Legendäre Aufholjagden in der Eifel, der Höllenritt des Fernando Alonso und warum auch ein zweiter Platz Sympathien einbringen kann. Zusammen mit den mySPOX-Usern erinnert sich SPOX an die besten Formel-1-Rennen auf deutschem Boden.
Bratwurst, Dosenbier-Türme - und ein Wahnsinns-Schumi
Das Rennen: Europa-GP 1995, Nürburgring
Die Beteiligten: Michael Schumacher, Jean Alesi, Damon Hills Frontflügel
SPOX-Redakteur Jan Böhmer: Nebel, Regen, eine unglaubliche Schumi-Aufholjagd samt Last-Minute-Überholmanöver und ich auf der Tribüne. Der Europa-GP 1995 hatte einfach alles. Vor allem hatte er aber eins: Das Duell Michael Schumacher gegen Damon Hill. Gut gegen Böse. Super-Talent gegen englischen Unsympath. Jedenfalls für mich. Und für gefühlt 100.000 Camper rund um die Strecke. Lagerfeuer, Bratwurst, Dosenbier-Türme.
Und ich mittendrin. Überragend. Bei diesem Rennen.
Die Ampel springt auf grün und Schumacher schießt auf nasser Strecke vom dritten Startplatz gleich am vor ihm startenden Hill vorbei. Doch der Williams-Pilot holt auf, drängelt sich wieder an Schumacher im Benetton vorbei - aber nur, um sich in der letzten Kurve zu verschätzen. Schumacher wieder vorne. Stark. Doch das beste Duell des Rennens kommt erst noch.
Denn an der Spitze hat Jean Alesi seinen Vorsprung auf 45 Sekunden ausgebaut. Der Ferrari-Pilot war auf Slicks gestartet und hatte dadurch einen Boxenstopp gespart. Doch kein Problem für Schumacher. Der holt auf. Einfach so. Die 90.000 Fans auf der Tribüne sind sich sicher: Unser Schumi holt sich hier noch den Sieg.
Doch dann das. Schumacher muss noch einmal an die Box. Stopp Nummer drei. Und er fällt zurück. Schon wieder. Doch was dann kommt, sollte der britische Journalist Alan Henry wenig später als eines der besten Rennen des Michael Schumacher beschreiben: "Er hat heute die Linie überschritten, die die Guten von den Besten trennt." Besser kann ich es auch nicht beschreiben. Denn als Schumacher nach dem Stopp wieder auf die Strecke kommt, ist er zwischenzeitlich fast 1,7 Sekunden pro Runde schneller als Alesi. Das verunsichert den Ferrari-Piloten. Er wird nervös, tut sich beim Überrunden schwer und rutscht sogar kurz neben die Strecke. Das Ergebnis: Schumacher ist dran. Nah dran. Und zieht in der Veedol-Schikane vorbei. Jubel. Überall. Und ich mittendrin. Großartig.
Damon Hill hatte mit der ganzen Sache übrigens nichts mehr zu tun. Der fuhr sich nämlich zwischenzeitlich den Frontflügel ab und knallte beim krampfhaften Versuch, den dadurch entstandenen Rückstand wieder aufzuholen, von der Strecke. Direkt vor meiner Nase. Zwischen RTL- und Bit-Kurve. Mitten in die Reifenstapel. Ich glaube sogar, ein Stück seines Frontflügels aufgesammelt zu haben. Was für ein Rennen.
Teil II: Alonso vernascht Massa
iiiQue momento historico para la formula 1!!!
Das Rennen: Europa-GP 2007, Nürburgring
Die Beteiligten: Fernando Alonso, Felipe Massa
mySPOX-User Manül: Es ist der 22. Juli 2007, mein letzter Tag vor der Abreise aus Gijon. Eine Woche war ich zu Besuch bei der Verwandtschaft aus Spanien. Und wie es besser nicht sein konnte, endete die Woche mit dem Rennen auf dem Nürburgring.
In der voll besetzten Kneipe an der Promenade war Lokalmatador Fernando Alonso zu dieser Zeit Gesprächsthema Nummer eins. Der schmutzige Team-interne Kampf zwischen allen Parteien bei McLaren-Mercedes war auf seinem Höhepunkt (14 Tage später folgte der Eklat in Ungarn), Alonso war schon jetzt der Außenseiter im Team und kämpfte quasi allein mit stumpfen Waffen.
Schon in der Quali gab es Aufregung pur. Hamilton flog in Q3 im Schumacher-S heftig ab und startete nur von Rang 10, während Räikkönen seinen Ferrari auf die Pole stellte. Alonso ging vor Massa und Heidfeld als Zweiter ins Rennen.
