Boxen - Henry Maske im Interview: "Bei McDonald's hieß ich Peter Sahr"

Bastian Strobl
29. Juli 202217:35
Henry Maske leitete als Franchise-Unternehmer insgesamt zehn McDonalds-Filialen.imago
Werbung

Es geht mit dem Gentleman in den Ring! In seinem Leverkusener Büro traf SPOX einst Henry Maske und sprach mit dem ehemaligen Box-Weltmeister im Halbschwergewicht über den Mauerfall, einen kubanischen Ohrenbeißer und japanische Fernseher. Außerdem: Warum er in der DDR beschimpft wurde, was es mit seinem Comeback auf sich hatte und wie er zum McDonalds-König wurde.

Bereits 2015 hat SPOX eine Legenden-Serie abseits von König Fußball veröffentlicht. Zu diesem Anlass wurden ausführliche Interviews mit Andreas Thiel (Handball), Michael Groß (Schwimmen), Frank Busemann (Leichtathletik), Walter Röhrl (Motorsport) und Henry Maske (Boxen) geführt. Wir blicken zurück.

Herr Maske, während Ihrer aktiven Karriere waren Sie als Gentleman-Boxer berühmt. Wie viel Gentleman steckt denn in dem Menschen Henry Maske wirklich?

Henry Maske: Die Frage ist, was heißt Gentleman eigentlich. Dass ich mit Messer und Gabel essen kann? Dass ich bitte und danke sage? Ich bin sicherlich nicht fehlerlos, wie jeder Mensch habe ich meine Macken. Insofern passt der Gentleman auf meine Karriere im Ring, aber ich war abseits davon kein Gunter Sachs, der sofort das Feuerzeug griffbereit hatte, wenn eine Frau eine Zigarette rauchen wollte.

Bevor Sie zum Gentleman-Boxer wurden, lebten Sie 25 Jahre lang in der DDR. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Maske: Es herrschte diese Freiheit und Entspanntheit, die ich gerade als kleiner Junge genossen habe. Wenn ich aus meinem Kinderzimmer geschaut habe, habe ich nur Wiesen und Felder gesehen, ein kleiner Bach, Hühner, Kühe. Meine Eltern mussten nicht die ganze Zeit auf mich aufpassen, ich konnte mich frei bewegen, ohne dass sie sich Sorgen machen mussten.

Das klingt ein wenig sehnsüchtig?

Maske: Ich würde das nicht als Sehnsucht bezeichnen. Aber es war nicht alles schlecht in der DDR, wie es heute häufig erzählt wird. Der Neidfaktor war deutlich geringer, man befand sich auf Augenhöhe mit seinen Mitmenschen.

In der DDR starteten Sie auch Ihre sportliche Karriere. Wann standen Sie zum ersten Mal im Ring?

Maske: Mit sechs Jahren fragte mich ein Junge aus meiner Klasse, ob ich nicht zum Boxen mitkommen wolle, weil er sich alleine nicht getraut hatte. Für den Trainer waren wir wohl erst mal nicht mehr als Störenfriede, die in absehbarer Zeit die Lust verlieren würden. Mein Freund hat tatsächlich nach zwei Wochen das Handtuch geworfen, ich habe es dann mit 26 Jahren doch ein wenig länger ausgehalten (lacht).

Waren Sie sofort Feuer und Flamme für das Boxen?

Maske: Ich hatte Zweifel, keine Frage. Das lag vor allem daran, dass ich nur trainieren durfte. Erst als Zehnjähriger konnte man damals auch auf Wettkämpfe fahren. Aber ich wollte nicht so lange warten, irgendwann riss mir der Geduldsfaden und ich wollte alles hinschmeißen.

Aber Sie haben weitergemacht?

Maske: Ja, weil mein Vater mir einen Satz gesagt hat, den ich niemals vergessen werde: "Wer A sagt, muss auch B sagen." Da wurde mir klar, dass ich nicht aufhören darf, ohne etwas zu hinterlassen, auf das ich mit Stolz zurückblicken konnte.

Für eine besondere Brisanz bei Turnieren sorgten die Duelle mit Boxern aus der Bundesrepublik. War Hass mit im Spiel?

