Länge ist nicht alles

Alexander Mey
20. März 201122:03
Bei den Testfahrten hat der neue Mercedes von Nico Rosberg (l.) und Michael Schumacher überzeugtGetty
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Neue Saison, neue Autos. Viel ist über sie und ihre Leistungsfähigkeit am Rande der Testfahrten gesagt und geschrieben worden. Für alle, die sich nicht täglich mit den Bildern von den neuen Boliden beschäftigen, ist es aber schwierig zu sehen, was genau sich im Vergleich zum Vorjahresauto verändert hat. Hier deshalb eine Gegenüberstellung von alt und neu.

Am Wochenende beginnt mit dem Großen Preis von Australien in Melbourne die neue Formel-1-Saison. Aufgrund von diversen Regeländerungen haben die Teams ihre Autos teils stark verändert. Ein Vergleich der neuen Boliden mit denen der Vorsaison.

Deutschland gegen Webber und Ferrari: Die Bilanz der Testfahrten

Red Bull

Der RB6 aus dem vergangenen Jahr war technisch so gut, dass auf den ersten Blick nicht allzu viel verändert werden musste, um nach den Testeindrücken wieder der Top-Favorit zu sein. Dabei hat Technikchef Adrian Newey durchaus kreativ auf die neuen Regeln - Verbot des F-Schachts und Doppel-Diffusors, verstellbarer Heckflügel und KERS - reagiert.

Am interessantesten ist das Heck. Newey hat es geschafft, die Seitenkästen in Richtung Heck so stark einzuziehen, dass sie noch vor der Hinterradaufhängung enden. Das hat zur Folge, dass Unterboden und Diffusor quasi völlig frei liegen und eine optimale Luftströmung gewährleisten. Zusätzlicher Kniff ist der Auspuff, der durch einen schmalen Schacht so nach hinten geführt wird, dass die Abgase seitlich in den Diffusor geblasen werden. Eine legale Variante des eigentlich 2011 verbotenen angeblasenen Diffusors.

Bei der Präsentation des Autos hatte die Motorabdeckung noch einen kleinen Ableger der 2010 üblichen Heckfinne. Der war bei den Tests verschwunden. Dafür experimentierte das Team mit zwei unterschiedlich großen Luftauslässen am hinteren Ende der Motorabdeckung. Die dort austretende Kühlluft soll möglichst viel Anpressdruck auf dem unteren Heckflügel-Element schaffen.

An der Front hat sich der Red Bull kaum verändert. Die 2010 noch markanten Höcker auf der Nase sind dezenter geworden. Dafür stehen die Streben, die den Frontflügel halten, etwas weiter auseinander, damit mehr Luft unter das Auto gelangen kann.

Fazit: Der RB7 ist gegenüber dem RB6 eine Evolution mit sehr effizienten neuen Ideen am Heck.

McLaren

Bei der Präsentation das spektakulärste Auto mit den deutlichsten Veränderungen zum Vorgänger. McLaren änderte das Konzept der Seitenkästen völlig. Die Kühleinlässe sind nach außen versetzt worden, um den Seitenkästen eine L-Form zu geben und so die Luft nah am Auto nach hinten zum Heckflügel führen zu können.

Ebenfalls im Vergleich zum Vorgänger völlig neu ist der zweite Lufteinlass hinter der normalen Airbox. Dort soll die Kühlluft für das Getriebe angesaugt werden, während durch die vordere Öffnung der Motor gekühlt wird. Es fehlt die Heckfinne, das Symbol des im Vorjahr effizientesten F-Schachts. Dessen Verbot trifft McLaren am härtesten.

Während die Front wenige Unterscheide zum Vorgänger aufweist - McLaren hat wie Red Bull die Nase nicht signifikant höher gezogen - gibt der Auspuff den Experten und offenbar auch dem Team Rätsel auf. McLaren hat zwei Varianten getestet. Bei beiden ist keine Austrittsöffnung in der Karosserie zu sehen. Bei der konventionellen blasen die Abgase nach hinten auf den Diffusor. Die andere scheint sehr viel weiter vorne auszutreten und die Luft unter das Auto zu blasen. Dadurch generiert der Diffusor mehr Anpressdruck. Aber wo genau der Auspuff austritt, konnte das Team bis zum Ende der Tests geheim halten.

