Toto Wolff: Der Anti-Haug

Christoph Köckeis
07. Mai 201312:32
Toto Wolff (l.) und Niki Lauda wollen Mercedes in eine erfolgreiche Zukunft führengetty
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Der Motorsport-Gigant Mercedes wankte: Drei Jahre zehrten die Silberpfeile vom Glanz früherer Tage. Das ruhmreiche Image bröckelte. Nun erstrahlt der Vorzeigerennstall in rot-weiß-rot: Toto Wolff und Niki Lauda sollen die Post-Norbert-Haug-Ära prägen. Mit strikten Vorgaben und dem neuem Erfolgsprinzip Reibung...

Die Champagnerdusche wirkte gezwungen, die Atmosphäre unterkühlt. Selbst vor der Mattscheibe machte sich ein latentes Unwohlsein breit. Zu offenkundig schwellte der Konflikt zwischen den Red-Bull-Stars.

Nachdem sich Weltmeister Sebastian Vettel der Multi-21-Order widersetzte, eruptierten die zwischenmenschlichen Dissonanzen mit Mark Webber. Statt feuchtfröhlich den Doppelsieg beim Malaysia-GP zu zelebrieren, demonstrierten sie der Weltöffentlichkeit ihren Starrsinn. SPOX

Lewis Hamilton pointierte diese zweifelhafte Episode. Auch der Mercedes-Superstar fühlte sich irgendwie fehl am Platz. Nur der Stallregie - und der Loyalität von Nico Rosberg - hatte er das Premieren-Podium zu verdanken.

Lauda vs. Wolff

Das Rennen zu neutralisieren, Attacken zu untersagen, missfiel besonders Niki Lauda. Gewohnt rustikal nahm er kein Blatt vor den Mund. Zuerst konterkarierte er Ross Brawn, ehe sich der Aufsichtsrat noch seinen Motorsportchef vorknöpfte.

Toto Wolff reagierte diplomatisch. Vor laufenden Kameras war er um Einigkeit bemüht: "Hätten wir die Ränge drei und vier verloren, wären wir die Deppen gewesen. Wir sind doch einer Meinung, Niki?" Dieser hielt dagegen: "Nein, sind wir nicht."

Mal wieder schlug das Fallbeil unter den TV-Experten gnadenlos zu. Ohne den Schaden für seinen neuen Arbeitgeber zu bedenken. Ohne die daraus resultierenden Irritationen zu scheuen. Landsmann Alexander Wurz versuchte gegenüber SPOX zu erklären.

"Was ich ausschließen kann: Es herrscht keine Spannung, die beiden verstehen sich bestens", beruhigte der Österreicher. "Niki sprach einfach das aus, was sich die Fans dachten. Wenn jemand die Meinung äußert und nicht alles, wie in dem Geschäft üblich, abgesprochen wird, finde ich es erfrischend. Dafür wurde er sicherlich auch von Mercedes engagiert."

Eine neue Zeitrechnung

Fraglos gab die Silberpfeil-Spitze in Kuala Lumpur ein groteskes Bild ab. Eines, fern von der skandalfreien Wohlfühloase vergangener Jahre. Die konträren Auffassungen beeindruckten jedoch. Nach drei Jahren ist eine neue Zeitrechnung angebrochen. Forciert von der obersten Führungsetage.

Der Anspruch: Das Beste oder nichts. Noch heute hat das Ideal Gottlieb Daimlers bestand. Aber die Erfolglosigkeit in der Königsklasse lastete schwer auf der Tradition. Vorstand Dieter Zetsche erkannte dies, sah sich zu mitunter unpopulären Maßnahmen veranlasst.

Von Norbert Haug, der Inkarnation des Erfolges, sagte man sich in den Wintermonaten los. Überdies haftet dem Rücktritt Michael Schumachers eine fahle Beinote an. Ob freiwillig oder nicht - das deutsche "Dream Team" ist Vergangenheit.

