Urgewalt trifft Pferdelunge

Bastian Strobl
25. Januar 201415:28
Marco Huck vs. Firat Arsan: Wer verlässt Stuttgart mit dem Titel?getty
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Revanche oder Titelverteidigung? Marco Huck setzt seinen WBO-Titel im Cruisergewicht erneut gegen Firat Arslan aufs Spiel (22.10 Uhr im LIVE-TICKER). SPOX hat beide Kämpfer vor dem Duell in Stuttgart auf Herz und Nieren geprüft. Der Head-to-Head-Vergleich.

Vorbereitung

Viel wurde zuletzt über die alles andere als optimale Vorbereitung von Marco Huck vor dem ersten Duell mit Firat Arslan gesprochen. "Das Problem beim ersten Fight war, dass ich ihn nicht ernst genommen habe. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie mir ein 42-Jähriger gefährlich werden soll", so der Käpt'n im SPOX-Interview.

Das wollte das Duo Huck/Wegner diesmal unbedingt vermeiden - und ging neue Wege. In einer Druckkammer in Berlin wurde ein Höhentraining simuliert, um die Kondition zu verbessern. "Durch diese Art des Trainings haben sich die Ausdauerwerte von Marco noch einmal klar gesteigert. Und desto mehr Energiereserven ein Boxer hat, desto weniger baut er in einem Kampf ab und legt nochmals eine Schippe drauf", so Coach Ulli Wegner.

Arslan setzte dagegen auf eher altmodische Methoden. Seit 25 Jahren schreibt er täglich in sein Trainings-Tagebuch. "Ich habe durch meine professionelle Einstellung einen Vorteil, den ich mir hart erarbeitet habe. Immer, wenn man mir in meiner Karriere einen Kampftermin genannt hat, habe ich mir einen Trainingsplan zurechtgelegt. Bis zum Tag des Kampfes ist meine Vorbereitung bis ins letzte Detail geplant", so der Herausforderer, der sich im Trainingslager bis zu acht Stunden am Tag schindete. SPOX-Urteil: Unentschieden

Erfahrung

39 Kämpfe auf der einen Seite, 41 Fights auf der anderen. In Sachen Erfahrung nehmen sich Huck und Arslan nicht viel - zumindest auf den ersten Blick. Bedenkt man, dass der Käpt'n erst 29 ist, muss man allerdings vor seiner Workrate den Hut ziehen. Insgesamt stand der Weltmeister sogar mehr Runden im Ring als sein Gegner (275 zu 249).

Dass der Weltmeister in den letzten Jahren so häufig in Action war, lag natürlich auch an seiner fast komplett fehlenden Amateurkarriere (nur 15 Kämpfe). In dieser Statistik hat Arslan deutlich die Nase vorne (92 Kämpfe) - genauso wie beim Alter.

Als Oldie fühlt sich der "Löwe", der zwischen 2007 und 2008 den WBA-Titel im Cruisergewicht hielt, dennoch nicht: "Es ist immer viel von meinem Alter die Rede - aber ich schaue mir dann immer meinen Krafttrainer Ted Lackner an. Er ist 66 Jahre alt - und so etwas von in Form, dass ich mir jeden Tag denke: Was sind da schon 43 Jahre? Auch meine Werte haben sich nicht verschlechtert." SPOX-Urteil: Unentschieden

Schlagkraft

Wenn man auf Arslans K.o.-Quote blickt, bekommt man zwar nicht das große Fürchten. Allerdings hören sich 21 Knockouts in 33 Siegen nicht ganz so schlecht an. Das ist jedoch ein Irrglaube! Der Ex-Champion verfügt nicht über die großartige Power wie andere Cruisergewichte.

Daran wird sich im Spätherbst seiner Karriere auch nicht mehr viel ändern. "Er hat keinen Punch in den Fäusten, hält den Gegner aber mit seinen Schlägen gut in Schach", beschreibt Huck seinen Gegner folgerichtig.

Beim Käpt'n sieht die Sache dagegen etwas anders aus, auch wenn die K.o.-Quote von 64,1 Prozent ebenfalls Luft nach oben lässt. Dazu passt, dass Huck seit fünf Kämpfen auf einen vorzeitigen Erfolg wartet. Das liegt laut eigener Aussagen allerdings auch seiner starken Gegnerauswahl. SPOX

Das mag nur die halbe Wahrheit sein, Hucks Urgewalt in den Händen bleibt trotzdem über jeden Zweifel erhaben. Das Problem ist eher, dass er seine Power häufig in wilden Angriffen verschleudert. Ein K.o.-Sieg würde dem amtierenden Weltmeister mal wieder guttun - gerade hinsichtlich der eigenen Selbstüberzeugung. SPOX-Urteil: Vorteil Huck

Kinn

Huck hat bereits bewiesen, dass er einstecken kann. 2008 kämpfte er nach einer rechten Geraden seines Gegners Frantisek Kasanic sieben Runden mit einem gebrochenen Kiefer und gewann. Auch bei seinem Ausflug ins Schwergewicht machte er gegen einen - zugegebenermaßen etwas unfitten - Alexander Powetkin eine gute Figur.