Fazit: Das Auto ist spektakulär und hat den deutlich längsten Radstand im Feld. Es setzt zwar auf andere Tricks als der Vorgänger, aber McLaren bleibt seiner Experimentierfreude treu. Probleme bei den Tests waren die Zuverlässigkeit und die aufwändigen Umbauten am Auspuff. Es fehlen viele Testkilometer zur direkten Konkurrenz.

Ferrari

Dank F-Schacht-Verbot hat auch der neue Ferrari keine bis zum Heckflügel reichende Finne mehr auf der Motorabdeckung. Stattdessen prangt eine markante Abschlusskante hinter der Airbox.

Die größte Neuerung kam erst beim letzten Test in Barcelona, als Ferrari ein ähnlich schlankes Heck und eine ähnliche Auspuff-Lösung vorgestellt hat wie Red Bull. Das Prinzip des angeblasenen Diffusors ist das gleiche. Bei der Befestigung des Heckflügels setzt Ferrari im Gegensatz zu Red Bull auf eine senkrechte Mittelstrebe. Der Red-Bull-Flügel hängt an zwei Außenstreben.

Eine markante Veränderung am Ferrari ist noch die sehr hohe Nase - ein Trend in diesem Winter. Dazu sind die Streben, die den Frontflügel mit der Nase verbinden, so breit, dass sie fast einen Kanal für die Luft bilden.

Fazit: Der Ferrari hat sich nicht spektakulär verändert und kommt äußerlich konservativ daher. Aber die Zuverlässigkeit und zuletzt auch der Speed haben gepasst. Ein Auto, bei dem man nicht mit Ausfällen rechnen sollte.

Mercedes

Beginnen wir mit der ersten Version des Autos, die zu Testbeginn vorgestellt wurde. Ihre offensichtlichste Neuerung war neben der Lackierung eine extrem hohe und eigentümlich geschwungene Nase. Sie hat den einzigen Zweck, so viel Luft wie möglich unter das Auto zu bringen. Zweite Auffälligkeit: Mercedes hat sich von der zweigeteilten Airbox, die 2010 noch ein Markenzeichen der letzten Ausbaustufe des Autos war, verabschiedet.

Die auffälligen Neuerungen am Heck, die letztlich das Auto schnell gemacht haben, kamen wie bei Ferrari erst in der letzten Testwoche. Mercedes lässt den Auspuff als einziges Team auf halber Höhe der Seitenkästen austreten. Über ein Leitblech auf dem frei liegenden Unterboden werden die Abgase dann in den Diffusor geleitet. Vielleicht um einem Kühlungsproblem zu entgehen, setzt Mercedes auf zahlreiche Kiemen in der Motorabdeckung, aus denen die Hitze austreten kann.

Zu guter Letzt fällt auf, dass der Mercedes den kürzesten Radstand aller Autos hat. Teamchef Ross Brawn ist der Meinung, dadurch den im Vergleich zu 2010 gekappten Diffusor am effizientesten nutzen zu können. Die Zahlen sind aber schon frappierend: Der Mercedes ist fünf Zentimeter kürzer als der Ferrari, neun als der Red Bull und sage und schreibe 27 als der McLaren.

Fazit: Klein, aber oho. Der Silberpfeil hat sein Erscheinungsbild deutlich verändert und wirkt durchdachter und mutiger als der Vorgänger. Das liegt sicher vor allem an der deutlich längeren Entwicklungszeit.

Teil 2: Lotus-Renault bis Sauber

Lotus-Renault

Zunächst einmal fällt die Farbe auf. Schwarz und Gold, da sind sie wieder, die aus den 70er und 80er Jahren bekannten Lotus-Farben. Doch damit ist natürlich nichts über die Technik gesagt.

Die ist aber spektakulär. Der Auspuff tritt nicht mehr hinten, sondern am vorderen Ende der Seitenkästen aus und bläst unter das Auto. Das Team hat den Effekt, dass die Abgase einen möglichst langen Weg unter dem Auto zurücklegen, bevor sie den Diffusor erreichen, am radikalsten umgesetzt.

Die Folge ist, dass sich der um rund einen Meter verlängerte Auspuff durch die Seitenkästen nach vorne schlängeln muss. Diese sind oben entsprechend bullig, nach unten aber trotzdem noch stark tailliert. Dass Lotus-Renault dennoch keine ernsten Kühlungsprobleme hat, ist erstaunlich.