Maske: Nein, wir haben uns gegenseitig respektiert. Aber es war jedem klar, dass diese Kämpfe eine spezielle Note hatten. Jede Niederlage wäre eine Klatsche für uns gewesen, die wir uns nicht leisten wollten. Dafür wurden wir auch viel zu gut gefördert. Sehen Sie: Wir trainierten in der Woche zehn- bis zwölfmal, die Boxer aus dem Westen nur vier- bis fünfmal. Natürlich kam es mal vor, dass einer von uns einen Kampf verloren hat. Aber das war eine Seltenheit.

Spielte Neid untereinander eine Rolle?

Maske: Nun ja, mich hätte es schon gewurmt, wenn ich gewusst hätte, dass mein Gegner eine viel bessere Förderung erhalten hätte als ich. Auf der anderen Seite bekamen wir zu hören: "Ihr tut mir ja schon leid mit eurem Trabi." Aber mir war das egal, ich war stolz auf meinen Trabi. Und mit der Zeit haben wir gemerkt, dass auch im Westen bei weitem nicht alles Gold ist, was glänzt.

Zum Beispiel?

Maske: Ich kann mich an ein Turnier in Helsinki erinnern. Ich bin davor durch die Stadt gelaufen. Die Schaufenster waren vollgepackt mit Sachen, die ich - wenn überhaupt - nur aus der Werbung gekannt habe. Es war eine andere Welt, bis ich auf einmal einen Obdachlosen sah, der sich auf einen Abzug eines U-Bahn-Schachts gelegt hatte, um sich zu wärmen. Da habe ich mich schon gefragt: Wie kann so etwas sein? Offenbar ist bei denen doch nicht alles so wahnsinnig toll.

Gab es sportliche Schlüsselerlebnisse in Ihrer Amateurkarriere?

Maske: Ganz ehrlich, jede Niederlage war ein Schlüsselerlebnis. Eine Sache ist mir aber besonders in Erinnerung geblieben. Wir kamen einmal nach einer Woche von einem Wettkampf zurück und Manfred Wolke, mein damaliger Trainer, hat mich vor der kompletten Gruppe in Frage gestellt. Er wollte testen, wie stark mein Motiv war, wie sehr ich es wollte. Es ging weniger um die reine Motivation, sondern um die Frage, warum der Maske überhaupt boxen wollte. Das hat mir Wolke auf niederschmetternde Art und Weise aufgezeigt, während alle anderen mich anstarrten.

SPOXimago images

Sie haben die Niederlagen angesprochen. Auf einen Namen trifft man immer wieder, wenn man auf Ihre Amateurkarriere blickt: Angel Espinosa. Träumen Sie noch schlecht von ihm?

Maske: Nein, so schlimm ist es nicht. Ich habe erst letztens ein langes Interview mit ihm gelesen, er war ein außergewöhnlicher Boxer. Und eigentlich der einzige in meiner Karriere, der mich - zumindest bei einem Weltcup 1987 - im Ring wie einen kleinen Jungen vorgeführt hat, das muss ich leider zugeben.

Das war aber nicht die einzige schmerzhafte Begegnung mit einem Kubaner.

Maske: Nein, bei einem Turnier in Berlin hat mir einer - Gomez müsste er geheißen haben - ins Ohr gebissen. Das war die kleine Version von Holyfield gegen Tyson. Zum Glück sind meine Ohren aber ganz geblieben (schmunzelt).

Ein erfreulicheres Erlebnis als Amateur war wahrscheinlich der Olympiasieg 1988 in Seoul. Sie bekamen dafür 25.000 Ost-Mark. Was haben Sie sich mit diesem Geld gekauft?

Maske: Die meisten hätten sich wohl einen Trabi geholt, aber den hatte ich ja schon. Ich hatte eher ein Auge auf einen Lada oder Wartburg geworfen. Das Problem war, dass man eine Zusageberechtigung brauchte, und für unsere Boxgruppe gab es nur eine oder zwei davon. Ich drücke es mal so aus: Der Verbandstrainer kam relativ schnell mit einem Lada um die Ecke (schmunzelt). Im Nachhinein bin ich aber gar nicht so traurig darüber. Mit der Wende ein Jahr später wäre das herausgeschmissene Geld gewesen und der Farbfernseher für 6300 Mark, den ich mir gekauft habe, war so schlecht ja auch nicht.

