Von Ulrike Weinrich aus Melbourne
Dominic Thiem saß eine knappe Stunde nach seinem Achtelfinal-Aus von Melbourne im Interviewraum 2 und wirkte äußerst gefasst. Enttäuschung? Klar, die war da! Aber Vorwürfe wollte sich die Nummer fünf der Setzliste nicht wirklich machen. "Ich habe nicht schlecht gespielt und muss ihm für seine Leistung Respekt zollen. Er hat mir mit seinem Aufschlag weh getan, mein Return war nicht so gut. Im fünften Satz waren dann Kleinigkeiten entscheidend", sagte Thiem nach dem 2:6, 6:4, 6:7 (4:7), 7:6 (9:7), 3:6 in 3:54 Stunden gegen den amerikanischen Emporkömmling Tennys Sandgren. Der Weltranglisten-97. aus Tennessee, lange Jahre ein Collegespieler, ist erst der zweite Profi in den letzten 20 Jahren, der als Australian-Open-Debütant das Viertelfinale erreichte.
Auch Thiem konnte "Haudrauf" Sandgren, der bereits den ehemaligen Happy-Slam-Champion Stan Wawrinka (Schweiz/Nr. 9) ausgeschaltet hatte, nicht stoppen. Thiem fürchtete deshalb eine bisschen den nächsten Morgen: "Das wird sicher nicht mein bester Tag", erklärte der Lichtenwörther, "aber wenn ich dann wieder zu Hause bin, ist alles gut. Es geht in die richtige Richtung." In Sachen Schmerzfaktor wollte der "Dominator" den K.o. nicht mit dem Achtelfinal-Ausscheiden im September 2017 bei den US Open vergleichen.
US-Open-Niederlage 2017 war "schwerer zu ertragen"
Damals hatte Thiem auf dem Grandstand von Flushing Meadows gegen den Argentinier Juan Martin del Potro eine 2:0-Satzführung verspielt und dabei zwei Matchbälle vergeben. "Das war schwerer zu ertragen, als das von heute, weil ich das Match damals aus meinen Händen habe gleiten lassen." Gegen Sandgren hatte Thiem die Partie erst gar nicht im Griff - was weniger an ihm selbst, als vielmehr am grandios aufspielenden Sandgren (20 Asse) lag. "Ich war voll da und habe gekämpft, aber der andere war heute einfach besser", meinte Thiem. Nur zwei von zwölf Breakchancen konnte der Niederösterreicher nutzen. Dabei hatte er den ersten Matchball im vierten Satz noch mit einem spektakulären Rückhand-Winner die Linie entlang abgewehrt - und den Entscheidungsdurchgang erzwungen.
Thiem hatte zum Achtelfinale aus seinem geliebten "Wohnzimmer" Margaret Court Arena in das futuristisch anmutende Hisense Stadion "umziehen" müssen, in dem der Plexicushion-Belag ein wenig schneller ist. Sandgren, der vor Melbourne noch keine einzige Grand-Slam-Partie gewinnen konnte, nutzte dies zu seinem Vorteil. Mitte des zweiten Satzes rief Thiem bei einem Seitenwechsel lauthals: "Was soll ich machen? Je schneller ich spiele, umso schneller kommt der Ball zurück!"
Wahrscheinlicher Einsatz im Davis Cup gegen Weißrussland
Günter-Bresnik-Schützling Thiem muss damit weiterhin auf seine erste Viertelfinal-Teilnahme bei einem Major außerhalb von Roland Garros warten. In Paris hatte der Powerspieler mit der Fabelrückhand zuletzt zweimal in Serie in der Vorschlussrunde gestanden. Die Erwartungshaltung vor dem Duell mit dem bekennenden Donald-Trump-Wähler Sandgren (26) war auch deshalb groß gewesen. "Ich wollte schon bei den US Open weit kommen. Ich werde alles versuchen, es jetzt zu schaffen", hatte Thiem vor dem Duell mit dem unkonventionell wirkenden US-Boy angekündigt.
In Melbourne hatte er sich gut gefühlt, nachdem er einen Infekt auskuriert hatte, der ihn beim Turnier in Doha zum Halbfinal-Verzicht gezwungen hatte. "Ich habe bei den Australian Open drei gute Partien gespielt." Thiem will nun Zuhause einen Trainingsblock absolvieren und dann Anfang Februar wahrscheinlich am Davis Cup gegen Weißrussland in St. Pölten teilnehmen. "Es ist aber noch nicht ganz fix", sagte "Domi", der noch nie bei einem Major-Event so hoch gesetzt war wie beim Happy Slam 2018. Nächste Stationen ist für Thiem dann Südamerika mit den Turnierteilnahmen in Rio de Janeiro und Acapulco, bevor er bei den Masters in Indian Wells und Miami wieder auf Hartplatz ran muss.