Bemerkenswert ist zudem, dass ausgerechnet das Team, das 2010 als eins der wenigen keine Höcker auf der Nase hatte, 2011 darauf setzt, während fast alle anderen darauf verzichten. Aber offenbar passt es zum Konzept der Luftführung zum Heck.

Dieses Heck ist übrigens sehr flach gehalten. Ein Grund dafür ist die Umstellung der Geometrie der Hinterradaufhängung. Lotus-Renault setzt neuerdings wie Red Bull auf die so genannte Zugstreben-Technik, nicht mehr auf Druckstreben.

Fazit: Das Auto ist sehr mutig konstruiert und für Überraschungen gut. Der Sound ist durch den Auspuff zwar fürchterlich und klingt bei normaler Fahrt nach Motorschaden, aber darum geht es ja nicht.

Williams

Ein zweigeteiltes Auto. Vorne relativ konservativ, mit hoher und breiter Nase, aber ansonsten ohne auffällige Neuerungen gegenüber dem Vorgänger.

Dafür aber hinten spektakulär. Kein anderes Auto ist direkt vor dem Heckflügel so flach wie der Williams. Das liegt am Getriebe, das erheblich flacher konstruiert ist als bei allen anderen und somit einen perfekten Luftstrom auf das unterste Heckflügel-Element garantiert. Möglich macht diese Konstruktion, dass Williams wie Lotus-Renault die Geometrie der Hinterradaufhängung von Druck- auf Zugstreben umgestellt hat.

Beim Auspuff geht Williams noch nicht so einen kompromisslosen Weg wie andere Teams, aber eine Ausbaustufe soll in Malaysia (10. April) folgen und an die Red-Bull-Lösung erinnern.

Fazit: Der Williams geht neue Wege und könnte nach den Testeindrücken für Überraschungen sorgen. KERS ist aber ein großes Problem, das alle anderen cleveren Ideen in den Hintergrund drängen könnte.

Force India

Der Bulle unter den neuen Autos, der ähnlich wie sein Vorgänger auf eine wuchtige Nase setzt. Sie ist das genaue Gegenteil der filigranen Konstruktion, die zum Beispiel Mercedes verwendet. Ihr Sinn ist, die Luft durch einen Hohlraum unter der Nase auf dem Weg nach hinten zu beschleunigen. Ein Weg, den kein anderes Team geht.

Weiterhin auffällig ist die neue Airbox. Force India hat sich wie alle anderen von der langen Heckfinne verabschiedet, setzt aber nun auf die zweigeteilte Airbox, die Mercedes 2010 eingesetzt hat. Die breite Abschlusskante der Motorabdeckung ist markant.

Der Auspuff ist im Unterboden verlegt und zielt auf die äußeren Ränder des Diffusors. Die Hinterradaufhängung folgt dem Trend zu Zugstreben a la Red Bull.

Fazit: Das Auto wirkt klobig und scheint nach den Testeindrücken auch nicht wesentlich schneller zu sein als sein Vorgänger. Andere Mittelfeld-Teams waren deutlich mutiger.

Sauber

Das neue Auto baut vor allem im vorderen Teil sehr stark auf dem gegen Saisonende relativ erfolgreichen Vorgänger auf. Genau genommen ist von der hohen Nase bis zu den Seitenkästen kaum ein Unterschied zu erkennen.

Ein spannendes Detail ist der Lufteinlass über dem Cockpit. Er steht nämlich auf vier Streben, die im Prinzip zwei Tunnel bilden, durch die die Luft nach hinten geführt wird.

Der Auspuff bläst schon jetzt den Diffusor an, endet aber noch in einem konventionellen Rohr. Das soll sich bis zum vierten Rennen in der Türkei ändern. Was ansonsten noch am Sauber auffällt, ist das schmale Getriebe, das viel Platz für den Luftstrom lässt.

Fazit: Auf den ersten Blick ist der Sauber keine Offenbarung, aber im Detail funktioniert er augenscheinlich ausgezeichnet. Die Testzeiten haben jedenfalls gepasst. Vielleicht ist die Kombination aus guter Front des 2010er Autos und gutem Heck des 2011er Boliden optimal.

