Seit Sommer 1997 hütet Szabolcs Sáfár die Tore auf den verschiedensten Plätzen Österreichs. In 20 langen Jahren machte sich der heute 42-Jährige erst bei Wüstenrot Salzburg einen Namen und kickte nach einem kurzen Russland-Abstecher für die Wiener Austria und Wacker Innsbruck. Und noch heute steht Sáfár im Kasten: Beim SC Ritzing in der Regionalliga ist der introvertierte Ungar Stammtorhüter. Doch langsam wird Sáfár müde: Mit Saisonende wird er seine Karriere wohl beenden. Kurz vor der Ziellinie spricht Sáfár im Interview mit SPOX über seine erstaunliche Laufbahn.
SPOX: Sie stehen mit 42 Jahren beim SC Ritzing noch immer im Tor. Wie lange wollen Sie noch weitermachen?
Szabolcs Sáfár: Nach den Spielen bin ich ziemlich müde, die Regenerationszeiten sind lange. Aber gesundheitlich geht es mir gut. Trotzdem habe ich vor, im Sommer aufzuhören.
SPOX: Sicher?
Sáfár: (lacht) Ich habe mir das schon öfter vorgenommen. Jetzt liegt es aber auch daran, ob ich nebenher einen guten Trainerjob bekomme. Eigentlich möchte ich ganz aufs Trainergeschäft umsteigen. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Grundsätzlich habe ich vor aufzuhören. Diesmal wirklich. Körperlich wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, zudem arbeite ich schon jetzt in der Austria-Akademie als Tormanntrainer. Das unter einen Hut zu bringen, ist ziemlich anstrengend.
SPOX: Wie gut sind Sie eigentlich noch?
Sáfár: Schwer zu sagen. Das Leistungsniveau in der Regionalliga ist nicht so hoch. Noch kann ich das Level, das ich mir vorstelle, halten. Wichtig ist mir, dass ich aus eigenen Stücken gehe und nicht in die Pension geschickt werde.
SPOX: Edwin van der Sar hat bis 40 gespielt. Gianluigi Buffon ist 39 und in der Champions League noch immer überragend. Wo liegt die Obergrenze für Tormänner?
Sáfár: Unterschiedlich. Bis über 40 können nur wenige Goalies. Buffon spielt in allen Bewerben und im Nationalteam. Die Belastung dabei ist extrem hoch. Das ist schon sehr beeindruckend. Nicht nur sein Körper ist sehr belastungsfähig - in diesem Alter die Motivation noch zu finden, ist nicht selbstverständlich.
SPOX: Sind Sie noch motiviert?
Sáfár: Schon, schon. Wenn ich aufhöre, dann weil mein Körper nicht mehr mitspielt. Die Motivation war nie ein Problem. Wenn ich nicht mehr in der Regionalliga spiele, dann gehe ich vielleicht zu einem kleinen Verein in eine der unteren Ligen. Ich glaube ja auch, dass es für einen Trainer von Vorteil ist, wenn man selbst ein wenig spielt. Ich habe viele Trainer erlebt, die schnell vergessen, wie es den Spielern geht.
SPOX: Vor fast 20 Jahren hat es Sie nach Salzburg verschlagen. Wie kam es dazu?
Sáfár: Stimmt, 1997 war das. Mein Manager hat den Transfer eingefädelt. Mein damaliger ungarischer Verein, SC Vasas, hat das Angebot von den Salzburgern zum Glück angenommen. Für mich eine tolle Sache, Salzburg war Meister, wir haben Champions-League-Qualifikation gespielt. Ein paar Jahre zuvor waren sie noch im UEFA-Cup-Finale. Salzburg war ein großer Aufstieg für mich.
SPOX: Sie waren dann sechs Jahre in Salzburg, haben 221 Spiele für den Klub absolviert. Mehr als für jeden anderen. Was für eine Bedeutung hat der Verein für Sie?
Sáfár: Ich fühle mich mit jedem Verein verbunden, für den ich je gespielt habe. Ich habe für jeden Klub alles gegeben. Egal ob Salzburg mit 23 Jahren oder Wacker Innsbruck gegen Ende meiner Karriere. Ich bin Salzburg sehr dankbar, sie haben mir die Chance gegeben, als ich noch sehr jung war. Der Austria bin ich dankbar, dass ich in eine Mannschaft geholt wurde, die immer um den Titel spielte. Und Innsbruck hat mich verpflichtet, als ich mit 37 Jahren schon ein sehr alter Tormann war. Das alles ist nicht selbstverständlich.
SPOX: Mit Red Bull Salzburg hat Austria Salzburg aber nicht mehr viel gemein, oder?
Sáfár: Das ist ein komplett anderer Verein. Die Fans und die Vereinskultur sind nicht vergleichbar. Bei Austria Salzburg waren Emotionen und Tradition dabei. Bei Red Bull Salzburg geht es Richtung Professionalität, der Klub ist ein Unternehmen. Ich vermisse Austria Salzburg im österreichischen Fußball. Fraglich ist auch, ob Salzburg für zwei Bundesligisten groß genug ist. Austria Salzburg war wirklich ein cooler Verein.
