Der Georgier Nodar Kumaritaschwili ist tot. Der Rodler stürzte beim Abschlusstraining. Er war aus der Bahn geschleudert worden und gegen einen Stahlträger geprallt. Nach langer Überlegung hat man sich zur Durchführung der Wettbewerbe entschlossen.
Tod, Tränen, Trauer: Olympia weint um den ersten toten Sportler in der Geschichte der Winterspiele. Wenige Stunden vor der Eröffnungsfeier in Vancouver starb der Rodler Nodar Kumaritaschwili. Der 21-Jährige aus Georgien erlag seinen schweren Verletzungen, die er bei einem Horror-Sturz im Abschlusstraining am Freitag erlitten hatte. Die Helfer vor Ort leiteten zwar sofort Reanimierungsmaßnahmen ein, doch kam jede Hilfe zu spät.
Die olympische Familie steht unter Schock, mit Tränen in den Augen und stockender Stimme sagte der tief bewegte IOC-Präsident Jacques Rogge: "Das ist ein sehr trauriger Tag, das IOC ist in tiefer Trauer, wir haben keine Worte für das, was wir fühlen."
Kumaritaschwili, Sohn des georgischen Rodel-Verbandschefs, war in der "Thunderbird"-Kurve, der letzten der 16 Kurven des 1374 Meter langen Hochgeschwindigkeitskurses, in große Schwierigkeiten geraten. Nach der Ziellinie flog er dann aus der Eisrinne und mit Rücken und Hinterkopf gegen einen ungeschützten Stahlträger, an dem das Dach über der Bahn befestigt ist. Er raste an der Unglücksstelle mit 144,3km/h durch die Eisrinne. Sofort wurde an der Bahn die Musik abgeschaltet, es herrschte gespenstische Stille.
Eröffnungsfeier fand statt
Um 12.08 Uhr Ortszeit (21.08 Uhr MEZ) hatte der wiedergewählte IOC-Vizepräsident Thomas Bach die traurige Nachricht bestätigt: "Das ist tragisch. Die ersten Gedanken sind bei seiner Familie und seiner Mannschaft. Das wirft einen tragischen Schatten auf die Eröffnung der Spiele, die mit so viel Vorfreude erwartet worden sind." Die Eröffnungsfeier fand trotzdem statt.
Die Mannschaft Georgiens erwog nach der Tragödie sogar den Rückzug von den Winterspielen. "Wir sind alle geschockt. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Wir wissen nicht, ob wir an der Eröffnungsfeier teilnehmen oder auch generell an den Spielen", sagte der georgische Delegationsleiter Irakli Japaridse. Später entschloss man sich, doch bei der Feier dabei zu sein, die voll und ganz im Zeichen des toten Rodlers stehen sollte.
Dort marschierte die georgische Mannschaft mit Trauerflor und einem schwarzen Band an der Flagge ein. Der elfköpfigen Delegation war der Schock deutlich anzusehen. Alle Zuschauer im BC Place erhoben sich von ihren Plätzen und applaudierten.
"Unsere Herzen sind gebrochen"
Mit Fassungslosigkeit reagierten die Gastgeber: "Unsere Herzen sind gebrochen, mein Team ist am Boden zerstört", sagte VANOC-Präsident John Furlong mit zitternder Stimme: "Der Unfall ist tragisch und wird jetzt ganz genau untersucht."
In Whistler machten unterdessen betroffene Fans die vor der Medals Plaza aufgestellten olympischen Ringe kurzerhand zu einer Gedenkstätte für den Toten.
Neben einem Foto von Kumaritaschwili wurden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet. Beim Bummel durch die Stadt verweilten zahlreiche Besucher zum Teil minutenlang vor dem Olympia-Symbol.
Wettkämpfe werden durchgeführt
Trotz des tragischen Todes des Georgiers Nodar Kumaritaschwili und der tiefen Trauer der geschockten Rodler werden die Wettkämpfe bei den Olympischen Spielen in der schnellsten Eisrinne der Welt am Samstag wie geplant fortgeführt.
Das teilte der Rodel-Weltverband FIL am späten Freitagabend mit. Demnach findet am Samstagmorgen ein Training der Herren statt, im Anschluss folgt das Damentraining.
Um 17.00 und 19.00 Uhr (Ortszeit) werden dann die ersten beiden Durchgänge des Männer-Wettbewerbs ausgetragen, im Anschluss steht noch das Training der Doppelsitzer auf dem Programm.