Sonntags präsentierte sich die Eifel von ihrer besten Seite. Dunkle Wolken hingen über dem Ring und einzig Markus Winkelhock (Spyker, sprang für den gefeuerten Christijan Albers ein) zockte und startete aus der Boxengasse mit Intermediates ins Rennen. Massa schnappte sich am Start Fernando Alonso, während sich Heidfeld und Kubica gegenseitig abschossen. Noch in der ersten Runde begann es heftig zu regnen - und das Feld wechselte auf Intermediates. In der dritten Runde rutschten etliche Fahrer in der ersten Kurve von der Strecke und das Safety-Car kam raus - vor dem Führenden: Markus Winkelhock! Auf wieder abtrocknender Strecke fuhren die Ferrari allen um die Ohren, bis Kimi Räikkönen mit einem Hydraulikleck ausschied. Massa übernahm die Führung, verlor ab Rennmitte jedoch stetig an Vorsprung auf Fernando Alonso.
Als es neun Runden vor Schluss wieder leicht zu regnen begann, wechselten die Piloten wieder auf Intermediates. Von dort an war Alonso nicht mehr zu halten. Mit Siebenmeilenstiefeln jagte er Felipe Massa. In der Kneipe saß niemand mehr, die Kommentatoren wurden lauter und hektischer, die Menschen starrten gebannt auf die Leinwand. Am absoluten Limit, ständig quer und im Alles-oder-Nichts-Modus agierend, konnte Alonso auf Massa aufschließen. Sechs Runden vor Schluss war er dann dran, attackierte immer und immer wieder - ohne Erfolg. Nebeneinander fuhren beide durch die Mercedes-Arena, berührten sich fast in der Haarnadel. Alonso hatte zu diesem Zeitpunkt bemerkenswert mehr Traktion, konnte sich Massa zurechtlegen. Doch der Brasilianer wehrte sich bravourös. Fünf Runden vor Schluss kam Alonso dann besser aus der Mercedes-Arena heraus, setzte sich außen neben Massa und überholte diesen sensationell auf der Außenbahn in der Bergab-Links vor der Ford-Kurve. Eigentlich unmöglich! Beide Piloten berührten sich dabei sogar, doch Alonso ging in Führung.
Die Stimmung in der Kneipe kannte keine Grenzen mehr. Euphorischer Jubel, Geschrei und überglückliche Fans - ein unfassbares Manöver!
iiiQue momento historico para la formula 1!!!
Eines der besten Rennen der letzten Jahre durfte ich im Alonso-Land erleben. Der GP in meiner Heimat, gewonnen von meinem Helden! Noch jetzt bekomme ich Gänsehaut, wenn ich die letzten Runden mit Live-Kommentar sehe! Großartig!
iiiAplausos Alonso!!!
Teil III: Stalloder - oder doch nicht?
Let Michael pass for the... oder doch nicht?
Das Rennen: Europa-GP 2002, Nürburgring
Die Beteiligten: Michael Schumacher, Rubens Barrichello
mySPOX-User UnrealFabian: "Let Michael pass for the championship"! Dieser Satz sorgte 2002 für große Aufregung und Empörung. Diesen Satz funkte Jean Todt beim GP von Österreich an seinen in Führung liegenden Fahrer Rubens Barrichello, der seinen Teamkollegen Michael Schumacher vorbei lassen sollte. Rubens tat das kurz vor der Zieldurchfahrt, Schumacher "gewann" und Ferrari erntete harte Kritik. Auch von mir.
Bis heute haftet dieser Funkspruch Ferrari an und gerade jetzt ist das Thema Stallorder wieder im Mittelpunkt der Diskussionen.
Nun wird man sich fragen: Was hat das mit dem GP von Europa zu tun? Ganz einfach: Drei Rennen später machte der F-1-Zirkus halt am Nürburgring, wo damals der Europa-GP ausgefahren wurde. Und es war ein durchaus spannendes Rennen. Viel Action auf der Strecke, viele Überholmanöver, ein Dreher von Michael Schumacher. Das Rennen hatte alles, was sich ein Fan wünschen konnte. Und wie in Österreich lag Barrichello auch hier in Führung - vor Michael Schumacher.
Und eben dieser Schumacher holte Sekunde um Sekunde auf und lag am Ende direkt hinter Barrichello. Ich bekam ein ungutes Gefühl. Ich erinnerte mich an Österreich und erwartete, dass das Gleiche wieder passieren würde. Doch so kam es nicht. Barrichello gewann das Rennen, mit drei Zehnteln Vorsprung auf Schumacher. Es gab keinen Befehl von der Box.
