Anthony "AJ" Joshua gegen Kubrat Pulev, Vorschau: Gehen der Kobra wieder alle Lichter aus?

Anthony Joshua tritt heute Abend (23 Uhr live auf DAZN) gegen Kubrat Pulev an. Die Gürtel in der IBF, WBO, IBO und WBA stehen dabei auf dem Spiel. SPOX nimmt beide Kämpfer unter die Lupe und analysiert das Geschehen.

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Bis zu einem Juni-Tag 2019 schien Anthony Joshua unbesiegbar zu sein. Der Aufstieg des Engländers verlief nahezu reibungslos. Nach nur 16 Kämpfen bereits der erste Titel, später folgte der Sprung an die Spitze der Box-Welt. Es blieb alles rosig, bis ein kleiner Mexikaner um die Ecke kam und Joshua zu Fall brachte. Die Aura des Unbesiegbaren hatte sich mit der Niederlage an jenem Juni-Abend zerschlagen.

Joshua rächte sich zwar noch im selben Jahr an Andy Ruiz, aber die Niederlage ließ viele Fans und Experten zweifeln. Das Duell gegen Pulev scheint einer der wichtigsten Kämpfe in seiner Karriere zu werden.

Einen anderen, ruhigeren AJ sah man bei seinem zweiten Kampf gegen Ruiz. Er zeigte sich sehr - vielleicht zu sehr - auf seinen Plan fokussiert und ging dabei nur selten Risiko ein. Und das gegen einen Gegner, der ab der vierten Runde platt und weit weg von seiner Bestform war.

imago images / ITAR-TASS

Anthony Joshua: Folgt ein Achtungserfolg?

Am Ende gab es zwar einen eindeutigen Punktsieg (118-110, 118-110, 119-109), überzeugen konnte er allerdings nicht. Nun muss er sich diese Dominanz zurückholen.

Joshua erzählte im Interview mit DAZN und SPOX, wie er mit dieser krachenden Niederlage umgegangen war. "Es ist einfach wichtig, eine gewisse Reife zu zeigen und vertraute Menschen um sich herum zu haben. Ich bin froh darüber, wie ich das Ganze überwunden habe." Dennoch ist es bei vielen Athleten so, dass sich Zweifel an den eigenen Fähigkeiten festigen können. Mentale Stärke und Zähigkeit sind die Eckpfeiler für den Erfolg, meint auch der langjährige Klitschko-Manager Bernd Bönte. "Ich glaube aber, dass AJ aktuell nicht das Niveau von Lennox Lewis oder Wladimir Klitschko hat", erklärte er im DAZN-Fightclub.

Bislang scheint er sich noch nicht vollständig erholt zu haben. AJ änderte im Rückkampf seinen Stil, achtete viel mehr auf Distanz und kontrollierte dadurch den Kampf. Ging Ruiz nach vorne, hatte er freie Bahn für seine Linke, oft gefolgt von der harten Rechten. Im alten Klitschko-Stil ging er auch manchmal in den Infight und klammerte, wenn Ruiz mal ein kleines Aufbäumen hatte. Bönte verriet, dass Joshua mit Wladimir telefoniert und sich Tipps, vor allem für die Verarbeitung der Niederlage, geholt hätte.

Marvin Hagler, wohl einer der besten Mittelgewichtsboxer aller Zeiten, beschrieb das Aufrappeln nach einer Klatsche so: "Es ist schwer, um 5 Uhr morgens aus dem Bett aufzustehen und Straßenarbeit zu leisten, wenn man im Seidenpyjama geschlafen hat."

Bislang, so berichtet sein Umfeld, scheint sich der Erfolg nicht negativ auf seine Arbeitsmoral oder seinen Ehrgeiz ausgewirkt zu haben. Laut Peter Kadiru, Deutscher Meister im Schwergewicht und Trainingspartner von AJ, ist er sogar in der "Form seines Lebens".

Anthony Joshua: Seine letzten Kämpfe

Wie es geht, sich von einer Niederlage zu erholen, zeigte eindrucksvoll Kubrat Pulev. Der 39-Jährige siegte in seinen letzten sechs Kämpfen. Vor seinem höchstwahrscheinlich letzten Titelkampf will die "Kobra" wieder angreifen - und das mit Kult-Trainer Ulli Wegner.

Den 78-jährigen Trainer-Fuchs kennt Pulev seit vielen Jahren. Doch Ärger mit seinem früheren Management Sauerland und Wegner selbst haben Pulev in der Vergangenheit oft zurückgeworfen. Wegner wartet wohl noch immer auf ausstehende Zahlungen der letzten Jahre. Vertragliche Angelegenheiten sind demnach auch der Grund, warum der Trainer nicht in der Ecke von seinem Schützling stehen wird.