Allerdings werden derzeit am schnellsten Eiskanal der Welt noch Umbaumaßnahmen durchgeführt, um die Sicherheit zu verbessern.
BSD-Sportdirektor nimmt Veranstalter in Schutz
Unterdessen hat der Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD) die Organisatoren der Veranstaltung in Schutz genommen. "Wir möchten den Organisatoren keinen Vorwurf machen. Es war nicht absehbar, welche Kräfte an dieser Stelle wirken", sagte BSD-Sportchef Thomas Schwab: "Wir sprechen dem georgischen Verband unser Beileid aus und sind sehr betroffen."
Die olympische Bob- und Rodelbahn in Whistler war im März 2008 vom internationalen Rennrodel-Verband FIL, dem Bob-Weltverband FIBT und dem Organisations-Komitee für die Winterspiele VANOC geprüft und für olympiatauglich befunden worden.
Im Prozess der sogenannten Homologierung der Kunsteisbahn für Rennrodeln, Bob und Skeleton wurden über 200 Abfahrten von Aktiven aus sieben Ländern (Österreich, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Italien, Russland und den USA) in allen drei Disziplinen absolviert. Dabei wurden sechs verschiedene Starthöhen getestet. Zu den Fahrern gehörte auch Bob-Olympiasieger Andre Lange.
Bei der internationalen Trainingswoche der Rodler im November 2009 gab es 2250 Fahrten, drei Prozent endeten mit einem Sturz. "Es waren aber keine schweren Stürze dabei", sagte FIL-Präsident Josef Fendt. Die Zahl der Trainingsfahrten lag über den im Reglement vorgeschriebenen.
Bahndesigner entsetzt
Mit Bestürzung und Entsetzen hat der deutsche Designer der Olympiabahn von Whistler auf den Tod reagiert. "Es tut mir unendlich leid für den Jungen. Diese Meldung erschreckt einen natürlich. Wir haben schon sechs Olympiabahnen entwickelt. Da ist noch nie einer rausgeflogen", sagte Udo Gurgel "Sport Bild online".
Die Bahn sei schnell, aber die 16 sei eine sehr, sehr lange Kurve, in der normalerweise nicht viel passieren könne, weil die Geschwindigkeit bis zum Ausgang wieder stark abnehme. "Die Zielgeschwindigkeit liegt unter 120km/h. Da müsste eigentlich jedes Gerät zu beherrschen sein. Er muss in der Kurve umhergeschossen sein wie eine Kugel."
Jacuqes Rogge sagte: "Es sind Ermittlungen eingeleitet worden. Wenn wir den Bericht haben, werden wir entscheiden. Jetzt ist die Zeit für Trauer und nicht für die Suche nach Gründen. Unsere ersten Gedanken gelten seiner Familie, seinen Freunden und den anderen Athleten. Die olympische Familie ist betroffen über diese Tragödie, die einen Schatten auf die Spiele wirft."
Diese Ermittlungen haben ergeben, dass die Bahn keinerlei Mängel aufweist.
Auch beim Weltcup-Finale viele Stürze
Es war schon lange bekannt, dass die Rinne für die Bob-, Rodel- und Skeleton-Wettbewerbe in Whistler eine besondere Herausforderung darstellt. Beim Weltcup-Finale 2009 und bei der internationalen Trainingswoche zu Beginn des Olympiawinters war es immer wieder zu Stürzen gekommen, die Athleten hatten teils große Probleme.
Der Österreicher Manuel Pfister wurde im Training am Donnerstag mit 154km/h gemessen. Er war damit minimal schneller als Rekordhalter Felix Loch (153,93km/h) im vergangenen Jahr.
Pfisters Marke ist vom Weltverband aber noch nicht als offizieller Weltrekord anerkannt. Tony Benshoof (USA), vor Loch Rekordhalter, meinte: "Dieser schreckliche Unfall überrascht mich nicht. Trotz meiner Erfahrung habe ich jedes Mal große Angst, wenn ich in diesen Eiskanal muss."
Die Reaktionen aus dem deutschen Lager
Georg Hackl
Deutschlands Rodel-Legende Georg Hackl war am Boden zerstört: "Das ist ein Schock und sicherlich nur schwer zu verarbeiten."
