"Nachdenken macht es zur Qual"

Christoph Köckeis
26. Dezember 201415:39
Thomas Diethart geht als Titelverteidiger in die anstehende Vierschanzentourneeimago
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Zwischen Anonymität und Ruhm liegen manchmal nur wenige Tage: Thomas Diethart weiß das am besten. Der 22-Jährige schrieb Anfang 2014 sein persönliches Märchen. Aus der Versenkung landete er auf dem Skisprung-Thron. Nun bekommt er die Vergänglichkeit schneller Erfolge zu spüren. Ihm, dem österreichischen Titelverteidiger, setzt vor der 63. Vierschanzentournee (So., 16.30 Uhr im LIVE-TICKER) eine ausgewachsene Krise zu. Im SPOX-Interview spricht er über seine Sternstunde, die Qual des Grübelns und die Angst vor dem One-Hit-Wonder.

SPOX: Thomas, in Ihrer Auffassung wird Skispringen vor allem im Kopf entschieden. Wie kann man das verstehen?

Thomas Diethart: Dort kitzelt man die letzten Prozente heraus. Klar, zuerst muss das Technische ausgereift sein. Im Wettkampf sollte das nicht mehr aktiv gesteuert, sondern das Abgespeicherte locker abgerufen werden - ohne viel nachzudenken. Wenn ein Rädchen in das andere greift, reizt man im mentalen Bereich alles aus. Es gibt zahllose Talente, die auf einem hohen Level sind, es im Ernstfall aber nicht bringen. Das sind die Trainingsweltmeister. Ich bin keiner. Meine Stärke ist es, wenn es darauf ankommt, nicht groß zu überlegen und das Ganze laufen zu lassen.

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SPOX: Derzeit gelingt es nur bedingt: Erst vergangenen Samstag, vier Wochen nach dem Weltcup-Auftakt, haben Sie Ihre ersten Punkte geholt - mit Platz 17 in Engelberg.

Diethart: Ich bin es gewohnt, im Winter die Zeit zu haben, mich einzufinden. In diesem Jahr war das witterungsbedingt nicht möglich. Wir sind gleich in Klingenthal rein gestartet. Ich konnte meine Leistung lange nicht abrufen. Wo noch nichts abgespeichert ist, gibt's nichts. Ich habe versucht, die Fehler auszumerzen - im Wettkampf ist das problematisch. Bei mir war das zu sehen.

SPOX: In Lillehammer rangierten Sie gar am Ende des Tableaus. Woran hapert es?

Diethart: Materialmäßig bin ich unterwegs wie im Vorjahr. Ich bin kein Tüftler. Läuft es, belasse ich es dabei. Bei mir liegen die Mängel im technischen Bereich, ich fühle mich in der Hocke nicht wohl. Den Fehler habe ich mir im Sommer angewöhnt. In der Keramikspur besteht viel mehr Reibung. Ich bin sehr empfindlich und war nicht frei. Ich musste die Blockade lösen. Dafür habe ich Einheiten gebraucht, um mich in der Position endlich wohl zu fühlen. Die Pause nach Lillehammer war sehr wichtig. Ich konnte die Ruhe nutzen und im Training den Anlauf wählen, mit dem ich ins Fliegen komme. Jetzt glaube ich wieder daran, es zeigen zu können.

SPOX: Im Vorjahr zeichnete Sie die innerliche Freiheit sowie Unbekümmertheit aus. Wie erinnert man sich daran zurück?

Diethart: Ich denke schon daran, wie es damals war. Leider lässt sich das Tournee-Feeling nicht so reaktivieren, das muss automatisch geschehen. Wenn man weit springt, kehrt das Selbstvertrauen zurück, dann tut man sich leichter. Immer zu grübeln, um den zweiten Durchgang und eine gute Leistung zu zittern, ist hart. In der letzten Woche bin ich auf Dinge gestoßen, die es aus dem Bewegungsablauf zu löschen gilt. Nun muss ich am Feinschliff arbeiten.

SPOX: Egal, ob Skipendler, ob zu früh oder zu spät - gnadenlos sind Sie marschiert. Wann begann das Nachdenken?

Diethart: Nach mehreren Sprüngen, die nicht so wie erwünscht gelaufen sind. Jeder weiß, es geht in dem Sport schnell - an die Spitze und retour. Nachdenken macht es zur Qual. Leider ist das ein normaler Prozess, den man schwer beiseite schieben kann. Du musst eingreifen. Bietet sich die Möglichkeit dazu nicht, sprich, hast du kein Training, wird es noch schlimmer. Bei der Tournee sind mir die Sprünge von der Hand gegangen, alles war easy. Ich musste überhaupt nicht überlegen. Die Erfolge kamen von selbst. Ich war in...

