SPOX: Frau Harß, Sie sind Nationaltorhüterin, stehen in der Liga aber bei den Männern im Tor. Das klingt ziemlich verrückt. Wie sind Sie dazu gekommen?
Jennifer Harß: Im Kindesalter durfte sich jeder im Tor versuchen. Mir hat es so gut gefallen, dass ich gesagt habe: "Ich möchte im Tor bleiben". Dann war ich erst mal Torfrau und Spielerin in einem und habe mich später für den Platz zwischen den Pfosten entschieden. Bei den Frauen wird es leider irgendwann schwierig, da die meisten nur einmal die Woche trainieren können. Es fehlt dort an den finanziellen Mitteln. Um mich weiterhin auf hohem Niveau zu halten, bin ich 2008 zu den Männern gewechselt.
SPOX: Wie waren Ihre ersten Erfahrungen?
Harß: Es war eine neue Situation - für mich und natürlich auch für die Männer. Deshalb waren die Reaktionen häufig nicht gerade positiv. Aber über die letzten Jahre hat sich das eigentlich ganz gut entwickelt. Inzwischen kommen kaum noch doofe Sprüche oder Kommentare. Wir Frauen haben uns mittlerweile etabliert und auch Respekt verschafft.
SPOX: Wie gehen Ihre derzeitigen Teamkollegen mit der Situation um?
Harß: Ach, die meisten kenne ich schon aus dem Nachwuchsbereich und haben mich gut unterstützt. Für die Jungs ist es keine blöde Situation mehr. Wenn die Leistung passt, wird man auch schnell akzeptiert.
SPOX: Wie ist das Verhältnis mit den anderen Goalies? Können sie damit umgehen, dass sie gegen eine Frau das Nachsehen haben?
Harß: In Sonthofen wurde das schon vor der Saison geklärt. Da ich relativ viel mit der Nationalmannschaft unterwegs bin und mein etwas älterer Konkurrent noch berufstätig ist, wechseln wir uns im Tor ab. Für ihn ist das kein Problem.
SPOX: Wie läuft das in der Kabine ab?
Harß: Ich bin bei den Männern in der Kabine, allerdings ziehe ich meine Schwitzweste in einem anderen Raum aus. Nackt sehen die mich natürlich nicht (lacht). Und ich dusche woanders. Aber ansonsten läuft es in der Kabine ganz normal ab. Die Themen sind vielleicht ein bisschen anders.
SPOX: Aber es gibt ja nicht überall zwei Kabinen.
Harß: Angenommen, es gibt jetzt keine zweite Dusche, dann dusche ich entweder vor oder nach den Jungs. Dann sage ich "Ich gehe jetzt duschen", dann wissen sie, dass sie jetzt nicht reinkommen dürfen.
SPOX: Halten sich die Männer daran?
Harß: Es ist schon mal vorgekommen, dass einer aus Versehen reingelaufen ist. Aber das ist auch schon länger her. Eigentlich sind sie so anständig und bleiben draußen.
SPOX: Wie hat das Publikum 2008 reagiert, als Sie angefangen haben, bei den Männern zu spielen?
Harß: Bei meinem alten Klub waren sie schon sehr kritisch, bis sie gesehen haben, was ich drauf habe. Von den gegnerischen Fans und Spielern kamen natürlich ein paar blöde Kommentare. Von wegen: "Was will da jetzt eine Frau im Tor? Das gibt's ja nicht". Nach der Partie haben sie dann meistens dumm aus der Wäsche geschaut.
SPOX: Wie geht man mit den Kommentaren um?
Harß: Ich hab schon von klein auf mit Jungs gespielt, da kam schon mal ein doofer Spruch. Aber daran muss man sich gewöhnen. Man darf nicht empfindlich sein und sich nicht alles zu Herzen nehmen.
SPOX: Müssen Sie sich umstellen, wenn Sie nach Olympia wieder bei den Männern aktiv sind?
Harß: Ich brauche eigentlich immer einen Tag im Training, um mich wieder an die Unterschiede zu gewöhnen. Bei den Frauen muss ich geduldiger sein und darf nicht zu früh reagieren. Bei den Männern ist es genau umgekehrt.
SPOX: Erklären Sie mal für einen Laien: Wie weit dürfen Sie mit den Männern aufsteigen? Wäre sogar die DEL möglich?
Harß: Rein theoretisch dürfte ich auch in der DEL spielen, da gibt es keine Regel. Aber ich denke, auch wenn es möglich wäre, ist das doch sehr unrealistisch. Es gibt genügend gute Goalies in Deutschland und die Männer sind dann doch besser.
SPOX: Ist die Bayernliga der Männer mit der Bundesliga der Frauen vergleichbar?
Harß: Das Niveau in der Bayernliga ist deutlich besser. Wir haben zwar noch nie gegen eine Frauenmannschaft gespielt, aber meiner Meinung nach würden wir klar gewinnen.
