Yannic Seidenberg spielt seit 2013 für den EHC Red Bull München. Im Interview mit SPOX spricht der 33-Jährige über die anstehenden Playoffs in der DEL (Di., 19.30 Uhr im LIVETICKER), seine Rolle beim amtierenden Meister und die Heim-WM. Außerdem äußert er sich zu seinem Bruder Dennis Seidenberg und den anderen deutschen NHL-Profis.
SPOX: Herr Seidenberg, Sie haben vor wenigen Wochen Ihr 800. Spiel in der DEL bestritten. Als Lohn gab es von Christian Winkler sogar ein Ehrentrikot. Fühlen Sie sich ein bisschen alt?
Yannic Seidenberg: (lacht) In solchen Momenten merkt man als Sportler, dass man ganz schön lange dabei ist. Wenn ich so zurückblicke, ist meine Karriere ganz schön schnell verflogen und ich merke, dass ich vor allem die ersten Jahre gar nicht genossen habe.
SPOX: Haben sie das "Genießen" erst lernen müssen?
Seidenberg: Gerade nach meiner schweren Verletzung im letzten Jahr genieße ich es jetzt einfach, auf dem Eis zu stehen. Und ich bin natürlich auch stolz, auf diese Anzahl an Spiele gekommen zu sein.
SPOX: Also denken Sie noch längst nicht ans Aufhören? Haben Sie denn schon den nächsten Meilenstein ins Visier genommen - die 1000-Spiele-Marke?
Seidenberg: Klar wäre es schön, auch noch die 1000 zu packen. Momentan fühle ich mich sehr wohl in München und denke noch lange nicht ans Aufhören. Ich werde das von Jahr zu Jahr entscheiden, wie es mir geht und wie auch der Körper mitspielt.
SPOX: Jetzt steht mit den Playoffs erstmal die entscheidende Phase der Saison an. Am letzten Spieltag der Regular Season hat München die Adler Mannheim noch von der Tabellenspitze verdrängt. Eine Kampfansage vor den K.o.-Spielen?
Seidenberg: Es wäre ein Fehler, nur Mannheim im Kopf zu haben. Da oben stehen noch genug andere Teams, die jederzeit in der Lage sind, eine oder mehrere Serien zu gewinnen. Schön ist es dennoch, dass wir die Führung noch zurückerobert haben, nachdem wir sie ja hergegeben hatten. Die Phase, in der es nicht so gut lief, war vielleicht auch ganz gut, um zu merken: Es wird wieder ein ganzes Stück Arbeit, die Meisterschaft nach München zu holen.
SPOX: Wer sind denn die gefährlichsten Teams?
Seidenberg: Die Liga ist sehr ausgeglichen, alle Teams sind gefährlich. Mit Mannheim, Köln oder Nürnberg ist zu rechnen. Doch jetzt gilt es zunächst gegen Fischtown zu bestehen. Fakt ist aber: Wenn wir unser Spiel auf das Eis bringen, sind wir in der Lage, in einer Best-of-Seven-Serie jeden zu schlagen.
EHC Red Bull München: Fischtown unterschätzen? "Ein fataler Fehler"
SPOX: Sie persönlich stehen mit 41 Scorerpunkten so gut wie selten da. Dabei mussten Sie ob der großen Verletzungssorgen im Team auch einige Zeit als Verteidiger aushelfen. Sie sind in München zu einer Art Allzweckwaffe gereift, oder?
Seidenberg: Ich habe auch vergangenes Jahr als Verteidiger ausgeholfen, das hat ganz gut geklappt. In den drei, vier Spielen galt es, weiter dazuzulernen. Ich denke, wenn der Coach und das Team mich als Verteidiger benötigen, dann könnte ich das jetzt auch in den Playoffs spielen. Wobei wir ja mit Yann Sauve einen Verteidiger nachverpflichtet haben.
SPOX: Aber Sie würden schon lieber offensiv denken auf dem Eis, oder?
