In Barcelona testet die Formel 1 nächste Woche die neuen Autos erstmals richtig auf Herz und Nieren. SPOX hat sich die neuen Boliden zuvor genauer angeschaut und verrät einige Geheimnisse: Wo wird Mercedes kopiert? Warum schlagen Red Bull und Toro Rosso eine andere Richtung ein? Und warum ist der McLaren das interessanteste Auto im Feld?
Alle kopieren Mercedes: Es ist Usus in der Formel 1, sich die Konzepte der anderen Teams genau anzusehen und Innovationen zu adaptieren. Am interessantesten ist dabei selbstverständlich das erfolgreichste Auto, also der W05 Hybrid von Mercedes. Williams, Ferrari, McLaren - jedes halbwegs finanzkräftige Team verbreiterte die Streben der Vorderradaufhängung. Die eigentliche Aufgabe des Bauteils beeinflusst das nicht, stattdessen hat die Änderung Auswirkungen auf die Aerodynamik. Der Luftstrom wird beruhigt, der Fahrtwind kann gezielter zum Heck geführt werden, wo der Großteil des Anpressdrucks erzeugt wird.
Interessant ist, das selbst Designmogul Red Bull jetzt bei Mercedes abschaut. Die Endplatten des Heckflügels sehen beim RB11 fast genauso aus, auch der Diffusor wurde dem W05 nachempfunden. 2014 lautete die Diskussion, ob Mercedes nur durch den Motor so dominant sei. Durch Red Bulls Neuausrichtung ist dieses Gerücht nun endgültig wiederlegt. Eine weitere Kopie: Die Teams setzen auf mehrere Lufteinlässe am Überrollbügel, um die verschiedenen Komponenten der Powerunit besser zu kühlen. Der neue McLaren sieht dem W05 in diesem Bereich zum Verwechseln ähnlich.
Die Silberpfeile sind zwei Schritte voraus: Während die anderen hinterherhecheln, hat der Weltmeister einen Vorteil: Er hat die Basis schon und baut lediglich aus. Und der W06 ist eindeutig eine Evolution des Vorjahresmodells. Interessant: Die getrennten Lufteinlässe zur Kühlung der unterschiedlichen Bereiche im Motorraum sind zwar weiter vorhanden, wurden aber in einer Öffnung oberhalb des Fahrerkopfes zusammengefasst. Das dürfte den Luftstrom weiter beruhigen.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Plexiglas-Windschutz vor dem Cockpit. Dieser ist in der Formel 1 weit verbreitet, doch Mercedes hat ihm ein gezacktes Profil verpasst, das wohl zur Generierung von Wirbeln dient und den störenden Einfluss des Fahrerkopfes verringert. Auch die extrem schmale Unterstützungsstrebe des Überrollbügels ist förderlich: Je weniger Material am oberen Ende des Autos eingesetzt wird, desto tiefer liegt der Schwerpunkt, desto schneller wird das Auto. Hier haben die anderen Teams Nachholbedarf.
Exklusiv David Coulthard im Interview: "Bin enttäuscht von Vettel"
Red Bull und Toro Rosso sind übrigens genau den entgegengesetzten Weg gegangen und haben statt einem niedrigen Schwerpunkt extrem schmale Seitenkästen bevorzugt. Dafür wurden Teile der Antriebseinheit weiter oben angeordnet als noch 2014, die seitlichen Lufteinlässe fallen kleiner aus, dafür wird der Renault verstärkt über die Airbox und zusätzliche Einlässe neben dem Überrollbügel beatmet.
Was der Silberpfeil-Konkurrenz noch mehr Angst bereiten dürfte: Die Mercedes-Powerunit ist laut Motorenchef Andy Cowell eigentlich komplett neu: "Fast kein Teil" stammt aus dem Vorjahr. Und: Petronas hat im Laufe der Saison 2014 kräftig aufgerüstet und bringt noch besseres Benzin und noch geeignetere Schmierstoffe an den Start. Schon in der Weltmeistersaison soll Mercedes so einen Vorteil von 40 PS gegenüber der Konkurrenz herausgeholt haben.
Die Nasentricks gehen weiter: Williams-Pilot Valtteri Bottas war noch kurz vor den Präsentationen überzeugt, alle Frontpartien würden in diesem Jahr gleich aussehen. Weit gefehlt! Williams hat die Spitze deutlich gekürzt, Sauber verbreiterte sie. Ferrari und McLaren sehen auf den ersten Blick zwar ähnlich aus, die Italiener haben die weit über den Frontflügel herausragende Form aber noch wesentlich flacher angelegt. Beim Team aus Woking wurde dafür viel Zeit in die Konstruktion der unteren Verbindung zum Monocoque investiert.
