Thomas Greiss ist nach dem sensationellen 2:1 des DEB-Teams beim Auftaktspiel der Heim-WM über die USA der gefeierte Mann. Der Goalie wird von Bundestrainer Marco Sturm und den Teamkollegen gleichermaßen bejubelt. Aber die Party währt nur kurz - schließlich gibt es vor der Partie gegen Schweden am Samstag (ab 20.15 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER) auch noch ein paar Schwachstellen zu beheben. Und ein großes Ziel.
Das DEB-Team wusste, bei wem es sich zu bedanken hatte. Kaum hatten die 18.688 freudetrunkenen Zuschauer in der Lanxess Arena die letzten zehn Sekunden im Spiel gegen den großen Favoriten aus den USA heruntergezählt, hatte die einsetzende Sirene für erlösenden Jubel gesorgt, da strömten sie auch schon von der Bank.
Es bildete sich eine dicke Jubeltraube um den Held des Abends: Goalie Thomas Greiss, dem 31 Jahre alten Schlussmann der New York Islanders, war es zu verdanken, dass die Mannschaft von Bundestrainer Marco Sturm den Sensationssieg von 2010 wiederholen konnte.
Wieder Heim-WM, wieder die USA, wieder klarer Außenseiter. Wieder 2:1. Damals noch vor der Rekordkulisse auf Schalke, diesmal in Köln, wo Greiss als Teenager die Scouts der besten Eishockey-Liga der Welt auf sich aufmerksam gemacht hatte. Mittlerweile wird er im Big Apple als "Jesus Greiss" gefeiert - und ist aus dem Kasten der deutschen Nationalmannschaft nicht mehr wegzudenken.
Greiss: "Cool und abgeklärt"
"Thomas Greiss hat sehr gut gespielt, das kennen wir ja aus der NHL", musste US-Coach Jeff Blashill nach der Partie anerkennen. Mit 42 Saves hatte er das nicht bestmöglich, aber dennoch hochkarätig besetzte Lineup des dreifachen Weltmeisters entnervt. Sieben Saves gegen den wieselflinken Johnny Gaudreau, gleich zehn gegen das 20-jährige Megatalent Jack Eichel.
Eine enorme Ruhe hatte er ausgestrahlt, als eine Angriffswelle nach der anderen auf sein Tor brandete, und seine Gegner in Eins-gegen-Eins-Situationen ins Grübeln gebracht. Fast schon lässig wirkte es, wenn Greiss seine 1,85 Meter zwischenzeitlich aufrichtete.
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Der Eindruck täuschte nicht. Abseits des Eises sei seine Nummer eins nämlich genauso drauf, wusste Sturm nach der Pressekonferenz zu berichten: "Cool und abgeklärt, ein lustiger Typ." Und ein überragender Torhüter: "Um solche Spiele gegen große Gegner zu gewinnen, muss man einfach einen guten Goalie haben. Den hatten wir heute."
Besagte Coolness strahlte Greiss auch nach der Partie in der Mixed Zone aus, als er seine Antworten für die Journalisten in leicht verdauliche Häppchen von zwei bis drei Sätzen packte. Von Kopf bis Fuß schweißgebadet. "Die ganze Mannschaft hat super gearbeitet. Es war eine Kraftleistung und die Fans haben uns super unterstützt", betonte er. Ob er überrascht sei? "Nö, überhaupt nicht. Wir haben alles gegeben, ein bisschen Glück gehabt und haben das Ding heim gebracht."
Deutsches Team durchaus selbstkritisch
Überrascht waren dafür seine Teamkollegen. "Er hat teilweise unmögliche Sachen rausgeholt", staunte Siegtorschütze Patrick Hager über seinen "überragenden" Goalie. Schon nach wenigen Sekunden war der gefordert gewesen, als Gaudreau auf einmal völlig frei vor ihm auftauchte. Ohne Erfolg. "Ohne Thomas hätten wir das Spiel heute nicht gewonnen, das kann man wohl so sagen", wusste auch Tobias Rieder.
