Basketball - John Bryant im Interview: "In Per Günther steckt viel von Shaquille O'Neal"

Thomas Lehmitz-Artmann
08. April 202210:59
John Bryant feiert mit Marco Pesic die Meisterschaft 2014.imago images
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Zweimal MVP, mit 5000 Punkten hinter Rickey Paulding der beste noch aktive Scorer der Liga: "Big John" Bryant ist eine BBL-Legende. Im Interview mit SPOX spricht der 34-Jährige über eine Messerattacke am College und seine Zeit bei Bayern München, die von harscher Kritik von Trainer Svetislav Pesic geprägt war.

Bryant verrät, warum Ulms nur 1,84 Meter großes Basketball-Idol Per Günther durchaus Gemeinsamkeiten mit dem 2,16-Meter-Koloss Shaquille O'Neal hat. Außerdem erzählt der Center vom Mitteldeutschen BC, wie er einst beinahe bei den Dallas Mavericks gelandet wäre.

Herr Bryant, ob Tom Brady, Rafael Nadal oder LeBron James - Sportlerkarrieren können heutzutage lange dauern. Wie lange werden Sie noch spielen?

John Bryant: Ich will so lange spielen, wie ich nur kann. Ich will nicht aufhören und dann denken: "Hey, du hättest noch ein, zwei Jahre mehr spielen können." Andererseits will ich auch selbst entscheiden, wann Schluss ist, und nicht durch eine Verletzung oder so ausgebremst werden.

Ihre Laufbahn begann am Santa Clara College. Dort soll Sie ein Coach gezwungen haben, sich die Haare zu schneiden. Ist die Geschichte wahr?

Bryant: Ja, die Geschichte stimmt. (lacht) Wir haben damals ein unwichtiges Testspiel gegen eine Mannschaft aus einer unteren Liga mit zwei Punkten verloren. Unser Coach war mächtig sauer. Am nächsten Tag rief er mich in sein Büro und zeigte mir eine Videoaufnahme, bei der ich mir im Zurücklaufen die Haare aus dem Gesicht gestrichen habe. "Die schneidest du bis zum nächsten Training ab, oder du wirst nicht mehr spielen", schimpfte er. Also hatte ich für den Rest meiner College-Zeit eher eine Kurzhaar-Frisur.

Dem Santa Clara College sind großartige Spieler entsprungen, beispielsweise der zweifache NBA-MVP Steve Nash. Wer war zu College-Zeiten Ihr Vorbild?

Bryant: Definitiv Shaquille O'Neal. Ich hatte gerade mit Basketball angefangen, als er zu den Los Angeles Lakers gewechselt ist. Seine Dominanz auf dem Feld war unglaublich. Aber es ging mir gar nicht nur um den Spieler auf dem Feld, sondern auch um den Menschen. Diese lustige, unterhaltsame Art habe ich immer bewundert. Genau mein Typ. Vielleicht ist Shaq von der Art her ein bisschen wie ich selbst.

Sie haben allerdings längst nicht nur lustige Erinnerungen ans College. Eines Tages wurden Sie Opfer einer Messerattacke. Wie kam es dazu?

Bryant: Die Erinnerung daran ist etwas verblichen, aber mir wurde tatsächlich mit einem Messer in den Rücken gestochen. Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Sache war so: Auf der Suche nach einer Party ging ich mit Freunden auf dem kleinen Campus von Haus zu Haus. Irgendwann wurden wir auf der Straße von ein paar Typen angepöbelt. Wir haben gar nicht groß darauf reagiert, winkten ab und gingen weiter. Plötzlich spürte ich etwas am Rücken, es gab ein kleines Gerangel. Es fuhr ein Auto vorbei, woraufhin die Typen abgehauen sind. Als sich dann alle wieder beruhigt hatten, sagte einer der Freunde zu mir: "Hey, du blutest ja." Ich tastete mit meiner Hand den Rücken ab - sie war voller Blut.

Was geschah dann?

Bryant: Es war zum Glück nicht so dramatisch. Es wurden keine Organe verletzt und die Wunde musste nur mit drei Stichen genäht werden. Nach zwei Wochen war ich zurück auf dem Spielfeld. Mein Leben hat sich durch den Angriff nicht groß verändert. Die Welt ist eben ein verrückter Ort.

Bryant wurde zweimal zum wertvollsten Spieler der BBL gewählt.imago images

John Bryant: "Günther ist wie ein Hühnchen rumgerannt"

Nach einem kurzen Zwischenstopp in der D-League wechselten Sie 2010 nach Ulm. Dabei soll der damalige Ulm-Trainer Mike Taylor eine große Rolle gespielt haben.