SPOX: In Ihrem Wikipedia-Eintrag steht, dass Sie ein Angebot von Borussia Mönchengladbach hatten. Bei einem gehaltenen Elfmeter verletzten Sie sich aber schwer an der Schulter. Gladbach zog das Angebot zurück.
Sáfár: Das war schlimm. Gladbachs Angebot war meine größte Chance, in der deutschen Bundesliga zu spielen. Ich war damals 27 Jahre alt, der optimale Zeitpunkt für einen Wechsel. Ich habe nachher noch gehofft, aber es hat sich keine Chance auf eine Topliga ergeben. Also bin ich nach Moskau zu Spartak gewechselt.
SPOX: Wo Sie nur ein halbes Jahr waren...
Sáfár: Vier Monate. Nach fünf Spielen in der Startelf wurde der Trainer, der mich geholt hat, rausgeworfen. Dann war meine sportliche Perspektive dahin. Vertraglich wurde nur wenig eingehalten. Es war sportlich und finanziell sinnlos zu bleiben. Meiner Familie hat das Leben in Moskau auch nicht gefallen.
SPOX: Und dann hat die Wiener Austria Sie da im Jahr 2004 rausgeholt.
Sáfár: Das war ein Glück. In Moskau habe gelernt, dankbar zu sein. Ich bin in Budapest aufgewachsen, auch eine Großstadt - darum habe ich mich in Wien schnell eingelebt.
SPOX: Die Kaderqualität war enorm, Meister wurde man knapp trotzdem nicht.
Sáfár: In der Stronach-Zeit waren die Kader immer unglaublich. Wir haben damals meistens vorne mitgespielt und waren international dabei - einmal (2005, Anm.) sogar im UEFA-Cup-Viertelfinale, als wir gegen Parma knapp gescheitert sind. Aber leider war wenig Kontinuität dabei. Spieler sind aus verschiedenen Gründen gekommen und gegangen. Im Sommer war immer viel los. (lacht)
SPOX: Sie haben bei der Austria kurz unter Joachim Löw gearbeitet.
Sáfár: Wirklich nur kurz. Ich kam im Jänner, im März war er schon wieder weg. Er ist wirklich ein netter, offener Typ - ich habe mit ihm nur positive Erfahrungen gemacht. Sein Abgang war ja nicht so eine eindeutige Sache. Stronach wollte, dass der damalige Manager Kronsteiner auf der Bank sitzt und sich sportlich einmischt. Damit konnte Löw nicht.
SPOX: Wie war Frank Stronach damals?
Sáfár: Ich will jetzt nicht seine Tätigkeit beurteilen, aber ich sehe schon auch positive Dinge. Die Austria war in Schwierigkeiten, er hat auch viel Geld in die Akademie investiert. Wenn man sieht, was da für Spieler rausgekommen sind, dann muss gut gearbeitet worden sein. Stronach hatte leider Ratgeber, die ihn nicht immer gut beraten haben. Die hätte er besser aussuchen müssen. Wenn er in die Kabine kam, war er eigentlich immer zugänglich.
SPOX: Die Konkurrenz bei der Austria war für Sie immer groß. Didulica, Ziegler, Almer, Fornezzi...
Sáfár: Didulica war der beste, er hatte viel Klasse. Bei ihm war ich meistens auf der Bank, bei den anderen habe ich eher gespielt. Für mich war er die größte Hürde, auch wenn die anderen ebenfalls Qualitäten hatten.
SPOX: Wie oft trainieren Sie mit Ritzing eigentlich?
Sáfár: Jeden Tag. Auf dem Papier sind wir Profis. Ich verpasse vielleicht ein Training in der Woche, weil ich bei der Austria eingespannt bin.
SPOX: Nicht ganz professionell war aber die Causa um den Lizenzantrag. Der Klub hat seinen Antrag zurückgezogen, Trainer Stefan Rapp hingeschmissen. Wird man den Klub jemals weiter oben sehen?
Sáfár: Für uns war das absolut überraschend. Wir haben ein ganzes Jahr investiert, um es sportlich zu schaffen. In der letzten Sekunde platzte alles. Meines Wissens scheiterte es am fehlenden Ausweichstadion. FAC und Wiener Neustadt sind in der gleichen Liga, die Vereine aus dem Burgenland wollten uns nicht helfen. Unser Trainer hat dann gesehen, dass es wieder nichts wird. Für ihn war es dann auch schwer, die Mannschaft zu motivieren. Ob Ritzing jemals aufsteigen wird, kann ich nicht sagen. Heuer hätten wir nicht einmal Relegation spielen müssen. So leicht wird es wohl nie wieder.
SPOX: Wären Sie für die zweite Liga noch zu begeistern gewesen?
Sáfár: Nein, die zweite Liga wäre für mich zu viel gewesen. Ich hätte nebenbei nicht für die Austria arbeiten können, es wären mehrere Runden zu absolvieren gewesen und dazu kommen noch die weiten Reisen. Die Belastung wäre zu hoch gewesen.
