Gabriel Clemens startet auch in diesem Jahr wieder als größte deutsche Hoffnung in die Darts-WM (ab 15. Dezember live auf DAZN). Im Interview mit SPOX bewertet der German Giant seine Saison und spricht über die erfreuliche Entwicklung in Darts-Deutschland.
Außerdem erzählt der 38-Jährige von Hass-Nachrichten in den sozialen Medien und verrät, warum er sich auf einen normalen Tourkalender im Jahr 2022 freut.
Herr Clemens, am Montag war die Auslosung für die WM. Ihr erster Gegner heißt entweder Lewy Williams oder Toyokazu Shibata. Ihre Reaktion?
Gabriel Clemens: Lewy Williams kenne ich von der Tour. Er ist ein guter Junge und gehört mit 19 Jahren zu den aufstrebenden Talenten. Dass er sich gleich in seinem ersten Jahr für die WM qualifiziert hat, kommt nicht von ungefähr und sagt viel über seine Qualität aus. Zu Shibata kann ich ehrlicherweise noch gar nichts sagen, ihn kenne ich nicht. Aber ich kann es ohnehin nicht beeinflussen, wer am Ende mein Gegner wird. Ich muss mich auf mein Spiel konzentrieren.
Etwas Pech haben Sie dennoch, weil Sie als Nummer 25 der Setzliste in Runde drei auf die Nummer 8 laufen. Das wäre Jonny Clayton. Der spielt 2021 aber eher wie die Nummer 1.
Clemens: Ganz ehrlich, ich wusste das bis jetzt gar nicht. Ich habe mir nicht angeschaut, wie der Weg wäre. Meine volle Konzentration ist auf mein erstes Match gerichtet, danach schauen wir weiter. Ich freue mich einfach auf die WM und in diesem Jahr ganz besonders, weil wieder Zuschauer dabei sein werden. Ich muss gut vorbereitet sein und das werde ich auch sein, das ist entscheidend für mich. Wir können jetzt darüber sprechen, wie weit es für mich gehen kann, oder wer die Favoriten sind, aber das ist so stark von der Tagesform abhängig. Natürlich stehen die üblichen Verdächtigen im Fokus, Peter Wright, Gerwyn Price, Michael van Gerwen, aber Jonny Clayton oder Michael Smith können genauso gut Weltmeister werden. Oder ein anderer. Das Feld ist sehr eng zusammen.
Clemens über Fallon Sherrock in der Premier League
Wie würden Sie Ihr Jahr 2021 zusammenfassen? Es waren sehr gute Ergebnisse dabei, aber auch ein paar Enttäuschungen bei großen Turnieren.
Clemens: Wenn ich mir meine Ergebnisse anschaue, bin ich insgesamt betrachtet zufrieden. 2021 war ganz gut für mich. Ich war für alle Majors qualifiziert, was grundsätzlich schon mal nicht schlecht ist. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass ich bei dem einen oder anderen Major besser abgeschnitten hätte, aber manchmal spielst du gut und scheidest trotzdem aus. Das gehört auch dazu.
Der Grand Slam war ein gutes Beispiel dafür.
Clemens: Genau. Da habe ich drei gute Matches gespielt und bin dennoch in der Gruppenphase hängen geblieben. Ich konnte mir nach der Niederlage gegen Fallon Sherrock keinen Vorwurf machen. Sie hat in den kritischen Momenten, in denen sie High Finishes brauchte, unglaubliche High Finishes ausgepackt. Da hat man ihre bemerkenswerte Abgeklärtheit gesehen. Da konnte ich dann nur den Hut ziehen, gratulieren und von der Bühne gehen.
Nach dem Grand Slam ist eine kleine Debatte um eine mögliche Teilnahme von Fallon Sherrock an der Premier League entbrannt. Haben Sie eine Meinung dazu?