Sie sollen auch von Ihren Wettkampfreisen das eine oder andere Souvenir mitgebracht haben.

Maske: Das stimmt. Ich habe letztens erst einen Fernseher entsorgt, den ich mir 1986 in Japan gekauft hatte. Der hatte sogar eine Fernbedienung, so was war zu der Zeit eine echte Rarität. Es gab zwar nur drei Knöpfe, Sender hoch, Sender runter, Ein und Aus, aber ich weiß noch, dass ich in dem Laden meinen Augen nicht trauen konnte, als ich ihn sah. Den Ghettoblaster, den ich im Jahr davor in Asien gekauft habe, steht sogar immer noch bei mir rum. Ich kann mich davon einfach noch nicht trennen.

1989 folgte der Gewinn der Amateur-WM - und der Mauerfall. Wo haben Sie die Wende erlebt?

Maske: Manfred Wolke und ich waren bei einer Talkshow in Potsdam zu Gast und sollten eigentlich über den WM-Titel reden. Wir sind bis zur Hälfte gekommen, als die Köchin hereinstürzte und die Nachricht verbreitete. Danach interessierte sich natürlich niemand mehr für uns.

Was waren Ihre ersten Gedanken?

Maske: Ungläubigkeit, gefolgt von Freude und dem Wissen, dass nun niemand mehr flüchten muss. Aber es tauchten natürlich auch viele Fragezeichen auf. Was wird jetzt? Was bedeutet das für uns? Man muss sich das so vorstellen: Die Mauer war in all den Jahrzehnten einfach immer da, sie war Gesetz. Uns wurde eingetrichtert, wenn die Mauer irgendwann mal fallen sollte, dann in die andere Richtung.

Die Wende stellte auch Ihre sportliche Laufbahn auf den Kopf. Der Weg zum Profi-Dasein schien frei, bis auf einmal die Bild titelte "DDR-Olympiasieger Maske will Profi werden" und damit Ihre Vorgesetzten in Alarmbereitschaft versetzte.

Maske: Man kann das heutzutage gar nicht mehr glauben, aber ich habe davon erst mal nichts mitbekommen. Ich war wegen meines Studiums auf dem Weg zum Judo-Training, als ein Kollege davon erzählte. Wenige Minuten später wurde ich vom Oberstleutnant abgeholt und musste 100 Meter weiter in einen Raum, dort warteten der Oberst und zwei Journalisten. Und auf diesem Weg musste ich mir überlegen, was ich machen wollte.

Was haben Sie gesagt?

Maske: Dass ich Wolfgang Wilke, dem damaligen Trainer von Graciano Rocchigiani und derjenige, der die Geschichte lanciert hatte, nicht kenne und das Gerücht falsch ist. Aber ich habe dem Oberst ehrlich mitgeteilt, dass ich natürlich nicht weiß, was die Zukunft bringt. Am nächsten Tag stand in den Zeitungen "Maske wird kein Profi."

Damit lagen die Medien natürlich falsch. Kurze Zeit später wechselten Sie ins Profi-Lager und unterschrieben bei Wilfried Sauerland einen Vertrag. Es heißt, Wolke und Sie wurden von ihm erst mal zum Einkleiden geschickt. Stimmt das?

Maske: Ja, aber so abgerissen sahen wir gar nicht aus (schmunzelt). Trotzdem haben wir es genossen, so etwas hatten wir ja noch nicht erlebt, das war damals schon eine interessante Erfahrung.

Bleibt nur noch die Frage nach dem Finanziellen?

Maske: Es gab keinen Kofferraum voller Geld, wenn Sie das meinen. Ich werde keine Summe nennen, aber glauben Sie mir, das hielt sich alles im Rahmen. Damit hatten wir aber auch kein Problem. Ich war überzeugt: Wenn ich meine Leistung bringe, kommt alles andere von alleine. Viel interessanter war, dass sich Sauerland eigentlich schon aus dem Boxsport verabschieden wollte. Bis seine damalige Lebensgefährtin mich irgendwo gesehen hat und in mir offenbar etwas gesehen hat. Der Rest ist Geschichte.

