Deutschland gegen Webber und Ferrari

Alexander Mey
13. März 201118:15
Red Bull ist nach den Tests der Favorit, aber Mercedes ist auf dem VormarschImago
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Die Zeit der Testfahrten ist vorbei, die Formel-1-Teams packen ihre Sachen für die Reise nach Melbourne. Bei den letzten Tests hat sich das Kräfteverhältnis noch einmal verschoben. SPOX zieht Bilanz und bietet einen Überblick.

Insgesamt 15 Testtage haben elf der zwölf Teams vor der Saison 2011 absolviert. Einige begannen in Valencia noch mit dem alten Auto, andere waren von Anfang an mit den neuen Boliden unterwegs. Nur HRT hat es wie im Vorjahr nicht geschafft, auch nur einen einzigen Testkilometer auf das aktuelle Auto zu bringen.

Gerade bei den letzten Tests in Barcelona hat sich allem Anschein nach noch einmal einiges am Kräfteverhältnis getan. Fast alle Teams hatten die letzten Neuerungen für das erste Rennen am Auto und mussten zumindest in gewissem Maße die Karten aufdecken.

Natürlich bleiben die Ergebnisse bei den Testfahrten aufgrund unterschiedlicher Reifen und Benzinmengen schwer zu bewerten, aber Tendenzen lassen sich bei genauerem Hinsehen auf jeden Fall ableiten. SPOX stellt ein Ranking nach den Eindrücken der letzten sechs Wochen auf.

Platz 1: Red Bull, 1355 Testrunden

Im Vergleich zum Ranking nach der ersten Testwoche in Barcelona ist Red Bull an Ferrari vorbeigezogen. Dabei geht es aber nur um Nuancen, im Prinzip scheinen die beiden Top-Teams der Wintertests gleichauf.

Red Bull schaffte in den letzten Tagen zwei Bestzeiten und ist in den Augen der meisten permanenten Beobachter der Tests die Nummer eins. Das Auto geht sehr schonend mit den Pirelli-Reifen um und weckt bei den Gegnern fast durch die Bank einen Verdacht.

"Ich glaube, die zeigen noch nicht alles", sagte Nick Heidfeld stellvertretend für seine Kollegen. "Wenn man sich die Sektorzeiten ansieht, dann erkennt man, dass sie noch ein Ass im Ärmel haben." Sebastian Vettel spricht vor der Reise nach Melbourne von einem "guten Bauchgefühl". Das Wichtigste im Vergleich zum vergangenen Jahr: Die Zuverlässigkeit des Red Bull passt, es gab so gut wie keine ernsten technischen Defekte.

Platz 2: Ferrari, 1562 Testrunden

In punkto Zuverlässigkeit macht niemand den Roten etwas vor. Der Ferrari lief wie ein Uhrwerk und offenbarte in den letzten Testwochen keine Schwäche mehr. Das Update, das in den vergangenen Tagen mit neuem Auspuff, neuem Diffusor, neuen Front- und Heckflügeln sowie leicht veränderten Seitenkästen ans Auto kam, sollte den Speed-Nachteil gegenüber Red Bull wettmachen.

Schaut man auf die schnellste Zeit von Fernando Alonso, die zwei Zehntel vor der von Vettel lag, dann könnte das aufgegangen sein. Was skeptisch macht, ist die Tatsache, dass Alonso seine schnellste Runde auf superweichen Reifen fuhr, Vettel seine auf weichen, die mehr als zwei Zehntel langsamer sein sollen. Deshalb landet Ferrari nur auf Rang zwei im Ranking.

Platz 3: Mercedes, 1277 Testrunden

Die Position im Ranking hat sich nicht geändert, sonst aber fast alles. Wie Ferrari hat auch Mercedes in den letzten Tagen ein großes Update ans Auto gebracht. Auspuff, Diffusor, Heckflügel - alles neu. Auch einen neuen Frontflügel gab es, bei dem haperte es aber noch an der Feinabstimmung.

Folglich fuhr Michael Schumacher seine klare Wochenbestzeit am Freitag noch mit altem Frontflügel, was seine Leistung aber nicht weniger beeindruckend machte. Mercedes hatte in der Planung der Tests alles auf diesen letzten Tag gesetzt. Ein hohes Risiko, aber es hat sich offenbar ausgezahlt.

