Aksel Lund Svindal im Interview: "Fernsehsender sollten mehr mitdenken"

Aksel Lund Svindal.
© GEPA

Aksel Lund Svindal hat vor einem Jahr seine aktive Karriere beendet. Bei der Ski-WM in Aare gewann er in der Abfahrt Silber, es war sein letztes Rennen als Profirennläufer. Im Interview mit SPOX stellt der 37-Jährige ein Projekt vor, mit dem er Kinder aus Oslo zum Skifahren bewegen möchte.

Cookie-Einstellungen

Außerdem erklärt Svindal seinen Optimismus beim Thema Klimakrise, beschreibt die größten Baustellen der FIS und erklärt den Unterschied in der Psyche zwischen Speed- und Technikspezialisten.

Herr Svindal, Sie sind seit fast einem Jahr im Ski-Ruhestand. Was treibt Sie heutzutage an?

Aksel Lund Svindal: Im Jänner war ich fast nur auf den Skiern, war in Wengen und in Kitzbühel bei den Weltcup-Rennen. In wenigen Tagen stelle ich meine eigene Bekleidungsfirma vor. Ich war ja viel verletzt in den letzten Jahren meiner Karriere. In dieser Zeit investierte ich in einige Start-ups, bei einem sitze ich sogar im Aufsichtsrat.

Gingen Ihre Investments auf?

Svindal: Ein paar gehen überhaupt nicht gut, andere sind richtig groß geworden. Außerdem habe ich ein Buch geschrieben, das im kommenden November auf Deutsch erscheinen wird. Mir wird nicht langweilig. Eigentlich wäre es mir lieber, wenn ich mich mehr auf den Sport konzentrieren könnte. Das Training steht jetzt nicht mehr täglich auf meinem Plan. Plötzlich muss ich schauen, es überhaupt noch irgendwie in den Tag unterzubringen.

So nebenbei eröffneten Sie auch ein Hotel in Hemsdal.

Svindal: Es ist wohl mein umfassendstes Projekt. Ich wollte in allem involviert sein: Von den Bauplänen über die Technik bis hin zur Finanzierung und der Baugenehmigung lernte ich sehr viel dazu.

Aksel Lund Svindal: "Europa & USA machen es sich zu einfach"

Das Fyri Resort befindet sich in einem Skigebiet. Sie setzen also auf den Wintertourismus. Bekommen Sie aufgrund der Klimakrise nicht in ein paar Jahrzehnten Probleme?

Svindal: Das Klima ist ein Problem - egal, was man auf der Welt macht. Im Skisport merkt man die Ausmaße sofort. Alle müssen mitmachen und die richtigen Entscheidungen treffen. Im Sinne der Umwelt. Sei es beim Essen, bei der Kleidung, es kann aber auch die Mülltrennung betreffen. Jeder sollte ein bisschen mitdenken, nur so kann es funktionieren. Es braucht gute Vorbilder, die die Massen überzeugen. Europa oder die USA machen es sich hin und wieder zu einfach.

Inwiefern?

Svindal: Die Industriestaaten führten über die letzten 50 Jahre ein Luxusleben. Wir können jetzt nicht Entwicklungsländern wie Indien oder Philippinen vorschreiben, dass sie auf Konsum verzichten müssen. Dort hat sich inzwischen eine Mittelklasse gebildet, wie sie bei uns vor einem halben Jahrhundert entstanden ist. Es muss anders gehen. Deshalb bin ich auch ein überzeugter Technologie-Optimist.

Das müssen Sie uns erklären.

Svindal: Es leben schon so viele Leute auf unserem Planeten, dass es ohne Technologie nicht funktionieren wird. Wir schaffen es nicht alleine, das Klima zu retten. Aus diesem Grund investiere ich auch in Start-ups. Die Innovation schreitet schnell voran, wir können uns gar nicht vorstellen, was in zehn Jahren möglich sein wird. Wenn neue Technologien auf den Markt kommen, sollte man diese unterstützen - vor allem, wenn grünere Alternativen entstehen.

Kommen wir zum Sportlichen. Sie haben einmal erzählt, dass Sie im Skiweltcup gegen Freunde gefahren sind. Wenn man das Verhältnis von Mikaela Shiffrin zu Petra Vlhova beobachtet, fällt es mir schwer, das zu glauben. Gilt Ihre Aussage etwa nur für Speed-Fahrer?

