Pedro Calles gehört zu den besten Coaches der Basketball-Bundesliga und durchlebte in den vergangenen Jahren eine erfolgreiche Entwicklung mit den Hamburg Towers. Im Interview mit SPOX spricht der 38-Jährige über seine Reise aus Spanien in die BBL und sein kurzes Intermezzo in der NBA.
Zudem spricht er über seine Basketball-Philosophie, die seine Mannschaft in den vergangenen Spielzeiten so erfolgreich machte und erklärt seinen asketischen Lebensstil.
Herr Calles, Sie studierten Sportwissenschaften mit Schwerpunkt Basketball. Wie viel Wissenschaftler steckt heute noch in Ihnen?
Pedro Calles: Nicht mehr so viel. Im Basketball musst du verschiedene wissenschaftliche Aspekte beachten, aber wir dürfen nicht vergessen, dass Basketball ein Spiel ist.
Ein vielseitiges Spiel. Was ist Ihnen dabei am wichtigsten?
Calles: Mir persönlich ist es wichtig, in der Lage zu sein, meine Spieler zu lesen. Das ist der wichtigste Aspekt meiner Aufgabe. Zu verstehen, wer meine Spieler sind. Sie in die richtige Position zu bringen und wachsen zu lassen, damit sie den bestmöglichen Basketball spielen können.
Warum sind Sie eigentlich Basketball-Trainer geworden?
Calles: Das kam auch durch meinen Vater. Er hat mich dazu gebracht, viele verschiedene Sportarten auszuprobieren, mich aber nie zu irgendwas gedrängt. Er wollte einfach nur, dass ich Sport mache. Mit 18 Jahren hatte ich dann die Chance, meine Profi-Karriere voranzutreiben oder zur Uni zu gehen. Mein Vater sagte mir: 'Egal, was du tust, konzentriere dich auf dein Studium'. Also habe ich mich ins Studium gestürzt und habe vorerst nicht mehr so viel Basketball gespielt.
Anschließend ging's aber trotzdem zurück in den aktiven Bereich.
Calles: Während des Studiums habe ich mich natürlich nur aufs Studium konzentriert. (lacht) Nein, ich habe dann doch geschaut, wo ich mich spielerisch und vor allem auf dem Trainergebiet verbessern kann. Ich habe wieder aktiv gespielt, Hintergrund dafür war aber, dass ich so die gegnerischen Trainer und ihre Philosophien besser scouten konnte.
Das hört man auch nicht alle Tage.
Calles: Ich hatte nicht mehr die Passion, ein wirklich hohes professionelles Niveau zu erreichen. So konnte ich aber nahe dran an der Materie bleiben. Und nebenbei habe ich die Kinder im Verein trainiert, dabei konnte ich auch mal Dinge ausprobieren und Fehler machen. Im Nachhinein tun mir die Kinder deshalb manchmal leid. (lacht)
Wissen Sie, wie es den Kindern heute geht?
Calles: Als ich vor zwei Jahren in der Heimat war, haben mich diese Kinder bei einem Spiel besucht. Wenn man seinen Fußabdruck hinterlassen konnte und sieht, dass man durch seine Arbeit das Leben dieser jungen Menschen zum Positiven verändert hat: Das ist einer der wundervollsten Aspekte meiner Arbeit.
Sie kamen 2012 aus der dritten spanischen Liga als Athletiktrainer nach Deutschland. In der Tasche hatten Sie einen Einjahresvertrag, Ihre Frau kam aber (noch) nicht mit. Ein riskanter Schritt?
Calles: Zu dieser Zeit war ich Cheftrainer in der dritten spanischen Liga. In meiner Heimat hat man mir natürlich geraten, dort zu bleiben und mich hochzuarbeiten. Aber ich hatte ein ganz anderes Bild im Kopf. Ich wollte weiter lernen - auch als Person. Dafür habe ich Deutschland als richtigen Schritt empfunden. In einer neuen Liga, einem anderen Spielsystem, einer anderen Mentalität.
