Die geilste Schlange der Welt

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© (c) Getty Images (Dan Kitwood)

Das Anstehen in der Queue gehört in Wimbledon ebenso dazu wie Erdbeeren mit Sahne.

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Von Christian Albrecht Barschel aus Wimbledon

Es gibt viele Dinge, die Engländer nicht können: Elfmeterschießen, gutes Essen kochen, einen Sonnenbrand bekommen oder eine Breite an guten Tennisspielern hervorbringen - trotz der vielen Millionen, die Wimbledon jährlich in die Verbandskasse spült. In einer Sache sind die Engländer definitiv Weltmeister: im Schlange stehen. Das geduldige und gelassene Anstehen hat in England eine jahrelange Tradition und wird vor allem in Wimbledon feierlich zelebriert. Das Warten in der sogenannten Queue (englischer Begriff für Warteschlange) gehört in Wimbledon ebenfalls dazu wie die Erdbeeren mit Sahne. Für manche Tennisfans ist das "queueing" sogar das ultimative Wimbledon-Erlebnis, sogar schöner als der Besuch und das Schlendern auf der Anlage im All England Lawn Tennis and Croquet Club.

Wimbledon ist ohne Zweifel das besonderste der vier Grand-Slam-Turniere, vielleicht auch das speziellste Sportereignis der Welt. Wer Tickets für die "Championships" haben möchte, braucht Glück oder viel Geduld. Wer in Wimbledon live dabei sein möchte und nicht in den Genuss gekommen ist, Karten vorab ergattert zu haben, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich in die Queue einzureihen. Das muss aber rechtzeitig passieren. Denn die Eintrittskarten sind heiß begehrt. Jeden Tag gehen für den anstehenden Spieltag jeweils 500 Tickets für den Centre Court, Court 1 und Court 2 sowie ca. 6000 Ground Tickets in den freien Verkauf. Es gilt das Prinzip: "first come, first serve" (wer zuerst kommt, mahlt zuerst).

Steherqualitäten und starke Nerven

Wer unbedingt auf den Centre Court in Wimbledon möchte, sollte sich bereits in der Nacht zuvor in die Queue einreihen und sein Zelt auf der grünen Wiese vor der Anlage aufschlagen. Vor einigen Jahren war das Übernachten auf dem Bürgersteig sogar noch an der Tagesordnung, was aber nicht mehr möglich ist. Kommt noch der typische Londoner Regen hinzu, braucht es neben den Steherqualitäten auch sehr starke Nerven, um den Anstrengungen zu trotzen. Wer am diesjährigen Eröffnungstag in Wimbledon in der Queue erfolgreich ist und eines der heißbegehrten Tickets bekommt, darf sich glücklich schätzen. Denn mit Andy Murray eröffnet ein britischer Titelverteidiger das Turnier auf dem Centre Court.

Und so funktioniert die Queue: In dem riesigen Park vor der Anlage in Wimbledon ist die Warteschlange kaum zu übersehen. Riesige Tafeln weisen auf den Beginn hin. Wer sich in die Schlange stellt, bekommt um ca. 7:30 Uhr morgens von den Stewards, die das Treiben überwachen, eine Queue-Karte mit Datum und Nummer, die den Platz in der Schlange zuweist, sowie ein Armbändchen ausgehändigt. Diese Utensilien dienen dazu, den Platz in der Schlange wieder einzunehmen, wenn man sie kurz verlässt - sei es für den Toilettengang oder um den Hunger und Durst zu stillen. Das sollte aber mit den Stewards vorher abgesprochen werden. Einen Platz in der Schlange für Freunde freizuhalten, ist jedoch nicht möglich.

Kein Platz für Drängler

Die lange Wartezeit kann man sich mit Lesen vertreiben. Die Stewards händigen jedem Schlangensteher das Handbuch "A guide to queueing" aus, in dem auch der Verhaltenskodex, der neun Punkte umfasst, festgeschrieben ist. Am wichtigsten ist hierbei Punkt vier, der fett hervorgehoben ist. Das Überspringen der Schlange wird nicht akzeptiert und toleriert, heißt es in diesem Punkt. Die Stewards sind in dem Fall gnadenlos und werfen die Drängler sofort raus. Doch der Engländer hat von klein auf gelernt, wie man in der Schlange steht. Und auch die anderen Schlangensteher aus aller Welt halten sich nahezu ausschließlich an den Verhaltenskodex.

Für das leibliche Wohl ist in der Queue gesorgt. Einige Imbissbuden sorgen dafür, dass die Wartenden nicht verhungern und verdursten. Es besteht sogar die Möglichkeit, sich sein Essen per Lieferservice an seinen Platz in der Schlange bringen zu lassen. Die Queue ist Kult, sozusagen die geilste Schlange der Welt, und wird jeden Tag von den zahlreichen Tennisfans aufs Neue zelebriert. Es herrscht eine ausgelassene, aber gleichzeitig friedfertige Stimmung. Alle haben das gleiche Ziel: ein Ticket für das prestigeträchtigste Tennisturnier der Welt. Wenn man schließlich Erster in der Schlange ist, hat sich das zumeist stundenlange Warten gelohnt. Man muss dabei aber beachten, dass man nur eine Karte pro Person bekommt und diese nur gegen Barzahlung erwerben kann. Ist auch das letzte Hindernis genommen, verlässt man die Queue mit einem Glücksgefühl und spaziert in Richtung Eingangstor des All England Lawn Tennis and Croquet Club. Es gibt aber auch Tage, an denen sich das Anstehen in der Queue nicht lohnt. So rieten die Veranstalter manchmal davon ab, nach Wimbledon zu reisen, weil die Wartezeit zu lang wäre.

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