Im Mai 1990 feierten Sie Ihr Profi-Debüt gegen Antonio Arvizu.

Maske: Genau, der Mann in Turnschuhen.

Wie bitte?

Maske: Das muss ich erklären. Ich war vor dem Kampf natürlich nervös, erster Profi-Kampf, dann auch noch in London. Als ich dann aber Arvizu gesehen habe, war ich eher geschockt. Er stieg mit normalen Turnschuhen in den Ring. Ich dachte mir: Ich bin Olympiasieger, Amateur-Weltmeister, habe meine Klasse also schon bewiesen, und dann schicken mir sie einen armen Typen, der nicht mal Geld für richtige Boxstiefel hat? Ich war stinksauer nach dem Kampf und hatte den Eindruck, dass Sauerland mir gar nichts zutraut. Erst danach habe ich verstanden, dass das gang und gäbe ist und ich mir mein Brot hart verdienen muss.

Genau das taten Sie in den folgenden Jahren. Sie feierten Siege am Fließband und wurden zu einem der populärsten Sportler in Deutschland - zumindest in den alten Bundesländern. In der ehemaligen DDR galten Sie dagegen als Sündenbock und wurden als Wendehals beschimpft. Wie haben Sie die Anfeindungen erlebt?

Maske: Bei mir persönlich ging es, weil ich viel unterwegs war. Im Gegensatz zu meiner Frau. Sie erlebte das am eigenen Leib, im Supermarkt, im Kindergarten. Immer wenn sie rausging, wurde sie mit der Boshaftigkeit der Menschen konfrontiert. Wobei das eher ein Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit war, und meine Familie und ich waren nun mal eine passende Zielscheibe.

Auch die Medien nahmen kein Blatt vor den Mund. Ein Redakteur einer Regionalzeitung in der DDR schrieb: "Wenn Maske bei den Eskimos boxen würde, wäre es ihm auch scheißegal, Hauptsache er würde Geld verdienen". Fühlten Sie sich missverstanden?

Maske: Viele Journalisten aus der DDR dachten nach der Wende, sie können sich alles erlauben und hätten jedes Recht der Welt. Dieser Freiraum tat ihnen nicht gut, eine Gürtellinie kannten sie nicht mehr. Egal, wie tief sie sinken mussten, Hauptsache es war unterhaltsam und lenkte von den alltäglichen Problemen ab.

Der Vorwurf, Sie hätten sich verkauft, blieb einige Jahre an ihnen haften. Haben Sie sich persönlich als Ware gefühlt?

Maske: Ja, aber jeder Mensch verkauft sich irgendwie und irgendwann als Ware. Das war nach der Wende genauso wie vor der Wende. Der einzige Unterschied: Nach dem Mauerfall war ich noch mehr auf die Resonanz angewiesen, die ich vom Publikum bekam. Als Profi-Sportler lebst du nun mal auch davon. Glücklicherweise stach ich allein durch meine Art heraus. Viele Boxer der alten Generation hauten Sätze wie "Ich geh da rein und hau meinem Gegner auf die Schnauze" raus. Aber so wollte ich mich nicht geben. Boxen hat so viel mehr Facetten zu bieten. Deswegen habe ich versucht, das Boxen auf meine Art wieder populärer zu machen.

Wie haben Sie das geschafft?

Maske: Ich habe den Menschen in den Vordergrund gestellt. Ich wollte, dass auch Leute, die nichts mit Boxen am Hut hatten, vestanden, dass Boxer mehr als zwei Sätze geradeaus sagen können. Das war aber gerade in der Anfangszeit auch für mich alles andere als einfach. Ein Beispiel: Ich wurde von Dieter Thomas Heck gefragt, ob ich bei seiner Rateshow "Die Pyramide" mitmachen wolle. Aber stellen Sie sich vor, ich würde mich im TV blamieren. Dann heißt es danach: Schau an, der dumme Boxer wieder! Irgendwann habe ich doch zugesagt. Ich habe zwar alle drei Raterunden verloren, aber bin glücklicherweise in kein Fettnäpfchen getreten (lacht).

