Christian Gratzei über sein Verhältnis zu Franco Foda, die nicht so rosige Zeit unter Peter Hyballa und Johannes Focher.
2012 bekamen Sie den nicht immer fehlerfreien Johannes Focher von Peter Hyballa faktisch vor die Nase gesetzt - wie haben Sie diese Zeit unter Hyballa erlebt?
Gratzei: Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Die Zeit nach dem Meistertitel war sehr intensiv, weil wir quasi ganz oben angekommen waren. Und wenn du einmal dort angekommen bist, dann willst du dort auch bleiben - koste es, was es wolle. Ich war sehr versteift und beging in dieser Phase sicherlich einige Fehler. Sei es, dass ich zu hart trainierte oder jeden Tag einfach zu intensiv über den Fußball nachdachte. Das ging auch auf die Gesundheit. Wenn man diesen Flow verliert, den wir am Ende der Meistersaison hatten, ist es schwierig, dieselben Leistungen zu bringen. Insofern war auch ich fehleranfällig, zusätzlich kamen noch einige Verletzungen dazu. Peter Hyballa tauschte dann auf der Torhüterposition. Die Zeit damals war für mich nicht rosig.
Gratzei: "Gab schon immer größere Talente als mich"
Konnten Sie den Tausch in einer gewissen Art und Weise nachvollziehen?
Gratzei: Zur damaligen Zeit war es überhaupt nicht verständlich für mich. Natürlich war meine Saison nicht fehlerfrei, aber auch nicht derartig schlecht. Da muss man schon unterscheiden. Ich habe mich auf Durchschnittsniveau gesehen. Heute als Trainer muss ich aber auch erkennen, dass so ein Wechsel von mehreren Faktoren abhängig ist, vom verfolgten Spielstil und dem Matchplan. Das wurde damals nicht richtig kommuniziert.
Ihr ehemaliger Tormanntrainer Kazimierz Sidorczuk sagte in einem Interview: "Ein Torhüter darf nicht, nur weil er immer im Tor steht, glauben, dass er einen Stammplatz hat. Und das hat Gratzei nicht verstanden." Ist das so?
Gratzei: Wenn es klar und sachlich ablief, habe ich das immer verstanden. Das war auch unter Darko Milanic so, als er sich für Benedikt Pliquett entschied. Aber es ist ja auch nicht meine Aufgabe als Tormann, zu verstehen, warum der Trainer wie entscheidet, sondern tagtäglich meine beste Leistung abzurufen. Dasselbe erwarte ich mir als Tormanntrainer auch von meinen Torleuten. Ich glaube nicht, dass ich damals so viel mehr Verständnis hätte aufbringen müssen.
Im selben Interview sagte Sidorczuk auch: "Focher war meiner Meinung nach ein großes Talent, aber die Fans wollten ihn nicht haben. Hätte man ihm mehr Zeit gegeben, dann wäre er richtig gut geworden." Sehen Sie das auch so?
Gratzei: Es gab schon immer größere Talente als mich, das war schon in der Jugend so. Durchgesetzt und ins Nationalteam gespielt habe ich mich. Man spielt nicht so lange bei einem Verein, wenn man keine Leistung bringt.
Nie Bestverdiener - Gratzei: "Sonst wirst du aussortiert"
Wie oft standen Sie im Laufe der Jahre knapp vor einem Wechsel zu einem anderen Klub?
Gratzei: Nicht oft, einmal gab es ein Angebot aus der österreichischen Liga und zweimal aus der Türkei. Nach einer Pro-Contra-Abschätzung entschied ich mich aber, bei Sturm zu bleiben und da war ich auch nie traurig darüber - es war perfekt so.
Mussten Sie über die Jahre finanziell öfters zurückstecken, damit Sie dem einen Klub treu bleiben konnten?