Bryant: Ich war im ersten Jahr nach dem College sozusagen ein klassischer Amerikaner. Ich wollte in den USA bleiben und spielte in der Summer League für die Sacramento Kings. Dann hatte ich ein Treffen mit Mike. Seine Begeisterung und sein Enthusiasmus für die Stadt Ulm und auch für mein Spiel waren ansteckend, das hat mich letztlich umgestimmt. Heute weiß ich: Es war die richtige Entscheidung.

Weil es in Ulm sofort gepasst hat - in Ihren drei Jahren an der Donau wurden Sie zweimal BBL-MVP.

Bryant: Genau. Dass es in Ulm sofort so gut geklappt hat, lag vor allem an meinen Teamkameraden. Der damalige Center Coleman Collins hat mir sehr geholfen, mich an das Leben in Deutschland anzupassen. Und natürlich war und ist auch Per Günther ein großartiger Typ. Er hat auf und neben dem Platz alles dafür getan, um mich zu unterstützen. Gleichzeitig kamen meine lustige und authentische Art gut an. Das alles zusammengenommen hat Ulm zum perfekten Umfeld für mich gemacht. Ich konnte bei den Fans beliebt sein und erfolgreich Basketball spielen.

Sie haben Per Gütnher angesprochen, zu dem Sie bis heute eine Freundschaft verbindet. Wie würden Sie ihn als Mensch beschreiben?

Bryant: Wir sind uns sehr ähnlich. Er macht auch gerne Witze und albert herum - eine wahre Frohnatur. In Per steckt viel von Shaquille O'Neal. Er ist Shaq sogar viel ähnlicher als ich selbst. Sein Selbstvertrauen ist grenzenlos und die Leute würden für seine Witze Geld zahlen. Einmal hat er vor einer Partie den Dialekt eines Spielers nachgemacht und sagte: "Dein Oberkörper ist stark, aber alles darunter sieht aus wie bei einem Hühnchen." Beim Warmmachen ist er dann die ganze Zeit mit angewinkelten Armen wie ein Hühnchen rumgerannt - wahnsinnig komisch. Ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke. Ich kann mich auch an keinen einzigen Streit oder Ärger mit ihm erinnern. Wenn Per sauer ist, dann muss wirklich etwas falsch gelaufen sein. Wir treffen uns auch heute noch. Das passt ganz gut. Wir haben beide zwei Söhne, die spielen gerne miteinander.

Und wie würden Sie Günther als Basketballer beschreiben?

Bryant: Als ich mit ihm zusammen gespielt habe, war er schnell und wendig. Seinen Wurf hat er stetig verbessert und damit auch sein Spiel. Bei allen Witzen ist er aber auch ein Wettkämpfer und will unbedingt gewinnen.

Bryant und Günther sind auch heute noch befreundet.imago images

Bryant: "Früher hieß es nur: 'Ab mit dir unter den Korb'"

Günther ist seit vielen Jahren eines DER Gesichter der Liga, am Ende der Saison hört er auf. Ein herber Verlust?

Bryant: Es ist echt ein großer Einschnitt für die BBL, wenn er nicht mehr dabei ist. Er hat so lange konstant gespielt, ist sehr authentisch und sagt gerade heraus, was er denkt. Er ist einfach er selbst und die Menschen mögen ihn dafür. Er ist definitiv ein Gesicht des deutschen Basketballs. Das liegt auch daran, dass er immer in Ulm geblieben ist. Er hat viel für die Stadt geleistet, war immer nah an den Fans dran. Das macht ihn aus.

Hat auch Thorsten Leibenath, der damals Trainer und heute Sportdirektor in Ulm ist, einen großen Anteil an Ihrer Karriere?

Bryant: Ja, ganz klar. Viel von meinem Erfolg hat auch mit Thorsten zu tun. Er ist ein Trainer, der gut mit seinen Spielern kann. Wenn Per, ich oder sonst jemand einen guten Tag hatte, ließ er uns einfach machen. Spielern dieses Vertrauen entgegen zu bringen, ist für einen Coach nicht so einfach. Klar gab es auch Vorgaben und Spielzüge, aber Thorsten wusste: "Hey, die Jungs wollen wie ich auch gewinnen."

Sie entwickelten sich unter Leibenath auch zu einem guten Werfer von außen.

Bryant: Stimmt. Während meiner College-Zeit hieß es immer: "Ab mit dir unter den Korb." Ich habe nur selten einen Halbdistanz-Wurf eingestreut, das war auch anfangs in Ulm so. Aber Thorsten hat im Training gesehen, dass ich den Dreier treffen kann und es verstanden, das in unser Spiel zu übertragen. Ein großer Center, der nach einem gestellten Block zur Dreierlinie abrollt und den auch treffen kann, das ist schwer zu verteidigen.