Arslan muss sich davor allerdings nicht verstecken. Der Herausforderer ist bekannt für seine Nehmerqualitäten und sein großes Kämpferherz und wird sein letztes Hemd geben, um vor "seinen" Fans nicht zu Boden zu gehen. SPOX-Urteil: Unentschieden

Seite 1: Vorbereitung bis Kinn

Seite 2: Ausdauer bis Fazit

Ausdauer

Viele Boxer machen diese Entwicklung durch. Man verausgabt sich zu Beginn eines Kampfes, wodurch die Luft in der Schlussphase dünn wird. Auch Huck musste diese Erfahrung machen, als er sich in seinem ersten WM-Fight gegen Steve Cunningham die Kondition nicht richtig einteilte.

Seit dieser bitteren Niederlage hat der Käpt'n allerdings dazu gelernt - auch weil Wegner oftmals frühzeitig die Zeichen der Zeit erkennt und seinen ungestümen Schützling bremst.

Also ein großer Vorteil gegenüber einem 43-Jährigen? Von wegen! Arslan gilt als das Konditionswunder schlechthin. Man hat fast den Eindruck, als könne er sogar 30 Runden im Ring stehen, ohne großartig in Probleme zu geraten. Oder wie es selbst Huck ausdrückte: "Firat hat Kondition wie zehn Pferde." SPOX-Urteil: Vorteil Arslan

Körperliche Verfassung

Huck ist zwar sechs Zentimeter größer als sein Gegner (1,88 m zu 1,82 m), bei der Reichweite schenken sich beide Kontrahenten allerdings nichts (195 cm). Auch beim Wiegen ließen sich kaum Unterschiede feststellen.

Huck, der mit 90,5 kg etwas schwerer war als Arslan (90,1 kg), gilt trotz seiner Größe als explosiver als sein Gegner. Das stellte er nach einigen schwachen Vorstellungen vor allem in seinem letzten Kampf gegen Ola Afolabi unter Beweis.

Auf dem Papier ein Pluspunkt gegenüber dem Brawler Arslan, den Huck allerdings erst mal ausspielen muss. SPOX-Urteil: Vorteil Huck

SPOXJay Hunting/Team Arslan

Fähigkeiten

Ein Techniker vor dem Herrn wird Huck in seiner Karriere nicht mehr. Sein häufig stürmischer Stil ist kein Augenschmaus für Box-Ästheten. Die Offensivaktionen sind nicht geschmeidig, der Jab verkümmert im Eifer des Gefechts häufig zu einer Randnotiz und die Präzision lässt ebenfalls zu wünschen übrig.

Warum er trotzdem Weltmeister ist? Sobald Huck in den Vorwärtsgang übergeht, schafft er es oftmals, seinen Gegner mit schnellen Schlagsalven zu übermannen. Das sieht nicht immer schön aus, ist aber extrem spektakulär und hinterlässt Eindruck - sowohl beim Gegner als auch auf den Zetteln der Punktrichter.

Durch diesen Stil ist Huck allerdings auch enorm anfällig für schnelle Konter. Ob Arslan daraus Profit schlagen kann, muss man abwarten. Der Lokalmatador ist nicht unbedingt als Konter-Spezialist bekannt.

Meistens versteckt er sich hinter seiner Doppeldeckung und versucht, aus kurzer Distanz seine Kombinationen im Ziel unterzubringen. Damit hatte er im ersten Kampf durchaus Erfolg - für einen Sieg muss Arslan aber flexibler agieren und häufiger seine Führhand platzieren. Ansonsten wird er vielleicht wie im November 2012 wieder hochprozentiger treffen (34 Prozent zu 28 Prozent), absolut gesehen allerdings weniger Treffer setzen als Huck (235 zu 241). SPOX-Urteil: Vorteil Huck

Mentale Stärke

Arslan kann seinen vielleicht letzten großen Auftritt ganz entspannt angehen. Der Druck liegt bei Huck, der unbedingt ein Zeichen setzen muss, um einem Vereinigungskampf im Cruisergewicht oder vielleicht sogar dem Aufstieg ins Schwergewicht ein Schritt näher zu kommen.

Die ersten beiden Runden vor dem eigentlichen Kampf gingen bereits an den Herausforderer. Das Arslan-Lager bereitete Huck beim Wiegen mit lauten "Firat, Firat"-Sprechchören einen besonderen Empfang. Das dürfte aber nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Stimmung in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle gewesen sein.

Außerdem wurde der umstrittene Punktrichter Mickey Vann, von dem sich Arslan im ersten Kampf benachteiligt sah, ausgetauscht. Der 43-Jährige hatte zuvor Protest bei der WBO eingelegt und damit offenbar Erfolg gehabt. SPOX-Urteil: Vorteil Arslan

Fazit

"Ohne zu übertreiben, kann ich sagen, dass dies vom Medieninteresse das größte deutsch-deutsche Duell seit Maske vs. Rocchigiani ist." Promoter Kalle Sauerland mag mit dieser Aussage Recht haben oder auch nicht - ein gewisses Flair kann man dem Rückkampf zwischen Huck und Arslan aber sicherlich nicht absprechen.

Eigentlich ist alles vorstellbar. Ein Huck, der wie im dritten Duell mit Afolabi alle Kritiker verstummen lässt. Ein Arslan, der sich noch mal die Krone holt. Oder spielen doch wieder die Punktrichter das Zünglein an der Waage?

Vieles wird darauf ankommen, ob es der Herausforderer wieder schafft, Huck den letzten Nerv zu rauben. Sollte der Käpt'n allerdings von Anfang aufs Gaspedal drücken und den Kampf diktieren, dürfte er seinen WBO-Titel ein weiteres Mal verteidigen können. SPOX-Urteil: Punktsieg Huck

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