Von Christan Albrecht Barschel
Spätestens seit dem 7. Juli 1985 ist Boris Becker nicht nur Tennisfans ein Begriff. Der Rotschopf aus der kleinen Stadt Leimen erfuhr weltweite Berühmtheit, als er mit 17 Jahren und 227 Tagen an der Church Road in London triumphierte und der jüngste Wimbledonsieger aller Zeiten wurde. Deutschland hatte einen neuen Sporthelden und wurde mit dem Tennisfieber angesteckt. Becker ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten im Tennissport und hat eine glanzvolle Karriere hingelegt. Sechs Grand-Slam-Titel, Nummer eins der Welt und Triumphe mit Deutschland im Davis Cup: Die Erfolgsliste von Becker ist lang.
Besser als Sampras und Chang, aber kein Titel
Doch in der langen und illustren Karriere des Deutschen gibt es einen großen Makel. Becker konnte in seinen 15 Jahren als Profi kein Sandplatzturnier auf der ATP-Tour gewinnen. Seine Beziehung zur roten Asche war trotz einiger guter Ergebnisse nie von großer Liebe geprägt. Becker spielte insgesamt 61 Turniere auf der ATP-Tour auf Sand. Und jedes dieser 61 Turniere endete mit einer Niederlage. Dabei war der Deutsche gar kein so schlechter Sandplatzspieler, wie es die meisten vielleicht in Erinnerung haben. 120 Siege auf der roten Asche stehen in der Vita des Leimeners. Das sind einige mehr als bei Pete Sampras (90 Siege) und Michael Chang (107 Siege), dem French-Open-Sieger von 1989.
Bei den French Open war Becker nur neunmal am Start, auf seinem geliebten Rasen in Wimbledon hingegen 15-mal. Beim Grand-Slam-Turnier in Paris erreichte der Deutsche immerhin dreimal das Halbfinale und einmal das Viertelfinale und schlug unter anderen Jimmy Connors, Thomas Muster und Michael Chang. Aber nicht nur im Stade Roland Garros in Paris klappte es nicht mit dem Titel, sondern auch bei allen anderen Sandplatzturnieren, an denen Becker teilnahm. Sechsmal stand er im Endspiel bei einem Sandplatzturnier, sechsmal ging er als Verlierer vom Platz. Seine größten Chancen auf einen Titel hatte Becker in seiner damaligen Wahlheimat in Monte Carlo. Im Fürstentum Monaco spielte er drei Finals. Im Jahr 1995, in seinem dritten Endspiel in Monte Carlo, sollte der Sandplatz-Fluch von Becker endlich ein Ende finden.
Die ganz große Chance in Monte Carlo
Becker ging sogar als leichter Favorit in das Endspiel gegen Thomas Muster, da dieser den Finaleinzug teuer bezahlen musste. Im Halbfinale gegen den Italiener Andrea Gaudenzi wäre der Österreicher auf dem Platz beinahe kollabiert. Mit einem Kraftakt brachte Muster den Sieg ins Ziel. Nach dem Match brach Muster dann tatsächlich mit einem Zuckerschock zusammen und musste im Krankenhaus behandelt werden. Keine 24 Stunden später stand Muster auf den Platz, um das Endspiel in Monte Carlo gegen Becker zu spielen. Eigentlich wäre der Österreicher der klare Favorit gewesen, da das Endspiel über drei Gewinnsätze ausgelegt war und dies Muster auf Sand entgegenkam. Außerdem hatte der Österreicher seine letzten 19 Endspiele bei Sandplatzturnieren gewonnen. Aber unter den gegebenen Umständen wäre ein Finalerfolg von Becker keine große Sensation gewesen.
