"Sie legen ein Tempo vor, das ist brutal"

Haruka Gruber
03. September 201311:01
Dirk Bauermann trainiert bei der EM die talentierten Polenimago
Werbung
Werbung

Der erfolgreichste Basketball-Trainer Deutschlands - und der Hoffnungsträger des EM-Geheimtipps: Polen-Coach Dirk Bauermann über seinen NBA-Star Marcin Gortat, Europas stärksten Frontcourt und die Point-Guard-Flut der Spanier. SPOX überträgt unter anderem das Duell zwischen Polen und Spanien (Jeden Tag ein Spiel im LIVE-STREAM FOR FREE bei SPOX).

SPOXspox

SPOX: Polen gehört zu den Geheimtipps bei der am Mittwoch beginnenden Basketball-EM. Wie ist die Stimmung in dem Land?

Dirk Bauermann: Verhalten optimistisch. Einerseits optimistisch, weil sich die Mannschaft in den Testspielen in einer guten Verfassung gezeigt und Marcin Gortat die Hochbelastung der Vorbereitung gut überstanden hat. Andererseits verhalten, weil alle um die Stärke unserer Gruppe wissen mit Europameister Spanien, Gastgeber Slowenien und Kroatien. Diese Mannschaften sind eigentlich Favorit aufs Weiterkommen.

SPOX: Das Ziel heißt dennoch Zwischenrunde? Nach einer ansonsten guten Vorbereitung misslang der letzte Test in der Türkei und Polen verlor 68:81.

Bauermann: Absolut! Ich bin noch nie irgendwo hingefahren, nur um die Visitenkarten abzugeben und in der Vorrunde auszuscheiden. In der Türkei lief es nicht so gut, davor hatten wir 5 der 6 Partien gewonnen. Und beim verlorenen Spiel gegen die Ukraine führten wir zwischenzeitlich mit 16 Punkten und der entscheidende letzte Korb gegen uns hätte nicht zählen dürfen. Meine Spieler sind in einer sehr guten Verfassung. Unser Traum ist das EM-Viertelfinale, um das WM-Ticket zu lösen.

SPOX: Entscheidend dafür wird Marcin Gortat sein. Nur: Wie geht es ihm? Er musste wegen einer Verletzung inmitten der Vorbereitung sogar zu seinem NBA-Klub Phoenix Suns fliegen.

Bauermann: Die Fußverletzung ist gar kein Problem. Der Besitzer wollte nur sicherstellen, dass es ihm wirklich gut geht, bevor man ihm die Freigabe für die EM erteilt. Außerdem wollten ihn der neue General Manager und der neue Coach kennenlernen.

SPOX: Gortat gehört mittlerweile zu den besten Centern der NBA. Was viele vergessen: Vor dem Wechsel in die USA spielte er vier Jahre in Köln. Sind Sie überrascht ob der Entwicklung?

Bauermann: Er kam als sehr junger Spieler rüber und nahm eine Entwicklung, die man zum damaligen Zeitpunkt nicht prognostizieren konnte, das ist richtig. Andererseits ist sein Fortschritt insofern keine Überraschung, wenn man seine Einstellung kennt. Das hat man damals schon aus Köln gehört: Dass er unglaublich hart arbeitet und diese Besessenheit und den nötigen Arbeitsethos besitzt. Von der Länge und der Athletik brachte er ohnehin schon immer alles mit.

SPOX: Neben ihm im Frontcourt wird Marciej Lampe als Forward starten, obwohl dieser ebenfalls nativer Center ist. Wie passt das?

Bauermann: Ich bin mir sicher, dass Lampe als Power Forward mindestens genauso effektiv ist wie als Center. Gerade wenn man bedenkt, wie sich der Basketball taktisch entwickelt mit der großen Bedeutung auf Pick'N'Rolls. Wir haben diese beiden Top-Stars und wir brauchen beide gleichzeitig auf dem Feld. Daher spielt er auf der Vier und das macht er sehr gut. Ich glaube auch, dass es ihm persönlich gut tut. Er wechselt nach der EM von Laboral Kutxa zum FC Barcelona und wird dort auf beiden Positionen eingesetzt werden. Für uns ist Lampe auf der Power-Forward-Position eine Notwendigkeit, für ihn selbst ist es ein wichtiger Schritt, um in Barcelona erfolgreich spielen zu können.

