Formel 1 - das Vermächtnis von Legende Ayrton Senna: Sterben, um zu leben

Von Johannes Mittermeier
Der gelbe Helm war sein Markenzeichen: Ayrton Senna gilt als bester Formel-1-Fahrer aller Zeiten
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Das Schicksal führt Regie

Bei jenem Frühstück am Morgen des 1. Mai 1994 ließen Senna und der Ende 1993 zurückgetretene Prost ihre Vergangenheit ruhen. Heute spricht der Franzose mit höchster Anerkennung über Senna: "Er hat eine Epoche geprägt, die es nie mehr geben wird. Seine Gegenwart hat meinen schwierigsten Siegen zusätzlichen Wert verliehen. Senna war der Fahrer, der mich gezwungen hat, über meine Grenzen zu gehen."

In dieser Woche, kurz vor dem 20. Jahrestag des Dramas, enthüllte Luca di Montezemolo auf der Ferrari-Webseite durchaus Erstaunliches: Senna, so der Plan, hätte einen finalen Teamwechsel vollziehen sollen - zur Scuderia. Diese Episode erweitert die Wahrnehmung des verhängnisvollen Imola-Wochenendes; die damaligen Frühlingstage enthielten viel Vorbestimmung und wenig Zufall.

"Wir trafen uns in meinem Haus in Bologna, am Mittwoch, den 27. April" berichtet di Montezemolo. "Wir sprachen lange miteinander, und er machte mir klar, seine Karriere bei Ferrari beenden zu wollen. Wir waren beide der Ansicht, dass Ferrari der ideale Platz für ihn sein würde. Also vereinbarten wir, uns bald wieder zu treffen, um die vertraglichen Verpflichtungen zu regeln."

Der Umbruch

Es gab kein nächstes Treffen. Vier Tage nach der Unterredung mit di Montezemolo stieg der Brasilianer zum letzten Mal in seinen Williams. Es ist die eiskalte Ironie des Schicksals, dass Ayrton Senna, dieser Genius am Steuer, in einem Rennwagen aus dem Leben schied. In Führung liegend. Und es ist die feine Note zwischen den Zeilen, dass die Speerspitze seinem Sport ein Vermächtnis bereitete: Den Umbruch. Die Formel 1 revolutionierte sich.

Nicht der Aufprall an der Betonwand kostete Senna in San Marino das Leben. Der Champion musste sterben, weil Teile der Radaufhängung abgebrochen, seinen Helm getroffen und ihm schwerste Hirnverletzungen zugefügt hatten.

"Der Grund, warum Sennas Tod einen derartigen Einfluss hatte, war, weil er von allen - auch von den Fahrern - als Nummer 1 angesehen wurde. Die Menschen wurden von seiner Persönlichkeit angezogen", erklärt der damalige FIA-Präsident Max Mosley. "Die Arbeit von Sid Watkins hätte keine Chance gehabt, wenn Imola nicht passiert wäre."

Am 30. April 1994 wurde die Formel 1 aus ihrer trügerischen Lethargie geweckt. Am 1. Mai 1994 steckte ihr die Lähmung wie Blei in den Gliedern. Anschließend handelte die Königsklasse. Endlich. Zahlreiche eklatante Sicherheitsdefizite wurden identifiziert, analysiert und, in etlichen Prozessschritten, sukzessive korrigiert. Konkret drehten die Verantwortlichen an vier Stellschrauben: Den Autos, den Strecken, der Fahrerausrüstung und der Kommunikation im Ernstfall.

Sicherheitsstreben als Maxime

Der Vorsitz des Fahrer-Sicherheitsrats, den Senna hätte übernehmen wollen, ging an Gerhard Berger - seinen besten Freund im Fahrerlager. Auch hierzu liefert die Geschichte eine schauerliche Anekdote. Aus Sorge um die Rahmenbedingungen hatten Berger und Senna die Rennstrecke in San Marino inspiziert. Ihr Hauptaugenmerk lag auf einem ganz bestimmten Streckenabschnitt: "Ich bin mit Ayrton zur Mauer der Tamburello-Kurve gegangen", erinnert sich der Österreicher. "Wir haben überlegt, ob wir etwas tun können. Denn sonst stirbt hier irgendwann wer."