Der Leimener war ganz versessen darauf, seine große Chance zu nutzen. Becker war auf dem Sandplatz in Monte Carlo voll in seinem Element, brillierte mit feinstem Serve-and-Volley-Spiel wie auf einem schnellen Hartplatz und erspielte sich eine 2:0-Satzführung (6:4, 7:5). Doch Stehaufmännchen Muster gab sich so schnell nicht geschlagen und holte sich den dritten Satz klar mit 6:1. Im Tiebreak des vierten Satzes war der erste Sandplatztitel des Deutschen nur noch einen kurzen Augenblick entfernt, als er bei 6:4 zwei Matchbälle in Folge hatte. Becker ging beim Aufschlag volles Risiko und hämmerte seinen zweiten Aufschlag mit 200 km/h über das Netz. Doch das Risiko wurde nicht belohnt, der Ball von Becker landete im Aus. Es war der Anfang vom Ende. Nachdem er auch den zweiten Matchball nicht nutzen konnte, fiel sein Spiel komplett zusammen. Muster schaffte den Satzausgleich und gewann den fünften Satz mit 6:0.
Dopingvorwürfe gegen Muster
Becker zeigte sich zunächst als fairer Verlierer und gratulierte dem Österreicher zu seiner Wahnsinns-Leistung. "Ich hatte alle Chancen in der Welt. Aber er hat nicht aufgegeben. Ich fühlte mich selbstbewusst. Ich habe auch vorher bei meinem zweiten Aufschlag riskiert, weil er so einen guten Return hat. In diesem Moment hatte ich das gute Gefühl, einen riskanten zweiten Aufschlag schlagen zu können. Es ist gerade sehr enttäuschend", erklärte Becker hinterher, als er auf seinen Doppelfehler beim Matchball angesprochen wurde.
Auf der anschließenden Pressekonferenz war Becker aber nicht mehr allzu gut auf Muster zu sprechen. Der Deutsche wunderte sich darüber, dass der Österreicher tags zuvor im Halbfinale gegen Gaudenzi auf dem Platz noch "gestorben" war, die Nacht am Tropf verbracht hatte und dann wenige Stunden später auf dem Platz stand, zwei Matchbälle abwehrte und den fünften Satz mit 6:0 gewinnen konnte. Es waren also indirekte Dopingvorwürfe gegen Muster, die Becker da aussprach. Als Muster davon hörte, unterzog er sich sofort einem Dopingtest, der negativ ausfiel. Becker wurde später von der ATP für seine Aussagen zu einer Geldstrafe von 20.000 US-Dollar verdonnert.
Dennoch ein ganz großer Titel auf Sand
Becker hatte drei Jahre später beim Turnier in Gstaad seine letzte große Chance auf einen Sandplatztitel. Das Endspiel gegen den Spanier Alex Corretja ging in drei Sätzen verloren, sodass der Deutsche seine Karriere ohne Titel auf Sand beenden musste. In seiner Biografie "Augenblick, verweile doch" schrieb Becker über seine Misere auf Sand wie folgt: "Gegen Thomas Muster führte ich 1995 im Finale und hatte im vierten Satz zwei Matchbälle in Folge. Ich verlor, und nur der Himmel weiß, warum ich in meiner Profi-Karriere nie ein Sandplatzturnier gewonnen habe. Ich empfand wegen dieser Niederlage körperliche Schmerzen, war verzweifelt. Wahrscheinlich war dies die bitterste Niederlage meiner Karriere überhaupt. Ich hatte versagt vor mir selbst, vor meinen Freunden Monte Carlo. Vielleicht war es die Botschaft von oben, dass es für mich Grenzen gibt. Mit einem Sieg hätte ich womöglich meine Demut, meine Bodenständigkeit völlig verloren."
Trotz der vielen Pleiten im Einzel auf Sand durfte sich Becker über einen ganz großen Triumph auf der roten Asche freuen. An der Seite seines Dauerrivalen Michael Stich gewann er bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona die Goldmedaille, was den fehlenden Einzeltitel wohl mehr als entschädigt. Auch im Team war Becker auf Sand erfolgreich. Mit Deutschland gewann er in den Jahren 1989 und 1998 den World Team Cup, wo er in den beiden siegreichen Jahren alle vier Einzel (1989) und alle vier Doppel (1998) erfolgreich gestaltete.