SPOX: Besitzt Polen mit Gortat, Lampe und College-Hoffnung Przemyslaw Karnowski den besten Frontcourt der EM? Szymon Szewczyk, ehemals in der NBA und der BBL tätig, fehlt hingegen.

Bauermann: Wir verfügen vielleicht nicht über den besten, aber sicherlich über einen der besten Frontcourts der EM. Dennoch ist es schade, dass Szewczyk fehlt. Er hätte uns als von außen spielender Vierer sicherlich helfen können. Das Wichtigste ist allerdings, dass seine schwere Rücken-Operation gut gelaufen ist. Jetzt geht es darum zu sehen, ob er überhaupt noch einmal richtig angreifen kann.

SPOX: Center Karnowski und Flügelspieler Mateusz Ponitka gehören zu den größten Talenten Europas. Wie wichtig sind sie?

Bauermann: Beide sind noch jung, entsprechend schwankend sind die Leistungen. Sie sind aber so talentiert, dass sie der Mannschaft sofort helfen können. Sie sind keine Entwicklungsprojekte, die man nur dabei hat, damit sie lernen. Sie sind schon gut genug für die Rotation. Daher bin ich froh, sie zu haben.

SPOX: Bleibt die Frage nach dem Backcourt. Sind die Guards gut genug, um die Big Men einzusetzen?

Bauermann: Meinem Starting-Point-Guard Lukasz Koszarek würde ich zutrauen, in einer Euroleague-Mannschaft eine sehr gute Rolle zu bekommen, von daher mache ich mir keine größeren Sorgen. Die anderen Guards gehören nicht in die allerhöchste Kategorie, verkörpern gutes, solides europäisches Niveau. Das ist an sich aber kein Problem, wir sind eben nicht Spanien.

SPOX: Ihr Titel-Topfavorit?

Bauermann: Die Spanier besitzen mit Ausnahme von Tony Parker die vier besten Aufbauspieler des Turniers: Ricky Rubio, Jose Calderon, Sergio Rodriguez und Sergio Llull. Sie legen ein Tempo vor, das ist brutal. Alles ist super schnell. Negativ bemerkbar machen könnten sich angesichts der hohen Spielbelastung jedoch die Ausfälle. Die Bank ist nicht so stark wie in den letzten Jahren. Trotzdem erwarte ich sie ganz oben. Ansonsten gibt es 7, 8 Mannschaften, die berechtigte Anwärter auf Medaillen sind. Ich bin gespannt, wie Slowenien mit dem Druck zurechtkommt. Sehr viel erwarte ich von Litauen, das unglaublich stark besetzt ist. Dazu wird es wie Mazedonien 2011 ein Team geben, mit dem niemand rechnet.

Hier geht's zu Teil II: Bauermann über das Pleiß, Benzing und Schaffartzik

SPOX

SPOX: Spanien spielt häufig mit zwei klassischen Point Guards gleichzeitig. Ähnlich wie beim Euroleague-Final-Four der FC Barcelona und Real Madrid. Ein neuer Trend?

Bauermann: Der Trend lässt sich schon länger beobachten. Vor allem in Europa gibt es kaum noch den klassischen Shooting Guard a la Reggie Miler. Es sind vor allem Ballhandling-Two-Guards, die auf der Eins und Zwei spielen können. Klassisch große Small Forwards gibt es ebenfalls immer weniger. Vielmehr sind es Small Forwards, die eher Shooting Guards ähneln und viele Pick'N'Roll laufen können. Auf den großen Positionen sind bewegliche Power Forwards mit einem guten Wurf und abrollende Center gefragt. Das ist die generelle Entwicklung im Klub-Basketball und die Spanier werden sicher diejenigen sein, die dem am meisten entsprechen. Viele andere Nationalmannschaften wie wir können es gar nicht, weil man sich die Mannschaft nicht unter systemischen Gesichtspunkten zusammenstellen kann wie im Verein.

SPOX: Davon weiß Bundestrainer Frank Menz nur gut zu berichten. Was erwarten Sie vom arg dezimierten DBB-Team?

Bauermann: Der Aderlass ist enorm. Fast jede Mannschaft, die in einer solchen Häufung auf Spieler verzichten muss, bekäme Probleme. Jetzt sind im deutschen Kader einige dabei, die sonst nicht dazugehören würden. Selbst die Spanier können nicht kompensieren, dass Pau Gasol, Serge Ibaka und Juan Carlos Navarro fehlen. Umgekehrt sollte sich das deutsche Team nicht verstecken: Vor denen, die jetzt bei Spanien nachrücken, muss man sich nicht fürchten. Ich habe die deutsche Mannschaft bereits spielen sehen: Sie hängt sich super rein und spielt sehr kampfstark und sehr mutig. Ich glaube, dass Deutschland viele überraschen wird.