Das Auto ist zuverlässig und nun auch pfeilschnell. Mischte Mercedes vorher im Kampf um die Plätze deutlich hinter Ferrari und Red Bull mit, könnten sie nun fast zum Spitzenduo aufgeschlossen haben. "Uns ernst zu nehmen, ist nicht allzu verkehrt", sagte Schumacher selbstbewusst. Teamchef Ross Brawn verkündete: "Es ist nicht unmöglich, Red Bull zu schlagen."

Platz 4: Lotus-Renault, 1126 Testrunden

Das schwarz-goldene Auto ist schnell, keine Frage, aber den großen Entwicklungssprung von Mercedes konnte das Team von Nick Heidfeld trotz neuer Teile nicht mitgehen.

Das Problem ist laut Heidfeld die fehlende Zeit für die Feinabstimmung. Zu oft stand das Auto wegen Problemen an der Box, oft gab es Ärger mit KERS.

Entsprechend unsicher ist Heidfeld, obwohl sich das neue Paket nach seiner Aussage gut angefühlt hat. "Ich bin noch nie mit einer so großen Ungewissheit in eine neue Saison gegangen wie diesmal", sagte Heidfeld mit Blick auf die unberechenbaren Pirelli-Reifen. Es könnte für Platz vier in Melbourne reichen, aber die Luft im Mittelfeld wird verdammt dünn werden.

Wo landet McLaren? Die Plätze 5 bis 12

Platz 5: Sauber, 1318 Testrunden

Ab jetzt wird die Reihenfolge knifflig. Denn mit Sauber, Williams, Toro Rosso und McLaren scheinen vier Teams nahezu gleichauf zu sein. Die Entscheidung für Sauber auf Platz fünf liegt in der sehr guten Zuverlässigkeit und den starken Vorstellungen von Sergio Perez in den letzten Tagen begründet.

Der Mexikaner fuhr bei seiner schnellsten Runde auf den gleichen Reifen wie Alonso nur eine Zehntel langsamer. Und er fuhr eine derart schnelle Zeit nicht nur einmal sondern relativ konstant.

Die Updates, die Sauber in Barcelona ans Auto gebracht hat, haben funktioniert. Problem ist nur, dass der neue Auspuff, der noch einmal einiges an Speed bringen soll, nicht vor dem vierten Rennen in der Türkei fertig sein wird.

Platz 6: Toro Rosso, 1063 Testrunden

Vielleicht die größte Überraschung der Wintertests. Auch in der letzten Woche hat das einstige Tochterteam von Red Bull die konstant starken Leistungen fortgesetzt. Die Zuverlässigkeit stimmt ebenso wie der Speed. Dazu sind Sebastien Buemi und Jaime Alguersuari zwei Fahrer, die das Team sehr gut kennen.

Sauber spulte 250 Runden mehr ab als die Italiener und könnte dadurch einen kleinen Vorteil in Sachen Standfestigkeit haben. Gerade zu Saisonbeginn ein nicht zu unterschätzendes Plus. Aber im Prinzip gibt es zwischen beiden Teams keinen Leistungsunterschied.

Das könnte sich dann ändern, wenn die Ankündigung von Alguersuari tatsächlich eintreffen sollte. Er sagte: "Wir haben bisher noch nicht alles gezeigt, darum ging es uns nicht."

Platz 7: Williams, 1058 Testrunden

Von der Konstanz in den Rundenzeiten her ist Williams eigentlich vor Sauber und Toro Rosso anzusiedeln, doch die Zuverlässigkeit macht das Team zumindest für die ersten Rennen zum unsicheren Kandidaten.

KERS ist das große Problem. Die letzten Testtage hat das Team kpmplett ohne das System absolviert, um auf den letzten Drücker noch möglichst viele Kilometer abzuspulen. Das hat sehr gut funktioniert, ohne KERS läuft das Auto rund.

Lange war nicht sicher, ob das Team in Melbourne mit oder ohne den Hybridantrieb antreten würde, aber im Laufe des Samstags hieß es: Probleme gelöst, wir starten mit KERS. Ob sich das Risiko auszahlt, wird sich zeigen.

Geht aber alles glatt, sieht es für Williams im engen Kampf um Platz fünf - oder sogar etwas mehr - gut aus. "Wir haben uns auf den Long-Runs sehr stark verbessert und sind viel besser vorbereitet als im vergangenen Jahr", sagte Rubens Barrichello. "Wir haben alles hinbekommen, abgesehen von KERS."