Clemens: Ich möchte es mal so ausdrücken: Wenn ich mir überlege, ob es für den Darts-Sport generell aus Marketing-Sicht Sinn ergeben würde, dann muss ich schon zu dem Schluss kommen, dass es ein gutes Ding wäre. Aus der Perspektive könnte ich es dann schon nachvollziehen. Aber das ist eine Entscheidung der PDC und von Sky, auch darauf habe ich keinen Einfluss, wir werden sehen, was passiert.
Clemens: "Ich habe den normalen Rhythmus vermisst"
Das Jahr war auch auf der Tour wieder von Corona geprägt. Wie sind Sie persönlich damit umgegangen?
Clemens: Ich muss zugeben, dass ich wirklich froh bin, wenn wir im nächsten Jahr wieder einen normalen Kalender haben werden. Die Situation mit den Turnierblöcken und dann wieder mit langen Pausen war schwierig. Erst bist du wochenlang zuhause und kannst nur trainieren. Und dann fährst du auf ein Turnier, weißt aber gar nicht so richtig, wo du eigentlich stehst. Ich habe den normalen Rhythmus vermisst. Am Wochenende ein Turnier spielen, dann ein paar Tage trainieren, dann das nächste Turnier spielen.
Sie arbeiten seit einiger Zeit auch an der mentalen Seite Ihres Spiels mit professioneller Hilfe. Wo haben Sie sich dadurch am meisten verbessert?
Clemens: Mir tut es alleine schon gut, mit jemandem über alle möglichen Situationen zu sprechen. Das ist auch ein ständiger Lernprozess für mich. Ich habe zum Beispiel gelernt, wie ich Atemübungen machen kann, um mich schneller wieder fokussieren zu können. Wir haben auch an meiner Ausstrahlung und Präsenz auf der Bühne gearbeitet, dass ich mich etwas mehr pushe und öfter die Faust zeige. Generell ist die mentale Seite einfach gerade im Darts ja so extrem wichtig. Wir sehen es immer wieder, wie schnell es in eine falsche Richtung gehen kann. Wes Newton war mal die Nummer 4 der Welt und hat nicht mal mehr eine Tourkarte, Glen Durrant ist aktuell das Beispiel dafür, wie es leider abwärts gehen kann. Solche Beispiele erden einen auch ehrlicherweise. Und sie zeigen einem, dass man es genießen muss, wenn es gut läuft und man alles dafür tun muss, dass es auch so bleibt.
Worauf liegt in der Zeit bis zur WM Ihr Fokus im Training?
Clemens: Ich hatte in diesem Jahr Matches, bei denen ich gut gescort und schlecht gecheckt habe. Aber auch umgekehrt. (lacht) Es gab kein Muster in meinen Matches, auch deshalb liegt der Fokus aktuell auf dem gesamten Spiel. Ich trainiere viel online, gerade mit Flo Hempel und wir trainieren natürlich jetzt Richtung WM im Set-Modus. Auch auf den Set-Modus freue ich mich, weil ich ihn interessant finde. Ich finde es gut, wenn du auch mal einen Set 0:3 verlieren kannst, ohne dass das sofort ein großes Problem ist.
Wer an die letzte WM denkt, denkt natürlich an Ihre dramatische Niederlage im Achtelfinale gegen Krzysztof Ratajski.
Clemens: (lacht) Also ich denke gar nicht mehr daran.
Wirklich nicht?
Clemens: Nein, ehrlich nicht. Das mag sich komisch anhören, aber ich bin einfach ein sehr pragmatisch veranlagter Typ. Das Match gegen Ratajski war ein Match, bei dem beide wahnsinnig viele Chancen auf den Sieg hatten und einer von beiden hat am Ende getroffen. Für mich war die Niederlage schon nach dem Rückflug abgehakt. Genauso ist es aber auch bei Erfolgen. Sobald das Match vorbei ist, schaue ich nach vorne und fokussiere mich auf das nächste Duell, egal wie dramatisch, positiv oder negativ es war. So bin ich einfach.
Was aber interessant ist: Seit Ende August haben Sie in Decidern einen enorm starken Average von 104.27, in allen anderen Legs steht der Average bei 91.95. Kein Spieler auf der Tour hat so eine enorme Verbesserung in solchen Drucksituationen zu verzeichnen.
