"Vettel sitzt auf dem längsten Ast"

Von Interview: Christoph Köckeis
Über Alexander Wurz' (r.) Zukunft als Fahrermentor von Williams wird noch verhandelt
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SPOX: Rosberg eroberte den Premierenerfolg für das neuformierte Mercedes-Team. Man sollte meinen, er hätte Hamilton die interne Wertschätzung betreffend einen Vorsprung. Glauben Sie, diese Entscheidung kann als Zeichen gewertet werden?

Wurz: Ich glaube nicht! Mit Garantie werden Rosberg und sein Management messerscharf versuchen, eine Erklärung zu finden. Ob in den Köpfen eine Hackordnung verankert ist. Oder ob es sich um einen spontanen auf der Sicherheit basierenden Beschluss handelte. Vielleicht dachte Brawn nicht an die Reibungen und Missverständnisse, die aufkommen können. Zwar verbindet Rosberg und Hamilton eine Freundschaft, aber: Wenn der Druck steigt, kippt das.

SPOX: Wie viel Teamplay verträgt nun die Formel 1?

Wurz: Selbst in Einzelsportarten ist man auf Menschen im Hintergrund angewiesen. Hin und wieder muss man das Ego hinten anstellen, sich mit der Situation abfinden. Besonders, wenn man sie zumeist im Griff hat. Ist es aus politischen Gründen anders, wird man nicht gezwungen, dabei zu sein. Stallorder verstehe ich, solange sie nicht ausartet - wie damals bei Ferrari auf dem A1-Ring mit Michael Schumacher und Rubens Barrichello. In der letzten Kurve einem Piloten frühzeitig zu helfen, lässt das Rennen zur Farce verkommen. Da führt man den Fan an der Nase herum.

SPOX: Ein bestimmendes Thema sind die Reifen: Ein Gros beklagte, dass Pirelli mit einem 2010er-Renault testet. Dieser trage die DNA Lotus', dem Nachfolger-Rennstall der Franzosen. Ein berechtigter Vorwurf?

Wurz: Jedes Team hätte Pirelli helfen, ein Testauto zur Verfügung stellen können. Dazu wollte sich niemand durchringen. Ich glaube nicht, dass sie einen Vorteil ergattern. Es sind Einheitsreifen, jeder hat die gleiche Anzahl an Tests, gleich viel Zeit, sich darauf einzustellen. Damit haben sich alle auseinanderzusetzen, cleverer als die Konkurrenz zu sein, um einen Vorteil zu finden. Es ist eine Chance, keine Bestrafung. Bei den Pneus selbst hat sich die Konstruktion maßgeblich verändert. Im Vorjahr war viel vom Temperatur-Fenster abhängig, dem thermischen Einfluss. Heuer tauchte ein neues Problem auf: Der Gummi scheint ein chemisches Problem zu haben, wird nicht hart. So reibt sich dieser auf dem Asphalt auf und bekommt das berühmte Graining.

SPOX: Ungeachtet dessen schockte Kimi Räikkönen zum Auftakt die Konkurrenz, kam damit sehr gut zurecht. In Malaysia tauchte der Iceman unter, verblasste hinter Red Bull und Mercedes. Wie stark ist Lotus wirklich?

Wurz: Nicht stark genug für die WM. Das traue ich mich zu sagen. Ich kenne das Management von Lotus, sie sind sehr smart und innovativ. Sobald es neue Ideen gibt, zählen sie zu den Ersten. Letztlich verfügt man nicht über das Budget, um mit der Entwicklung der Großen mitzuhalten. Sie können maximal ein Joker sein. Um nachhaltig zum Titel-Aspiranten aufzusteigen, fehlt es am nötigen Kleingeld. Da ist der Reifen-Faktor zu klein. Die anderen lernen dazu, werden herausfinden, wie sie sich einstellen müssen. Und da kommt man zur Aerodynamik. Und zu den Ressourcen.

SPOX: Ferrari pokerte in Malaysia zu hoch: Fernando Alonso stolperte über seinen eigenen Frontflügel. Warum ging man dieses Vabanquespiel ein, holte den Spanier nicht an die Box?

Wurz: Zuerst ordnete er den Abstand zu aggressiv ein, fuhr Vettel an. Letztlich betrieb man Risikomanagement. Ich verstehe es nicht. Jeder muss wissen, wenn der Frontflügel nur noch mit der Hälfte der Struktur hängt, die Kräfte zu hoch werden können. Man ließ Alonso draußen, wollte ihn nach drei, vier Runden auf Slicks wechseln. Die Rechnung ging nicht auf. Man wollte einfach nicht wahrhaben, dass das Rennen nach Alonsos Fahrfehler gegessen war.

SPOX: Vermag die Scuderia zurückzuschlagen?

Wurz: Ferrari war von den Rundenzeiten dabei. Näher dran als im Vorjahr. Dass Alonso dieser Fehler passierte, ist menschlich. Man sollte sie nicht abschreiben. Sie sind von der Performance knapper an der Spitze als 2012. Entsprechend werden sie um Siege mitfahren.

SPOX: Wie werden sich die Kräfteverhältnissse in China gestalten?

Wurz: Ganz anders als im Vorjahr. Damals drehte sich alles um das Thema Reifentemperatur. Mercedes brachte die Pirellis sehr schnell in das richtige Fenster. Das war überall ein Nachteil. Der Reifen baute zu schnell ab, wurde vom Setup zu attackiert. Außer in China, da half diese schlechte Eigenschaft. Nachdem die Pneus nicht mehr so temperatursensibel sind, wird das Kräfteverhältnis jenem in Malaysia ähneln: Red Bull und Mercedes knapp zusammen. Und dann Ferrari.

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