Sie wurden zum Gentleman, zum Sir, und nach dem Sieg gegen Charles Williams 1993 Weltmeister. War der Titelgewinn die finale Bestätigung?

Maske: Ja, so kann man es ausdrücken. Aus zwei Gründen: Für mich persönlich natürlich, weil es das Ende einer langen Reise war. Über die Jahre habe ich viele Amateure gesehen, die den Sprung zu den Profis gut gemeistert und sich zum Champion gekürt hatten. Ich war überzeugt davon, dass ich genauso erfolgreich sein kann. Und zweitens war es die Bestätigung, dass Boxen in Deutschland doch funktionieren kann. In den Monaten vor dem WM-Kampf waren viele der Meinung: Maske, der ist doch nur eine Eintagsfliege! Der schafft das sowieso nicht. Aber dadurch steigerte sich automatisch das Interesse, weil jeder eben wissen wollte, ob ich nicht doch den Titel hole. Die Neugier hat gesiegt - und am Ende hatte jeder, was er wollte. Deutschland seinen Weltmeister, ich war am Ziel meiner Träume und RTL mit 3,6 Millionen Zuschauern endgültig den Beweis, dass man weiter auf Boxen setzen sollte.

Der Titelgewinn machte aus Ihnen das Aushängeschild im deutschen Boxen - und zwar ohne dass Sie großartig durch Trash Talk oder vergleichbare Sperenzien polarisiert hätten. Eine bewusste Entscheidung?

Maske: Ich wollte die Antwort immer im Ring geben. Ich war kein Langweiler, sondern einfach ein Kopfmensch. Im Sport oder in der Wirtschaft, wo Kontrolle notwendig ist, wird es meiner Meinung nach immer besser sein, dem Kopf die Entscheidungen zu überlassen. Das soll aber nicht bedeuten, dass man das Herz vergessen sollte. Aber es gibt für beides die richtigen Momente.

Diese Herangehensweise zogen Sie gnadenlos durch - mit einer Ausnahme: das erste Duell mit Graciano Rocchigiani. Was lief damals falsch?

Maske: Er stand hinter seiner Deckung, deswegen bin ich in die Offensive gegangen, weil ich irgendwas machen wollte, und hätte fast dafür bezahlt.

Sie haben den Kampf nach Punkten gewonnen. Zu Recht?

Maske: Ja, und damit stehe ich nicht alleine da. Die Geschichte dieses Kampfes kann man auf zwei unterschiedlichen Arten erzählen. Auf der einen Seite diejenigen, die sagen, dass Graciano hätte gewinnen müssen. Auf der anderen Seite aber auch viele Leute, die es honorierten, wie ich mich trotz großer Probleme durchgequält habe und in der Schlussphase sogar einen möglichen K.o. in Kauf genommen habe. Das ist typisch für den Boxsport: Irgendwann ist man reif genug, um gepflückt zu werden. Und an diesem Abend war ich eigentlich reif genug, glücklicherweise hatte Graciano am Ende auch keine Kraft mehr für den entscheidenden Treffer.

Mal abgesehen vom Kampf gegen Rocky standen Sie immer für einen defensiven Boxstil. Trotzdem fieberten bis zu 18 Millionen Zuschauer an den TV-Geräten mit. Von solchen Quoten kann man heutzutage nur noch träumen. Geht es vielen Fans nur noch um krachende K.o.-Schläge?

Maske: Ach, das war früher auch schon so. Mir wurde häufig gesagt, ich solle offensiver kämpfen und den Fans mehr Spektakel bieten. Aber warum? Die Quoten haben eine eindeutige Sprache gesprochen, ich konnte die Zuschauer auf meine Art elektrisieren. Bei mir war es so: Den einen hat mein Stil gefallen. Und die anderen wollten sehen, wie der Maske endlich geschlagen wird. Am Ende hat das vor allem RTL geholfen.

