Boxen: Fünf Fragen zu Canelo Alvarez vs. Daniel Jacobs - Canelo hat einen großen Sieg nötig

Stefan Petri
04. Mai 201910:54
Canelo Alvarez (l.) gegen Daniel Jacobs - der Megafight live auf DAZN.getty
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In der Nacht von Samstag auf Sonntag steigt in Las Vegas der Kampf des Jahres (3 Uhr LIVE auf DAZN). Mit Superstar Canelo Alvarez und dem Amerikaner Daniel Jacobs treffen zwei Weltmeister im Mittelgewicht aufeinander. Was steht auf dem Spiel? Welchen Weg hat Alvarez hinter sich? Was für ein Fight erwartet die Zuschauer? Und warum muss Canelo unbedingt gewinnen? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

1. Was steht im Kampf des Jahres auf dem Spiel?

Wenn Ringsprecher Michael Buffer im Seilgeviert von Las Vegas seine berühmten Worte "Let's get ready to rumble!" ins Mikrofon rufen wird, stehen gleich drei Weltmeistertitel im Mittelgewicht auf dem Spiel.

Canelo Alvarez hält die Gürtel der Verbände WBC und WBA. Diese beiden Titel sicherte er sich mit einem Sieg gegen Genady "GGG" Golovkin am 15. September 2018. Dazu wird er auch vom Ring Magazine als Weltmeister geführt, allerdings handelt es sich dabei um einen eher unbedeutenden Titel.

Daniel Jacobs ist Weltmeister des Verbandes IBF. Den vakanten Gürtel gewann er in seinem letzten Kampf am 27. Oktober 2018 mit einem Split-Decision-Sieg über den Ukrainer Sergej Derevianchenko. Zuvor hielt er bereits von 2014 bis 2017 den WBA-Titel, verlor ihn jedoch im März 2017 nach einer knappen Niederlage gegen Golovkin.

Wer auch immer am 5. Mai gewinnt, darf sich Weltmeister von drei der wichtigsten vier Verbände nennen.

Und auf einen Vereinigungskampf gegen den Amerikaner Demetrius Andrade (27-0) hoffen, der seit Oktober 2018 WBO-Champion ist. Den letzten "Undisputed Champion" im Mittelgewicht gab es vor fast 14 Jahren, als der Amerikaner Jermain Taylor seinen Landsmann Bernard Hopkins besiegte und alle vier großen Gürtel gewann.

2. Wer ist Herausforderer Daniel "Miracle Man" Jacobs?

Daniel Jacobs ist in Deutschland vergleichsweise unbekannt. Man darf sich jedoch nicht täuschen lassen: Der zweimalige Weltmeister aus Brooklyn gehört zu den besten Mittelgewichtlern auf diesem Planeten und galt schon früh als Supertalent. Seinen ersten Profikampf absolvierte er 2007 auf der Undercard von Mayweather vs. Hatton.

Jacobs ist ein klassischer Rechtsausleger, der im Laufe eines Kampfs aber auch in den Southpaw wechseln kann. Er bringt eine gehörige Punching Power mit, was 29 Knockouts in 35 Siegen belegen. Der Allrounder hat schnelle Beine und schnelle Hände und keine wirklichen Schwächen.

Noch beeindruckender jedoch sind seine Comeback-Qualitäten: Im Alter von gerade mal 24 Jahren wurde bei ihm ein Osteosarkom diagnostiziert - bösartiger Knochenkrebs. Ein faustgroßer Tumor hatte sich an seiner Wirbelsäule gebildet. "Nur wenige Tage später und er hätte mein Herz verlangsamt", erzählt Jacobs. "Ich lag buchstäblich bereits auf dem Totenbett."

Eine komplizierte Operation und 25 Chemotherapie-Einheiten retteten ihm das Leben. 19 Monate später stand er wieder im Ring - aus dem "Golden Child" war der "Miracle Man" geworden. Ein Mann mit einer Mission: "Ich will der größte Boxer aller Zeiten werden." Sein Vorbild dabei: Lance Armstrong. "Viele Weltmeister sind nur das: Weltmeister. Aber was haben sie für ihre Mitmenschen getan? Ich will die Leute inspirieren, niemals aufzugeben."

Nur ein einziges Mal verlor Jacobs im Ring, nachdem er den Krebs besiegt hatte. Gegen einen Golovkin auf dessen Höhepunkt kassierte er in der 4. Runde einen Flash Knockdown, rappelte sich jedoch wieder auf und schickte GGG zum ersten Mal in dessen Karriere über die vollen zwölf Runden - und beendete dessen Knockout-Serie von 23 Kämpfen. Die Punktrichter sahen Golovkin jeweils knapp vorn, ein Urteil, das Jacobs nicht teilte.

Verständlich also, dass sich Jacobs auch gegen Canelo gute Chancen ausrechnet. "Er hat schon gegen große Jungs geboxt, gegen schnelle oder auch clevere. Aber noch nie gegen jemanden, der all das vereint", sagte er im Vorfeld. Nach seinem Fight im Oktober forderte er noch im Ring den mexikanischen Superstar heraus. Im Boxen bekommt man nicht immer das, was man will. Diesmal schon.

3. Ist Canelo der größte Boxer des Planeten?

Am Abend vor dem Cinco de Mayo, dem wohl wichtigsten mexikanischen Feiertag, werden sich nicht nur in Canelos Heimat ganze Scharen von Fans vor den Bildschirmen zusammenrotten, um ihren Liebling zu feiern. Saul Alvarez ist nicht nur in Mexiko ein Superstar. Auch in den USA, dem mit Abstand wichtigsten Markt, ist er der größte Name: Mit Ausnahme des Schaukampfes zwischen Mayweather und Conor McGregor konnte in den letzten Jahren kein anderer Boxkampf an den Pay-per-View-Zahlen eines Canelo kratzen.