Svindal: Vermutlich. Das hat einen simplen Grund: Wenn du bei der Abfahrt im Ziel stehst und dein Kontrahent kommt nicht ins Ziel, ist er vermutlich auf dem Weg ins Krankenhaus. Das wünscht man niemandem. Dadurch entsteht ein spezieller Zusammenhalt - trotz der Konkurrenz. Vor allem wenn die Sicht schlecht ist, wünschen sich die Läufer untereinander viel Glück und eine sichere Fahrt. Jeder will gewinnen, aber noch wichtiger ist, dass jeder heil im Ziel ankommt. So entsteht ein freundschaftliches Verhältnis zur Konkurrenz. Ich habe einen Unterschied zu den technischen Disziplinen gemerkt.

Wie hat sich der geäußert?

Svindal: Die Verletzungsgefahr ist vermeintlich nicht so groß. Es ist brutal unterschiedlich von Athlet zu Athlet. Im Speed-Bereich geht es gemütlicher her - auch zwischen den verschiedenen Nationalmannschaften. In den Technikrennen ist jeder verbissener und ärgert sich über Fehler deutlich mehr.

Svindal: Jugendliche mit Migrationshintergrund zum Skifahren bewegen

Verfolgen Sie denn die Rennen des Skiweltcups?

Svindal: Ich bin ein großer Fan. Ich habe noch kein Rennen verpasst. Sollte ich es nicht live gesehen haben, vermied ich Nachrichten und Social Media, damit ich nicht weiß, wie es ausgegangen ist.

Es ist nicht leicht, alle Rennen live zu verfolgen. Der Rennkalender ist sehr dicht, was viele kritisieren. Wie stehen Sie dazu?

Svindal: Es gibt nicht zu viele Rennen. Aber man muss aufpassen, dass die Rennen attraktiv bleiben. Klar ist, dass nicht jeder Weltcuport eine Atmosphäre wie in Kitzbühel erzeugen kann. Doch es braucht coole Pisten und interessante Formate. Wenn die Leute ein langweiliges Rennen sehen, schalten sie vielleicht beim nächsten Mal auf einen anderen Sender. Auch Fernsehsender sollten ein bisschen mehr mitdenken.

Wie meinen Sie das?

Svindal: Wenn ich die Tour de France schaue, sehe ich wunderschöne Landschaften. Auch unser Sport soll Werbung für den Tourismus sein. Wir brauchen großartige Panorama-Bilder, denn davon lebt unsere Szene. Vorausgesetzt, das Wetter spielt mit.

Geht es dem Skirennsport gut? Was ist die größte Baustelle der FIS?

Svindal: Langfristig gesehen ganz klar das Klima. Das betrifft aber nicht nur Skifahrer. Abgesehen davon liegt die größte Herausforderung in der Vielzahl an Alternativen zum Skisport. Jugendliche haben unzählige Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Ich versuche, in Norwegen meinen Teil dazu beizutragen, junge Menschen für den Skisport zu begeistern.

Wie wollen Sie das schaffen?

Svindal: In Oslo wurde eine Skihalle gebaut. Dort lässt es sich richtig gut Skifahren. Die Halle steht in einem Viertel am Stadtrand, wo das Interesse für den Skisport überschaubar ist. Viele Migranten haben sich dort niedergelassen und eine Familie gegründet. Was den Kindern nun fehlt, sind skibegeisterte Eltern, wie ich es etwa in meiner Jugend hatte. Meine Idee ist, den Kindern ein attraktives Nachmittagsprogramm nach Schulende zu bieten. Sie bekommen die Ski-Ausrüstung und Bekleidung zur Verfügung gestellt. Theoretisch könnten Sie im Sommer mit Shorts und T-Shirt kommen.

Um dann die Flip-Flops gegen Skischuhe zu tauschen.

Svindal: Ein Mal pro Woche sollen Schüler die Möglichkeit bekommen, Ski zu fahren. Die Hoffnung ist, dass sie danach auch alleine Skifahren und sich das auch ohne Eltern zutrauen. Der Nachwuchs ist das wichtigste, da gilt es, aktiv zu werden. Es ist ein sehr schöner Sport, das kommt aber im Fernsehen nicht ganz rüber. Das Gefühl des Skifahrens bekommt man nur, wenn man es selbst probiert.

Wie finanzieren Sie das Projekt?

Svindal: Schon vor einigen Jahren gründete ich eine Stiftung, deren Gelder ich nun in den Kindersport stecken möchte. Dadurch bekam ich weitere Zusagen: Die Skier liefert eine Sportkette, auch die Verpflegung der Kinder wird von einem Gemüseproduzenten bereitgestellt. Die Stadt Oslo beobachtet das Projekt und will dann einen fixen Betrag pro Kind bereitstellen. Unser Ziel ist, dass es auch langfristig gratis sein wird.

