SPOX: Ein Jahr ist seit dem vierten Platz bei der Heim-WM vergangen und wieder hat sich das deutsche Team in Köln vorbereitet. Aberglaube?
Dennis Endras: Ich glaube nicht. In Köln sind einfach die Gegebenheiten zum Training optimal.
SPOX: Sie können mir aber nicht erzählen, dass Köln ein Trainingsort wie jeder andere ist. Immerhin haben Sie dort mit dem vierten Platz 2010 den größten Erfolg einer deutschen Nationalmannschaft aller Zeiten bei einer WM miterlebt.
Endras: Es war schon ein mulmiges Gefühl, wieder in die Halle einzulaufen. Da kamen die ganzen Gefühle von damals wieder hoch. Es ist aber das ganze Jahr über kein Tag vergangen, an dem ich nicht an diese WM gedacht habe. Das war schon ein ganz heißes Ding. Ich hatte zum Glück schon viele schöne Momente in meiner Laufbahn, aber dieser Halbfinaleinzug bei der WM im eigenen Land war bisher der Höhepunkt meiner Karriere.
SPOX: Wie oft haben Sie sich den Film zur WM mittlerweile angesehen?
Endras: (lacht) Einige Male. Immer, wenn das Wetter schlecht war.
SPOX: Ist das anstehende Turnier in der Slowakei nicht angesichts dieses Highlights im vergangenen Jahr unglaublich undankbar? Sie können eigentlich nur verlieren.
Endras: Die Situation erinnert mich an die in Augsburg. Nach der Vize-Meisterschaft sind wir in diesem Jahr auf den letzten Platz abgerutscht. Man steht ungewollt unter Druck, setzt sich auch selbst unter Druck. Ich denke, niemand erwartet von uns, dass wir wieder ins Halbfinale kommen, aber das Gefühl damals war so schön, dass man es natürlich wieder erleben möchte. Wir haben jedoch mit Russland, Gastgeber Slowakei und Slowenien eine Hammer-Gruppe. Da kann alles passieren.
SPOX: Wird das DEB-Team von den Gegnern jetzt ernster genommen?
Endras: Wir haben uns im vergangenen Jahr extrem viel Ansehen erarbeitet. Das steckt bestimmt in den Köpfen unserer Gegner drin. Die Slowaken haben wir zum Beispiel 2010 aus dem Turnier geschossen. Das werden die nicht vergessen haben. Gegen Russland (Fr., 16 Uhr im LIVE-TICKER) sind wir wieder krasser Außenseiter, aber die Jungs wissen ja, dass wir kämpfen können.
SPOX: Wie steht es denn mit dem eigenen Selbstbewusstsein? Konzentrieren Sie sich auf das wohl entscheidende dritte Spiel gegen Slowenien oder wollen Sie die zum Weiterkommen nötigen Punkte schon gegen Russland und die Slowakei holen?
Endras: Ich bin kein Fan davon, alles auf ein Spiel zu setzen. Wir haben in der Vorbereitung gegen Schweden und Finnland gezeigt, dass wir mit den großen Nationen mithalten und sie sogar schlagen können. Also gehen wir auch in das WM-Spiel gegen Russland und wollen gewinnen. Das wäre dann gleich mal die erste Sensation am ersten WM-Tag. (lacht)
SPOX: Sie haben die Spiele in der Euro Hockey Challenge gegen Schweden und Finnland angesprochen. Wie wichtig war es, sich vor der WM mit solch starken Gegnern messen zu können?
Endras: Wir Spieler finden es besser, gegen solche Kaliber zu spielen. Schweden und Finnland verkörpern nun einmal das WM-Niveau, da können wir uns in der Vorbereitung schon einmal anpassen. Wir kämpfen in diesen Spielen schon ums Überleben, müssen uns für die WM also nicht mehr umstellen. Klar kommen bei denen noch einige Spieler aus der NHL dazu, aber der Name bleibt der gleiche. Wir haben Finnland geschlagen, warum sollen wir ein eventuelles Spiel bei der WM nicht mit Selbstvertrauen angehen?
