Rückkehr der Ergebnismaschine

Jan Höfling
15. September 201516:47
Bryant Jennings (l.) hat eine Auge auf die Titel Wladimir Klitschkos geworfengetty
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In der Nacht von Samstag auf Sonntag (ab 4 Uhr im LIVE-TICKER) kommt es in New York zum Schwergewichts-Duell zwischen Weltmeister Wladimir Klitschko (63-3-0) und Herausforderer Bryant Jennings (19-0-0). Im Madison Square Garden stehen dabei die WBA-, WBO-, IBF- und IBO-Gürtel des Ukrainers auf dem Spiel. SPOX hat beide Kämpfer auf Herz und Nieren geprüft. Der Head-to-Head-Vergleich.

Vorbereitung

Im Vergleich zum Kampf gegen Kubrat Pulev erlebte der Weltmeister aus der Ukraine eine äußerst ruhige Vorbereitung. Während im Vorfeld des Pulev-Kampfes vor allem Shannon Briggs für Unruhe sorgte und Klitschko nahezu auf Schritt und Tritt folgte, war vom US-Amerikaner diesmal nicht ganz so viel zu sehen. Auch von einer Verletzung, wie dem gerissenen Bizeps, der zu einer Verschiebung des Fights führte, blieb der Champion verschont.

Allerdings gab es auch vor dem Duell gegen Jennings ein gewisses Maß an Ablenkung. Diesmal jedoch im positiven Sinne. Immerhin brachte Klitschkos Verlobte Hayden Panettiere das erste gemeinsame Kind zur Welt. Das gesunde Mädchen, welches auf den Namen Kaya Evdokia hört und Anfang Dezember das Licht der Welt erblickte, dürfte beim 39-Jährigen für ein zusätzliches Hochgefühl und einen mit diesem einhergehenden Motivationsschub gesorgt haben.

Zusammen mit seinem Trainerteam kann auch der Herausforderer aus den Vereinigten Staaten auf eine Vorbereitungsphase ohne nennenswerte Einschnitte zurückblicken. Die große Frage, ob es dem Team des US-Amerikaners gelungen ist, den Klitschko-Code zu entschlüsseln und ihren Schützling auf den größten Kampf seines Lebens entsprechend vorzubereiten, wird sich dennoch erst am Tag der Wahrheit zeigen. Einen wirklichen Vorteil dürfte allein aufgrund der Vorbereitung keiner der beiden Kämpfer für sich beanspruchen können. SPOX

SPOX-Urteil: Unentschieden

Klitschkos Rückkehr nach New York: Schatten der Vergangenheit

Erfahrung

Nicht immer haben Zahlen auch eine allumfassende Aussagekraft, bei Klitschkos Karriere ist dies jedoch der Fall. Über 140 Kämpfe, Silber bei den Europameisterschaften 1996 und eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen im gleichen Jahr stehen unter anderem als Amateur zu Buche. Hinzu kommen 66 Kämpfe als Profi, bei denen er insgesamt 334 Runden im Ring stand sowie eine Vielzahl von Titelkämpfen auf der größtmöglichen Bühne. Es dürfte somit wohl kaum etwas geben, das den Champion ernsthaft aus der Ruhe bringt.

Sein Gegenüber hingegen schnürte erst im Jahr 2009 zum ersten Mal seine Boxhandschuhe. Wenige Monate später wurde er bereits zum Profi. Magere 17 Kämpfe als Amateur stehen auf der Habenseite. Immerhin: 13 davon konnte Jennings für sich entscheiden. Als Profi verbrachte er bei seinen 19 Kämpfen 102 Runden im Ring, stolze 232 weniger als sein Kontrahent aus der Ukraine.