Seidenberg: Wo ich dann letztlich auflaufe, das müssen Sie den Trainer fragen. Jeder Eishockeyspieler möchte scoren und eine gute Statistik haben. Die vergangenen Jahre hatte ich nicht ganz so viele, wobei man auch immer schauen muss, welche Rolle ich im Team eingenommen habe.
spox SPOX: Unterliegen Sie als Verteidiger grundlegend anderen Automatismen als jenen, die Sie als Stürmer von klein auf gelernt haben?
Seidenberg: Für jemanden, der eher offensiv denkt, ist das sicherlich nicht leicht. Aber ich bin als Mittelstürmer und mit dem Gedanken groß geworden, immer erstmal nach hinten abzusichern und wenn eine Scheibe durchrutscht voll auf Angriff zu schalten. So habe ich während meiner Karriere auch agiert. Klar war es eine Umstellung, aber ich habe mich mit Videoschulungen vom Trainerteam schnell reingefunden. Manchmal habe ich mich dennoch wie ein junger, unerfahrener Spieler gefühlt. Manchmal auch ein bisschen unwohl. Da muss man ein bisschen aus dem Gefühl heraus agieren, damit das besser wird.
SPOX: Die Playoffs sind gerade omnipräsent. Aber dieses Jahr steht mit der Heim-WM noch ein ganz besonderes Highlight an. Wächst die Vorfreude schon?
Seidenberg: Klar ist die WM schon im Hinterkopf. Da möchte ich unbedingt dabei sein. Aber dazu muss ich erst einmal eine gute Saison mit München zu Ende spielen und dann schauen wir, wen der Bundestrainer einlädt. Bei mir wäre die Freude jedenfalls groß.
SPOX: Was zeichnet denn die Arbeit von Bundestrainer Marco Sturm aus?
Seidenberg: Marco Sturm gelingt es vor Großereignissen sehr gut, uns zu einer echten Einheit zu formen. Jeder hat dann seine Aufgabe, das gesamte Trainerteam bereitet das sehr gut vor, sodass auch der Spaß nicht zu kurz kommt. Unabhängig von der guten Vorbereitung ist es immer schön, für Deutschland zu spielen.
SPOX: Gibt es Parallelen zu ihrem Vereinstrainer Don Jackson?
Seidenberg: Die Spielsysteme in München und beim DEB-Team unterscheiden sich grundlegend. Darüber hinaus ist der größte Unterschied die Erfahrung. Marco als Ex-Spieler ist noch ein junger Trainer und hat sein Team oft nur wenige Tage um sich. Die beschränkte Zeit ist schon Aufgabenstellung genug. Don ist sehr erfahren, da gibt es auch bei der Strenge Unterschiede.
SPOX: Fällt die Systemumstellung, gerade bei so wenig Zeit, nicht immer sehr schwer?
Seidenberg: Schwer fällt es mir nicht, aber die ersten ein, zwei Spiele ist es schon eine Denkaufgabe für den Kopf.
SPOX: Ihr Bruder Dennis hat in einem DAZN-Interview unlängst erwähnt, dass er sich über eine eigene WM-Teilnahme sehr freuen würde. Was wären denn die Ziele, wenn Sie im DEB-Team gemeinsam auf dem Eis stehen würden?
Seidenberg: Unabhängig von einer möglichen Heim-WM ist Olympia ein ganz großes Ziel. Die Teilnahme fehlt mir noch. Beim letzten Mal wurde ich leider kurz davor heimgeschickt. Natürlich wäre es ein Highlight, das besondere Erlebnis dann mit meinem Bruder zu teilen.
SPOX: Wie sieht denn der Kontakt zu Ihrem Bruder außerhalb der Nationalmannschaftskarriere aus. Wie oft sehen sie sich?
Seidenberg: Wir telefonieren eigentlich täglich, vor allem vor den Spielen, auch wenn es nur ein paar Minuten sind. Wenn es von der Zeitumstellung nicht klappt, dann via Whatsapp oder am kommenden Tag. Im Sommer besuchen sich die Familien gegenseitig. Dann sehen wir uns zum Glück öfter.