SPOX: ...einem positiven Flow?

Diethart: Ja, ich konnte es nicht realisieren, was gerade mit mir passierte, welcher Hype um mich entstand. Etwas Besseres konnte mir nicht passieren. Wenn man sich damit auseinandersetzt, beschäftigt dich das. Und Nachdenken stört den Flow. Die Saison über war ich auf einer Welle - auf die möchte ich zurück.

SPOX: Kurz vor Weihnachten 2013 aus dem Nichts emporgestiegen, waren Sie drei Wochen später der umjubelte Held. Eine Erklärung?

Diethart: Die gibt es immer! Im Sommer zuvor konnte ich sehr gut trainieren. Ich war endlich mit der Berufsschule fertig und hatte meine Lehre abgeschlossen. Mir ist da großer Druck abgefallen. Es fiel ein weiterer Teil weg, über den ich mir keine Gedanken mehr machen musste. Ich kam gleich in das Innsbrucker Heeressport-Zentrum - da hatte ich beste Möglichkeiten. Es lief befreiter. Mein Ziel war, im Continental Cup aufzuzeigen und bei der Tournee am Bergisel und Bischofshofen in der nationalen Gruppe anzutreten. Ich hatte keine großen Erwartungen, wollte Spaß haben.

SPOX: Ehe der Anruf von Ex-Coach Alexander Pointner kam, der sie nach Engelberg beorderte.

Diethart: Die Entscheidung, mitfahren zu dürfen, kam so überraschend, dass ich keine Zeit hatte, mir was neues vorzunehmen. Ich bin drauflos gehüpft - ohne mir den Kopf über andere Nebensächlichkeiten zu zerbrechen. Meine Technik war zu dem Zeitpunkt recht sauber. Ich musste nicht daran feilen, sondern ließ es laufen. Ich hatte total Freude daran. Immerhin kämpft man sein Leben lang auf den Weltcup hin.

SPOX: Als Emporkömmling des Jahres würfelten Sie die teaminterne Hierarchie durcheinander. Wie reagierten die Alphatiere Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern darauf?

Diethart: Cool. Alle paar Jahre schlägt ein Neuer ein und stiftet Unruhe. Jeder findet sich damit ab. Als Thomas alles gewonnen hat, Olympiasieger war, tauchte Gregor auf. Morgi wusste auch nicht, was gerade passierte. Wenn man ihn jetzt fragt, war es für ihn der normale Lauf der Zeit. Es wird immer jemanden geben, der einem arrivierten Star die Show stiehlt. Deswegen schuften alle hart, um oben zu stehen. Neid gab es nie.

SPOX: Dafür Unterstützung?

Diethart: Ich kann mich erinnern, als Gregor vor dem zweiten Durchgang in Bischofshofen zu mir kam. Er sagte: "Jetzt hau einen G'scheiten runter und zieh' das Ding durch." Es ist sehr cool, wenn eine Legende dir das mitgibt, und bringt zusätzlich Vertrauen. Ihm ist das hoch anzurechnen, denn er hatte mit seiner Form zu kämpfen. Und mir ging alles auf.

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SPOX: Inwiefern spielte das Kopfkino verrückt, als Sie schließlich auf den Zitterbalken rutschten - im Wissen, ein Sprung und es ist vollbracht?

Diethart: Gar nicht - ich kann mich an Nichts erinnern. Es war genau der Flow-Effekt, der mir dabei geholfen hat. Ich dachte nicht nach und ließ es geschehen. Noch vor dem Wettbewerb rief ich mir in Erinnerung, dass ich lediglich zugreifen muss. Ich war so vollgepumpt, dass es kein Problem war, den Sprung runterzuknallen.

SPOX: Keine Nervosität, keine Angst vor dem Versagen?

Diethart: Überhaupt nicht! Mir sind nie solche Gedanken gekommen. Diese Fan-Massen spornten mich an. Es erfüllte mich, vor ihnen abzuliefern. Ich war in einem Tunnel. Realisieren konnte ich den Erfolg erst nach der Saison, als ich mal Zeit hatte, darüber nachzudenken. Was in der kurzen Zeit passiert ist, war verrückt. Es dauert, um das zu verarbeiten. Vieles, das dort passiert ist, habe ich nicht wahrgenommen. Es war wie in Trance. Als ich mir erstmals eine DVD von den Sprüngen und Interviews angesehen habe, kam es mir vor wie ein neuer Film.