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SPOX: Wie oft arbeiten Sie bei der Austria?
Sáfár: Zwei bis drei Mal in der Woche. Dort betreue ich die Tormänner der U15, U16 und U18. Im Optimalfall könnte ich ab Sommer meine Arbeit in der Austria-Akademie intensivieren.
SPOX: Sie sind schon ewig dabei. Wie hat sich das Torwartspiel in den letzten Jahren verändert?
Sáfár: Schon ziemlich. Das Spiel wurde viel schneller und intensiver. Zudem sind Tormänner viel mehr ins Spiel eingebunden. Als ich noch jünger war, hat das der Libero übernommen. Erst später kam die Viererkette. Tormänner mussten sich anders positionieren, wurden zum taktischen Element. Auch technisch musste man sich weiterentwickeln, weil das Spiel mit dem Fuß mehr gefragt wurde.
SPOX: Welchen Tormann-Typus bevorzugen Sie persönlich? Das perfekte Paket sieht man selten.
Sáfár: Tormänner haben den Ball mittlerweile ungefähr zu 70 Prozent am Fuß. Jetzt kannst du keinen Tormann mehr hinstellen, der nicht mit dem Fuß spielen kann. Aber Spiele werden letztlich nicht entschieden, weil der Tormann einen perfekten Pass spielen kann, sondern durch Rettungstaten auf der Linie. Aber viel Trainingszeit verlagert sich auf Arbeit mit dem Fuß. Zwar bin ich der Meinung, dass sich entscheidende Szenen noch immer mit der Hand abspielen, aber ein Tormann der mit dem Fuß nichts drauf hat, ist nicht mehr gefragt.
SPOX: Wer ist der beste Tormann?
Sáfár: Für mich? Noch immer Buffon. Sein Bewegungsablauf sagt mir mehr zu als etwa Neuers. Auch spielerisch kann er gut mit den jungen Tormännern mithalten. Er kann immer noch den Unterschied ausmachen. Und ein subjektiver Aspekt: Wir sind beide alt, das finde ich an ihm sympathisch. (lacht) Auch wenn Neuer einige Dinge besser kann.
SPOX: Bei Manchester City steht mit Claudio Bravo etwa ein Tormann im Tor, der mit dem Ball am Fuß enorm stark ist, aber sich außergewöhnlich viele Schnitzer bei hohen Bällen leistet.
Sáfár: Er spielt bestimmt, weil Cheftrainer Pep Guardiola das so entscheidet. Der Tormanntrainer würde wohl auf einen anderen Keeper setzen. Guardiola will hundertprozentiges Vertrauen, dass bei Rückpässen der Ball gut weiterverarbeitet wird. Aber ich kann mir schwer vorstellen, dass im Kader kein anderer Tormann ist, der mit dem Fuß gut ist und weniger Fehler macht.
SPOX: Und wer ist der beste Tormann in der österreichischen Bundesliga?
Sáfár: Lange Zeit war es Robert Almer. Für mich war er bis zu seiner Verletzung der beste Goalie. Jetzt macht Osman Hadzikic große Schritte. Auch Lukse ist gut unterwegs. Gratzei sollte man erwähnen. Aber außer Hadzikic sehe ich nur wenige Tormanntalente. Rapids Knoflach wäre auch einer, aber da stellt sich die Frage, ob er die Rapid-Krise überlebt oder sie im Sommer einen Neuen holen. Und Andreas Leitner von der Admira vielleicht.
SPOX: Denken Sie, wir werden wieder jenen Robert Almer sehen, der bei der Europameisterschaft so fantastisch gehalten hat?
Sáfár: Kommt darauf an, wie sein Körper reagiert. Wenn er wieder vollkommen fit wird - warum nicht? Aber Hadzikic macht gute Fortschritte. Es wäre wichtig, dass er weiter zu Einsätzen kommt. Wenn Robert fit ist, stellt sich die Frage, wie viele Chancen Hadzikic bekommt. Er braucht jetzt Erfahrung und die bekommt er nur durch Spielminuten. Vielleicht wäre eine Leihe eine Möglichkeit. Aber jetzt sollte die Austria einmal zuwarten, wie es mit Robert gesundheitlich weitergeht.
SPOX: Über das Einserleiberl im Nationalteam gibt es immer wieder Diskussionen. Ist Osman Hadzikic schon so weit?
Sáfár: Ich glaube, das wäre etwas zu früh. Meiner Meinung nach sollte man für das Nationalteam schon eine Saison stabil Top-Leistungen zeigen. Ich bin kein Fan davon, wenn Spieler nach 15 guten Einsätzen einberufen werden.
SPOX: Ist es problematisch, dass der ein oder andere Teamtormann gar keine Spielpraxis hat?
Sáfár: Kommt darauf an wie lange. Robert konnte auch ohne Spielpraxis gute Leistungen zeigen. Es gibt schon Ausnahmen.
SPOX: War für Sie das österreichische Nationalteam eigentlich je ein Thema?
Sáfár: Ich habe schon sehr früh für Ungarn debütiert, darum hat sich das nie ergeben.