Christian Gratzei über den Begriff "Packderby", Romano Schmids Wechsel von Sturm zu Salzburg und über seine Rolle bei der Bestellung von Cheftrainer Ferdinand Feldhofer.
Ist das vielzitierte Torhüter-Problem in der Nationalmannschaft gelöst?
Gratzei: Ich würde nicht von einem Problem reden, da wir schon gute Tormänner besitzen. Mit Alexander Schlager und Cican Stankovic haben sich zwei herauskristallisiert, die auch international für Furore sorgen. Auch dahinter haben wir durchaus gute Torleute, vor allem auch in den Jugendbereichen, die noch ein bisschen Input brauchen und die man noch nicht so auf der Rechnung hat. Ich will da niemanden hervorheben und unter Druck setzen, da jeder anders damit umgeht. Aber ich habe natürlich schon einige im Blick, das ist ja auch meine Aufgabe als Tormanntrainer. Im Großen und Ganzen wird auf dieser Ebene mit Roland Goriupp und Robert Almer sehr gut gearbeitet, da muss uns nicht angst und bange sein.
Gratzei über seine Torleute beim WAC: "Sind großartige Jungs"
Ihre Gegenwart heißt WAC: Wie läuft Ihre Arbeit als Tormanntrainer bei den Kärntnern?
Gratzei: Es fällt mir sehr leicht, mit meinen Torleuten zu arbeiten. Das sind wirklich großartige Jungs, die Wertschätzung und großen Respekt untereinander haben, das Training macht immer Spaß. Das macht es mir leichter, Input zu geben. Natürlich versuche ich bei den jungen Tormännern mehr einzugreifen, als ich das zum Beispiel beim "Kofi" (Anm. d. Red.: Alexander Kofler) muss. Er ist ja quasi fertig ausgebildet und muss von Woche zu Woche nur mehr liefern. Das ist eine ganz andere Ebene. "Kofi" hat beispielsweise auch ein ganz anderes Profil als ich es als Torhüter hatte und interpretiert die Position insofern anders. Meine Aufgabe ist es, mögliche Spielsituationen in Einklang zu seinem System zu bringen und das Maximale herauszuholen. Am Wochenende schauen wir dann, wie es funktioniert hat und justieren dementsprechend nach.
Wie sieht die Arbeit mit Alexander Kofler aus, wenn Ihr Torhüterpofil sich so von seinem unterscheidet?
Gratzei: Es gibt einfach gewisse Prinzipien, wie der moderne Tormann spielen sollte. Wir arbeiten mit Spinnendiagrammen, in manchen Bereichen nähert man sich eher an dieses Prinzip an als in anderen. Die Frage ist: Trainiere ich mit ihm das, wo er sich annähert oder das, wo er sich nicht annähert? Ich bin ein Verfechter davon, die Stärken zu trainieren. Wenn Torwart XY Schwächen beim Herauslaufen hat, braucht er nicht auf jede Flanke laufen, wenn er auf der Linie eine Macht ist.
Kazimierz Sidorczuk war von 2006 bis 2014 Ihr Tormanntrainer beim SK Sturm - wie viel Sidorczuk steckt in Ihrer Arbeit als Tormanntrainer?
Gratzei: Der Job des Tormanntrainers hat sich sehr verändert. Heute läuft sehr viel über den Computer, es wird alles viel genauer analysiert. Aber natürlich prägt es, wenn man so lange mit einem Tormanntrainer zusammenarbeitet.
Europa League mit dem WAC in Liebenau? "Irgendwie komisch"
Wie war das Gefühl für Sie, als Tormanntrainer des WAC in Graz Europa League zu spielen?
Gratzei: Irgendwie komisch. Aber es hat mir sehr getaugt, dass wir dort waren. In der Heimkabine zu sein hat sich angefühlt wie nach Hause kommen. Es war sehr lässig, zu sehen, was der WAC imstande ist auf die Beine zu stellen und vor allem was die Mannschaft für Leistungen abrufen konnte. Für diese drei Heimspiele haben wir Liebenau zum WAC-Stadion gemacht.