Platz 8: McLaren, 785 Testrunden

Die negative Überraschung und gleichzeitig das Sorgenkind der Wintertests. Nach der spektakulären Präsentation des revolutionären Autos kam nicht mehr viel. Jede Menge technische Probleme und Umbauten sorgten dafür, dass der McLaren länger an der Box stand als jedes andere Auto. Sogar Lotus und Virgin habe mehr Testerfahrung als McLaren.

Es besteht wenig Zweifel daran, dass das Auto vom Potenzial her schnell fahren könnte, aber ohne Zeit auf der Strecke kommt eben die Feinabstimmung viel zu kurz. Das ganze System McLaren wirkt unausgegoren.

Entsprechend ehrlich analysierte Jenson Button die Lage: "Ich will nicht lügen. Es ist sicher nicht die beste Art, in eine Saison zu gehen. Wenn man sich die Kilometerleistung von Red Bull oder Ferrari ansieht, liegen wir meilenweit zurück. Aber es macht keinen Sinn, mit derart negativen Gedanken auf den Saisonstart zu schauen." Klingt irgendwie nach Durchhalteparolen.

Platz 9: Force India, 899 Testrunden

Keine guten Vorzeichen gibt es auch für Adrian Sutil. Sein Force India konnte sich trotz eines großen Updates mit neuem Auspuff, Heckflügel und Unterboden in Barcelona nicht nennenswert verbessern. Sutil hadert am meisten von allen mit den Pirelli-Reifen. Er rutscht nur herum und schließt schon jetzt aus, in Melbourne mit zwei Reifenwechseln auskommen zu können.

Zwar soll bis zum Australien-GP noch einmal ein Update kommen, aber die Probleme scheinen zu groß, um sie auf die Schnelle lösen zu können. "Bis Melbourne wird es knapp", gab Sutil in Barcelona zu. "Ich sehe ein paar Baustellen, die wir im vergangenen Jahr nicht hatten."

Platz 10: Lotus, 808 Testrunden

Die Truppe um Technikchef Mike Gascoyne hat im Winter beeindruckt. Vor allem durch die Zuverlässigkeit, die den Neulingen im vergangenen Jahr noch zu häufig gefehlt hat. Allein am Freitag spulte Heikki Kovalainen mit 138 Runden zwei komplette Renndistanzen ab.

Dazu stimmt bei Lotus aber auch der Speed. Kovalainen war in seiner schnellsten Runde nur 2,2 Sekunden langsamer als Schumacher bei seiner Wochenbestzeit. Das Ziel, die Lücke zum Mittelfeld zu schließen, scheint nicht außer Reichweite - auch wenn eben dieses Mittelfeld auch einen ordentlichen Schritt nach vorne gemacht hat.

Möglicherweise wird Lotus KERS fehlen, um wirklich eine Chance gegen Force India zu haben. Der Hybridantrieb ist eine Unbekannte, auf die das junge Team bewusst verzichtet hat.

Platz 11: Virgin, 815 Testrunden

Wie bei Lotus ist auch die Zuverlässigkeit bei Virgin beeindruckend. In diesem Punkt haben beide Neulinge augenscheinlich sehr gut gearbeitet. Was Virgin im direkten Duell aber definitiv fehlt, ist der Speed. Wann immer Jerome d'Ambrosio am Steuer sitzt, ist er mit Abstand der Langsamste im Feld. Das kann zwar mit den Benzinmengen zusammenhängen, aber Mut macht es auf jeden Fall nicht.

Umso bitterer, dass Timo Glock wegen seiner Blinddarm-Operation nicht beim letzten Test starten konnte. Er hätte das Team in der Entwicklung durch seine Erfahrung sicher deutlich weiter bringen können als Neuling d'Ambrosio. Trotzdem: Die Basis ist deutlich besser als vor der Saison 2010.

Platz 12: HRT, 0 Testrunden

Von einer Basis ist bei HRT keine Spur. Zwar konnten Narain Karthikeyan und Vitantonio Liuzzi zu Beginn im alten Auto zumindest ein paar Runden mit den Pirelli-Reifen drehen, danach war aber Schluss. Das neue Auto wurde wieder einmal erst auf den letzten Drücker fertig und konnte aufgrund noch immer fehlender Teile nicht mehr auf die Strecke gehen.

Ohne jede Abstimmung droht das Auto gegen die gut vorbereitete direkte Konkurrenz von Lotus und Virgin in Melbourne rapide abzufallen. Gut möglich, dass beide HRT rollende Schikanen sein werden.

Alle Teams und Fahrer der Saison 2011 im Überblick