Auch bei der Erfahrung in einer Arena wie dem altehrwürdigen Madison Square Garden zu kämpfen, hat der Außenseiter aus Philadelphia klar das Nachsehen. Selbst sein Ruf, ein sehr lernfähiger Boxer zu sein, ändert somit nichts an der Tatsache, dass der Unterschied in puncto Erfahrung kaum größer ausfallen könnte.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Schlagkraft

Der Spitzname 'Dr. Steelhammer' ist Programm, etwaige Fragen dürften sich deshalb erübrigen. Die Schlagkraft des Ukrainers sucht im Schwergewicht aktuell ihresgleichen, eine Knockout-Quote von 80,3 Prozent untermauert dies eindrucksvoll. Wirklich imposante Niederschläge waren zuletzt zwar selten, gegen Pulev blitzte Klitschkos enorme Power, die nicht nur von seiner vernichtenden Rechten ausgeht, jedoch wieder auf. Ein vorzeitiges Ende durch einen knallharten Knockout war die Konsequenz.

Vor allem Klitschkos Jab, von vielen gerne unterschätzt, sticht heraus. Der Paradeschlag des Weltmeisters dient dabei nicht nur der Distanzfindung und dem Punkten auf den Scorecards. Der Schlag, mit dem der Ukrainer in der Regel den Kampf diktiert, verfügt über eine Härte, die es im Schwergewicht wohl selten bis nie gab. Kombiniert mit dem linken Haken, der bei Ausweichversuchen des Gegners zu dessen rechter Seite ins Spiel kommt, ergeben sich für den US-Amerikaner gleich mehrere ernsthafte Probleme. Finden er und sein Team keine Lösung, droht ein schnelles Ende.

Jennings selbst gehört mit lediglich zehn Knockout-Siegen in 19 Kämpfen nicht zu den Boxern mit der größten Schlagkraft. Auch die Reichenweitenvorteile, welche er gegenüber seinen bisherigen Kontrahenten hatte und selbst gegen Klitschko hat, konnten daran nichts ändern.

Seine Stärken verortet der Herausforderer deshalb in anderen Bereichen: "Es gibt Sachen, die kann man nicht lernen. Ein Kämpferherz und große Willensstärke machen einen wahren Champion aus. Und genau diese habe ich", so der 30-Jährige im Vorfeld. Ein offener Schlagabtausch mit Klitschko dürfte allerdings ein schnelles Ende aller Titelträume bedeuten - Herz hin, Herz her.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Kinn

Es gibt sie tatsächlich, die vermeintliche Achillesferse des Weltmeisters. Dass Klitschkos Kinn nie das härteste war, und es wohl auch niemals werden wird, ist kein Geheimnis. Zudem ist es ein Element, welches schon von so manchem Kontrahenten im Vorfeld eines Duells angeführt wurde. Vor allem die Niederlage gegen Lamon Brewster dient deshalb immer wieder als Ansatz für etwaige Außenseiter. Allerdings liegt diese inzwischen eine Dekade zurück.

Zu verdanken hat Klitschko diesen Umstand den Lehren aus eben jenem Brewster-Debakel und der damit einhergehend verbesserten Defensivarbeit, die er vor allem unter Trainer-Legende Emanuel Steward entwickelte, sowie dem Jab als Kontrollinstrument. Eklatante Nachteile in Größe, Technik und Schlagkraft seiner letzten Gegner spielten allerdings auch eine Rolle. Treffer am Kinn des Weltmeisters waren quasi nicht existent.

Aufgrund eines aggressiven Stils musste Jennings zwar schon harte Treffer einstecken, eine mit Klitschko vergleichbare Schlagkraft dürfte er allerdings noch nie zu spüren bekommen haben. Ob seine Nehmerqualitäten deshalb genügen, wird sich erst während des Kampfes zeigen. Bis es soweit ist, bleibt das Kinn beider Kämpfer somit die große Unbekannte und lässt Spielraum für ein Spekulationen.

SPOX-Urteil: Unentschieden

Seite 1: Vorbereitung bis Kinn

Seite 2: Ausdauer bis Fazit

Ausdauer

Mit dem Alter kommt die Weisheit. Besser könnte man den Wandel Klitschkos nicht beschreiben. Während sich der Ukrainer zu Beginn seiner Profi-Karriere oft früh verausgabte und so noch vor Ende des Kampfes stehend K.o. schien, hat er mit den Jahren gelernt sich seine Kraft einzuteilen und nicht als verwundbarer Kämpfer zu enden.