Sie besitzen die UEFA-B-Lizenz - gibt es Intentionen, in Zukunft auch einmal als Cheftrainer zu fungieren?
Gratzei: Zusätzlich zur UEFA-B-Lizenz habe ich eine Sportmanagement-Ausbildung gemacht und besitze das nationale Tormanntrainerdiplom, was mich berechtigt, in der Bundesliga Tormanntrainer zu sein. Ich bin bereits für den UEFA-A-Diplomtormanntrainer-Kurs aufgenommen und will mich auch für die UEFA-A-Trainerlizenz anmelden. Ich habe nach meiner Karriere gelernt, dass ich mir durchaus noch Wissen aneignen kann und bin für vieles offen. Das setze ich auch für mich selbst voraus, um nicht einzurosten und breit aufgestellt zu sein.
Gerhard Struber, Erfolgstrainer des Herbstes, hat den Verein in Richtung Barnsley verlassen und Marcel Ritzmaier und Michael Sollbauer mitgenommen. Diese Wechsel lösten einige Unruhe im Verein aus - wie haben Sie das miterlebt?
Gratzei: Die Leistungen von Struber haben für sich gesprochen. Es war klar, dass der Trainer gefragt sein wird, wenn Konstanz in die Leistungen kommt. Dass er Spieler mitnimmt, liegt in der Natur der Sache. Wenn die Spieler diesen Schritt gehen wollen, hege ich auch gegenüber ihnen überhaupt keinen Groll. Natürlich ist es schade, dass sie nicht mehr bei uns sind, weil sie für unser System hochqualitativ waren. Aber ich mache Struber überhaupt keinen Vorwurf.
Gratzei: "Feldhofer hat sich für die Schwachen eingesetzt"
Auch Romano Schmids Abgang von Sturm zu Salzburg hat 2017 für einige Unruhe gesorgt. Konnten Sie damals diesen Transfer nachvollziehen und wie sehen Sie seine Entwicklung nun beim WAC?
Gratzei: Aufgrund dessen, wie sein Standing in seinem Alter bei Sturm Graz bereits war, habe ich es zur damaligen Zeit nicht verstehen können. Seine Intention konnte ich aber nachvollziehen. Er hat seine Karriere anders interpretiert, als sich das viele gewünscht hätten und ich traue mich zu behaupten, dass er nicht den leichteren Weg gegangen ist. Für uns beim WAC ist Romano ein ganz wichtiger Baustein. Seine Art, Fußball zu spielen, passt genau auf unser Profil. Er hinterlässt hier richtig gute Werte und ich denke, dass das auch bei seinem Stammverein Werder Bremen notiert wird. Man konnte schon immer sehen, dass Romano ein großes Talent ist und auch bereit ist, dafür zu arbeiten. Er macht es sich selbst oft nicht einfach, aber das ist in Ordnung, solange er immer erhobenen Hauptes nach vorne schaut. Er ist ein super Bursch' mit einem tollen Charakter.
Nun steht mit Ferdinand Feldhofer ein alter Bekannter an der Seitenlinie, nur Andreas Hölzl und Peter Hlinka haben mit ihm mehr gemeinsame Spielminuten bestritten, als Sie. Wie unterscheidet sich der Trainer Feldhofer vom Spieler Feldhofer?
Gratzei: Was "Ferdl" auszeichnet, ist sein Profil als Mensch. Als Spieler hat er sich immer für die Schwachen eingesetzt. Er ist sehr geradlinig, ein ehrlicher Arbeiter. Er kennt seine Stärken, die er versucht im Team einzubringen. Seinen Plan, den er verfolgt, versucht er zu 100 Prozent umzusetzen und ehrlich an die Spieler zu vermitteln. Er macht eine sehr gute Arbeit.