Clemens: (lacht) Das war mir gar nicht bewusst. Aber es zeigt vielleicht auch hier, dass sich meine Arbeit mit meinen Mentalcoaches auszahlt und ich es dadurch geschafft habe, in entscheidenden Momenten cool zu bleiben und sogar noch einen Tick besser zu spielen. Wobei es mir auch recht wäre, wenn ich den Decider öfters vermeiden würde, so wie zuletzt bei den Players Championship Finals gegen Steve Beaton. Da muss ich einfach den Sack früher zumachen, daran muss ich auf jeden Fall auch arbeiten.
Sie stehen jetzt konstant in den Top 32. Wo soll es 2022 hingehen?
Clemens: Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden mit meiner Entwicklung. Der Weg geht weiter Schritt für Schritt nach oben, ich bin jetzt ein gutes Jahr konstant in den Top 32 und habe meine Position gefestigt. Das erste Ziel ist erstmal, dass das so bleibt. Ich sage jetzt nicht: Aber nächstes Jahr muss ich die Top 16 knacken. Ich bin zufrieden mit dem, was ich bisher erreicht habe. Das heißt aber überhaupt nicht, dass ich mich darauf ausruhe. Ich arbeite weiter sehr hart an meinem Spiel und dann bin ich selbst gespannt, wie weit es noch für mich nach oben geht.
Clemens: "Hass-Nachrichten sind zur Gewohnheit geworden"
Für Darts-Deutschland geht es auf jeden Fall konstant nach oben. Mit Fabian Schmutzler haben wir jetzt völlig überraschend einen 16-Jährigen bei der WM dabei.
Clemens: Mit 16 habe ich noch nicht mal Darts gespielt. Und ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn man mich als 16-Jährigen in den Ally Pally geschickt hätte. Das wäre interessant geworden. Es ist eine ganz tolle Leistung von dem Jungen, dass er sich für die WM qualifiziert hat. Vor allem, dass er es an nur einem Wochenende geschafft hat, weil er vorher noch keine 16 war und gar nicht mitspielen durfte. Jetzt bin ich gespannt, wie er sich im Ally Pally schlägt. Aber sein Beispiel zeigt einfach, wie wir uns in Darts-Deutschland immer weiterentwickeln. Es gibt immer mehr Jugendliche, die nachkommen und auf der Development Tour spielen. Dazu haben wir einen Flo Hempel, der als Neuling auf der Tour schon so stark aufspielt. Martin Schindler spielt auch fantastisch, seitdem er sich die Tourcard zurückgeholt hat. Die Entwicklung ist super, Darts-Deutschland ist weiter im Kommen - das kann man klar so festhalten.
Abschließend: Sie haben letztens auf Instagram öffentlich gemacht, dass Sie auch Hass-Nachrichten bekommen. Was hat Sie dazu bewogen, sich zu wehren und es öffentlich zu machen?
Clemens: Ich muss vorneweg sagen, dass es nur ein kleiner Teil ist. Da darf kein falscher Eindruck entstehen. Ich bekomme ganz viele tolle Nachrichten und tollen Support. Aber genauso ist es leider die Wahrheit, dass Hass-Nachrichten inzwischen zur Gewohnheit geworden sind.
Was steht in diesen Nachrichten drin?
Clemens: Es geht vor allem in die Richtung, dass meiner Familie und mir Krebs oder andere Krankheiten gewünscht werden. Gerade wenn es gegen die Familie geht, hört für mich der Spaß auf. Vor allem, wenn es in der Familie vielleicht schon Krankheitsgeschichten gibt. Und dann bekommt solche Nachrichten. Das macht einen fassungslos und traurig, zumal das ja leider heutzutage wohl in jeder Sportart vorkommt. Ich fühle mich jetzt nicht bedroht. Aber ich hatte das Bedürfnis, darauf aufmerksam zu machen, dass auch in meinem Leben als Darts-Profi nicht immer alles nur eitel Sonnenschein ist. Ich finde es wichtig, das auch mal nach außen zu transportieren.
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