Mit inzwischen 39 Jahren hat der Champion deshalb noch immer keine Probleme mit einem Kampf über die volle Distanz. Die Tatsache, dass er in der Regel das Kampfgeschehen diktiert sowie seine körperliche Überlegenheit im Clinch zu seinen Gunsten nutzt und etwaige Gegner ordentlich Kraft kostet, kommt hinzu.

"Man sieht es im Ring: Dort arbeitet er nicht mehr so hart, schlägt weniger. Er verlässt sich mehr auf Erfahrung und Strategien, um durchzukommen", führte Jennings unlängst das fortgeschrittene Alter seines Kontrahenten ins Feld und schob mit einem Schmunzeln nach: "Er wird ein bisschen alt." Der US-Amerikaner darf allerdings nicht den Fehler machen und sich auf seinen Aussagen ausruhen. Zu erfahren und sicher ist sein Gegenüber im Ring.

Aufgrund seiner Vergangenheit und der Tatsache, dass er zu den austrainierteren Athleten im Schwergewicht gehört, hat auch Jennings keinerlei Probleme zwölf Runden im Ring zu stehen. Wie sich seine Ausdauerwerte allerdings nach schweren Treffern verändern, bleibt abzuwarten. Während Klitschko mit seiner Erfahrung in puncto Krafteinteilung punkten kann, hat Jennings den Vorteil der Jugend auf seiner Seite.

SPOX-Urteil: Unentschieden

Körperliche Verfassung

Klitschko ist der Modelathlet schlechthin. In der Vergangenheit war der Weltmeister seinen Kontrahenten im Ring auf der physischen Ebene in der Regel deutlich überlegen. Auch diesmal präsentierte er sich im Vorfeld des Kampfes in gewohnter Verfassung, ein Gramm Fett sucht man am Körper des Ukrainers vergebens, Muskeln bestimmen das beeindruckende Gesamtbild.

Allerdings gibt es beim Duell mit Jennings einen großen Unterschied. Zwar ist dieser mit 191 cm rund sieben Zentimeter kleiner als Klitschko, jedoch hat der US-Amerikaner mit 213 cm eine deutlich größere Reichweite - sieben Zentimeter trennen die beiden Kontrahenten. Ein großer Vorteil gegen den aus der Distanz boxenden 39-Jährigen und gleichzeitig einer der wenigen Aspekte, die dem Außenseiter Hoffnung machen dürften.

Die Form von Jennings kommt keineswegs aus dem Nichts. In der Highschool war er gar ein wahres Multitalent. Unter anderem spielte er Football und Basketball für das Universitätsteam, versuchte sich allerdings auch in der Leichtathletik. Im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger ist der Herausforderer folglich äußerst austrainiert, beweglich und trägt keine überflüssigen Pfunde mit sich herum. Zu Klitschko fehlt allerdings dennoch das letzte Quäntchen.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Fähigkeiten

Im Hinblick auf die technischen Fähigkeiten beider Boxer ist Klitschko ohne Zweifel auf einem eigenen Level - vor allem angesichts seiner enormen Körpergröße. Sein Jab hat über die Jahre nicht nur an Dominanz, sondern auch an Power gewonnen. Seine Schlagkraft sucht ihresgleichen und auch seine koordinativen Fähigkeiten sind auf einem eigenen Niveau. Die größte Entwicklung hat der Weltmeister jedoch in der Defensive durchlebt. Die Niederlagen der Vergangenheit sind heute nahezu undenkbar.

Sein Gegenüber ist beileibe kein eindimensionaler Boxer und verfügt über eine starke athletische Basis. Allerdings ist Jennings Jab maximal solide, die Bewegung im Ring ebenfalls ausbaufähig. Trotz seiner kurzen Zeit als Amateur zeigte der Außenseiter zwar immer wieder gute Ansätze, die so manchen Gegner in Bedrängnis bringen können.