Wie haben Sie die deutsche Mentalität kennengelernt?
Calles: Für mich war es leicht, hier anzukommen, viele Deutsche sprechen Englisch. Auch mit dem Gesellschaftssystem und den Traditionen komme ich gut klar. Nach dem ersten Jahr ist meine Familie nach Deutschland gezogen, somit musste ich nicht mehr so viel reisen.
Es ist die bekannte Story: In Ihrer ersten Saison als Cheftrainer führten Sie Aufsteiger Vechta ins Halbfinale, zwei Jahre später mit BBL-Neuling Hamburg ging's ebenfalls auf Anhieb in die Playoffs. Sehen wir Sie ab Sommer dann bei den Rostock Seawolves?
Calles: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. (lacht) Ich hatte sehr viel Glück, dass wir in Vechta und Hamburg direkt so durchgestartet sind. Wir haben gute Ergebnisse erzielt, für mich war es aber wichtiger, dass die Strukturen beider Teams gewachsen sind. Das hoffe ich immer: Dass mein jeweiliger Nachfolger einen besseren Klub vorfindet, als ich ihn vor meinem Antritt vorgefunden habe.
Wie würden Sie die deutsche Basketball-Kultur beschreiben?
Calles: Wachsend. Die Menschen sind sehr begeisterungsfähig. Auch die Teams an sich schaffen eine sehr professionelle Mischung aus Business und Basketball. In Sachen Coaching entwickelt sich ebenfalls einiges. Vielleicht braucht es hier und da noch etwas mehr Tradition, etwas mehr Initiative. Damit kleine Städte und kleine Klubs in Jugendprogramme investieren und mehr Kinder für Basketball begeistern. Das Level an Professionalität in Deutschland ist gut, auch was das Budget angeht, aber im Jugendbasketball sehe ich noch viel Verbesserungsbedarf. Nicht nur finanziell, sondern auch qualitativ.
In Deutschland gehen einige Sportarten im Schatten des Fußballs etwas unter. Auch Ihr Heimatland Spanien ist eine begeisterte Fußballnation, der Basketball ist dort dennoch viel populärer.
Calles: Unsere Basketball-Tradition ist größer. Als Spanien 1984 in Los Angeles Olympia-Silber gegen Michael Jordan & Co. holte, kam der Basketball in Spanien ins Rollen. Ich weiß noch aus meiner Kindheit, wie der Basketball zu dieser Zeit im Radio und in den Nachrichten rauf und runter lief. Solch große Erfolge schieben derartige Entwicklungen meistens an. Ähnlich wie der deutsche EM-Triumph 1993 im eigenen Land.
Was haben Sie sich noch aus Ihrer Kindheit mitgenommen?
Calles: Ich als Person mag Teamsport mehr als Einzelsport. Ich will mit anderen Menschen zusammen für etwas kämpfen. Als Kind wollte ich nie Teil des besten Teams sein, sondern immer beim Underdog spielen, um die Menschen zu überraschen. Deshalb sehe ich es auch heute am liebsten, wenn wir als Kollektiv ein gutes Ergebnis erzielen.
Neben Ihrem Teamgedanken sind Sie auch bekannt für einen asketischen Lebensstil. Erzählen Sie.
Calles: Seit der Geburt meiner beiden Kinder musste ich die Routine etwas zurückfahren. Dennoch versuche ich, was Hausarbeit oder Hobbys angeht, sehr diszipliniert zu leben.
Inwieweit beeinflusst das Ihren Alltag?
