Monate Rennpause.

Doch Greipel kam zurück und setzte bei der Spanien-Rundfahrt mit vier Tagessiegen und dem Gewinn des Grünen Trikots des besten Sprinters ein Ausrufezeichen.

Im Interview mit SPOX spricht der Mann mit den schnellen Beinen über Training auf der Aschenbahn, belgisches Bier, den Vergleich mit Mark Cavendish und seine Gemeinsamkeiten mit Jan Ullrich.

SPOX: Herr Greipel, Jens Voigt stammt aus Dassow, Jan Ullrich und Sie kommen aus Rostock. Die Ostseeluft scheint Radsportlern gut zu bekommen.

Andre Greipel: Da scheint tatsächlich etwas dran zu sein. Aber im Ernst: Ich denke, es hat sehr viel mit der alten Schule zu DDR-Zeiten zu tun, dass mehrere Radprofis ihre Heimat an der Ostsee haben.

SPOX: Können Sie sich noch an Ihr erstes Radrennen erinnern?

Greipel: Das war nicht schön für mich. Ich war damals elf Jahre alt und wurde Vorletzter.

SPOX: Ein Jahr zuvor wurden Sie von Peter Sager, der auch Jan Ullrichs erster Betreuer war, entdeckt. Zunächst ging es aber nicht mit dem Rad auf die Straße.

Greipel: Das stimmt. Mein erstes Training fand auf der Aschenbahn statt, ein Rad war weit und breit nicht zu sehen. Es war Winter und ich musste rund zwei Kilometer laufen. Das ging ganz gut, ich habe alle anderen Kinder einmal überrundet. Peter Sager meinte dann nur, dass ich wieder kommen solle und aus mir ein Radfahrer gemacht werde.

SPOX: Und warum ein Radfahrer und kein Marathon-Läufer?

Greipel: Für beide Sportarten ist ja die Ausdauer die Grundlage. Und auf dem Rad habe ich mich direkt wohl gefühlt, das machte mir mehr Spaß als Laufen.

SPOX: 17 Jahre später sind Sie mit 20 Siegen der erfolgreichste deutsche Radprofi in diesem Jahr. Trotz ihrer Erfolge kennen Sie viele Leute nicht. Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Greipel: Ich war schon immer zielstrebig, wusste, was ich wollte. Außerdem behaupte ich von mir, auf dem Boden geblieben zu sein. Ich schaue nicht gerne zurück, sondern suche mir immer wieder neue Ziele. Ich bin ein zukunftsorientierter Mensch.

SPOX: Auf Ihrer Internetseite stolpert man unter der Rubrik "Lieblingsgetränk" über das Wort "Leffe". Was hat es damit auf sich?

Greipel: Leffe ist ein belgisches Bier. Weizen trinke ich zwar auch sehr gerne. Aber Leffe hat einen besonderen Charakter.

SPOX: Bier ist nicht gerade das Lebensmittel, das man auf dem Speiseplan eines Radprofis vermutet.

Greipel: (lacht) Auch ein Radprofi hat freie Tage und ein Leben außerhalb des Radsports. Ich stopfe ja auch nicht jeden Tag Pasta oder Müsli in mich hinein. Es kann auch schon mal ein Leberwurstbrötchen oder Ketchup am Morgen sein.

SPOX: Ebenfalls mit Bier in Kontakt kamen Sie beim Team Köstritzer - auch wenn die Marke nur der Sponsor war. In dieser Zeit absolvierten Sie parallel zum Radsport noch eine Ausbildung zum Bürokaufmann. Obwohl Sie nun nicht am Schreibtisch sitzen, hat sich die Ausbildung dennoch in ganz anderer Hinsicht gelohnt.

Greipel: Falls Sie meine Partnerin meinen, ja. Ich habe sie zu dieser Zeit kennengelernt. Mittlerweile sind wir glücklich verheiratet. Die Geburt unserer Tochter war einer der schönsten Tage in meinem Leben. Seither weiß ich, dass ich sehr gut sein muss, um unserer kleinen Tochter ein schönes Leben zu ermöglichen.

SPOX: Sehr gut sind Sie in dieser Saison. Besser als beispielsweise Gerald Ciolek und Linus Gerdemann, die zu Milram gewechselt sind. Sie fahren weiterhin in einem nicht-deutschen Team. Fehlt Ihnen da nicht die mediale Präsenz?