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SPOX: Einer voller Leichtigkeit und Glücksgefühle. Von Ihnen erwartete niemand etwas - fehlt die Scheiß-Drauf-Mentalität mittlerweile?

Diethart: Auf das Interesse von den Medien, den Fans kann man sich nicht einstellen. Es prasselt auf dich ein und du musst lernen, damit umzugehen. Andere tun sich schwerer, wenn man einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat und ein Pressetermin den nächsten jagt. Für mich war das anstrengend, nebenbei musste ich der eigentlichen Arbeit, dem Springen, nachgehen. Beides zu verbinden, ist die Schwierigkeit.

SPOX: Was meinen Sie damit?

Diethart: Du musst aufpassen, dass es dir nicht über den Kopf wächst und lernen, "nein" zu sagen. Letztlich ist es eine Zwickmühle: Einerseits ist es wichtig, präsent zu sein. Andererseits kann es zu viel werden und nach hinten losgehen. Wird das Training vernachlässigt, läuft es nicht mehr. Ich gehe, denke ich, gut damit um. Unser Pressesprecher hilft mir sehr. Er weiß, wann es besser ist, sich auf das Training zu konzentrieren, und welche Termine wir wahrnehmen sollten.

SPOX: Vielen stieg das zu Kopf.

Diethart: Mein Glück ist, dass sehr viele Leute hinter mir stehen. Allen voran meine Familie. Das ist lässig und macht mich stolz. Wenn ich irgendwann abhebe, werden sie mich sicher zurückholen auf den Boden.

SPOX: Ihre Familie unterstützte Sie mit reichlich Herzblut bei der Passion Skispringen. Wie verliefen einst normale Winter-Wochenenden im Hause Diethart?

Diethart: (lacht) Ein typisches Wochenende begann schon vor dem Schulende. Wir sind frühzeitig zu meiner Heimschanze in Hinzenbach aufgebrochen. Dort übernachteten wir oft in der Schanzen-Hütte. Für mich war das nie ein Problem. Speziell meine Schwester zog häufig den Kürzeren. Sie musste mitfahren, weil sie zu jung war, um alleine daheim zu bleiben. Sie, Mama und Papa haben mich jedoch überall unterstützt. Ich habe eine Familie, die darauf bedacht ist, mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Sie haben viel investiert.

SPOX: Der Tournee-Traum trieb sie an - und wirkte Wochen später unwirklich: "Die Realität ist wie ein Traum. Ich habe eher öfter die Angst, dass ich aufwache." Wie schlimm ist es, aufzuwachen?

Diethart: (lacht) Schlimm ist es nicht. Aber es ist schöner, in dem Traum weiterzuleben. Ich habe so eine Situation wie im letzten Jahr davor nie erlebt.

SPOX: Befürchten Sie, als One-Hit-Wonder zu enden?

Diethart: Nein, ich bin kein One-Hit-Wonder. Als Sportler kann es nicht ständig bergauf gehen. Mit der Situation bin ich gerade konfrontiert. Es lief zum Start nicht, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich sehe das als Herausforderung und nehme sie an. Solche Krisen prägen dich und bringen dich weiter. Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Trotzdem weiß ich, wie schnell man in der Versenkung verschwinden kann.

SPOX: Und wann feiern Sie Ihr Comeback in der Elite - vielleicht in Oberstdorf? SPOX

Diethart: Ich bin realistisch und habe nicht darüber nachgedacht. Für mich kann der erneute Sieg bei der Tournee nicht das Ziel sein. Ich habe momentan genügend andere Baustellen, an denen ich herumdoktorn muss. Sollte es nicht laufen, habe ich nichts verloren. Der Adler steht daheim. Wenn ein zweiter irgendwann hinzu kommt, wäre es schön. Sonst ist es nicht schlimm.

SPOX: Ihr Weg dahin war von Entbehrungen geprägt. Was kauften Sie sich mit dem Preisgeld?

Diethart: Es wurde zu großen Teilen angelegt. Mein Papa wünschte sich in einem Interview ja eine neue Küche. Die hat er bekommen (lacht).

SPOX: Und ging der Wunsch vom Lamborghini-Fahren bereits in Erfüllung?

Diethart: Es war kein Lamborghini, allerdings ein McLaren - auch nicht so schlecht (lacht). Es ist ein völlig anderes Autofahren. Ich durfte es eine Stunde genießen, das war eine geile Angelegenheit.

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