Selbst bei Ihrem Comeback-Kampf 2007 gegen Virgil Hill sahen noch mal 15,99 Millionen Zuschauer zu. Warum sind Sie damals nach exakt 3748 Tagen noch einmal in den Ring zurückgekehrt? Um die Niederlage gegen Hill von 1996 wiedergutzumachen?

Maske: Das hatte nichts mit Wiedergutmachung zu tun. Die Niederlage steht in meiner Bilanz, die kann ich nicht mehr löschen. Das tut weh, aber damit muss man leben. Mein Reiz bestand eher darin, den Menschen zu beweisen, dass etwas, das unrealistisch erscheint, doch möglich werden kann.

An diesem 31. März 2007 hingen Sie die Boxhandschuhe endgültig an den Nagel. Danach konzentrieren Sie sich bis 2019 vor allem auf Ihren Job als Franchise-Unternehmer bei McDonald's. Ein Leistungssportler, der nun Fast Food macht - klang das nicht paradox?

Maske: Nein, ich habe in all den Jahren regelmäßig auch bei uns gegessen. Es ist immer eine Frage, ob man noch in den Spiegel schauen kann. Ich kann mich noch erinnern, dass die ersten McDonald's-Besuche bei mir ein schlechtes Gewissen verursacht haben. Ich bin danach sofort trainieren gegangen. Aber sehen Sie mich an, ich war auch nach 19 Jahren im Job schlank und gut in Form.

Auch Profisportler dürfen also mal Fast Food essen?

Maske: Natürlich, man muss sich nur ausgewogen ernähren. Es ist wie in allen Bereichen des Lebens: Man darf es einfach nicht übertreiben. Natürlich ist McDonald's nichts für siebenmal in der Woche, dreimal am Tag. Aber diesem Test würde eine Karotte auch nicht standhalten.

Henry Maske leitete als Franchise-Unternehmer insgesamt zehn McDonalds-Filialen.imago

Bevor Sie 2000 Ihre erste Filiale übernahmen, mussten Sie eine theoretische und praktische Ausbildung absolvieren. Es gab also das Bild von Henry Maske beim Burger braten?

Maske: Ja, auch das habe ich gemacht. Ich habe in den Highlands und in Wien im Restaurant gearbeitet. Das war auf der Insel etwas einfacher, weil ich dort nicht so berühmt war.

Und wie lief es in Wien ab?

Maske: Ich habe mich verkleidet. Falsche Brille, andere Pupillen, neuer Bart - und schon war ich nicht mehr Henry Maske. Bei McDonald's hieß ich Peter Sahr.

Warum Peter Sahr?

Maske: Peter war der Name meines Bruders, Sahr der Familienname meiner Ehefrau. Das half aber nicht immer, es gab ab und zu Momente, als ich gefragt wurde, ob ich nicht dieser Henry Maske sei. Ich habe die Leute dann immer abgewimmelt und gesagt, dass ich so etwas schon häufiger zu hören bekommen habe. (lacht)

Haben Sie am Ende Ihre Kollegen aufgeklärt?

Maske: Nein, es wussten die ganze Zeit nur der dortige Franchise-Unternehmer und seine Frau. Nicht mal deren Sohn erfuhr es, zumindest bis zum letzten Arbeitstag. Ich war nach meiner Schicht am Abend zu den World Sports Awards eingeladen, weil ich Steffi Graf auszeichnen sollte. 1999 müsste das gewesen sein. Offenbar hat mich der Sohn entdeckt und nur gesagt: "Schau mal, der Peter ist im Fernsehen."

Sie haben zehn Filialen mit über 350 Mitarbeiter geleitet und sind ein erfolgreicher Unternehmer geworden. Nicht schlecht für einen einstigen Oberleutnant der Nationalen Volksarmee, oder?

Maske: Ich war und bin ein Gewinner der Wende, keine Frage. Für mich ist das Glas seitdem immer eher halbvoll als halbleer. Der Mauerfall kam damals für mich zu einem perfekten Zeitpunkt, danach konnte ich mir meinen Traum vom Profi-Weltmeister erfüllen. Ansonsten wäre ich wohl Bundestrainer in der DDR geworden. Aber es lief alles anderes - und das ist auch gut so.