Finanzgenie auf dem zweiten Bildungsweg

"Ich wäre ein Narr, wenn ich am Schumi-Mythos kratzen würde. Aber die Verpflichtung von Hamilton zeigte, dass das Team bereit ist, auch heilige Kühe aufzugeben", suggerierte Wolff gegenüber der "Bild". Er wurde auserkoren, den zwei jahrzehntelangen Big-Player Haug zu ersetzen. Doch wer ist dieser Torger Christian Wolff?

SPOXspox

Seit Jugendtagen trieb ihn die Faszination für schnelle Autos. Er verdingte sich in Nachwuchsklassen - ohne die große Karriere hinzulegen. Letztlich fehlte der monetäre Background und, wie er ohne Missgunst gesteht, das Talent. Im zweiten Berufsweg traf er dann beinahe ausschließlich richtige Entscheidungen.

Er investierte in Internet- und Technologie-Unternehmen, gründete die Vorzeigefirma "Marchsixteen" und spekulierte gewinnbringend an der Börse. Mit dem nötigen Kleingeld durfte er wieder der Passion frönen und kehrte zurück an die Rennstrecken dieser Welt. Er beteiligte sich an der HWA-AG, einer Daimler-Tochter mit Fokus DTM, und unterstützte aufstrebende Piloten. Gemeinsam mit Mika Häkkinen und Didier Coton verhalf er mitunter Valtteri Bottas zum Durchbruch.

Ein Äquivalent zu Willi Weber, dem legendären Schumi-Macher, wollte er nie werden. Diese Zeit ist längst vorbei, so Wolff. "Das Fahrermanagement war ein brotloser Beruf. Oftmals erinnern sich die Jungs später nicht mal daran, wer sie unterstützte."

Seite 2: Die Suche nach dem Wir-Gefühl

Über Williams zur exzellenten Reputation

Im November 2009 erwarb er schließlich Minderheitsanteile an Williams. Ein Engagement, in welches der gebürtige Wiener laut eigenen Angaben hineinstolperte. Im Business-Modell Formel 1 vermisste er nämlich das Visionäre. "Zwar scheint und glitzert es, aber es wird vom Promoter zum Glitzern gebracht. Nicht, weil die handelnden Personen Top of the Edge sind. In Österreich gibt es 1.000 Firmen, die größer, professioneller organisiert sind und höhere Gewinne erwirtschaften."

Zuvor schlug Wolff deshalb eine HWA-Übernahme Toro Rossos aus. Das Umfeld sei "komplett sinnlos". Man hätte die Großen schlicht und ergreifend nicht gefährden können.

Wolff ist eben Realist, kein Fantast. Vom Schein ließ er sich nie trügen. Meetings mit Bernie Ecclestone und Co. gehören für ihn zur Tagesordnung. Der 41-Jährige genießt eine exzellente Reputation. Frank Williams höchstpersönlich züchtete ihn als legitimen Erben heran, wollte sein Lebenswerk in Wolffs Hände legen.

Bis er den unwiderstehlichen Lockruf aus Stuttgart erhörte. Gleichwohl schlotterten dem sonst abgebrühten Geschäftsmann mächtig die Knie. "Ich muss gestehen, mein Sportlerherz schlug weit stärker als mein Investorenherz. Mit einer Weltmarke zu arbeiten, ist allemal interessant."

Wolff mit "skin in the game"

Bisweilen sein eigener Herr, trägt er plötzlich die Entscheidungshoheit bei einem Branchenprimus. Für ihn keine Bürde. Mit 15 Jahren verlor Wolff seinen Vater, wuchs gewissermaßen in die Rolle des Bruders, Papas und Ehemanns. Früh reifte jene Persönlichkeit, die bei Mercedes neue, "vor Erfolg triefende Strukturen" konstituieren möchte.

Motorsport-Legende Hans-Joachim Stuck hegt keinerlei Bedenken an dieser Mission. "Mir fällt niemand ein, der das Geschäft von der Pike derart hervorragend gelernt hat", attestierte er bei SPOX. Überdies sei mit Lauda ein begnadeter Networker in den Aufsichtsrat berufen worden. Er kennt die Tücken des Geschäfts, hat den Blick auf das große Ganze.

