Vettel sauer: "Würde am liebsten schreien"

Von Alexander Mey
Sebastian Vettel verlor den Kanada-GP gegen Jenson Button in der letzten Runde
© Getty

Während Jenson Button das beste Rennen seiner Karriere mit Tränen in den Augen feierte, trauerte Sebastian Vettel einer verpassten Chance nach. Bei Ferrari ging alles schief, nun soll im WM-Kampf ein göttliches Wunder helfen.

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So emotional hat man Jenson Button nach einem Sieg selten gesehen. Sogar nach seinem WM-Triumph in Brasilien 2009 waren seine Augen nicht feuchter als beim Siegerinterview in Montreal.

Die vorangegangen vier Stunden hatten Spuren hinterlassen. "Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Das waren sehr emotionale Stunden. Das war definitiv das beste Rennen meiner Karriere", sagte Button.

Die unglaubliche Geschichte von Buttons Sieg

Die Geschichte seines zehnten GP-Sieges und des ersten seit China 2010 war aber auch unglaublich: Fünf Boxenstopps plus eine Durchfahrtsstrafe, zwei Reifenschäden, zwei Unfälle, zwischenzeitlich 21. und damit Letzter, dank der Safety-Car-Phasen trotzdem am Ende in Schlagdistanz zur Spitze und zu guter Letzt mit einem unfassbaren Finish.

Als Button mit unglaublichem Speed in den letzten Runden erst Mark Webber und dann Michael Schumacher stehen ließ und dann Sebastian Vettel hetzte, sprang seine Freundin Jessica Michibata wie ein Flummi durch die McLaren-Garage. Auch sie wusste, dass ihr Freund gerade etwas Außergewöhnliches leistete.

Horner nimmt Vettel Fehler nicht übel

"Was für eine fantastische Fahrt", jubelte McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh. Selbst der Teamchef von Konkurrent Red Bull, Christian Horner, erkannte neidlos an: "Aus irgendeinem Grund lief der McLaren im letzten Rennabschnitt unglaublich gut. Jenson war phänomenal schnell."

Gleichzeitig war Horner bemüht, den sichtlich enttäuschten Vettel zu trösten, den Button in der letzten Runde in den entscheidenden Fehler getrieben hatte. "Das war doch nichts. Er hat das gegen Rennende sehr gut gehandhabt. Solche Dinge passieren eben manchmal", sagte Horner. "Seb ist auf der letzten Rille gefahren, um Button auf Distanz zu halten, dabei hat er die Hinterräder leicht blockieren lassen."

Vettel trotz ausgebauter WM-Führung stinksauer

In der Tat war Vettels kleiner Ausrutscher keine große Sache. Zum einen hat er zuletzt in Barcelona und Monaco gezeigt, dass er grundsätzlich sehr wohl einen Sieg unter Druck nach Hause fahren kann. Zum anderen hat er als Zweiter seine Führung in der Fahrer-WM sogar noch ausgebaut. Mit 161 von 175 möglichen Punkten hat er sagenhafte 60 Zähler Vorsprung auf den neuen Zweiten Button.

Wer Vettel aber kennt, weiß, dass ihn diese Zahlen direkt nach dem Rennen herzlich wenig interessiert haben. "Das ärgert mich ungemein, am liebsten würde ich schreien", gab Vettel zu. "Ich habe von der ersten bis zur letzten Runde geführt. Wenn man den Sieg in der Hand hat und ihn dann weggibt, ist das nicht das schönste Gefühl. Ich hatte gedacht, dass es reicht. Aber es hat nicht gereicht, weil ich einen Fehler gemacht habe. Das geht klar auf meine Kappe."

Vettel hatte Button nicht auf dem Schirm

Es war aber nicht nur der kleine Fahrfehler in der letzten Runde, der Vettel fuchste. Es war die Tatsache, dass er und das Team die Gefahr, die von Button drohte, zu spät realisiert hatten.

"Ich bin es nach der letzten Safety-Car-Phase zu konservativ angegangen und habe meinen Vorsprung nicht genügend ausgebaut. Ich hatte mich zu sehr darauf konzentriert, den Vorsprung auf meinen Verfolger Schumacher zu halten", gab Vettel zu. Dass Button dahinter mehr als zwei Sekunden pro Runde schneller war, hatten er und Red Bull offenbar übersehen oder unterschätzt.

Alonso: "Heute ist alles schief gegangen"

Vettels Sorgen hätte man bei Ferrari gerne. Die Scuderia ging von den Startplätzen zwei für Fernando Alonso und drei für Felipe Massa mit Siegchancen ins Rennen. Am Ende stand ein sechster Platz von Massa als äußerst schwacher Trostpreis zu Buche.

"Heute ist alles schief gegangen", sagte Alonso nach seinem Ausfall. "Das ging schon los, als ich am Morgen gesehen habe, dass es regnet." Und es endete mit einer Kollision mit dem späteren Sieger Button, den sowohl Alonso als auch die Rennkommissare als normalen Rennunfall einstuften.

Der hatte für Alonso leider deutlich fatalere Folgen als für Button, denn sein Ferrari blieb mit dem Unterboden auf einem hohen Randstein hängen und ließ sich nicht mehr vor und zurück bewegen. Nullnummer für den Vize-Weltmeister von 2010, der nun als WM-Fünfter schon 92 Punkte Rückstand auf Vettel hat.

Ferrari setzt auf göttliches Wunder

Zeit, den WM-Titel endgültig abzuhaken? "Wir müssen noch die kommenden beiden Rennen abwarten. Wir haben hier nicht die Punkte mitgenommen, die wir verdient hatten, denn die Performance des Autos war da. Jetzt müssen wir in Valencia die maximale Punktzahl holen", rechnete Teamchef Stefano Domenicali vor.

Danach komme es entscheidend darauf an, wie sich das Kräfteverhältnis nach dem voraussichtlichen Verbot der momentan gängigen Auspuffsysteme ab Silverstone darstellt.

Vorher hakt Ferrari gar nichts ab. "Die WM ist noch nicht vorbei, aber wir müssen jetzt auf Fehler unserer Gegner hoffen", sagte Alonso. Oder auf ein göttliches Wunder. "Wir werden eine Wallfahrt nach Lourdes organisieren, um dadurch das Szenario von Montreal vielleicht umzukehren", scherzte Domenicali.

Solange Ferrari das Lachen noch nicht vergangen ist, sollte auch Vettel nicht das gleiche passieren wie mit Button beim Kanada-GP. Er sollte auf dem Weg zu seinem zweiten WM-Titel niemanden unterschätzen.

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