Gratzei: Wir einigten uns schlussendlich immer auf einen guten Vertrag, mit dem ich zufrieden war und den ich bestmöglich zu erfüllen versuchte. Es ist aber schon ein Zeichen, dass man nie Bestverdiener ist, wenn man so lange bei einem Verein bleibt. Sonst wirst du irgendwann aussortiert. Damit hatte ich aber nie ein Problem, ich konnte meine Familie ernähren und hatte einen super Beruf. Mich darüber zu beschweren, würde mir im Traum nie einfallen.
Durch Ihre lange Treue sind Sie in Graz zu einer Vereinslegende geworden - glauben Sie, die Coronakrise hilft in einem gewissen Sinne, dass Spieler sich wieder längerfristig mit einem Verein identifizieren?
Gratzei: Grundsätzlich zeigt die Krise schon, dass es gut sein kann, nicht immer nur auf das große Geld zu schauen, sondern wertzuschätzen, was man hat. Wenn man bei einem Verein gute Erfahrungen hat, die Umgebung und die Leute mag, was spricht dagegen, sich auf diese Sachen zu besinnen, vielleicht auf den einen oder anderen Gehaltsbestandteil zu verzichten und länger bei einem Verein zu bleiben?
Warum, denken Sie, geht diese Wertschätzung immer mehr abhanden?
Gratzei: Das hat natürlich auch damit zu tun, dass sich das Durchschnittsalter des Fußballers drastisch verändert hat. Früher warst du mit 22 Jahren noch jung, heute musst du in dem Alter schon liefern, weil es mit 26 schon vorbei sein kann. Der Zeitraum, Geld zu verdienen, ist viel kürzer. Außerdem prasselt heutzutage noch so viel mehr auf die Spieler ein. Man muss auf Instagram vertreten sein, um Fans und irgendwelche Werbemarken zu beeindrucken, um lange im Geschäft zu bleiben. Es ist ja auch im Fußball so, wie im normalen Berufsleben: Es gibt wenige, die sehr viel verdienen und viele, die wenig verdienen.
Gratzei: "Foda machte es mir nicht immer leicht"
Sie haben vorhin schon Ihre Nationalteamkarriere angesprochen - denken Sie, hätten Sie sich mehr Länderspiele verdient gehabt?
Gratzei: Ich habe mir immer als Ziel gesetzt, eine zweistellige Anzahl an Länderspielen zu absolvieren. Das habe ich erreicht, ich habe zehn Länderspiele bestritten und damit bin ich sehr zufrieden. Vielleicht hätte ich mir das Ziel als kleiner Bub höher stecken sollen, dann hätte ich eventuell auch das erreicht. Aber ich war von 2008 bis 2012 durchgehend im Nationalteam dabei, das ist sehr in Ordnung. Natürlich werden Spieler an Spielen gemessen, aber es ist ein Unterschied, ob du als Tormann auf diese Anzahl kommst oder als Feldspieler durch Einwechslungen deine Statistik raufschraubst. Ich durfte ein Länderspiel daheim in Graz vor eigenen Zuschauern spielen, das wir gewonnen haben (Anm. d. Red: 3:1 gegen Lettland). Ich habe im Stade de France vor 80.000 Leuten gegen Frankreich mein Debüt gefeiert, wer kann das schon von sich behaupten? Der David Alaba kann das.
Mit Franco Foda ist Ihr langjähriger Trainer nun Nationalteam-Coach. Hätten Sie auch ohne Ihn so eine Karriere hingelegt?
Gratzei: Ich war damals vom DSV Leoben an den GAK verliehen. Foda holte mich in diesem Jahr, wo ich gleichzeitig beim Bundesheer war und gar nicht so viele Spiele absolvierte, nach einem Probetraining zu Sturm. Aber Foda machte es mir nicht immer leicht. Ich will nicht sagen, dass unser Verhältnis nicht das Beste war, aber er dachte immer, mich sehr streng herannehmen zu müssen und das tat er auch. Das war nicht immer einfach für mich. Aber er hat meinen Weg, den ich beschritten habe, natürlich geprägt. Wenn du so lange unter einem Trainer spielst, verbindet dich das.