2013 wechselten Sie zu Bayern München - von Leibenath zu Svetislav Pesic. Kam das nicht einem Kulturschock gleich?

Bryant: Oh ja. Das war das genaue Gegenteil in Sachen Coaching und Umgang. Ich hatte den Eindruck, dass Pesic besonders hart zu mir war. Ich bekam sehr viel negatives Feedback von ihm. In meinen drei Jahren bei Bayern wurde ich vielleicht insgesamt zweimal gelobt. Ich hätte mir eine bessere Balance gewünscht, damals machte mich das wütend. Pesic erkannte unsere Fehler richtig, aber es war ja nicht so, dass wir diese Fehler absichtlich gemacht haben.

Wie sehen Sie Pesic heute mit einigen Jahren Abstand?

Bryant: Heute weiß ich, dass es eben seine Methode war. Die kannte er schon sein ganzes Leben, mit der ist er aufgewachsen und er benutzte sie, um seine besten Spieler noch besser zu machen. Er wollte mich antreiben und auf ein höheres Level bringen. Ich bin wirklich mit vielen Dingen von damals nicht einverstanden gewesen, aber ich würde so gerne an diesen Punkt meiner Karriere zurückkehren und die Dinge anders machen. Aber man kann die Uhr leider nicht zurückdrehen.

Wie hat in München sonst gefallen?

Bryant: München ist eine der schönsten Städte, die ich je gesehen habe. Es ist wie eine Mischung aus einer Groß- und Kleinstadt. In Berlin und Frankfurt weiß man gleich, dass man in einer großen Stadt ist mit den ganzen hohen Gebäuden und dem Verkehr. In München fühlt es sich nicht so hektisch und groß an. Die Menschen dort, der Englische Garten und die Biergärten: Die ganze Kultur dort gefällt mir gut.

Wie würden Sie Ihre Zeit bei Bayern also beschreiben?

Bryant: Mit einem Oxymoron. Es war sowohl eine der schönsten als auch eine der schwersten Zeiten meines Lebens. Einerseits war es großartig, Teil dieses Klubs zu sein. Die besondere Stellung in der Liga, die Möglichkeit international zu spielen, die Meisterschaft 2014. Andererseits war da der mentale Aspekt. Der Druck jeden Tag, die konstante Kritik an mir.

Stimmt es, dass Sie nach der Meisterschaft 2014 ein Angebot aus der NBA vorliegen hatten?

Bryant: So ähnlich. Die Dallas Mavericks luden mich ins Trainingscamp ein, allerdings war dabei nicht garantiert, dass sie mich auch übernehmen würden. München machte mir dann gleichzeitig ein Angebot. Ich musste mich also zwischen sicherem Geld und einer unsicherer Zeit in der NBA, vielleicht sogar nur in der G-League entscheiden. Außerdem ist meine Spielweise sowieso eher auf den europäischen Basketball zugeschnitten. Also bin ich in Deutschland geblieben.

John Bryant feiert mit Marco Pesic die Meisterschaft 2014.imago images

Bryant: "Shaq hat den Sommer genauso genossen wie ich"

2016 spielten Sie kurzzeitig in Valencia. Welche Erinnerungen sind daran geblieben?

Bryant: Valencia ist eine schöne Stadt und mit Luke Sikma hatte ich einen tollen Teamkameraden. Allerdings musste ich viel Lehrgeld bezahlen. Die spanische Liga ist einfach anders als die deutsche. Ich bekam leider nicht die Chance, mein Spiel an den spanischen Style anzupassen. Es hätte viel besser sein können, als es dann letztlich war und ich musste den Verein verlassen. Insgesamt war es eine Zeit, in der ich zwar nicht viel Basketball gespielt, dafür aber sehr viel gelernt habe.

Ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel. Aber Teil der Wahrheit ist auch, dass Sie während Ihrer Karriere immer wieder etwas mit Übergewicht zu kämpfen hatten.

Bryant: Ich liebe Basketball. Aber es ist nicht immer so einfach, wie man denkt. Gerade der mentale Aspekt ist für einen Amerikaner, der so weit weg von der Heimat ist, oft nicht leicht. Immer der gleiche Alltag, von der Halle nach Hause, höchstens mal ins Restaurant oder in eine Disco. Ich bin aber ein totaler Familienmensch. Also bin ich im Sommer immer nach Hause geflogen und habe die Zeit mit meiner Familie genossen. Es stimmt: Wenn ich nach der Saison genauso hart wie während der Saison gearbeitet hätte, hätte ich mehr Erfolg haben können. Aber nach der Saison ruhe ich mich gerne aus und genieße es, mit meiner Familie zu reisen. Die Zeit mit meiner Familie hat mir mental geholfen, eine so lange Karriere durchzustehen. Ja, ich habe mich sicher nicht so fit gehalten, wie man es von einem Profi erwarten würde. Das war schon immer der eine negative Aspekt meiner Karriere. Das bereue ich heute vielleicht am meisten.