Wie viel hat Feldhofer Ihnen zu verdanken, Trainer des WAC zu sein?
Gratzei: Gar nichts. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Tormanntrainer auf der Welt gibt, der den Cheftrainer beordert. Ich habe weder das Hearing gemacht, noch ein gutes Wort eingelegt.
Packderby? Gratzei: "Kann diese Brisanz nie bieten"
Denken Sie, kann die aktuelle Situation für den WAC eine Chance sein, die doch recht erfolgreiche Mannschaft über den Sommer hinaus zu halten?
Gratzei: Wir als Verein können nur das Bestmögliche vorbereiten und schauen, dass wir nichts außer Acht lassen. Wir müssen den Spielern vermitteln, was sie am WAC haben, dass sie nicht gleich das nächstbessere Angebot annehmen. Hier kann weiterhin etwas entstehen und es besteht vielleicht auch die Möglichkeit, weiter auf internationaler Ebene zu spielen. Ich glaube, das kann uns gelingen.
Sie haben in Ihrer Karriere vier Grazer Derbys bestritten und dabei keines verloren - was halten Sie von Begriffen wie "Packderby"?
Gratzei: Sturm gegen GAK ist schon noch einmal etwas ganz anderes. Da geht es um die Vorherrschaft in der Stadt, um Rot oder Schwarz. Es geht darum, ob man bis zum nächsten Spiel vom Nachbarn unterdrückt wird oder ob man oben bleibt. Ein Packderby kann diese Brisanz nie bieten.
Gratzei: "Ziel, WAC in den Top 6 festzusetzen"
Wird sich der WAC auch langfristig über Sturm positionieren können?
Gratzei: Der WAC hat in den vergangenen Jahren gute Arbeit geleistet, egal unter welchem Trainer. Es stimmen die Strukturen im Verein. Hier schaut man, dass man gut in die Saison reinstartet, sich keine zu großen Ziele steckt und schaut, dass die Mannschaft funktioniert und dass sich jeder wohlfühlt. Daraus ist in den letzten zwei Jahren etwas entstanden. Jetzt werden die nächsten Schritte gesetzt und dann wird man sehen, ob diese fruchten. Unser Ziel ist es, uns in Top 6 festzusetzen, ohne auf andere Vereine zu schauen. Theoretisch kann Sturm Meister werden und wir werden Zweiter, dann war das sicherlich keine schlechte Saison.
Können Sie sich vorstellen, den WAC noch länger mitzuprägen?
Gratzei: Ja, natürlich. Ich wurde mit offenen Armen empfangen und sofort eingegliedert, vom Zeugwart bis hin zum Präsidenten. Der WAC war schon auf seiner Reise, als ich zugestiegen bin und diese Reise wollen wir weiterführen. Sollte irgendwann einmal die Haltestelle zum Aussteigen kommen, werde ich mich umsehen. Aber jetzt fühle ich mich hier sehr wohl und freue mich, den Verein mitgestalten zu können.
Warten Sie auf die Haltestelle Sturm Graz?
Gratzei: Nein, denn dann würde ich das ganze Leben für den Moment vorbeilaufen lassen, wo Sturm sagt: "Bitte, Christian, komm zurück!". Das könnte 20 Jahre dauern oder länger. Es könnte auch nie passieren und dann habe ich mein ganzes Leben nur gewartet. Natürlich ist Sturm immer ein großer Name für mich, ich habe dem Verein meine komplette Spielerkarriere zu verdanken. Ich lebe aber gerne in der Gegenwart und die heißt WAC. Dafür bin ich sehr dankbar.
Christian Gratzeis Spielerkarriere in Zahlen
Verein | Spiele | Gegentore | Ohne Gegentor | Einsatzminuten |
SK Sturm Graz | 318 | 331 | 117 | 28.240 |
SK Sturm Graz Amateure | 2 | 4 | - | 180 |
DSV Leoben | 2 | 3 | 1 | 98 |