SPOX: Sie spielten mit Polen in der Vorbereitung gegen die vier deutschen Vorrunden-Gegner Israel, Ukraine, Belgien und Großbritannien. Wie stark sind sie?

Bauermann: Sie sind allesamt schlagbar, ganz klar. Deutschland ist mindestens auf Augenhöhe.

SPOX: Stehen Sie und Menz in Kontakt?

Bauermann: Wir tauschen uns natürlich aus. Er hat mit Deutschland gegen Mannschaften gespielt, die in unserer Gruppe sind und umgekehrt. Natürlich helfe ich da, wenn es gewollt ist.

SPOX: Was halten Sie von Ihrem Nach-Nachfolger als Bundestrainer?

Bauermann: Die Verantwortlichen trafen diese Entscheidung, weil sie wissen, was sie an ihm haben. Und ich teile die Meinung. Am Ende muss man sich als Trainer durchsetzen und beweisen, dazu hat er jetzt die Chance. Die Bedingungen sind wegen der Ausfälle nicht leicht, ich drücke ihm die Daumen.

SPOX: Menz betonte zuletzt die Wichtigkeit von Tibor Pleiß, Ihrem ehemaligen Schützling. Wie sehen Sie seinen Leistungsstand?

Bauermann: Ich habe Tibor zuletzt gesehen, als ich Lampe in Vitoria besucht habe. Wir gingen am nächsten Morgen zusammen frühstücken. Das erste Jahr im Ausland ist in jeder Hinsicht immer schwierig, besonders für einen jungen Kerl. Doch er hat es toll gemeistert. Jetzt bekommt er nächstes Jahr die große Chance und wird einen Riesensprung machen, davon bin ich überzeugt. Lampe wechselt nach Barcelona und ich denke, dass Tibor für Laboral Kutxa starten wird. Ich hoffe vor allem, dass er offensiv mehr machen darf als nur nach oben zu rennen, den Block zu stellen und sich wieder abzurollen. Er ist ein besonderer Spieler. Besonders deshalb, weil er als großer Spieler nicht unbedingt stark ist an der klassischen Brett-Center-Position mit dem Rücken zum Korb. Tibor ist ein unterschätzter Dreier-Werfer und ein sehr guter Werfer aus der Mitteldistanz. Wenn er seine Stärken noch besser einbringen kann, wird er bald ein ganz Großer des europäischen Basketballs.

SPOX: Bei der EM wird neben ihm im Frontcourt Robin Benzing als Power Forward auflaufen. Ein ziemlich gewagtes Experiment?

Bauermann: Das finde ich nicht. Robin ist 2,09 Meter groß und es gibt viele Spielertypen auf der Vier, die ihm ähneln. Türkeis Ersan Ilyasova ist in der NBA ein Small Forward, in Europa hingegen mehr ein beweglicher Power Foward. Sie sind schwer zu verteidigen, weil sie von außen werfen und nach innen ziehen können. Bei den Bayern übernahm Robin die Rolle bereits hin und wieder. Er wird ja bei der EM nicht mit dem Rücken zum Korb agieren müssen, vielmehr wird er das Spiel breit machen und seinen Gegenspieler aus dem Dribbling attackieren. Daher sehe ich keine Probleme.

SPOX: Als Kapitän und wichtigste Scoring-Option führt Heiko Schaffartzik das DBB-Team an. Ist er der Verantwortung gewachsen?

Bauermann: Es ist ein Entwicklungsprozess: Als ich ihn damals zur EM in Polen 2009 mitnahm, kam er von der Bank und setzte unglaubliche Akzente. Und von da an ging es Schritt für Schritt und jetzt ist trägt er Verantwortung im hohen Maße: Er soll die Struktur des Spiels vorgeben und zusätzlich noch punkten und verteidigen. Es ist eine Menge, die er auf dem Tablett hat. Aber das hat er allemal drauf. Denn Heiko besitzt das, was Oliver Kahn immer gefordert hat: Heiko hat Eier und das Kämpferherz eines Löwen. Entsprechend muss sich niemand Sorgen machen, er bekommt das schon hin.

Der Spielplan der EuroBasket 2013

SPOX