Doch ihr Aktionsradius war streng limitiert; direkt hinter der Mauer befand sich ein Flussbett, was eine Versetzung der Brüstung verhinderte. Berger war beunruhigt. Als hätte er eine Vorahnung besessen, sagte er in den frühen Stunden des 1. Mai diese Sätze: "Der Ratzenberger ist ein armer Hund. Der kämpft in einem kleinen Team mit einem schlechten Auto so hart wie jeder andere auch. Dann stirbt er für seinen Sport, und nach ein paar Wochen wird er vergessen sein. Wegen dem Roland baut keiner die Rennstrecken um. Stellt euch vor, so etwas passiert dem großen Senna."

Erneut reckte das Schicksal seine grässlichste Fratze: "Genau an der Stelle, wo ich mit Ayrton das Gespräch geführt habe, ist er verunglückt", sagt Berger, und seine Stimme stockt.

Kevlar-Seile, HANS und "Asphaltwüsten"

Die FIA setzte die Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen auf die Agenda, "Safety first" wurde zum Leitmotiv. In den Folgejahren initiierte der Weltverband einen massiven Katalog an Reglementsanpassungen, der sämtliche Bereiche entscheidend beeinflusste.

Um die Wagen zu verlangsamen, lösten Rillenreifen die profillosen Slicks ab. Ein Abreißen der Räder - wie in der Causa Senna - sollte durch Kevlar-Seile verhindert werden. Die Anforderungen an Crashtests wurden dramatisch verschärft, Monocoques, die "Überlebenszellen" der Fahrer, mussten potenzierte Aufprallenergien absorbieren. Die Cockpitwände wurden nach oben gezogen, das HANS-System (Head-and-Neck-System) zum Schutz des fragilen Nackenbereichs vorgeschrieben.

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Dass die moderne Formel-1-Landschaft von einer Inflation an Retortenstrecken übersät ist, hat ihren Ursprung ebenfalls in der Senna-Tragödie. High-Speed-Pisten wurden umgebaut respektive entschärft (Imola, Hockenheim, auch Spa), Sandbänke wichen weiträumigen Auslaufzonen, die von Motorsport-Puristen nicht selten als "Asphaltwüsten" verschmäht werden. "Es ist ein schönes Beispiel für den Glauben des Menschen, dass er die Naturgesetze bändigen kann, wenn er die Natur nur immer weiter zurückstutzt", belehrt die "Süddeutsche Zeitung". Die Bilanz aber gibt den handelnden Personen Recht: Ayrton Senna blieb der letzte Todesfall in der Formel 1.

Ayrton Senna und Michael Schumacher bei der Streckenbegehung in Imola.
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Ayrton Senna und Michael Schumacher bei der Streckenbegehung in Imola.

Senna wäre noch am Leben

Professor Gary Hartstein, ein enger Vertrauter von Sid Watkins, zeigt auf, wie heutige Sicherheitsstandards den Brasilianer vor Schlimmerem bewahren würden: "Ihn hätten die höheren Seitenteile eines verstärkten Cockpits geschützt. Er hätte einen besseren Helm getragen und das HANS-Sicherheitssystem. Seine Aufprallgeschwindigkeit wäre erheblich geringer gewesen, weil die Auslaufzone in der Todeskurve asphaltiert gewesen wäre und seinen Williams vor dem Aufprall stärker abgebremst hätte als ein Kiesbett. Sennas Unfall wäre genauso wenig tödlich gewesen wie viele andere weitaus schwerere Unfälle seitdem."

Noch Mitte der Neunziger hätte ein Crash, wie ihn Felipe Massa 2009 in Ungarn er - und überlebte, weitreichendere Konsequenzen nach sich gezogen. Robert Kubica wäre seinem völlig demolierten Boliden in Kanada 2007 nicht mit ein paar blauen Flecken und dem Gedanken an das nächste Wettrennen entstiegen.

Das Risiko fährt noch immer mit und wird immer mitfahren. "Motorsport is dangerous", dieser simpel-zutreffende Satz prangt von allen Eintrittskarten. Für Ayrton Senna kam die abrupte Kehrtwende der Formel 1 zu spät, doch gewissermaßen verdanken ihm etliche Nachfahren mindestens ihre Karriere. Ex-Formel-1-Pilot Marc Surer bringt die Zerrissenheit auf den Punkt: "Senna hat sterben müssen, um vielen anderen Fahrern das Leben zu retten."

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