Da Wegner Pulev den großen Sieg zutraut, betreute er ihn während seines Trainingslagers. "Ich hätte mir nicht die Zeit genommen, wenn ich gewusst hätte, dass Kubrat nicht mitzieht oder fleißig im Trainingsprozess wäre. Er war überragend im Training", erklärte er gegenüber DAZN und SPOX. Dass die Beziehung wirklich so gut ist, sehen nicht alle so. "Ich bezweifle, dass Ulli nach der ganzen Vorgeschichte einen großen Zugang zu ihm hat", meint DAZN-Experte Andreas Selak.

In seiner Heimat Bulgarien absolvierte Pulev ein Höhentrainingslager, um ideal auf seinen großen Kampf vorbereitet zu sein. In seinem einzigen Titelkampf gegen Klitschko enttäuschte er 2014. Zwar setzte er mehrere Treffer, am Ende war seine Verteidigung aber nicht titelwürdig. Bereits in der ersten Runde ging er zweimal zu Boden. Schließlich war für ihn der Kampf in der fünften Runde vorbei. Ringrichter Tony Weeks machte sich damals gar nicht erst die Mühe, ihn anzuzählen. Insgesamt lag er vor dem K.o. sogar viermal am Boden.

Kubrat Pulev: "Er setzt viel auf die psychologische Kriegsführung"

"Das war damals eine relativ heiße Geschichte, weil es auch viel Ärger mit dem Promoter der anderen Seite gab", erinnert sich Bönte. "Er setzt viel auf die psychologische Kriegsführung. Das hat er damals auch bei Wladimir versucht, der vor dem Kampf ziemlich sauer war. Die ewigen Sticheleien, auch unter der Gürtellinie, haben hinten den Kulissen zu vielen Reibereien gesorgt."

Rund um Pulevs Taktik hat Bönte eine klare Meinung: "Pulev ist sich im Klaren, dass es seine letzte Chance auf einen Titel sein wird. Er weiß auch, dass er den Kampf früh beenden muss. Je länger der Kampf dauert, desto mehr ist er auf der Verliererstraße."

Pulev hat einen ähnlichen "Jab and grab"-Stil wie Klitschko. Er neigt dazu, mit seiner Führhand an die gegnerische Verteidigung zu "tappen", um Öffnungen für seine Rechte zu finden. Da er allerdings kein harter Puncher ist, kann AJ in diesem Fall wesentlich aggressiver nach vorne gehen, um ihn unter Druck zu setzen. Bönte und Joshuas Trainingspartner Kadiru rechnen damit, dass Joshua früh Druck erzeugen will, da Pulev als langsamer Starter bekannt ist.

Kubrat Pulev: Seine letzten Kämpfe

Auf dem Papier, bei den Buchmachern und für die Experten ist Anthony Joshua (23-1-0) also gegen Kubrat Pulev (28-1-0) der große Favorit. Das war allerdings damals auch gegen Ruiz der Fall, der Ausgang ist bekannt. Wird es aber eine erneute Sensation geben? Wohl eher nicht.

Pulevs Größe kann als Vorteil gesehen werden, da es für AJ nicht einfach sein wird, ihn zu bearbeiten. Allerdings bietet so eine Größe Joshua auch ein größeres Ziel. Dazu kommt, dass Pulev mit seinen 39 Jahren in vielerlei Hinsicht langsam ist: Er braucht lange, bis er in seinen Kampf findet. Pulev ist hüftsteif. Das hat zur Folge, dass er einem heranstürmenden AJ nur schlecht ausweichen kann.

Seine Lieblingswaffe ist seine Rechte. Wenn er diese einsetzt, lässt er allerdings oft seine Deckung offen. Natürlich wollte er im Vorfeld alle überzeugen, dass die Verteidigung nun seine Stärke sei. Dennoch darf zumindest bezweifelt werden, dass eine 180-Grad-Kehrtwende erfolgt ist.

Ein weiterer Vorteil von AJ ist, dass Pulev in der Vergangenheit teilweise große Probleme mit Finten hatte. Wenn man bedenkt, was für den Bulgaren auf dem Spiel steht, muss er so oder so mehr Risiko gehen.

Anthony Joshua gegen Kubrat Pulev: Wie geht der Kampf aus?

Seine einzige Chance besteht also darin, Joshua früh zu erwischen. Ähnlich wie Ruiz muss er blitzartig nach vorne springen, um als Underdog zu gewinnen. Je länger der Kampf dauert, desto geringer werden seine Chancen auf einen Sieg.

21 seiner 24 Kämpfe entschied AJ durch K.o., 16 sogar in der ersten Hälfte des Kampfes. Joshua will und muss ein Statement setzen, um mit der bestmöglichen Ausgangslage in einen möglichen Kampf mit Tyson Fury zu gehen.

SPOX-Prognose: Joshua gewinnt durch K.o. in der dritten Runde.

Anthony Joshua und Kubrat Pulev im Vergleich