Klaus Alt
Der Physiotherapeut der deutschen Rodler Klaus Alt war fassungslos: "Durch einen Fahrfehler ist er kurz vor dem Ziel aus der Bahn katapultiert worden."
Raimund Bethge
Raimund Bethge kritisierte sofort nach dem Sturz die Beschaffenheit der Rodelbahn: "Alle Fachleute, die von Anfang an mit der Bahn zu tun hatten, haben vor der hohen Geschwindigkeit gewarnt", sagte der Cheftrainer Bob und Skeleton.
Joseph Fendt
Ähnliche Kritik hatte zuvor schon Weltverbands-Präsident Joseph Fendt geübt: "Die Bahn ist zu schnell. Wir hatten sie für maximal 137 Stundenkilometer geplant. Aber sie ist fast 20 Stundenkilometer schneller. Wir sehen das als Planungsfehler."
Andre Lange
Die Fahne in der Hand, den tödlich verunglückten Rennrodler Nodar Kumaritaschwili im Herzen: Was für Bob-Pilot Andre Lange zu einem der schönsten Tage seines Lebens werden sollte, wurde zu einem schweren Gang. Direkt im Anschluss an das von der Tragödie um seinen Landsmann gezeichnete Team Georgiens führte der dreimalige Olympiasieger die deutsche Mannschaft bei der Eröffnungsfeier in Vancouver in den BC Place. Auch wenn viele Athleten beim Einmarsch ein Lächeln auf den Lippen trugen, hat die Deutschen das Drama auf der Rodelbahn von Whistler tief getroffen.
"Das ist eine Tragödie, die hoffentlich nicht diese Spiele überschatten wird. Ein Mitglied der olympischen Familie hat uns verlassen. Es wird einige Tage dauern, bis wir das verarbeitet haben", sagte Lange und machte nachdrücklich auf die Gefahren der Sportarten im Eiskanal aufmerksam: "Das sollte niemand vergessen." Am Start der als äußerst anspruchsvoll und gefährlich geltenden Olympia-Strecke sei man "völlig allein" und müsse "nur auf sich selbst fokussiert sein".
Thomas Bach
Auch Thomas Bach zeigte sich tief bestürzt. "Das ist tragisch. Die ersten Gedanken sind bei seiner Familie und seiner Mannschaft. Das wirft einen tragischen Schatten auf die Eröffnung der Spiele, die mit so viel Vorfreude erwartet worden sind", sagte der Vize-Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Jochen Behle
Langlauf-Bundestrainer Jochen Behle ergänzte: "Ich bin geschockt. Das ist der schlimmstmögliche Auftakt für die Olympischen Spiele."
Monique Aumüller
Die deutschen Athleten hatten allesamt einen Kloß im Hals. "Alle waren wahnsinnig geschockt", sagte Monique Angermüller nach der Feier.
Stefan Lindemann
Eiskunstläufer Stefan Lindemann erklärte, er habe die Trauer zu jeder Zeit gespürt: "Die gesamte Veranstaltung hatte einen faden Beigeschmack."
Patric Leitner
Im Deutschen Haus der Olympia-Außenstelle Whistler wurde die Eröffnungsfeier derweil in äußerst gedämpfter Stimmung vor den TV-Bildschirmen verfolgt. Besonders Rodler Patric Leitner stand der Schock nach der Tragödie um den Kollegen ins Gesicht geschrieben. "Wir sind alle schwer erschüttert. Uns sind sofort die Tränen in die Augen gestiegen", sagte der Doppelsitzer-Olympiasieger von 2002.
Tina Bachmann
Biathletin Tina Bachmann ergänzte: "Das ist natürlich ein ganz bitterer Start in die Spiele. Aber wir versuchen, uns allein auf unsere Wettkämpfe zu konzentrieren."
Hermann Weinbuch
Hermann Weinbuch, Bundestrainer der nordischen Kombinierer, suchte sofort nach der Nachricht von dem Todesfall das Gespräch mit seinen Athleten. "Wir waren sehr betroffen und haben uns als allererstes zusammengesetzt. Ich denke, dass ist sehr wichtig. Auch wenn uns der Fall nicht direkt betrifft", sagte der Coach: "Für uns wäre die Situation noch dramatischer gewesen, wenn so etwas einem Kombinierer oder Skispringer passiert wäre. Aber natürlich berührt uns das alles trotzdem sehr."