SPOX: Im vergangenen Jahr ging es bei der WM darum, Stolz und Ehre zurückzugewinnen. Was muss aus Ihrer Sicht in diesem Jahr passieren, damit wir danach von einem erfolgreichen Turnier sprechen können?
Pat Cortina: Wir müssen unsere Identität verfestigen. Wenn die Fans an die Spiele der Nationalmannschaft denken und damit Begriffe wie Disziplin, Zusammenhalt und Leidenschaft verbinden, dann hatten wir ein erfolgreiches Turnier. Mir gefällt unsere Mischung aus dem Enthusiasmus unserer Youngster und der Erfahrung der älteren Spieler. Sean Simpson (Nationaltrainer der Schweiz, Anm. d. Red.) meinte nach unserem Vorbereitungsspiel, dass er eine strukturierte, hart arbeitende Mannschaft mit viel Charakter gesehen habe. Genau das ist unsere Identität, genau das wollen wir sein. Wenn wir das bei der WM aufs Eis bringen, werden wir wahrscheinlich mehr als sieben Spiele absolvieren.
SPOX: Das nicht so schwere Auftaktprogramm mit Spielen gegen Kasachstan und Lettland bietet eine gute Chance, einen Top-Start ins Turnier zu erwischen und dann Richtung Viertelfinale zu denken.
Cortina: Wenn wir so denken, könnte das aber gefährlich sein. Ob wir das erste Spiel nun gewinnen oder verlieren, kommen danach immer noch sechs Spiele, die genauso wichtig sind. Im alten Format mit den Vierergruppen gab es immer ein Spiel, das entschieden hat, ob wir die nächste Runde erreichen oder nicht. Das ist jetzt nicht mehr so. Wir müssen vorsichtig sein, nicht zu viel von den ersten Spielen abhängig zu machen. Kasachstan ist außerdem eine gute Mannschaft und die Letten stehen in der Weltrangliste vor uns, insofern wüsste ich nicht, warum wir das ganz leicht als gewinnbares Spiel ansehen sollten. Jedes Spiel ist gewinnbar.
SPOX: Dadurch, dass die DEL-Finals so lange andauerten, länger als Finalserien in anderen Ländern, hatten Sie es natürlich schwer bei der Kaderzusammenstellung. Wie sehr nervt Sie die fehlende Zeit?
Cortina: Es macht es natürlich komplizierter. Jeder Bundestrainer hätte gerne mehr Zeit zur Verfügung, aber die Situation ist, wie sie ist. Ich kann es nicht kontrollieren, also versuche ich, meine Energie in andere Dinge zu investieren. Klar ist aber auch, dass Kaderentscheidungen potenziell anders ausgefallen wären, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten.
SPOX: Kein Timo Pielmeier, kein Playoff-MVP Patrick Köppchen, kein Thomas Greilinger - Sie verzichten komplett auf Meister-Spieler aus Ingolstadt. Warum?
Cortina: Timo hat überragende Playoffs gespielt, aber es war seine erste Saison in der DEL. Er hat zum ersten Mal so richtig gezeigt, was für ein Klasse-Goalie er ist. Auf der anderen Seite haben wir Danny Aus den Birken, der für Köln zwei sehr solide Saisons gespielt hat und auch schon bei der Nationalmannschaft dabei war. Danny hatte letztes Jahr eine schwierige Rolle, weil er bei uns nicht zu Einsätzen gekommen ist, aber er ist trotzdem immer positiv geblieben und hat sich in den Dienst der Mannschaft gestellt. Er hat sich in dieser Saison wieder den Hintern aufgerissen, um die Haie erneut in die Finals zu führen. Wenn wir unserem Programm Glaubwürdigkeit geben wollen, dann kann ich nicht Danny sagen: ‚Wir haben jetzt einen anderen, Du bist raus.' Ich bin mir sicher, dass Timo die Situation versteht. Er wird in Zukunft auch sicher eine Rolle bei uns spielen.
SPOX: Sie hätten im Tor ja sehr viele Möglichkeiten gehabt. Thomas Greiss, der in Phoenix gute Leistungen gezeigt hat, wenn er die Chance bekam, ist auch nicht dabei. Ist Rob Zepp Ihre klare Nummer eins?
Cortina: Wenn wir uns anschauen, wer in der jüngeren Vergangenheit die wichtigen Spiele gemacht hat, kann ich dazu nicht nein sagen. Aber trotzdem würde ich nicht zwingend von einer Nummer eins und zwei sprechen. Rob Zepp und Philipp Grubauer sind beide gut drauf und wir werden beide brauchen. Wir werden vier Spiele innerhalb von fünf Tagen absolvieren und alleine deshalb wechseln müssen. Besonders ein Team wie Deutschland benötigt herausragende Goalie-Leistungen, um erfolgreich sein zu können. Ich möchte aber auch gerne noch etwas zu Greilinger, Köppchen und auch zu John Tripp sagen.
SPOX: Bitte.
Cortina: Es hat keine persönlichen Gründe, dass sie nicht dabei sind. Es ist den Umständen geschuldet. Wir sprechen hier nicht über junge Kerle. Es sind alle schon ältere Spieler, die in den Playoffs mit größter Intensität sehr viel Eishockey gespielt haben. Wenn die Playoffs dann vorbei sind, ist es ganz natürlich, dass sie physisch und mental in ein Loch fallen. Sie dann wieder so weit zu bekommen, dass sie für eine WM bereit sind, ist extrem schwierig. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es bei der WM einen, zwei, vielleicht drei Schritte schneller zugeht, als wir es in Deutschland gewöhnt sind. Wir brauchen die Spieler auf ihrem höchsten Level und müssen sie ans WM-Niveau heranführen, das ist in drei Tagen kaum zu machen. Wir tun auch ihnen selbst keinen Gefallen, wenn wir sie mitnehmen und sie dann nicht imstande sind, Top-Leistungen zu bringen. Wie gesagt, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, wäre die Situation vielleicht eine andere gewesen.
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