Calles: Zuallererst lebe ich nicht in der Stadt, ich versuche immer einen Wohnort auf dem Land zu finden. Wir als Familie wollen regelmäßig Zeit in der Natur verbringen. Wir leben außerhalb von Hamburg in einem großen Waldgebiet. Ich habe viel Zeit mit meinem Hund verbracht, fahre viel Fahrrad, gehe Joggen oder Spazieren. Ich verbringe gerne Zeit mit mir selbst. Auch indem ich versuche, viel nachzudenken und mir und meinem Körper zuzuhören, anstatt mit Leuten zu sprechen. Ich bereite mich sehr strukturiert auf den nächsten Tag vor und reflektiere, was ich mache.
Hat dieser Lebensstil auch Auswirkungen auf Ihre Sportkarriere?
Calles: Das kann ich nicht einschätzen. In jedem Fall bewahrt es mich vor Sozialen Netzwerken oder unzähligen Anrufen. Ich muss mich nicht ständig damit beschäftigen, was die Leute über mich denken, ich muss auch nicht immer erreichbar zu sein.
Sie begleiteten die Hamburg Towers 2020 in die zweite BBL-Saison. Ein junges, hippes Projekt mit einem jungen, hungrigen Trainer. Passt das?
Calles: Ich kam hierher mit einem Zweijahresvertrag, hatte aber nie die Mentalität, nur zwei Jahre zu bleiben. Wir haben gemeinsam etwas erreicht. Die Corona-Situation hat natürlich vieles verändert, ich sehe aber eine großartige Zukunft für diesen Klub.
Am Anfang stand bei den Towers die Idee, mit Sport Gutes zu tun. Die Kids von der Straße zu holen, Perspektive zu schaffen, einer Vision zu folgen. Wie viel ist davon heute noch übrig?
Calles: Im Klub an sich ist davon noch viel übrig. Auch während der Corona-Zeit haben wir versucht, digital den Kontakt zu den Kindern zu halten. Durch unsere Europacup-Teilnahme in diesem Jahr und den vollen Spielplan hatten wir als erste Mannschaft kaum die Möglichkeit, an den einzelnen Events teilzunehmen. Aber die Identität oder die Kultur dieses Klubs ist trotz der Professionalisierung noch sehr ähnlich wie zur Gründungszeit.
Welches Potenzial haben die Hamburg Towers in einer so sportverrückten Stadt wie Hamburg?
Calles: In Hamburg gibt es nicht nur Fußball, sondern auch Hockey, Handball, Leichtathletik, Basketball und vieles mehr. Dafür bietet diese riesige Stadt auch genügend Platz. Ich sehe die anderen Klubs dieser Stadt nicht als Konkurrenten, sondern ich denke, wir könnten Wege finden, um zu kooperieren und damit die Hamburger Community zu stärken.
Sehen Sie sich selbst als Teil dieser Vereins-Philosophie oder sind sie "nur" als Trainer angestellt?
Calles: Keinesfalls nur als Angestellter. Als Trainer sollte man für seinen Klub leben, bluten und mitfühlen. Sonst holst du nicht das Beste aus deinem Team heraus. Ich weiß auch, dass ich eine wichtige Rolle in diesem Verein spiele, da die erste Mannschaft der Motor des gesamten Klubs ist. Deshalb stecke ich viel Herzblut in meine Arbeit.
Towers-Spieler Justus Hollatz hat sich in diesem Jahr erneut für den NBA-Draft angemeldet. Was hat er, was andere potenzielle NBA-Talente nicht haben?
Calles: Er ist ein junger Spieler, der in den vergangenen zwei Jahren einen großen Schritt nach vorn gemacht hat. Die Kombination aus seinen Fähigkeiten und seiner Größe hat die Aufmerksamkeit von zahlreichen Scouts und Klubs auf sich gezogen.
Wie würden Sie seine Arbeitseinstellung beschreiben?
Calles: Er ist sehr professionell. Er hat viel dazugelernt und verstanden, was es braucht, um auf einem professionellen Level in dieser Liga zu arbeiten. Dass er jederzeit hungrig bleiben muss, egal was passiert. Dass er sich nicht treiben lassen oder auf seiner bisherigen Entwicklung ausruhen kann.