SPOX: Ihr Selbstvertrauen als WM-MVP 2010 muss schier grenzenlos sein. Halten Sie sich trotz der starken Konkurrenz durch Dimitri Pätzold und Jochen Reimer für die klare Nummer eins im deutschen Tor?
Endras: Ich denke, es wird wie 2010 jeder Goalie zum Einsatz kommen. Und ich gönne das auch jedem, weil ich weiß, wie blöd es ist, bei einer WM zu sein und nicht spielen zu dürfen. Dennoch will ich natürlich die Nummer eins sein und werde im Training alles dafür tun, dass ich aufgestellt werde.
SPOX: Ist Ihnen in so einem stressigen Turnier die eine oder andere Verschnaufpause vielleicht sogar ganz recht?
Endras: Ich hasse Pausen! (lacht) Es gibt für einen Eishockey-Torhüter nichts Schlimmeres, als nicht zu spielen. Ich fahre nicht nach Bratislava, um ein Fan mit besonders gutem Sitzplatz zu sein. Ich will derjenige sein, der hinten drin steht.
SPOX: Können Sie sich überhaupt voll auf die WM konzentrieren? Immerhin befinden Sie sich wegen Ihres Wechsels in die USA gerade mitten in den Vorbereitungen auf einen neuen Lebensabschnitt.
Endras: Ich habe alles, was ich wegen meines Umzugs noch erledigen muss, nach hinten verschoben und beschäftige mich im Moment überhaupt nicht damit. Ich habe nach der WM noch genug Zeit, alles zu regeln.
SPOX: Trotzdem waren Sie aber direkt nach dem Ende der DEL-Saison für eine Woche in den USA. Was haben Sie dort gemacht?
Endras: Ich war eine Woche in Houston und habe mit den Aeros, dem Farmteam der Minnesota Wild, trainiert, um die Leute kennen zu lernen und mir das Niveau in der AHL anzusehen. Es war eine schöne Erfahrung, das Wetter war schön, es gibt nichts Negatives zu berichten.
SPOX: Aber Sie wollen dorthin natürlich nicht zurück, weil Sie direkt für die Wild in der NHL spielen möchten.
Endras: Klar will ich NHL spielen und ich hoffe, dass es gleich klappt. Ich wäre schon ein wenig geknickt, wenn ich in die AHL müsste, aber wenn es so kommen sollte, könnte ich auch nichts daran ändern und würde mich durchkämpfen.
SPOX: Die Vorzeichen bei den Wild sind nicht allzu schlecht. Hinter der Nummer eins Niklas Bäckström scheint für sie alles möglich zu sein.
Endras: Das stimmt, auch wenn sich über den Sommer dort bestimmt auf der Torhüter-Position noch etwas tun wird. Aber egal, wen sie holen, der soll schon ein bisschen ins Schwitzen kommen. Mir ist klar, dass ich dort ein paar Konkurrenten ausstechen muss.
SPOX: Den Chefscout der Wild haben Sie als Fan zumindest sicher. Er hat über Sie gesagt: "Endras wird auf jeden Fall ein Nummer-eins-Goalie".
Endras: Diese Aussage hat mich sehr gefreut. Das Statement steht erst einmal und ich habe auch den Eindruck, dass sie in Minnesota viel von mir halten, weil sie sich sehr um mich bemüht haben. Aber versprechen kann mir dort drüben niemand etwas. Das hängt zum großen Teil von mir selbst ab. Ich habe aber ein gutes Gefühl, dass ich sehr schnell ans NHL-Niveau herankomme.
SPOX: Was heißt das konkret? Müssen Sie für die NHL Ihre Spielweise ändern?
Endras: Darüber habe ich schon viel nachgedacht. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht viel ändern möchte, denn die Spielweise, die ich hier habe, hat mich schließlich in die NHL gebracht. Sobald ein Torhüter etwas ändern will, denkt er zu viel nach und ist die entscheidenden Sekundenbruchteile zu spät dran. Ich spiele mein Spiel und wenn es reicht, dann reicht es. Wenn nicht, dann muss ich sehen, was ich ändere.