Das ist also noch etwas, das Sie mit Shaq gemeinsam haben.

Bryant: Ja, genau. (lacht) Ich bin mir sicher, dass er den Sommer genauso wie ich genossen hat. Da sind wir uns auf jeden Fall ähnlich.

Bryant unterstützt den Youngster Kostja Mushidi beim MBC.imago images

Bryant: "Das Geld war mir komplett egal"

Nach einem kurzen Aufenthalt in Monaco ging es 2017 zurück nach Deutschland. Warum gerade nach Gießen?

Bryant: Ich wollte einfach allen zeigen, dass meine Zeit noch nicht vorbei ist. Ich hätte alles akzeptiert, um wieder zurück in die BBL, zurück in den Basketball zu kommen. Mir war auch das Geld komplett egal. Ich sagte zu meinem Agenten: Bring mich einfach in ein Team, alles andere wird sich regeln. Und dieses Team war dann Gießen. Sie waren glücklich, mich zu haben - und ich war einfach froh, wieder in Deutschland zu sein.

Sie spielten insgesamt vier Jahre für Gießen. Und das alles nur, um etwas zu beweisen?

Bryant: Das war im ersten Jahr der Grund - und es war eine großartige Saison für mich. Der Grund, warum ich so lange dort geblieben bin, waren die Menschen. Ein paar meiner besten Freunde kommen nun aus Gießen. Es ist keine besonders große Stadt, aber eine richtige Basketball-Stadt. Ich mag diesen Kleinstadt-Charme. Deshalb bin ich 2021 auch noch einmal zurückgekommen. Ich wollte ihnen helfen, weil sie mir geholfen hatten.

Ihr Wechsel zum MBC während der laufenden Saison war dann mit einigem Ärger verbunden, Sie wurden nicht mehr gebraucht und mehr oder weniger dazu gezwungen, sich einen neuen Klub zu suchen. Nun sieht es so aus, als würde der MBC die Klasse halten, während Gießen womöglich absteigt. Verspüren Sie so etwas wie Genugtuung?

Bryant: Ganz sicher nicht. Ich wusste zwar, dass es so kommen wird, ich habe es ihnen gesagt, aber ich wollte nicht, dass es passiert. Mir tut es vor allem für die Fans leid. Ich liebe die Leute in Gießen, habe viele Freunde dort gefunden. Diese Freunde jetzt leiden zu sehen, ist wirklich schwer für mich. Ich bin schon lange nicht mehr der klassische Amerikaner, der nur schaut, wo er demnächst sein Geld verdient. Ich will die Leute kennenlernen und Teil der Stadt werden. Gießens Situation ist schrecklich für mich, besonders da ich nicht helfen durfte. Es war auch mental schwierig für mich, ich konnte nächtelang nicht schlafen. Also musste ich da raus. Für Gießen wünsche ich mir, das sie daraus gelernt haben und bald wieder zurück in der BBL sind.

Für den MBC läuft es nun sehr ordentlich. Auffällig ist, dass der deutsche Youngster Kostja Mushidi fantastisch spielt, seit sie in Weißenfels sind. Ein Zufall?

Bryant: Nein, das glaube ich nicht. Aber er hat auch einfach alles, um ein guter Basketballspieler zu sein. Er hat lange Arme, ist schnell, athletisch und ein guter Werfer. Er ist aber auch ein sehr emotionaler Spieler. Das ist gleichzeitig gut und schlecht. Wenn er voller positiver Emotionen ist, läuft es gut. Sein Problem waren aber die negativen Emotionen. Als es mal nicht so gut lief, wurde auch sein Spiel rapide schlechter. Ich habe ihm gesagt, er soll positiv und motiviert bleiben. Eine schlechte Sequenz verändert nicht das ganze Spiel. Ich tue alles, was ich kann, um ihm zu helfen. Nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch als Anführer einer jüngeren Generation.

Abschließende Frage: Gibt es bereits einen Plan für die Zeit nach Ihrer aktiven Karriere?

Bryant: Damit beschäftige ich mich derzeit sehr. Als Trainer zu arbeiten wäre vermutlich nicht so mein Ding. Vielleicht eher etwas in Richtung Management. Auch ein Job beim Fernsehen würde mich reizen. Aber ich habe auch noch etwas Zeit, mir darüber klar zu werden. Ich will ja erstmal noch Basketball spielen.