Was auch darüber Aufschluss gibt, dass auf Sturm und seinen Trainerstab noch eine ganze Menge Arbeit wartet, will man den Erfolg gegen Schweden oder Russland wiederholen. Zu passiv und etwas nervös sei man in der Anfangsphase gewesen, monierte Hager.
Und Sturm musste zugeben, dass es eigentlich nicht zum Plan gehört habe, sich von den US-Boys regelmäßig im eigenen Drittel einschnüren zu lassen: "Wir wurden sehr weit zurückgedrängt, vielleicht waren wir am Ende dann auch ein bisschen müde." Die ständige Bewegung gehöre zum modernen Eishockey dazu, "da zieht man sich manchmal etwas weiter zurück als geplant".
Und so machte Sturm keinen Hehl daraus, dass man nach dem Ausgleich durch Connor Murphy zwar eine starke Reaktion gezeigt und kämpferisch überzeugt habe, aber eben auch die "Lucky Bounces" auf seiner Seite gehabt habe: "Gegen die großen Nationen ist es einfach so, dass sie besser sind. Das muss man ehrlich zugeben."
"Essen, schlafen, Eishockey"
Gerade deshalb jedoch habe er den Countdown des Publikums kurz vor Schluss auf der Bank so genießen können - man gewinne schließlich nicht jeden Tag gegen eine amerikanische Mannschaft: "Hoffentlich können wir das noch einige Male erleben."
Der 24-jährige Konrad Abeltshauser vom Meister EHC München suchte nach seiner WM-Premiere nach Worten: "Am Ende steht man mit den Mitspielern im Arm und schaut, wie die Fahne hochgezogen wird und die ganze Halle die Nationalhymne singt. Solche Gänsehautmomente kann man fast mit dem Titelgewinn vergleichen."
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Eine große Feier war in der Lanxess Arena jedoch nicht angesagt. Spätestens im Bus zum Hotel solle der Fokus auf dem Spiel gegen Schweden liegen, forderte der Bundestrainer. Seine Spieler schienen allerdings schon in der Mixed Zone auf den kommenden Gegner fokussiert zu sein.
Unisono erklärten sie, dass nun erst einmal Regeneration angesagt sei. "Ausradeln, viel trinken, viel Essen und die Speicher aufladen. Vielleicht noch in die Eistonne", sagte Abeltshauser. "Sehr warm" sei es in der Halle mit den vielen Zuschauern gewesen, erklärte derweil Moritz Müller.
Und dann? Mit den Worten von Greiss: "Hoffen, dass man gut schlafen kann." Überhaupt: "Essen, schlafen, Eishockey - mehr gibt es in den nächsten Tagen eigentlich nicht", schilderte Veteran Dennis Seidenberg die Strapazen einer WM.
"Es war nur der erste Schritt"
Schließlich wartet mit den Schweden ein äußerst unangenehmer Gegner, der gerade in der Defense eine Menge NHL-Promimenz nach Köln gebracht hat. Und nach der Niederlage am Samstag gegen Russland auf Wiedergutmachung sinnt.
"Sie bewegen sich anders als die Amerikaner", warnte Sturm: "Sie sind läuferisch und taktisch sehr klug." Ob es erneut Greiss richten muss, oder ob die Nummer eins eine Pause bekommt, wollte Sturm am Samstag nicht verraten. Es werde noch schwerer als gegen die US-Boys. Oder, um noch einmal Abeltshauser zu Wort kommen zu lassen: "Die san keine Blinden."
Und dennoch scheint bei allem Realismus und bei aller Demut ein neues Selbstbewusstsein im DEB eingekehrt zu sein. Den erhofften Befreiungsschlag gegen einen der drei Großen - USA, Schweden, Russland - hat man bereits gelandet, alles Weitere wäre eine Zugabe.
Das Ziel Viertelfinale war am späten Freitagabend ein gutes Stück näher gerückt. Aber vielleicht ist ja sogar noch mehr drin, als der vierte Platz hinter dem Favoriten-Trio. "Wenn wir uns besser platzieren können, dann nehmen wir das natürlich mit", betonte Abeltshauser: "Wir haben heute den ersten Schritt gemacht, aber es war eben nur der erste Schritt. Jetzt geht es weiter."
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