40 Prozent der Anteile liegen jetzt in rot-weiß-roter Hand, drei Viertel davon beim neuen Motorsportchef. Gezielt suchte der Daimler-Vorstand nach einer Person mit "skin in the game". Und wurde in Wolff fündig. Wie viel man sich dies kosten ließ, ist nicht bekannt.

Wolff verriet in der "FAZ" nur: "Sie wollten jemanden, der unternehmerisches Risiko eingeht, der mitleidet, wenn es nicht funktioniert. Natürlich würde ich im Erfolgsfall profitieren." Bis Erwähnter eintritt, wartet noch eine Mammutaufgabe. Dafür griff er sogar auf den unermesslichen Erfahrungsschatz des Vorgängers zurück.

Bewegen zwischen den Ebenen

"Wenn man wie Norbert das System Motorsport in exponierter Position 22 Jahre lang überlebte, hat man begriffen, wie es läuft. Ein Großkonzern funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Er hat mir erklärt, wie man sich zwischen den Ebenen bewegt."

Im Gegensatz zu Haug bezog Wolff sein Büro in Brackley. Nach eindringlichen Bestandsaufnahmen wurde das alte Modell und das Entwicklungstempo als Schwachstellen identifiziert. Er möchte demnach in England omnipräsent sein. Bewusst wird die Nähe zu den Mitarbeitern gesucht. Ihnen soll die Daimler-Philosophie eingeimpft, ein neues Wir-Gefühl geschaffen werden. Jenes wurde zuletzt oftmals torpediert.

Erst predigte BAR eine ruhmreiche Zukunft, gefolgt von Honda. Nach dem abrupten Rückzug der Japaner rettete Brawn die Fabrik. Seit 2010 tragen die rund 500 Angestellten Uniformen mit dem Stern. Die immer wiederkehrenden Existenzängste schürten Intrigen. Haug scheiterte beim Versuch, Transparenz zu schaffen.

Wolff zog die persönlichen Lehren. Einzelne Personen zu diskreditieren, davon hat er Abstand genommen. "Die Leute müssen begreifen, dass sie das Schaufenster eines 100-Milliarden-Konzerns sind. Es ist eine ehrenvolle Aufgabe."

Aufgepasst, sensible Engländer

Täglich lebt er dieses Privileg vor, versucht sich zu "kalibrieren und verifizieren", das Profil stets zu schärfen. Beispielhaft die Causa Brawn. Eigentlich schien dessen Abgang beschlossene Sache, nachdem Paddy Lowe von McLaren abgeworben wurde. Ob hoffnungsvoller Ergebnisse nahm man sich zurück. Die fragile Statik solle gestärkt werden. Ein Abgang des Principals mit Saisonende würde die Glaubwürdigkeit erschüttern.

Wolff, der noch Williams-Aktien hält, um mögliche Interessenkonflikte zu vermeiden aber einen integren Käufer sucht, muss behutsam operieren. Zu sensibel die Racing-DNA der Engländer. Zu schnell fühlt man sich im Mutterland des Motorsports im eigenen Stolz gekränkt. Die Verantwortlichen wären gut beraten, keine Drohkulisse entstehen zu lassen.

Dennoch, proklamierte Wurz, gilt es negative Strömungen hinter den Kulissen sofort im Keim zu ersticken: "Sie müssen die Kontrolle bewahren, nur so kommt viel Effizienz am Boliden an. Die Herausforderung ist, Mercedes zu strukturieren. Nicht restrukturieren."

Wolff weiß das. Ebenso ist ihm bewusst, dass er keinen Raum hat, zu versagen. Trotz ambitionierter Ziele mimt er den besonnenen Mahner, verfällt nicht den "Terminator-Methoden". Malaysia ließ allerdings ein neues, belebendes Element erkennen: die loyale Streitkultur.

Der aktuelle WM-Stand