Fast sicher scheint: Überleben werden die meisten Nasen den Winter nicht. Vielmehr waren sie bei vielen nötig, um den harten FIA-Crashtest zu überstehen und am ersten Test teilnehmen zu können. Die Mercedes-Konstruktion mit dem vorgelagerten Frontflügel bietet enorme aerodynamische Vorteile: Die sogenannten Y250-Wirbel, die an der Front zwangsläufig entstehen, werden weniger gestört. Den Frontflügel als ausladendes Tablett zu konstruieren ist aber schwerer als die Nase darüber hinausragen zu lassen.
Die Revolution steckt unter der Haube: Bei den Renault- und Ferrari-Teams lautete die Feststellung der Vorsaison: "Wir brauchen mehr Power." Das setzten die Hersteller um, konstruierten große Teile der Antriebseinheiten neu und gaben den Designern Anweisungen. Der Ferrari-Antrieb hat etwa mehr Kühlbedarf. Trotzdem schaffte es das Werksteam durch besseres Packaging, das Heck zu verschlanken. Kunde Sauber konstruierte die gesamten Seitenkästen schmaler, indem die Crashstruktur anders verbaut und die Kühler liegend eingesetzt wurden.
Neben dem klassischen Packaging, bei dem die Innereien optimal platziert werden, geht es vor allem um die Integration der Antriebseinheiten. Mercedes hat 2014 bewiesen, dass das Auto für den ultimativen Erfolg eine perfekte Symbiose aus Motor und Chassis sein muss. Der Bedarf des Motors an Kühlung und Platz muss optimal mit der Aerodynamik vereint werden. Das Zauberwort, an dem alle sich die Köpfe zerbrochen haben: Integration der Powerunit. Ferrari profitiert übrigens vom steigenden Mindestgewicht der Autos am meisten: Im Vorjahr war die Hybrideinheit der Italiener noch viel zu schwer.
Fahrbarkeit schlägt Leistung: Bei allen Teams lautete die Devise: Fahrbarkeit verbessern. Ferrari hielt an seiner Pullrod-Aufhängung an der Front fest, obwohl sie als Hauptauslöser für die Probleme von Kimi Räikkönen in der Saison 2014 galt. Zwar verbessert sie die Aerodynamik, macht aber teilweise bei Setup-Anpassungen Probleme. Die Scuderia konzentrierte sich lieber darauf, das Handling durch Änderungen am Heck zu verbessern. Zudem wurde die Bremse weiterentwickelt, damit der Finne und Sebastian Vettel voll verzögern können und das Auto trotzdem stabil bleibt. Das kommt ihrem Fahrstil mehr zugute.
Felgen als Spitze der Ingenieurskunst: Wenn das Reglement eng ist und weitgehend gleicht bleibt, dann suchen die Teams mal wieder nach Lücken. Eine kleine sind sicher die Felgen, die weiter darauf optimiert wurden, die Aerodynamik zu unterstützen. Das geschieht aber nicht wie vor einigen Jahren durch eine schnöde Abdeckung. Stattdessen wird Luft an der Innenseite des Reifens abgefangen und durch die hohle Radaufhängung nach außen geleitet - ein Ansatz, den unter anderem auch Williams und Red Bull verfolgen.
McLarens Felgenhersteller hat dagegen komplett unterschiedliche Felgen für Front- und Hinterachse angefertigt. Durch das Hybridsystem muss am Heck weniger Hitze der Bremsscheiben kanalisiert werden. Die Modelle für die vorderen Reifen sind dagegen extrem: Fünf zentrale Speichen werden von einem Ring aus lauter Mini-Kanälen umgeben. Detailarbeit im Extrem!
Seite 1: Red Bulls contra Mercedes und extreme Detailverliebtheit
Seite 2: McLarens Geheimnisse und zwei potenzielle Überraschungen
McLaren hat das interessanteste Auto: Es war das Thema der Winterpause: Wie sieht der erste McLaren-Honda der Turbo-Hybrid-Ära aus? Die Hoffnung auf eine traditionelle rot-weiße oder orangene Lackierung erfüllte das Team zwar nicht, dafür ist der MP4-30 aus anderen Gründen interessant. Dank Ex-Red-Bull-Designer Peter Prodromou wurde die Herangehensweise der Ingenieure grundlegend geändert. Im Windkanal richtet das Team das Augenmerk nicht mehr darauf, unbedingt den maximal möglichen Abtrieb zu erzeugen.
"Das Konzept ist fahrerfreundlich", sagte Teamchef Eric Boullier: "Wenn man ein starkes Auto hat und die Fahrer es nicht fahren können, ist das offensichtlich Verschwendung." Statt also 50 Kilo mehr Abtrieb herauszuholen und zu riskieren, dass sich das Auto auf der Strecke anders verhält als im Modellversuch, sollen die Fahrer es unter allen Bedingungen ans Limit treiben. Besonders Fernando Alonso dürfte das bei seinem aggressiven Fahrstil gern hören. Teamkollege Jenson Button erklärte zudem, dass das Auto laut den Mechanikern aus einem Guss designt wurde, wodurch sich die einzelnen Komponenten nicht wie in der Vergangenheit negativ aufeinander auswirken dürften.
