Die Stanislawski-Peitsche

Von Haruka Gruber
Der Kader von 1899 Hoffenheim in der Saison 2011/2012
© Getty

In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: 1899 Hoffenheim.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die Überschrift ist schmissig: "Hoffenheim kooperiert mit Inter Mailand", hieß es vor einigen Tagen und erzeugte wie vieles in den letzten Jahren für gestiegene Neugierde an der TSG.

Nur: So recht weiß offenbar Hoffenheim selbst nicht, wie die Zusammenarbeit aussieht. "Es gibt einen Vertrag, der wird aber erst demnächst unterschrieben", sagte Gönner Dietmar Hopp. Man wolle sich in der Jugendarbeit austauschen und es gehe um "um Konzepte und Spieler".

Konkrete Informationen fehlen - was durchaus stellvertretend steht für den derzeitigen Gesamteindruck des Vereins. Nach den Unruhen im Winter mit der Trennung von Trainer Ralf Rangnick befindet sich 1899 mitten in der Selbstfindung.

Mit Holger Stanislawski wurde zwar der ideale Rangnick-Nachfolger und mit "Suntech" ein finanzstarker Sponsor gefunden, dennoch regieren die Fragezeichen: Wechselt Andreas Beck? Steht Sejad Salihovic' Weggang 2012 fest? Hat sich Josip Simunic tatsächlich mit dem Verein versöhnt? Wie geht es mit Vedad Ibisevic weiter? Wird ein Sechser verpflichtet?

Und die über alles stehende Grundsatzentscheidung: Will Hoffenheim zukünftig zu den Granden der Bundesliga gehören? Oder übt man sich in Bescheidenheit und definiert sich als Ausbildungsverein?

Das ist neu

Mit einem Namen: Holger Stanislawski. Wohl noch nie zuvor hat ein Trainer, der mit seinem Team aus der Bundesliga abgestiegen war, eine solche Begeisterung bei seinem neuen Verein hervorgerufen wie der frühere St.-Pauli-Coach.

Kraft seines einnehmenden Wesens verkehrte sich die Wahrnehmung von außen, aber auch innerhalb der Mannschaft, zum Positiven. Nach dem fachlich erstklassigen und gleichzeitig zu anspruchsvollen Ralf Rangnick und dem zaudernden und verunsicherten Marco Pezzaiuoli fand Hoffenheim einen Trainer, der das Kumpelhafte und das Einpeitschende in sich vereint, ohne an Authentizität zu verlieren.

"Er ist sehr lebhaft an der Seitenlinie, schreit uns Kommandos zu oder gestikuliert. In dieser Beziehung ist Stani wie Mourinho, er pusht uns mit seiner emotionalen Art", sagt Gylfi Sigurdsson. Torwart Tom Starke ergänzt: "Die Steifheit ist raus. Stani brüllt auch mal Scheiße, nagelt einen an die Wand. Aber es dient der Sache."

Stanislawski selbst stellte in Hoffenheim "eine gewisse Lethargie" fest. Dass diese einer Aufbruchstimmung gewichen ist, mutet umso erstaunlicher an, weil sich der Klub der wirtschaftlichen Vernunft verschrieben und anders als früher auf teure Einkäufe verzichtet hat.

Mit Fabian Johnson, Sven Schipplock und dem belgischen Nachwuchstorwart Koen Casteels, dessen Wechsel als fast perfekt gilt, verpflichtete Hoffenheim lediglich junge Spieler für die zweite Reihe.

Ansonsten wurde der Kader mit den zurückkehrenden Ausleihspielern gefüllt, auf deren Verbleib wenig Wert gelegt wird. Franco Zuculini darf sich zumindest im Training bewähren, Jukka Raitala wird wohl erneut verliehen und Prince Tagoe steht trotz engagierter Leistungen weiter zum Verkauf. Dessen Planstelle würde Simbabwes Knowledge Musona einnehmen, dessen Wechsel am Donnerstag bestätigt wurde.

Die Taktik

In der Vorbereitung wurde vorwiegend ein 4-2-3-1 geprobt, das Stanislawski aber vermutlich ähnlich variabel interpretiert wissen will wie in St. Paulis 4-1-4-1. Sprich: Im Mittelfeld werden die Positionen immer getauscht und einer der beiden Sechser verschiebt sich bei Ballbesitz in die Nähe des Zehners.

