„Solis bekam alles geschenkt“

SPOX
05. April 201416:03
Karsten Röwer arbeitet seit 2008 für das Sauerland-Teamgetty
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Er wurde von Fritz Sdunek trainiert. Und führte Jürgen Brähmer zurück in die Weltspitze. Vor der Titelverteidigung des WBA-Weltmeisters im Halbschwergewicht gegen Enzo Maccarinelli (Sa., 22.15 Uhr im LIVE-TICKER) blickt Brähmer-Trainer Karsten Röwer auf seine Karriere zurück.

SPOX: Herr Röwer, am Samstagabend verteidigt Jürgen Brähmer seinen WBA-Titel im Halbschwergewicht gegen Enzo Maccarinelli. Wie lief die Vorbereitung?

Karsten Röwer: Ich bin sehr zufrieden mit Jürgen gewesen. Es gab keine Blessuren, er ist verletzungsfrei durch das Trainingslager gekommen, das ist immer sehr wichtig. Es lief schon fast zu perfekt, deswegen mussten wir die Belastung am Ende noch mal erhöhen.

SPOX: Es lief zu perfekt? Das müssen Sie erklären.

Röwer: Jürgen war fast zu früh schon richtig gut drauf. Deswegen haben wir noch ein paar Schichten geschoben, damit er in ein kleines Tief fällt und richtig platt ist, nur so konnte er sich in der letzten Woche noch mal komplett regenerieren und wird am Kampfabend topfit sein.

SPOX: Wie haben Sie Brähmer auf Maccarinellis Körpergröße eingestellt? Immerhin ist der Waliser zwölf Zentimeter größer als der Weltmeister.

Röwer: Größe ist nicht alles. Das Sprichwort passt auch aufs Boxen ganz gut (schmunzelt). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich Jürgen darauf gut einstellen kann. Ich erinnere mich da zum Beispiel an den Kampf gegen Tony Averlant, den er mit einem Körperhaken vorzeitig auf die Bretter schickte.

SPOX: Wo sehen Sie Maccarinellis Schwächen?

Röwer: Er ist konditionell immer gut dabei, aber bei der Schnelligkeit hat er deutlich das Nachsehen. Da ist Jürgen auf einem ganz anderen Level. Auch die Treffergenauigkeit sollte für uns sprechen. Gegen Lebedev hat man zudem gesehen, dass Maccarinelli immer wieder Deckungslücken hat, wenn er unter Druck gerät.

SPOX: Sie kennen Brähmer schon sehr lange, haben bereits als Amateur mit ihm zusammengearbeitet. Seit seinem Wechsel zu Sauerland 2012 bilden sie erneut ein erfolgreiches Gespann. Welche Entwicklung hat er durchlaufen?

Röwer: Er geht mittlerweile viel bewusster an die Sache ran. Ich weiß nicht, ob man es Altersmilde nennen kann, aber ihm ist bewusst, dass er nicht mehr viele Jahre im Ring vor sich hat. Deswegen genießt er diese Momente umso mehr. Und er muss keinem mehr etwas beweisen, finanzielle Gründe gibt es auch nicht. Es geht rein um den eigenen Antrieb.

SPOX: Wie würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben? Eine Vater-Sohn-Beziehung?

Röwer: Um Gottes Willen, die Zeiten sind vorbei (lacht). Wir sind einfach zwei erwachsene Männer, die in vielen Sachen einen gemeinsamen Nenner haben und sportbegeistert sind.

SPOX: Das war bei der Amateur-WM 1996 in Havanna wohl noch anders. Ein junger Brähmer gewann damals den Titel. Welche Erinnerungen haben Sie daran noch?

Röwer: Sie glauben es mir vielleicht nicht, aber ich weiß noch ganz genau, gegen wen und vor allem wie er damals geboxt hat. Das Highlight war ein Duell mit einem Kubaner in der zweiten Runde, das war ganz großes Kino, ein Traumkampf von Jürgen. Die einheimischen Fans waren auf einmal ganz still.

SPOX: Sehr unüblich für die boxbegeisterten Kubaner.

Röwer: Das stimmt, auf Kuba lebt man Boxen noch richtig. Die ganze WM damals war ein unvergessliches Erlebnis. Wir haben in einer Art Sportschule übernachtet, mit einfachsten Mitteln. Zudem hatte Jürgen Zahnprobleme und musste im Vorfeld das Sparring ausfallen lassen. Erst vor Ort konnten wir das nachholen, gegen einen Halbschwergewichtler. Und was ist passiert? Jürgen als Weltergewichtler mit 67 Kilos hat ihn vorgeführt. Die kubanischen Trainer sind danach auf mich zugekommen: "Der wird mal Weltmeister!" So schlecht lagen sie damit ja nicht.

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SPOX: Ihre Wege trennten sich im Laufe der Jahre, Brähmer wechselte zu Universum und wurde Profi - kam allerdings auch mit dem Gesetz in Konflikt.