SPOX: Es gibt im deutschsprachigen Raum sowohl positive als auch negative Beispiele für NHL-Karrieren von Goalies. Ihre deutschen Kollegen Dimitri Pätzold und Thomas Greiss haben es nicht geschafft, der Schweizer Jonas Hiller gilt hingegen mittlerweile als einer der besten Goalies der Liga. Tauschen Sie sich mit denen aus?
Endras: Ich rede viel mit Dimitri Pätzold. Das bietet sich ja an, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt wie wir bei der Nationalmannschaft. Ich rede aber auch viel mit den deutschen Feldspielern, die in der NHL spielen. Ich will so gut wie möglich vorbereitet sein und genau wissen, was mich erwartet.
SPOX: Sie haben mal gesagt, dass Sie vor Spielen nie nervös sind. Stimmt das und halten Sie das für einen Trumpf, der Ihnen den Durchbruch in der NHL erleichtern könnte?
Endras: Ich muss gestehen: Am nervösesten in meiner ganzen Karriere war ich bei meinem ersten Spiel in der A-Mannschaft in Sonthofen vor 300 Zuschauern. Aber heute kann ich es selbst vor WM-Spielen vor knapp 80.000 Zuschauern wie auf Schalke nicht erwarten, bis es endlich raus aufs Eis geht. Ich kaue nicht an den Fingernägeln. Auf so einer großen Bühne zu spielen, muss Spaß machen. Und wenn ich nervös bin, kann ich das nicht genießen. Ein bisschen Anspannung vor den Spielen verspüre ich natürlich auch, aber richtige Nervosität kenne ich nicht.
SPOX: Klingt, als können Sie sehr gut mit Druck umgehen.
Endras: Ich fühle keinen Druck. Ich komme aus der Bayernliga und spiele jetzt Weltmeisterschaften und hoffentlich bald sogar in der NHL. Man darf nie vergessen, wo man herkommt. Dann macht das, was man in der Zukunft erlebt, umso mehr Spaß.
SPOX: Wie gut ist eigentlich Ihr Englisch?
Endras: Ich spiele in Augsburg seit Jahren mit zwölf bis 15 Ausländern zusammen. Wenn ich trainiere, bin ich eigentlich gleichzeitig von acht bis zwölf Uhr im Englisch-Unterricht. (lacht)
SPOX: Sie hätten sich sicher einen schöneren Abschied aus Augsburg gewünscht als in der regulären Saison Letzter zu werden.
Endras: Natürlich. Gerade, wenn es die letzte Saison ist, wünscht man sich einen besonderen Abschluss. Aber das hat leider nicht funktioniert.
SPOX: Wie sieht es denn mit einer Abschiedsparty aus?
Endras: Direkt nach dem letzten Heimspiel haben sie in Augsburg auf dem Videowürfel ein Abschiedsvideo gezeigt und alle Zuschauer sind da geblieben. Das war sehr emotional. Eine Party mit der Mannschaft wird es mit Sicherheit noch geben, dafür war vor der WM nur noch keine Zeit. Spätestens am 16. Mai ist Urlaub, dann werde ich alle noch einmal zusammentrommeln.
SPOX: Neben Umzug in die USA, Abschiedsparty mit den Kumpels in Augsburg und der WM in Bratislava sind Sie auch noch Botschafter für die Olympiabewerbung von München 2018. Wollen Sie da selbst noch dabei sein?
Endras: Ich wäre dann 32 Jahre alt, das ist doch perfekt! (lacht) Und olympische Spiele im eigenen Land zu spielen, wäre noch einmal ein Traum, der in Erfüllung geht. Sollte München die Spiele bekommen und ich bis dahin vielleicht noch besser spielen als jetzt, können sie mich schlecht zu Hause lassen.
SPOX: Als gestandener NHL-Goalie nach Hause zu Olympia?
Endras: Das wäre doch nicht schlecht. Noch ein paar Stanley Cups dazu, dann passt das! (lacht)
Der Spielplan der Eishockey-WM in der Slowakei