Doch der Rest der Welt hinkt vielleicht noch ein bisschen hinterher. Auch das könnte ein Grund dafür gewesen sein, dass der 28-Jährige den Pay-per-View-Fights den Rücken kehrte und für insgesamt elf Kämpfe bei DAZN unterschrieb. So kann er neue Fans anlocken, die von einem PPV-Preis von vielleicht 80 oder 90 Dollar abgeschreckt würden. Das - und natürlich die Summe von 365 Millionen Dollar, die ihm DAZN für die Fights garantiert.

Nach Mayweathers Abtritt und der ausklingenden Karriere von Manny Pacquiao blieb eine Lücke, Anthony Joshua steht erst in den Startlöchern seiner Karriere und braucht weitere große Fights. Canelo bringt alles mit, um die Nummer eins zu werden: Eine massive Fangemeinde, internationalen Appeal, einen enorm attraktiven Kampfstil mit viel Action und harten Knockouts.

Sein großes Plus: Er scheut die großen Gegner nicht. Miguel Cotto, Amir Khan, zweimal Genady Golovkin. Einmal nahm er sich zu viel vor, als er im Alter von nur 23 Jahren gegen Mayweather antrat und nach zwölf Runden zwei Kampfrichter gegen ihn entschieden. Als Boxfan kann man sich nichts Besseres wünschen.

Wenn Canelo also nicht längst der größte Boxer derzeit ist, dürfte er es bald sein. Schließlich bietet er nicht nur spektakuläres, sondern auch verdammt gutes Boxen. Die Pound-for-Pound-Rankings dominiert er zusammen mit Vasiliy Lomachenko und Terrence Crawford, doch in puncto Beliebtheit können die nicht mit ihm mithalten.

4. Was für ein Kampf erwartet die Zuschauer?

"Styles make fights", sagt man so schön im Boxen. Und dieser Fight bringt alles mit, um die Zuschauer in Las Vegas und weltweit zu begeistern. Beide Boxer warten mit hervorragenden Knockout-Quoten auf und sind nicht dafür bekannt, sich mit defensivem Boxen über die Runden zu bringen.

Jacobs ist auf dem Papier der Außenseiter, doch der Allrounder nimmt einige Vorteile mit in den Ring: Er ist größer und mit mehr Reichweite ausgestattet als sein Gegner, dazu bringt er ein bisschen mehr Gewicht auf die Waage. Sein Box-IQ ist hervorragend, technisch hat er alle Möglichkeiten, um Canelo auf Distanz zu halten.

Der wird nach seinem kurzen Ausflug ins Supermittelgewicht gegen Rocky Fielding wieder ein paar Pfund schmaler daherkommen und gegen Jacobs nach vorn marschieren müssen - was aber ohnehin seinem Naturell entspricht. Gerade auf die kurze Distanz und gegen den Körper ist er niederschmetternd, seine Leberhaken sind legendär. Darüber hinaus ist er ein phänomenaler Counterpuncher.

Canelo wird also den einen oder anderen Jab fressen, um sich Jacobs zurechtzulegen und ihn dann im Infight aufzureiben. Der Amerikaner muss versuchen, ihn mit viel Aufwand zu zermürben und auf den Punktezetteln Vorteile zu sammeln. Klappt das nicht, muss eine Überraschungsvariante her - wie etwa der Wechsel in den Southpaw Stance.

5. Canelo vs. Jacobs: Wie geht der Kampf des Jahres aus?

Auch wenn Jacobs ebenfalls einen Gürtel hält: Gefühlt ist Rotschopf Canelo der Champion, der erst einmal geschlagen werden muss. Mit 28 Jahren könnte er auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft angekommen sein, die drei Runden gegen Fielding waren zudem nicht sonderlich kräftezehrend.

Canelo hat mehr Power und ein ebenfalls starkes Kinn, was er gegen Golovkin unter Beweis stellte. Dazu kommt: Auch wenn er auf dem Papier auswärts boxt: Am Cinco-de-Mayo-Wochenende werden tausende leidenschaftliche Fans die T-Mobile Arena in ein Tollhaus verwandeln - gut möglich, dass es sich gefühlt um einen Heimvorteil handeln wird.

Das könnte auch Auswirkungen auf den Punktezetteln haben. Auf denen kam Canelo zuletzt stets gut weg - in den Kämpfen gegen Golovkin vielleicht zu gut. Gegen Jacobs werden die gleichen drei Ringrichter zum Einsatz kommen, die ihm einen knappen Sieg im Rückkampf gegen GGG bescherten. "Er soll sich lieber um den Kampf gedanken machen, nicht um die Ringrichter", wehrte Canelos Promoter Oscar de la Hoya ab. "In Las Vegas kann jeder verlieren, ich habe dort als Favorit auch verloren."

Jacobs hat bewiesen, dass er mit jeder noch so großen Herausforderung umgehen kann. Er sieht sich auf einer Mission und selbst ein früher Niederschlag würde ihn nicht entmutigen.

Andererseits braucht Canelo nach einem turbulenten Jahr unbedingt einen überzeugenden Sieg, am besten durch Knockout. Die zwei Kämpfe gegen GGG gingen für ihn eher glücklich aus, dazu kam die positive Dopingprobe vor dem Rückkampf. Er braucht positive Schlagzeilen - und bekommt sie.

Sieger: Canelo Alvarez, TKO in Runde 10