Durch die Integration des Honda-Triebwerks ebenfalls interessant: Wie sieht das Heck aus? Und da hat das neue Modell im Vergleich zum MP4-29 enorm abgespeckt. Die Abdeckung liegt viel enger an, die Seitenkästen sind kleiner und tragen einen viel ausgeprägteren Undercut - die untere Hälfte ist deutlich enger an der Mittellinie des Autos als die obere. So kann die von vorn in Wirbeln herbeigeführte Luft den Unterboden etwas besser abdichten und direkter auf den Diffusor wirken. Mehr Abtrieb, höhere Kurvengeschwindigkeiten!
Rennen in Katar so gut wie perfekt
Fast untergegangen wäre jedoch ein Detail komplett am Heck. Unter dem Getriebe, über der Bodenplatte, ist ein ein riesiger Luftraum. Wie das geht? Schon für 2009 hatte Honda ein revolutionäres Getriebe konstruiert, das ohne Schaltgabeln auskommen sollte. Stattdessen wurde der Gangwechselmechanismus um eine Rolle angeordnet. Der Vorteil: Das Getriebe fiel halb so groß aus wie herkömmliche Modelle. Honda könnte diese Entwicklung in den letzten Jahren einfach weiter verfolgt haben.
Ein weiterer Trick: Zusätzlich zur weit nach vorn reichenden Nase hat McLaren im vorderen Bereich seines Autos unauffällig gebastelt. Die Nase scheint mit einem Vanity Panel versehen. Die Schönheitsabdeckung lässt den Übergang fließend erscheinen und kaschiert die Radaufhängung. Die oberen Streben der insgesamt aerodynamisch ausgiebig optimierten Pushrod-Aufhängung werden dadurch abgedeckt. Sie scheinen sogar auf dem Chassis und nicht wie gewohnt darin montiert zu sein.
Dass McLaren noch Pfeile im Köcher hat, zeigten schon die Tests in Jerez. Auch wenn die Powerunit immer noch nicht lief wie gewünscht, erzeugte das Auto große Aufmerksamkeit: Die Bremsbelüftung an der Vorderachse wurde vom Team extrem modelliert. Zwei Zargen reichen bis zur Lauffläche des Reifens nach vorne, um die Luft um die bremsenden Gummis zu leiten. Und: McLaren hat den MP4-30 als Basis designt. Alle Bereiche sind so konstruiert, dass sie als Gesamtpaket in verschiedene Richtungen weiterentwickelt werden können.
Das Formel-1-Jahr 2014 in 14 Sekunden
Sauber könnte die Überraschung der Saison werden: Dass die Schweizer finanziell nicht auf Rosen gebettet sind, war lange bekannt. Nicht umsonst wurden mit Felipe Nasrs ein neuer Hauptsponsor verpflichtet, während Partner der letzten Jahre zu Force India wanderten, und Marcus Ericssons Geldgeber gelten als die zuverlässigsten in der ganzen Formel 1. Zusätzliche dürften dank der guten Zeiten in Jerez angelockt werden - welche man allerdings auch durch wenig Benzin an Bord herbeiführen könnte.
Zudem lagen Saubers Probleme 2014 vor allem im hohen Gewicht des Ferrari-Antriebs und beim Zeitverlust in langsamen Kurven. Die größten Verbesserungen strebte der Rennstall also nicht bei der Aerodynamik an, sondern konstruierte etwa die Hinterradaufhägung für eine bessere Traktion komplett neu, und hat trotzdem einige interessante Änderungen vorgenommen: Schmaleres Heck, Montage der Heckflügelstützen am Getriebe statt an der Crashstruktur und ein sehr variables Kühlsetup mit zahlreichen, neu gestalteten Lufteinlässen und zwei Ohren an der Airbox. Was den Fans der Schweizern Hoffnung auf Besserung machen darf: In Jerez war das Auto nur eine Übergangsversion mit Teilen des C33, einige neue sollen bis Melbourne noch folgen.
Lotus ist wieder ein Spitzenteam: Vielleicht schießt diese Formulierung etwas über das Ziel hinaus, doch das frühere Weltmeisterteam hat im Vergleich zur Vorsaison extreme Fortschritte gemacht. Trotz des Wechsels zu Mercedes spulte die Truppe aus Enstone beim ersten Test eine solide Anzahl an Kilometern ab, die Integration der Antriebseinheit scheint also gelungen.
Und: Das radikale Chassis wurde optisch zum besseren modifiziert, wobei die aerodynamisch optimale Nasenform mit dem vorgelagerten Frontflügel bereits den Crashtest bestand. Auch interessant: Die innovativen Kühleinlässe neben dem Fahrerkopf. Die Ohren sind deutlich niedriger angebaut als etwa bei Sauber. Lotus wird 2015 einen deutlichen Formanstieg verbuchen.
Seite 1: Red Bulls contra Mercedes und extreme Detailverliebtheit
Seite 2: McLarens Geheimnisse und zwei potenzielle Überraschungen
Der Rennkalender 2015