Ob sich der kleine Oliver Wach in vielen Jahren noch an diesen Abend erinnern wird? Als er zweijährig auf dem Arm von Mutter Marta zu Papa in den Ring durfte, mitten in der Nacht in Hamburg. Als mit Vater Mariusz augenscheinlich noch alles in Ordnung war?
Die "Dementia Pugilistica", auch Boxer-Syndrom genannt, ist in der Medizin längst anerkannt. Muhammad Ali ist das prominenteste Beispiel für die möglichen Spätfolgen des Profiboxens. Die Vielzahl der harten Schläge zum Kopf, die Mariusz Wach in der Nacht zum Sonntag in Hamburg von Wladimir Klitschko einsteckte, ließen einen erschauern.
Als Klitschko nach dem Gemetzel von seinem Gegner sprach, klang das wie "Mario Schwach". Er meinte es aber nicht so. "Es ist unglaublich, dass er stehen geblieben ist", sagte der Champion, "er hat die Kraft gefunden durchzustehen, Respekt." Natürlich verteidigte der 36 Jahre alte Ukrainer vor 15.000 Zuschauern in der Halle und durchschnittlich 11,77 Millionen an den TV-Geräten seine WM-Gürtel der Verbände WBA, WBO und IBF durch einen klaren Punktsieg (120:107, 120:107, 119:109), aber auf den ultimativen Triumph mussten seine Fans vergeblich warten: "Wladimir, warum hast du uns keinen K.o. geschenkt?" fragte "Bild" online. Offenbar enttäuscht.
Kampfunfähig in der achten Runde
Über die Menge der eingeworfenen Schmerzmittel bei dem 32 Jahre alten Wach lässt sich nur spekulieren. Von der ersten Runde an bearbeitete Klitschko mit der Rechten und seinem starken Jab den kantigen Schädel des Polen. "Ich spüre es in meinen Händen", sagte der Weltmeister. Wach spürte irgendwann gar nichts mehr. "Ich hatte Angst, dass der Ringrichter oder meine Ecke mich aus dem Kampf nehmen", sagte er zu den Geschehnissen in der achten Runde, als er kampfunfähig durch den Ring taumelte. Und Klitschko schlug und schlug und schlug. Und die Halle johlte.
Als "zukünftigen Weltmeister" pries sein Promoter den 2,02 Meter langen gescheiterten Herausforderer nach dem Kampf an. Stehenzubleiben gegen die Klitschkos, zu welchem Preis auch immer, ist in der Schwergewichtsszene schon ein Qualitätsmerkmal. Zum nächsten Kampf in Polen wird er nach dem tapferen Auftritt als Star antreten: "Jetzt weiß die Welt, wer Mariusz Wach ist", sagte der Promoter.
In der fünften Runde war der Herausforderer sogar einmal mit der Linken zum Kopf von Klitschko durchgekommen, der Champion taumelte in die Seile. "Ausgerutscht", erklärte Klitschko anschließend den kurzen Moment des Kontrollverlusts. Was nicht sein darf, kann schließlich nicht sein. Klitschko-Events sind geplant so gut und perfekt es geht. Große Unterhaltung mit Spannung und sicherem Happy End. Seit 2004 ist nichts mehr schiefgegangen. Es war die 14. erfolgreiche Titelverteidigung, der 58. Sieg im 61. Kampf.
Klitschko bestimmt das Geschäft
Vor dem Fight gab es Ausschnitte aus dem "Rocky-Musical", das nächste Woche in Hamburg uraufgeführt wird. Silvester Stallone war live im Ring und sah aus, als hätte er einige Kämpfe zu viel gemacht. Vor dem Kampf wurde eine Glocke für den verstorbenen Trainer Emanuel Steward geschlagen, ein ruhiger und stilvoller Moment der Andacht.
Über weitere vier Kämpfe läuft der grade erneuerte Vertrag mit RTL noch. Irgendwann muss Klitschko Pflicht-Verteidigungen machen, unter anderem gegen Sauerland-Boxer Alexander Powetkin bei der WBA. Aber eigentlich ist das auch egal, Klitschko bestimmt das Geschäft und kann machen, was er will. "Wir haben viele Möglichkeiten, entweder wir einigen uns mit anderen Promotern oder eben nicht", sagte Manager Bernd Bönte.
Mariusz Wach war da mitten in der Nacht um 2:18 Uhr bereits Geschichte. "Zehn bis 20 Prozent der Profiboxer leiden an anhaltenden Folgeerkrankungen ihres Sports", heißt es in einer wissenschaftlichen Untersuchung des Klinikums "Rechts der Isar". Es muss den Polen also nicht treffen.
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