Röwer: Das war tragisch. Er war ein junger Mann, der die falschen Freunde hatte. Dann passiert es ganz schnell, dass man auf die schiefe Bahn gerät. Ich sehe es mittlerweile aber so: Durch das Boxen ist er wieder auf den richtigen Weg gekommen. Das ist das perfekte Beispiel, zu was der Sport fähig ist.

SPOX: Sie sind wohl dennoch darauf bedacht, dass Ihre Nachwuchsboxer wie Tyron Zeuge und Enrico Kölling nicht ähnliche Fehler machen. Sind die Beiden die Zukunft des deutschen Boxens?

Röwer: Wenn sie sich weiter so prächtig entwickeln, können sie zu zwei großen Nummern werden. Das sind echte Berliner Jungs mit Wiedererkennungswert. Aber sie sind ja nicht die einzigen. Es kommen immer wieder Jugendliche aus dem Amateurbereich nach. Es ist nur wichtig, sie richtig aufzubauen. Ich bin kein Fan davon, wenn jemand mit 18 Jahre schon Profi wird.

SPOX: Auch Sie waren einst aktiv im Ring. Immerhin bestritten Sie rund 100 Amateurkämpfe. Warum hat es nicht zu mehr gereicht?

Röwer: Ganz ehrlich: Dafür hat mir einfach das nötige Talent gefehlt. Ich bin ja eher durch Zufall zum Boxen gekommen. An meiner ehemaligen Schule hing ein Plakat: "Jungs, die sich beweisen wollen, kommen zum Boxen!" Also habe ich es ausprobiert und bin dabei geblieben. Aber in der DDR gab es viel Konkurrenz, über Fritz Sdunek, der mich damals betreut hat, habe ich dann die Seiten gewechselt und wurde Trainer.

SPOX: Fiel Ihnen der Wechsel schwer?

Röwer: Man muss sich natürlich anders verhalten und die Emotionen vielleicht ab und an zurückfahren. Das Schwierigste war aber, eine gewisse Distanz zu meinen ehemaligen Kameraden aufzubauen. Eines musste ja klar sein: Ich war jetzt kein Athlet mehr, sondern Trainer. Das muss man auch nach außen transportieren.

SPOX: Wie viel haben Sie sich von Sdunek abgeschaut?

Röwer: Ich fand es schon immer sehr interessant, wie er seine Boxer in der Ecke motiviert hat. Er schafft es durch seine ruhige und doch entschlossene Wortwahl, das letzte aus seinen Schützlingen herauszukitzeln.

SPOX: Welche Eigenschaften muss ein Trainer grundsätzlich mitbringen?

Röwer: Zuckerbrot und Peitsche, damit läuft es eigentlich ganz gut (lacht). Aber im Ernst: Jeder Boxer ist unterschiedlich. Mit Jürgen kann ich nicht so reden wie mit jüngeren Sportlern. Wenn ich zu Jürgen sagen würde: "Du Idiot, was machst du da?", dann würde er sofort auf stur schalten. Bei Tyron und Enrico bin ich eher als Vorbild gefragt. Wenn ich mal bei einem Trainingslauf mitmache, schindet das Eindruck.

SPOX: Ihre Freundschaft zu Sdunek hat Ihnen vor einigen Jahren auch einen Job bei Ahmet Öner und dessen Arena-Boxstall eingebracht. Wie haben Sie ihn kennengelernt? SPOX

Röwer: Ich weiß, viele Leute haben kein gutes Haar an Ahmet gelassen. Er ist nun mal ein Box-Verrückter. Manchmal reißt er Sachen mit seinem Hintern ein, die er mit den Händen aufgebaut hat. Er ist einfach zu spontan und impulsiv. Aber das bedeutet nicht, dass er keine Ahnung hat. Er hat viel für das deutsche Boxen getan. Wenn man sich mal überlegt, wie viele kubanische Talente er nach Deutschland geholt hat. Ich bin ihm dankbar, weil ich bei Arena auf mich aufmerksam machen konnte und gutes Geld verdient habe.

SPOX: Bei Arena waren Sie unter anderem für Odlanier Solis verantwortlich. Warum hat es für ihn nie zum ganz großen Wurf gereicht?

Röwer: Das ist eine gute Frage. Solis war eigentlich der beste Boxer, den ich je trainiert habe, rein vom Talent her. Aber er hatte leider andere Probleme. Er war faul, sein Gewicht hat nie gepasst und er bekam alles geschenkt. Sein Schmuck, seine dicken Autos - das hat nicht gepasst. Solis braucht ein Umfeld, das rund um die Uhr für ihn da ist. Ich kann mich noch gut erinnern, als er bei unserer ersten Begegnung 118 Kilos auf die Waage gebracht hat. Also bin ich jeden Morgen mit ihm gejoggt, alleine hätte er das wohl nicht gemacht.

SPOX: Hätte ein Solis in Bestform eine Chance gegen die Klitschkos gehabt?

Röwer: In Topform? Ja, dann hätte er die Klitschkos schlagen können. Aber diese Zeit scheint leider schon vorbei zu sein.

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