Aksel Lund Svindal: Parallel-Rennen? Ohne Weltcuppunkte!

Sie haben zwei Mal den Gesamtweltcup gewonnen, setzten sich jeweils knapp gegen Benjamin Raich durch. Finden Sie es schade, dass Speedläufer aktuell nur geringe Chancen auf die große Kristallkugel haben?

Svindal: Das war der bestimmende Trend der letzten zehn Jahre. Marcel war ein brutal guter Skifahrer und hat sich seine Erfolge redlich verdient. Aber auch mathematisch war es schwieriger für Abfahrer, den Gesamtweltcup zu gewinnen. Ich finde City-Events richtig cool, jetzt werden auch vor der Haustür der Fans Rennen gefahren. Unser Sport lebt aber von Klassikern wie Kitzbühel, Wengen oder Alta Badia. Diese Events ziehen die großen Sponsoren an.

Was halten Sie von den Parallelrennen?

Svindal: Man muss ein bisschen neu denken. Es ist nie komplett fair, ein Kurs ist immer schneller. Für die TV-Übertragung dauern zwei Läufe pro Duell einfach zu lange. Das Format muss weiterentwickelt werden. Es soll aber in Zukunft nur als Show-Event gelten, mit hohen Preisgeldern aber ohne Weltcuppunkte. Es wäre dumm, nicht mehr City-Events zu veranstalten, nur weil dann die Chancen der Speed-Fahrer auf den Gesamtweltcup schrumpfen.

Stellen Sie sich vor, Sie spulen in der Zeit 18 Jahre zurück und hätten die Möglichkeit, mit dem jungen Aksel Lund Svindal zu sprechen. Was würden Sie ihm sagen?

Svindal: Jetzt klinge ich vielleicht wie ein 70-Jähriger, aber ich würde ihm zur Geduld raten. Man muss im Weltcup ein bisschen schlau sein, kann nicht in jedem Moment alles riskieren und seine Gesundheit aufs Spiel setzen. Als junger Läufer hat man oft das Gefühl, die Welt gehe unter, wenn es beim nächsten Rennen nicht mit einem Spitzenplatz klappt. Ein Trick half mir in meiner gesamten Karriere.

Können Sie ihn uns verraten?

Svindal: Ich versuchte, einzelne Rennen immer als Teil einer Serie zu sehen. Über die Zeit gleicht sich Pech und Glück aus - ganz nach dem Gesetz der großen Zahlen. Man kann es nicht kontrollieren, das machte mich extrem nervös. Bei einer WM dachte ich immer daran, dass ich drei Chancen hatte, im Jahr darauf aber auch Olympia vor der Tür steht. Wenn ich fleißig bin und über Jahre als Mitfavorit am Start stehe, wird es irgendwann auch mit einem Sieg klappen. So trickste ich meinen Kopf aus, um mir den Druck zu nehmen. Diesen Tipp kann ich den jungen Läufern von heute geben.

Bei Ihnen hat es funktioniert.

Svindal: Als ich jung war, dachte ich nie daran, eines Tages Weltmeister zu werden. Dass ich so viel am Ende erreicht habe, ist schon cool. Auf der anderen Seite: Mit zwölf Jahren hatte ich noch keine Ahnung, wie hoch das Niveau im Weltcup ist. Hartes, konsequentes Training zahlt sich aus gegenüber jenen, die etwas schlampig sind. Ganz ehrlich: Ich würde alles in meiner Karriere genauso wieder tun.

Aksel Svindal nach dem letzten Rennen seiner Karriere.
© GEPA
Aksel Svindal nach dem letzten Rennen seiner Karriere.

Aksel Lund Svindal: Karriere, Erfolge, Medaillen bei WM & Olympia

Debüt im Weltcup28. Oktober 2001
Letztes Rennen09. Februar 2019
Weltcup-Rennen386
Podestplätze80
Weltcup-Siege36
Medaillen bei Großereignissen13

Svindal gewann insgesamt sieben Mal Gold bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen:

  • WM 2007 (Aare): Abfahrt, Riesenslalom
  • WM 2009 (Val d'Isere): Super-Kombination
  • Olympia 2010 (Vancouver): Super-G
  • WM 2011 (Garmisch-Partenkirchen): Super-Kombination
  • WM 2013 (Schladming): Abfahrt
  • Olympia 2018 (Pyeongchang): Abfahrt
Artikel und Videos zum Thema