Wie tritt er abseits des Platzes auf?
Calles: Ich kannte ihn nicht, bevor ich hier angefangen habe. Ich habe nur gehört, dass er ein introvertierter und eher ruhiger Spieler sei. Ich folge ihm jetzt nicht von der Halle bis nach Hause, habe aber über die Jahre mitbekommen, dass er deutlich offener geworden ist und mehr mit den Menschen interagiert.
Haben Sie eine besondere Erfahrung mit ihm gemacht?
Calles: Ja, ich habe einen besonderen Moment mit ihm erlebt. Zu Beginn der vergangenen Saison hatte ich eine sehr persönliche Unterhaltung mit ihm, die mir sehr geholfen hat. Den Inhalt des Gesprächs würde ich aber gerne für mich behalten.
In der BBL kämpfen Sie um die Playoffs, im EuroCup spielen Sie in der Finalrunde. Wie würden Sie die bisherige Saison einschätzen?
Calles: Komplett zufrieden bin ich nie. Denn komplette Zufriedenheit ist der erste Schritt vor dem Fall. Dennoch muss ich meinem Team sehr viel Respekt zollen, da es in dieser Saison in zwei verschiedenen Wettbewerben unterwegs ist.
Schauen wir noch einmal auf Ihre Anfänge zurück: Als Assistent von Pablo Prigioni waren sie 2019 in der Summer League für die Minnesota Timberwolves tätig. Was war das für eine Zeit?
Calles: Das war direkt nach meiner ersten Saison als Cheftrainer. Ich wusste nicht genau, woher sie meine Nummer hatten, ich glaube aber, dass das über Chris Fleming lief, mit dem ich früher zusammengearbeitet habe. Man bekommt einen Vorgeschmack von dem, was in der NBA abgeht. Am meisten hat mir imponiert, wie tief die US-Amerikaner beim Basketball ins Detail gehen. Sie achten auf jede kleinste Entwicklung. Sie öffnen ihre Türen für Ausländer, sind extrem freundlich. Außerdem wissen sie viel mehr über den europäischen Basketball, als man sonst immer denkt. US-Amerikaner schätzen den europäischen Basketball sehr. Wir können sehr viel von ihnen lernen.
Wie meinen Sie das?
Calles: Sie erledigen ihre Hausaufgaben. Sie kontrollieren ihre Spieler sehr akribisch, beobachten ihre Trainer. Sie kennen die ACB, sie kennen die BBL. Sie kennen Namen deutscher Spieler, die einige von uns nicht auf dem Schirm haben. Die gesamte Organisation, egal, ob GMs, CEOs oder Coaches arbeiten sehr detailliert. Jede Minute des Tages ist durchgeplant. Und da haben wir noch gar nicht über das Training gesprochen.
Welchen Eindruck hat diese Zeit auf Sie gemacht?
Calles: Für mich war das sehr prägend. Ich war zum ersten Mal in den USA, die Summer League war damals in Las Vegas. Für mich war das ein Kulturschock. Diesen Lebensstil kannte ich vorher so nicht. Ich bin aber auch nicht so die Party-Person.
Werden wir Sie jemals in der NBA sehen?
Calles: Vielleicht als Fan, in einer der Arenen. (lacht) Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist nicht mein großes Karriereziel, als NBA-Coach an der Seitenlinie zu stehen. Das allein würde mich nicht glücklich machen. Mich machen viele verschiedene Dinge glücklich.
Pedro Calles: Trainerprofil
Geburtsdaten | 24. August 1983 in Cordoba (Spanien) |
Größe | 1,92 Meter |
Stationen | Plasencia Extremadura (2010-2012), Artland Dragons (2012-2015), Rasta Vechta (2015-2020), Hamburg Towers (2020-2022) |
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren

.jpg?quality=60&auto=webp&format=pjpg&width=317)