Ob es den Befehl (oder Absprachen vor dem Rennen) nun wirklich nicht gab - oder ob Schumacher ihn missachtete, um sich bei Rubens zu bedanken und sich selbst wieder in ein besseres Licht zu rücken - oder ob Ferrari sich selbst wieder in ein besseres Licht rücken wollte, ist mir dabei egal. Für mich war es einfach ein Moment, in dem Ferrari und Schumacher (eine für mich sehr unbeliebte Kombination) einiges gut gemacht haben und mir zum ersten Mal sympathisch waren.
Und darum ist die Zieldurchfahrt von Barrichello, die ihm den zweiten Sieg seiner Karriere bescherte, für mich einer der besten Momente auf deutschem F-1-Boden!
Teil IV: Das total verrückte 1999
Ein mehr als verrücktes Formel-1-Jahr
Das Rennen: Europa-GP 1999, Nürburgring
Die Beteiligten: Johnny Herbert, Pedro Paulo Diniz, Ralf Schumacher
mySPOX-User Sebastinho: Michael Schumacher bricht sich in Silverstone bei einem Crash das rechte Bein. Eddie Irvine kämpft bis zum Schluss um die Weltmeisterschaft. Ralf Schumacher gilt als kommender Weltmeister. Und Heinz-Harald Frentzen zählt bis zum Rennen auf dem Nürburgring, dem damaligen Großen Preis von Europa, zu den aussichtsreichsten WM-Kandidaten.
Bereits im Qualifying sorgt Frentzen mit der Pole-Position für eine faustdicke Überraschung. Doch die wechselnden Wetterbedingungen spielen auch Ralf Schumacher in die Karten, der als Vierter für den zweiten Paukenschlag zuständig ist.
Obwohl der Europa GP im Trockenen startet, bleibt das Chaos nicht aus. Marc Gene, der beim Start nicht wegkommt, sorgt für einen Rennabbruch. Beim anschließenden Neustart kommt es kurz nach der ersten Kurve zu einem heftigen Crash, bei dem der Sauber von Pedro Diniz kopfüber liegend im Gras strandet. Trotz gebrochenen Überrollbügels bleibt Diniz wie durch ein Wunder unverletzt. Nach der fälligen Safety-Car-Phase nimmt der Wahnsinn aber erst so richtig Fahrt auf.
Für besondere Konfusion sorgt der einsetzende Regen. Allen voran bei der Scuderia Ferrari, die für den Reifenwechsel bei Irvine und Salo jeweils über eine halbe Minute benötigt! McLaren hingegen verpokert sich mit Häkkinen bei der Reifenwahl. Der große Gewinner lautet Frentzen, der zu diesem Zeitpunkt das Rennen anführt. Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer. Direkt im Anschluss an seinen Boxenstopp scheidet der Jordan-Fahrer aufgrund eines Elektronikdefekts aus.
In Führung liegt nun Coulthard. Bis der Schotte die Kontolle über seinen McLaren verliert und im Reifenstapel landet. Neuer Spitzenreiter ist somit Ralf Schumacher, der allerdings einen weiteren Boxenstopp absolvieren muss. Plötzlich befindet sich Fisichella auf dem Weg zu seinem Jungfernsieg... Und wirft die große Chance mit einem Fahrfehler weg!
Erneut darf sich Ralf Schumacher als Leader versuchen. Behält er im Gegensatz zu Fisichella und Coulthard die Nerven? Er tut es! Dennoch reicht es nicht für den großen Erfolg. Ein geplatzter Hinterreifen beendet den Traum vom Heimsieg.
In der Folge erbt Johnny Herbert den Platz an der Sonne. Und durchbricht den Fluch der Führung. Der Brite gewinnt tatsächlich das Rennen. In einem Stewart-Ford! Vor Jarno Trulli. In einem Prost-Peugeot! Herberts Teamkollege Barrichello komplettiert das ungewöhnliche Podiums-Trio.
Doch nicht nur an der Spitze spielten sich sportliche Dramen ab. Auf Platz vier liegend scheidet Luca Badoer im Minardi kurz vor Schluss aus. Und weint bittere Tränen. Nie zuvor und danach war die Chance auf ein Ergebnis in den Punkten so groß... Nicht von ungefähr kommentierte Niki Lauda den Verlauf des Grand Prix einst mit den Worten: "So ein Rennen habe ich noch nie gesehen". Wohl wahr, wohl wahr...
Das verpasste Rennen
Das Rennen: Deutschland-GP 1983, Hockenheim
Die Beteiligten: Dr_D, ein Darmverschluss, Rene Arnoux, Nelson Piquet
mySPOX-User Dr_D: Sommer 1983, die Schule ist aus. Der Ernst des Lebens beginnt. Während viele andere den Urlaub genießen, habe ich einen Termin im Krankenhaus. Eine nicht ganz unwichtige OP steht an.