Im direkten Duell mit Klitschko - und damit dem Aufeinandertreffen mit dem besten seiner Zunft - bleibt davon jedoch nicht sonderlich viel übrig. Vor allem beim Vergleich der Führhände beider Boxer wird dies mehr als deutlich. Eklatante Unterschiede zu Gunsten Klitschkos sind nicht von der Hand zu weisen und werden für den Kampf von entscheidender Bedeutung sein.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Mentale Stärke

"Ich bin der Beste auf dem Planeten." Ein klares Statement! Die mentale Verfassung des Champions dürfte nicht nur aufgrund des klaren Erfolgs gegen Pulev noch weiter gewachsen sein. Auch die Geburt seines ersten Kindes wird Klitschko stärker machen.

Dennoch: Der Ukrainer wurde in seiner Karriere bisher auch dreimal ausgeknockt. Die Erinnerungen an diese schmerzhaften Niederlagen hängen zweifelsohne im Hinterkopf. Vor allem vor dem Hintergrund, dass er auf den Punktzetteln praktisch nicht zu besiegen ist. Ein Knockout scheint deshalb für jeden Gegner die einzige Chance auf die Titel des Ukrainers.

"Klitschko hat ja gar keine Ahnung, worauf er sich eingelassen hat", hielt Jennings den selbstbewussten Aussagen des Weltmeister entgegen: "Ich bin aggressiv. Das ist der Kampfstil, den Klitschko hasst. Gegen diesen hat er dreimal verloren. Wenn ich ihn treffe, wird es für ihn zu spät sein." Doch damit nicht genug: "Wenn er mich besiegen sollte, kann er aufhören, denn dann gibt es keine besseren Gegner mehr", so der Herausforderer weiter: "Falls ich es nicht schaffe, wird es niemand anderem gelingen."

Die Ansprache vor dem Duell im Garden macht Hoffnung auf eine große Schlacht, die Vergangenheit scheint diese jedoch direkt wieder zunichte zu machen. Immer wieder traten die Herausforderer im Vorfeld mit markanten Worten in Erscheinung, ehe sie im Ring nach dem ersten Treffer beeindruckt schienen und letztlich als weiteres Opfer Klitschkos endeten. Ein Umstand, der auch dem Champion nicht verborgen blieb und der dafür sorgt, dass dieser die Aussagen Jennings' nur mit einem Lächeln quittierte.

SPOX-Urteil: Vorteil Klitschko

Die anstehenden Box-Highlights im Überblick

Fazit

Wie so oft ist Klitschko der klare Favorit. Alles andere als eine erfolgreiche Titelverteidigung wäre bei der Rückkehr in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten eine faustdicke Überraschung. Ein Vorteil des US-Amerikaners ist zwar die Tatsache, dass er ein relativ unbeschriebenes Blatt ist und den Champion auch aufgrund seines beachtlichen Reichweitenvorteils überraschen könnte, jedoch wird dieser am Ende des Abends mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen.

Schnelligkeit und eine solide Technik alleine sind zu einfach wenig. Die einzige Chance liegt in der Flucht nach vorne. Nur wenn Jennings Klitschko trotz dessen immenser Erfahrungen und seinem Größenvorteil von Beginn an unter Druck setzen kann, besteht die Hoffnung, dass sich ein Fenster für den Herausforderer öffnet. Wahrscheinlicher ist jedoch das genaue Gegenteil. Zu oft fiel das Gedankenkonstrukt des Herausforderers zuletzt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Angesichts der körperlichen Voraussetzungen wird die entscheidende Rolle den Jabs zukommen - und damit der Paradedisziplin Klitschkos. Auf den Punktzetteln wird es deshalb auf keinen Fall für einen Sieg des Außenseiters reichen. Auch ein Knockout scheint ein schier unmögliches Szenario.

Klitschko hingegen wird auch gegen den deutlich jüngeren Herausforderer seiner Linie treu bleiben, das Risiko im Ring bestmöglich minimieren und notfalls auf das bewehrte Mittel des Clinches zurückgreifen. Spätestens ab der Mitte des Kampfes wird sich deshalb ein Kraftverlust bei Jennings bemerkbar machen, der Klitschko einen vorzeitigen Erfolg in den späten Runden bescheren wird.

SPOX-Urteil: Später K.o.-Sieg Klitschko

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Alle Weltmeister im Überblick