SPOX: Im Frauen-Eishockey ist im Vergleich zu den Männern der Body-Check nicht erlaubt. Wie unterscheidet sich das Training?
Harß: Die Torfrauen sind davon nicht so betroffen, weil wir kaum Körperkontakt haben. Rein technisch könnten einige Frauen in der Bayernliga mitspielen, aber wenn es zum Körperkontakt kommt, ist es zu gefährlich. Frauen sind einfach körperlich unterlegen.
SPOX: Was schauen Sie in ihrer Freizeit lieber: Männer- oder Frauen-Eishockey?
Harß: Das kommt ganz aufs Spiel an. Auf internationalem Niveau schaue ich mir auch gerne ein Frauenspiel an, aber in Deutschland würde ich mich zwischen Damen-Bundesliga und DEL klar für die DEL entscheiden.
SPOX: Sie sind 2009 nach ihrem ersten Engagement bei den Herren in die USA gewechselt. Ging damit ein großer Traum in Erfüllung?
Harß: Auf jeden Fall. Als ich von dem Angebot gehört habe, für eine College-Mannschaft zu spielen, habe ich nicht lange gezögert und den Schritt gewagt. Ich würde es jederzeit wieder tun.
SPOX: Welchen Stellenwert hat Damen-Eishockey in den USA?
Harß: Einen deutlich besseren als hier in Deutschland. College-Sport im Allgemeinen hat dort drüben mehr Bedeutung. Es geht sehr professionell zu, gerade was das Training und das Coaching betrifft.
SPOX: Sie haben es sogar geschafft, mit ihrem Team, den Minnesota Duluth Bulldogs, das Finalturnier der NCAA zu gewinnen.
Harß: Das war unfassbar. Wir wurden nach dem Erfolg sogar zu Barack Obama ins Weiße Haus eingeladen. Das war ein super Erlebnis!
SPOX: Durften Sie den Präsidenten kennenlernen?
Harß: Ja, das war klasse. Obama hat eine Rede gehalten und jedem gratuliert. Ein Foto gab es aber leider nicht. Danach waren wir im Garten des Weißen Hauses und haben dort Kaffee und Kuchen bekommen. Das kann auch nicht jeder von sich behaupten.
SPOX: Nach dem Ende Ihres Studiums sind Sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Wären Sie gerne in den USA geblieben?
Harß: Eigentlich schon. Es war zwar mit der Uni etwas stressig, weil man zwei Sachen gleichzeitig unter einen Hut bringen musste, aber ich würde es wieder machen.
SPOX: Hätten Sie kein anderes Angebot annehmen können?
Harß: Man muss ganz klar sagen, dass einem im College alles finanziert wird und ich hatte sogar ein Vollstipendium. Aber es gibt in den USA auch keine Liga wie die NHL, in der man wirklich Geld verdienen kann. Die ganzen amerikanischen und kanadischen Nationalspielerinnen sind zwar Profis, werden aber in erster Linie von ihrem Verband bezahlt. Ich hätte zwar in einer Mannschaft spielen können, aber währenddessen ganz normal arbeiten müssen. Eishockey wäre dann nicht mehr als ein Hobby gewesen.
SPOX: Wie lösen Sie das heutzutage?
Harß: Bei uns in der Nationalmannschaft sind ziemlich viele bei der Bundeswehr in der Sportfördergruppe. Ich bin auch Sportsoldatin, das ist mein Hauptjob und die Bayernliga ist sozusagen ein Nebenjob.
SPOX: Dieser Nebenjob führt Sie in wenigen Wochen immerhin zu den Olympischen Spielen. Mit welchen Erwartungen reisen Sie nach Sotschi?
Harß: Ich war noch nie in Russland, deswegen ist es natürlich schwierig abzuschätzen, was genau mich erwartet. Aber die Vorfreude ist riesengroß. Das wird ein super Event.
SPOX: Verliert man in Hinblick auf die politischen Unruhen in Russland die Lust an den Spielen?
Harß: Man macht sich darüber Gedanken, kein Frage. Aber in erster Linie ist es unsere Aufgabe, sich auf den Sport zu konzentrieren. Für alles andere sind die Politiker zuständig.
SPOX: Mit Russland, Schweden und Japan erwartet das deutsche Team eine schwere Gruppe. Was ist möglich?
Harß: Es wird sicherlich nicht einfach. Aber bei der WM im letzten Jahr hatten wir eine ähnlich starke Gruppe und sind ins Viertelfinale gekommen. Auch in Sotschi ist vieles möglich.
SPOX: Wer ist Ihr Favorit auf Gold?
Harß: Das Finale wird wohl zwischen den USA und Kanada stattfinden. Im Moment würde ich sogar eher auf die USA tippen. Bei den Frauen sind die Titelkandidaten noch eindeutiger als bei den Männern. Allerdings wurden die Amerikanerinnen erst vor kurzem von Finnland geschlagen, ganz ausschließen würde ich eine Überraschung nicht.