Greipel: Ich fahre nicht für die Medien, sondern um erfolgreich zu sein. Dazu brauche ich eine Mannschaft, die auf Sprints ausgelegt ist. Columbia ist das.

Teil II: Greipel über Entbehrungen, Erik Zabel und Mark Cavendish

SPOX: Gerade in den letzten Jahren durchschreitet der Radsport ein tiefes Tal. Haben Sie es schon mal verflucht, Radprofi geworden zu sein? Fußballern auf Spitzenniveau beispielsweise geht es wirtschaftlich bedeutend besser.

Greipel: Ich habe mir den Sport ja ausgesucht und fahre Rad, weil ich den Radsport liebe. Deshalb bin ich auch glücklich, kein Fußballer zu sein. In letzter Zeit zweifelt man natürlich zunehmend an sich, weil alle Radfahrer über einen Kamm geschert werden. Man muss sich Anschuldigungen anhören von irgendwelchen Leuten, die keine Ahnung vom Radsport haben und nicht wissen, welche Opfer man für den Erfolg erbringt. Ich habe viel geopfert um jetzt dort zu stehen, wo ich bin. Ich stehe für einen sauberen Sport und versuche das auch so rüberzubringen.

SPOX: Welche Rolle spielt Erik Zabel momentan im Team Columbia?

Greipel: Ihn als Berater im Team zu haben, ist ein sehr großer Vorteil für unser Team. Er weiß aus seiner Zeit als Profi ganz genau, wie es in deinem Körper aussieht. Egal ob wir in Italien, Spanien oder Frankreich fahren: Erik kennt jeden Etappenort und jede Zieleinfahrt.

SPOX: Zabel wurde während der Tour de France als "Navigator" gefeiert, der Mark Cavendish zu sechs Etappensiegen verhalf. Sie wurden hingegen nicht für die Große Schleife nominiert. Wie enttäuschend war das für Sie?

Greipel: Gefreut habe ich mich darüber nicht. Es war die Entscheidung der Sportlichen Leitung und die musste ich akzeptieren. Allerdings werde ich mich sicherlich nicht damit zufrieden geben, die Tour jedes Jahr von zuhause aus im Fernsehen anzuschauen. Es wäre schade, wenn sie an mir vorbeigehen würde.

SPOX: Bislang galten Sie als Columbias Sprint-Trumpf für die Rennen, die nicht in Cavendishs Terminkalender passten. Können Sie sich ein Zusammenspiel mit ihm bei der Tour vorstellen?

Greipel: Auf jeden Fall. Ich brauche mich vor niemanden zu verstecken. Außerdem wäre es äußerst interessant, wenn man mit uns beiden als Sprint-Doppelspitze in die Tour gehen würde.

SPOX: Nicht wenige Leute behaupten, Sie seien im Moment der Einzige, der Cavendish schlagen kann. Was sagen Sie dazu?

Greipel: Wenn man uns beide solo nebeneinander hersprinten ließe, würde mal er, mal ich gewinnen. Aber die Unterstützung des Teams hat einen großen Anteil an einem Sprintsieg. Ich denke, wenn wir beide unsere Anfahrer dabei haben, dann hat er es schwer, an mir vorbeizufahren.

SPOX: Sprinter haben den Ruf, ganz besondere Typen zu sein, ähnlich wie Torhüter und Linksaußen beim Fußball. Wie muss ein Sprinter gestrickt sein?

Greipel: Oftmals sieht man uns im Rennen 200 Kilometer lang nicht. Aber auf das Finish kommt es an. Im Finale müssen wir die ideale Position finden und den Killerinstinkt haben.

SPOX: Instinkt ist die eine Sache, Ausdauer die andere. Sie fahren mit dem Fahrrad im Jahr wahrscheinlich weiter, als andere in drei Jahren mit dem Auto. Wie viele Kilometer spulen Sie in einer Saison runter?

Greipel: Das Training für die kommende Saison beginnt ja schon im November. Wenn ich im Januar die ersten Rennen fahre, habe ich rund 8000 Trainingskilometer in den Beinen. Am Ende des letzten Jahres stand ich bei rund 33.000 Kilometern.

Greipel gewinnt Schlussetappe der Vuelta