Teil 3: Von Toro Rosso bis Virgin

Toro Rosso

Eigentlich ist es nicht üblich, so weit hinten im Feld noch eine echte technische Neuerung zu finden, auf die sonst niemand gekommen ist. Aber bei Toro Rosso ist es so.

Markenzeichen sind die Seitenkästen, die nicht wie bei allen anderen (außer McLaren) von oben nach unten mehr oder weniger stark tailliert sind, sie schließen sogar deutlich über dem Unterboden ab. Folge: Es bildet sich ein Kanal zwischen Unterkante der Seitenkästen und Unterboden, durch den die Luft geleitet und beschleunigt wird. Ein zweiter Unterboden quasi. Im Hinblick auf den Wegfall des Doppel-Diffusors ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Die Front zeigt eine relativ tief liegende, weil stark abgeknickte Nase. Dadurch bleiben die aus 2010 bekannten Höcker zumindest ansatzweise bestehen.

Beim Auspuff setzt Toro Rosso auf eine elegante Lösung mit flachem Endrohr und einer zweigeteilten Austrittsöffnung. Die Funktionsweise unterscheidet sich nicht sehr von der des Red Bull.

Fazit: Vielleicht die größte Überraschung des Winters. So viel Mut und Kreativität war von so einem kleinen Team nicht unbedingt zu erwarten. Mal sehen, ob es sich auszahlt. Die Tests verliefen schon mal sehr gut.

Lotus

Der Neuling des vergangenen Jahres profitiert stark vom Wechsel von Motorpartner Cosworth zu Renault. Immerhin kommt im Zuge dessen das Getriebe von Weltmeister Red Bull.

Äußerlich fällt das Auto vor allem durch die veränderte Airbox auf. Wie Force India in diesem und Mercedes im vergangenen Jahr hat nun auch der Lotus den geteilten Lufteinlass.

Darüber hinaus ist die Nase ein wenig breiter geworden, ohne allerdings große Unterschiede zum Vorgänger aufzuweisen. Das Heck wirkt etwas breiter und nicht so stark tailliert wie bei der Konkurrenz, obwohl das Team auf das Renault-KERS verzichtet.

Fazit: Das Auto ist nicht spektakulär, aber sehr zuverlässig und auch überraschend schnell. Ein klarer Fortschritt im Vergleich zum Vorgänger.

HRT

Wenn man das Auto schon nicht auf der Teststrecke in Aktion sehen konnte, so war in Barcelona doch wenigstens ein Blick darauf gestattet. Auffällig war neben der markanten Lackierung die Heckfinne, die HRT als einziges Team noch am Auto hat. Sie sieht genauso aus wie die, die Red Bull beim Launch zeigte. Das Top-Team hat sich aber schnell davon verabschiedet. Wahrscheinlich aufgrund der Testergebnisse - die HRT leider nicht hat.

Auffällig am Auto sind ansonsten die stark nach unten abgeknickte Nase und die relativ stark taillierten Seitenkästen. Der Auspuff tritt zum ersten Mal dicht über dem Unterboden aus und sorgt damit für mehr aerodynamische Effizienz. 2010 trat der Auspuff bis zum Schluss nach oben aus.

Fazit: Das Auto sieht interessant aus, aber die Gefahr ist groß, dass hinter der Fassade nicht viel steckt. Wie auch ohne Testfahrten?

Virgin

Das Auto von Timo Glock hat schon bei der Präsentation nicht durch Originalität bestochen. Mit tiefer Nase, auf der sich kleine Höcker befinden, weist die Front keine nennenswerte Veränderung zum Vorgänger auf. Die Höcker dürfen laut Regeln jedoch nicht mehr ganz so hoch sein wie 2010.

Die Seitenkästen sind wie bei HRT deutlich stärker tailliert und erlauben dadurch eine Auspuffführung ganz unten am Unterboden. In Virgins Fall sind die Endrohre sogar leicht verlängert und blasen noch hinter der Hinterradaufhängung direkt auf den Diffusor.

Bei einem kleinen Team wie Virgin wurde sogar die Lotus-Renault-Version simuliert, aber man hat sich dann doch für etwas Konventionelleres entschieden. Wie bei fast allen anderen fehlt auch am neuen Virgin die Heckfinne.

Fazit: Der Virgin ist zwar für seine Verhältnisse zuverlässig, aber vielleicht nicht mutig genug, um mit Lotus Schritt zu halten.

Alle Teams und Fahrer im Überblick