SPOX: Dennis kämpft momentan mit den New York Islanders um die Postseason. Verfolgen Sie seine Matches oder generell die Highlights der NHL?
Seidenberg: Vor allem die Highlights der NHL schaue ich mir eigentlich immer an. Abendspiele von Dennis verfolge ich in der Regel ebenfalls. Nachts ist das, gerade mit Familie, schwieriger. Da werden dann morgens erstmal Highlights und Statistiken gecheckt.
SPOX: Gibt es dann direktes Feedback zur Leistung?
Seidenberg: Selten. Ich denke, wir wissen beide, was wir auf dem Eis zu tun haben. Dementsprechend geht es in den Telefonaten nicht nur um Eishockey.
SPOX: Familienmitglieder lassen sich ja auch nicht immer objektiv beurteilen. Was sagen Sie denn zu den momentanen Leistungen von Goalie Thomas Greiss?
Seidenberg: Er hat sehr lange um seine Chance gekämpft und hat sich in den vergangenen zwei Jahren zu einem Nummer-Eins-Torwart weiterentwickelt und ist ein starker Rückhalt der Islanders. Und auch bei der Nationalmannschaft sieht man sofort seine Klasse.
SPOX: Ansonsten beschäftigt die deutschen NHL-Fans in diesen Tagen der Saison-Scoring-Rekord, den Marco Sturm - noch - hält. Dass Leon Draisaitl den bald knackt, scheint nur Formsache zu sein. Wie gut kann er noch werden?
Seidenberg: Er hat es auf jeden Fall geschafft, ein Topspieler der NHL zu werden. Wenn alles planmäßig läuft, wird er in den kommenden zwei Jahren auch nochmal einen Sprung machen, da bin ich mir sicher. Aber hinter dem Erfolg steckt viel, viel Arbeit. Das zahlt sich dann aus.
SPOX: Sie haben in jungen Jahren selbst den Sprung gewagt und in der AHL in Kanada gespielt - mit dem Titel des Presidents Cup sogar sehr erfolgreich. Was hat zum Sprung in die NHL gefehlt?
Seidenberg: Es war damals mein Hauptziel. Deswegen bin ich trotz DEL-Erfahrung mit 19 nochmal in die Nachwuchsliga nach Kanada. Es gab auch ein paar Gespräche, aber letztlich hieß es immer, ich sei zu klein.
SPOX: Weshalb Sie wieder zurück nach Deutschland kamen.
Seidenberg: Als ich das gute Jahr in Ingolstadt absolviert hatte 2006, wollte ich eigentlich nach der WM wieder rüber mit dem Ziel, in die NHL zu kommen. Dann habe ich mir das Kreuzband gerissen. Danach hat sich die Chance nie wieder so richtig ergeben.
SPOX: Mittlerweile sind sie verheiratet, haben drei Kinder. Verändern sich die Prioritäten dann automatisch?
Seidenberg: Es ist einfach ein großer Rückhalt zuhause. Meine Familie ist immer für mich da. Und meine Frau hat immer noch genug Aufgaben, die sie aufgrund meines Profidaseins alleine stemmen muss. Das macht sie super! Die Zwillinge fahre ich morgens vor dem Training zum Kindergarten und nachmittags bleibt auch oft Zeit, Dinge mit den Kids zu unternehmen.
SPOX: Stimmt es, dass ihre Mädels unbedingt auch Eishockey spielen wollten?
Seidenberg: Ja, die wollten unbedingt spielen und zuhause laufen sie auch schon mal mit den Schlägern rum. Aber auf dem Eis brauchen sie den Schläger nicht unbedingt, finde ich. Ich habe sie zum Eiskunstlaufen geschickt. Da haben sie Spaß, sind recht gut und der Untergrund stimmt auch. (lacht)
Yannic Seidenberg im Steckbrief