Wer er sein wird, ist eine der ausstehenden Entscheidungen: Für die Spielmacher-Position stehen Stanislawski mit dem fintenreichen Roberto Firmino und dem torgefährlichen Sigurdsson zwei gleichsam talentierte wie grundverschiedene Typen zur Wahl.

Doch fern aller System- und Personaldebatten war es Stanislawskis größtes Anliegen, alle Spieler in einen Gleichklang zu bringen. Oder wie er es formuliert: "Wir müssen noch einiges dafür tun, die individuelle Qualität jedes Einzelnen zusammenzuführen, damit die Mannschaft richtig gut funktioniert. Dafür wird jeder Einzelne geopfert."

Der Spieler im Fokus

Ryan Babel. Mittlerweile ist es ihm selbst suspekt, welchen Erwartungen er sich gegenübersieht. "Ich bin nicht Superman", sagt Babel. Dabei war es sein Trainer, der ihn in der Öffentlichkeit bewusst in der Rolle des Hoffnungsträger positioniert: "Von seinen Anlagen her ist Ryan auf Augenhöhe mit einem Ribery oder Robben."

Oder: "Ryan ist ein außergewöhnlicher Fußballer. Er ist physisch stark, schnell, dynamisch, hat einen guten rechten und linken Fuß. Damit kann er Spiele entscheiden. Mehr noch, er muss Spiele entscheiden."

Für Stanislawski ist Babel nicht weniger als die Schlüsselfigur für ein erfolgreiches Jahr. Die Fußball-Welt hingegen weiß noch immer nicht recht, was sie von dem 24-Jährigen zu denken hat. Ein guter Fußballer sicherlich - aber fehlt ihm nicht das gewisse Etwas für einen Spieler von internationaler Klasse? In dieser Saison soll er die Antwort geben.

Das Interview

SPOX: Sie wie auch Gönner Dietmar Hopp betonen wiederholt, dass sich der Verein für die kommende Saison keine allzu hohen Ziele setzen sollte. Doch nach dem 33. Spieltag, als Hoffenheim auf Rang neun lag, sagte Hopp, dass er eine bessere Platzierung und attraktiven Fußball erwartet. Klingt durchaus ambitioniert.

Manager Ernst Tanner: Unsere Zielsetzung lautet: einstelliger Tabellenplatz. Wir sind am letzten Spieltag zwar auf Platz elf heruntergefallen, mit einem Sieg gegen Wolfsburg wären wir jedoch Siebter gewesen. Daher halte ich unsere Vorgabe für nicht unrealistisch. Ich erwarte, dass der Wettbewerb härter wird, weil es keine WM gibt und alle Mannschaften sich komplett auf die Saison vorbereiten können und es dadurch nicht so viele Ausreißer nach unten geben wird. Andererseits könnten wir davon profitieren, dass uns nach der vergangenen Saison nicht so viel zugetraut wird. Das ist eine Chance.

Hier geht' zum kompletten Interview mit Ernst Tanner!

Die Prognose

Im Vergleich zur Vorsaison wurde die Mannschaft durch den Verlust von David Alaba sogar geschwächt, dennoch sollte eines nicht unbemerkt bleiben: Hoffenheim ist noch immer ungemein talentiert.

Babel und Chinedu Obasi deuteten in der Vorbereitung an, warum Stanislawski derart von seinem zukünftigen Flügelduo überzeugt ist. Sebastian Rudy, Firmino, Sigurdsson sowie Isaac Vorsah sind auf ihren Positionen nicht minder begabt und Starke gehört nicht zu den spektakulärsten, aber besten und zuverlässigsten Torhütern der Liga.

Als erschwerend dürfte sich jedoch erweisen, dass der Mannschaft wegen des Umbruchs eine Struktur fehlt. Von Starke abgesehen sind die Leistungsträger von gestern allesamt umstritten: Beck wäre am liebsten zu Juventus gewechselt und schließt einen Weggang nicht aus, ähnlich ungewiss sind die Perspektiven von Salihovic und Ibisevic. Simunic wurde wiederum erst kürzlich begnadigt.

Heißt: Das Team muss sich selbst finden. Entsprechend dürfte nicht mehr möglich sein als die offizielle Zielsetzung: ein einstelliger Tabellenplatz.

Der Kader von 1899 Hoffenheim im Überblick

Artikel und Videos zum Thema