Außerdem erklärt der US-Amerikaner, warum er sich in der Rolle eines Außenseiters wohl fühlt, welche Fehler er im Februar machte und wie die Abgänge von Erling Haaland und Takumi Minamino intern diskutiert wurden.
Herr Marsch, wie ist die Stimmung beim FC Red Bull Salzburg in Zeiten der Coronakrise?
Jesse Marsch: Wir haben vielleicht ein wenig eine Alleinstellung in Österreich, weil unser Team aus so vielen jungen Legionären besteht. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie unsere Spieler vernetzt bleiben und sich nicht alleine fühlen. Es ist unsere Aufgabe als Verein, für sie da zu sein.
Die Spieler befinden sich also allesamt in Salzburg?
Marsch: Wir baten sie darum, in der Nähe zu bleiben. Sie bekamen ein Trainingsprogramm für zuhause. Wir halten sie auf dem Laufenden, was die UEFA und die Bundesliga entscheiden. Ich führe derzeit viele Telefonate.
Wie sieht Ihr persönlicher Alltag aus?
Marsch: Es ist irrsinnig ruhig. Erst vergangene Woche holten wir unsere Tochter aus Deutschland, sie besucht noch in Leipzig die Schule. Jetzt sind wir gemeinsam mit unseren beiden Söhnen hier in Salzburg vereint. Wir unterstützen die Maßnahmen der österreichischen Regierung und befolgen die Regeln. Die Solidarität der Salzburger Gemeinschaft ist stark. Zudem wenden wir viel Zeit dafür auf, herauszufinden, was in den USA vor sich geht.
Welche Unterschiede können Sie dort im Vergleich zu Österreich feststellen?
Marsch: Der Unterschied im Umgang mit dem Virus ist wie Tag und Nacht. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Ausbreitung in Österreich gut eindämmen können. Das liegt vor allem an der Mentalität der Bevölkerung. Die Kommunikation der Regierung war aus meiner Sicht vorbildhaft.
Wünschen Sie sich, jetzt lieber in Ihrer Heimat in den Staaten zu sein?
Marsch: Für die Psyche wäre es besser, näher an Familie und Freunden zu sein, um im Extremfall helfen zu können. Hier in Salzburg ist es aber deutlich sicherer. Wir sehen Salzburg mittlerweile schon als unser Zuhause an, obwohl wir erst seit acht Monaten hier leben. Wie die Leute mich und meine Familie aufgenommen haben, hat ein Heimatgefühl ausgelöst.
Geben Sie mit drei Kindern im Haushalt jetzt auch einen Teilzeit-Lehrer für sie ab?
Marsch: Gut, dass Sie mich darauf ansprechen. Ich habe kurz vor diesem Interview eine Mail vom Lehrer einer meiner beiden Söhne bekommen, dass er seine Hausaufgaben noch nicht erledigt hat. Nach unserem Telefonat wartet ein strenges Gespräch auf mich (lacht).
Denken Sie, Sie können ihm auch fachlich helfen?
Marsch: Bildung war mir immer wichtig. Das sage ich nicht nur so, ich war wirklich ein guter Schüler. Das versuche ich jetzt meinen Kindern weiterzugeben. Ich habe etwa Französisch und Deutsch gelernt. In Schulzeiten habe ich mir in Mathematik immer leicht getan. Wenn es die Zeit zulässt, helfe ich den Kindern gerne weiter. Und derzeit gibt es keine Ausreden.
Jesse Marsch über Corona in den USA
Sie sind neben Ihrem Trainerberuf unternehmerisch an einem Bauernhof und an fünf Restaurants in den USA beteiligt. Spüren Sie dort schon die Auswirkungen der Corona-Pandemie?
Marsch: Mein guter Freund, der die Betriebe führt, war erst vor wenigen Wochen in Salzburg zu Besuch. In den letzten Tagen musste er mehrere Angestellte zumindest für die nächsten zwei Monate kündigen. Davon sind viele Menschen betroffen. Diese Entscheidungen schmerzen, weil wir nicht für sie da sein können, wie das vor der Krise der Fall war.
Sorgen Sie sich um die USA, jetzt, wo ein Populist wie Donald Trump das Land durch eine Krise führen muss?
Marsch: Sehr sogar. Die USA hat das Ausmaß dieses Virus unterschätzt. Die Verantwortlichen sind mit der Situation leichtfertig umgegangen. Jetzt ist das negative Momentum schon so groß, dass es trotz aller Bemühungen der amerikanischen Regierung zu spät scheint. Ich fürchte, es warten große Probleme auf das Gesundheitssystem. Wir machen uns Gedanken über unsere Familienmitglieder und verbrachten viel Zeit am Telefon, um einen klareren Überblick über die Situation zu bekommen. Dabei rieten wir zu vielen Schritten, die in Österreich schon länger verpflichtend sind. Je stärker der Zusammenhalt einer Gemeinschaft ist, umso leichter fällt es, mit den Maßnahmen umzugehen. Deshalb hat Österreich einen klaren Vorteil.
Sie haben einmal den Trainerjob mit jenem eines Politikers verglichen. Welche Parallelen sehen Sie?
Marsch: Für mich war es eigentlich leicht, Trainer meiner Mannschaft zu sein, als wir die Liga anführten und eine Siegesserie hinlegten. In dieser Situation würde jeder Trainer ein gutes Bild abgeben. Wenn die Ergebnisse ausbleiben, mehrere Verletzungen auftreten und die Herausforderungen größer werden, dann stellt sich heraus, wer ein guter Anführer ist. Dann gilt es, die eigenen Interessen komplett ans Ende zu stellen. Und dieses Bild lässt sich 1:1 auch für die Politik zeichnen.
Besitzen Sie diesen Charakterzug?
Marsch: Manche werden damit geboren, aber für die meisten ist es erlernbar. Du musst dich dazu zwingen, dieses Prinzip ernst zu nehmen, wenn du eine Führungsrolle einnehmen willst. Fehler sind dein ständiger Begleiter. Solltest du beim nächsten Mal in dieselbe Situation kommen, musst du besser damit umgehen. Deshalb wollte ich auch unbedingt nach Europa kommen.
Um diese Führungsqualitäten zu erlernen?
Marsch: Ambition ist auch ein Teil der Wahrheit. Aber mir ging es um persönliche Entwicklung. Bei den New York Red Bulls hatte ich eine erfolgreiche Zeit mit einem großartigen Team. Ich zweifelte aber, dass ich mich selbst mit dieser Arbeit noch weiterentwickeln kann. Ich wollte mich einem größeren Test unterziehen, um besser und stärker zu werden.