Es verläuft alles gut, die Genesung schreitet mit riesen Schritten voran, einer Entlassung VOR dem Deutschland-GP steht nichts im Wege. Freude kommt auf, denn im örtlichen Krankenhaus ist es nicht Standard, einen Fernseher im Zimmer zu haben!
Den muss man sich von zu Hause mitbringen, oder man liest Bücher. Ich habe viele Bücher gelesen, unter anderem "1984". Aber die Pläne werden jäh unter- und dann abgebrochen. Mein Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide.
Auf einer Skala von 0 - 10, wobei 10 sehr gut ist, stufte ich mich wohl auf einer 2-3 ein, was, wie ich Jahre später erfahren sollte, ein klein wenig übertrieben war. Donnerstags setzt meine Erinnerung aus, freitags soll ich notoperiert worden sein, Darmverschluss.
Das nächste, was ich wieder weiß, ich war am Montagmorgen nach dem GP in Hockenheim wieder auf der Station.
Meine Lieblings-Krankenschwester (groß, dunkelblond, phantastische Augen) war ziemlich erstaunt, als ich so ziemlich als erste Frage stellte: "Wer hat den Grand Prix von Deutschland gewonnen?" Sie wusste es nicht und musste erst ihre Kollegin fragen. Die wusste die Antwort. Rene Arnoux im Ferrari hatte gewonnen. Mist. Nicht Piquet im Brabham.
Teil VI: Interview mit Rubens Barrichello
Interview mit Rubens Barrichello
Das Rennen: Europa-GP 2006, Nürburgring
Die Beteiligten: Alexander Mey, Rubens Barrichello, Michael Schumacher
SPOX-Redakteur Alexander Mey: Es ist der Mittwoch vor dem Rennen am Nürburgring und ich bin auf der Autobahn. München - Köln, die Strecke kenne ich noch gut aus meiner Zeit als Freier Mitarbeiter, als ich jedes zweite Wochenende für die Formel 1 zwischen der Redaktion in München und meinem Studienort Köln gependelt bin. Eine Höllentour, aber was tut man nicht alles für seine berufliche Zukunft?
Der Vorteil an der Sache: Ich habe in Köln noch eine Wohnung und kann deshalb umsonst übernachten - ein schlagendes Argument dafür, zum ersten Mal als Journalist bei einem Formel-1-Rennen vor Ort zu sein.
Und es kommt noch besser: Ich bin nicht nur vor Ort, sondern habe sogar für Donnerstag - traditionell der Medientag an F-1-Wochenenden - einen Termin für ein Exklusiv-Interview mit Rubens Barrichello bekommen. Er ist damals frisch von Ferrari zu Honda gewechselt. Die Chance für mich, ihn über seine problematische Beziehung zu Michael Schumacher auszuquetschen.
Vorausgesetzt, ich bekomme meine Nervosität in den Griff. Das abgeschottete Fahrerlager, die Schleuse, durch die man hindurch muss, um überhaupt aufs Gelände zu kommen, die gigantischen Motorhomes: All das erschlägt mich beim ersten Mal doch mehr, als ich gedacht hatte.
Dann ist es soweit. Ich werde in den ersten Stock des Honda-Motorhomes geführt. Auf dem Weg dorthin kommt mit Jenson Button entgehen und sagt locker "Hi". Ich bin nicht ganz so locker wie er, als ich mich Rubens vorstelle und mein Interview beginne. Ich gehe es total investigativ an, frage mehr oder weniger direkt nach der Zeit mit Schumacher. Rubens ist sehr nett und geduldig und erzählt über die manchmal schwierige Zeit.
Ich will natürlich noch mehr wissen, aber plötzlich würgt mich die Blondine im Honda-Outfit, die das Interview überwacht, rüde ab: "No more questions about Schumacher and Ferrari, please!". Ups, habe ich was Falsches gesagt oder ist Honda einfach so dünnhäutig? Na egal, Rubens führt das Interview hoch professionell zu Ende und ich habe alles im Kasten. Schön war's, auch wenn Schumi im Gespräch doch etwas zu kurz gekommen ist.
Meine Entschädigung folgt prompt, als ich danach noch etwas durch Fahrerlager schlendere. Denn wer joggt mich da fast über den Haufen? Genau, Michael Schumacher. Für einen kurzen Moment bin ich kein Journalist mehr, ich bin der Fan, der seit 1991 so gut wie kein Schumi-Rennen im Fernsehen verpasst hat. Ich hätte mich gerne von ihm über den Haufen rennen lassen.
Immerhin habe ich ihm Glück gebracht - bilde ich mir zumindest ein. Denn er hat das Rennen am Sonntag vor Fernando Alonso gewonnen. Rubens Barrichello wurde übrigens Fünfter.
Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM