"Er hat uns gesagt, wenn ihm eines Tages ein Unfall wie Michael Schumacher zustoßen sollte, wenn er irgendein Handicap hätte, dass ihn am Fahren hindern würde, dann hätte er Schwierigkeiten weiterzuleben. Denn das war sein Leben", sagte Bianchis Vater vor wenigen Tagen.
Neun Monate nach seinem schweren Unfall im japanischen Suzuka endete das Leben des 25 Jahre alten Franzosen am 17. Juli 2015. Ein schwarzer Tag für den Motorsport. Besonders für die Formel 1, die ihr erstes Todesopfer seit Ayrton Senna gefordert hat.
Bianchi, künftiger Champion, fest eingeplanter Ferrari-Pilot der Zukunft und Sauber-Fahrer in der Saison 2015, ist seinen Hirnverletzungen im Universitätsklinikum seiner Heimat Nizza erlegen. "Jules hat bis zum Ende gekämpft, wie er es immer gemacht hat, aber gestern ist sein Kampf zu Ende gegangen", heißt es in der Erklärung der Familie.
Wer Bianchi vor seinem Unfall über den Weg lief, sah nicht nur einen jungen, optimistischen Nachwuchspiloten. Obwohl mit einem Marussia unterwegs, schwang mehr mit. Bianchi wollte zu den Größten gehören und strahlte das auch aus.
Das Meisterstück der Kampflust
Das Meisterstück seiner Kampflust: der Monaco-GP am 25. Mai 2014. Während Nico Rosberg im Mercedes die Spitze besetzte, belagerten die Medien das Marussia-Motorhome noch Stunden nach dem Rennen. Bianchi hatte Historisches geschafft, als erster Pliot eines der zur Saison 2010 zugelassenen Teams die Punkteränge erreicht.
Die entscheidende Szene: In der 36. Runde ließ er Kamui Kobayashi alt aussehen. Der erfahrene Japaner blockierte die Einfahrt zur Rascasse auf der Innenbahn, weil er sah, wie der rote Renner von hinten heranflog. Trotzdem war Bianchi am Ende der Kurve vorn, weil er sich bei 1,80 Meter Wagenbreite und 1,82 Abstand bis zur Mauer knallhart danebensetzte und mit zwei Berührungen vorbeiging - ohne Rücksicht auf Verluste.
Jules Bianchi kannte keinen Zweifel.
Familiäre Prägung
Er wurde in eine Familie geboren, für die Motorsport mehr ist als Leidenschaft. Schon sein Großvater Mauro fuhr Rennen auf Abarth und Alpine. Zusammen mit Jules' Großonkel Lucien hatte er die italienische Heimat Mailand 1950 verlassen, um in Belgien am Auto des Gentleman-Driver Johnny Claes zu schrauben.
Mauros Karriere endete, als er sich bei einem schweren Unfall in Le Mans 1968 in Tertre Rouge schwere Brandverletzungen zuzog. Lucien gewann das Rennen mit Pedro Rodriguez. Doch seine Karriere, mit 17 Grands Prix zwischen 1960 und 1968, endete ein Jahr später am selben Ort. Er prallte er bei Tests für das 24-Stunden-Rennen gegen ein Pfosten und verlor sein Leben in den Flammen seines Alfa Romeo.
Das Thema Rennfahrertod war in der Familie lange Jahre ein Tabuthema. "Für mich war es kompliziert, weil die Familie kein weiteren Unglücke wollte", sagte Philippe Bianchi, Sohn von Mauro und Vater von Jules am Rande des Monaco-GP 2014.
Kart-Debüt mit dreieinhalb Jahren
Der Virus Motorsport blieb trotzdem im Blut. Jules griff mit dreieinhalb Jahren erstmals ins Lenkrad. Im Kart. Auf der Strecke, die seinem Vater gehörte.
Sein erstes Rennen endete mit dem letzten Platz. Jules war mit einem Leihkart gegen die professionellen Teams angetreten. "Der Kampf im Feld, der Stress vor dem Start, das Adrenail - ich habe es geliebt", erklärte er der L'Equipe. Das bloße Hobby wurde zur Leidenschaft, zum einzigen Lebensinhalt. An die Formel 1 dachte er nicht. "Mein Leben war das Kart, nichts anderes."
Es war Nicolas Todt, Sohn des heutigen FIA-Präsidenten, der Bianchi als junger Manager unter seine Fittiche nahm. Er setzte ihn in der französischen Formel-Renault-2.0 ein, deren Gesamtwertung der Rookie mit fünf Laufsiegen direkt für sich entschied. 2008 folgte der Sieg beim renommierten Formel-3-Masters in Zolder, ein Jahr später der Titel in der F3-Euroseries.
Erster Ferrari-Nachwuchspilot
Bianchi wurde prompt die erste Verpflichtung für das Ferrari-Nachwuchsprogramm, absolvierte neben seiner Rolle als Test- und Ersatzfahrer der Scuderia zwei Jahre in der GP2 und eins in der Renault-World-Series. Dann sprang er bei Marussia kurzfristig als Pilot für die Formel-1-Saison 2014 ein.
Eigentlich sollte Bianchi für Force India starten. Im Vorjahr war er als Ersatzfahrer der Inder schon im Paddock. Doch das Team zog die Erfahrung von Adrian Sutil vor. Er habe das Gefühl gehabt, "das Thema Formel 1 wäre wohl definitiv erledigt gewesen".
Überzeugende Arbeit in der Formel 1
Doch mit Marussia entwickelte sich Bianchi zum stillen Helden der Formel 1. Mit Ausnahme der ersten beiden Grand Prix beendete er in seiner Rookie-Saison jedes Rennen vor den Caterham, in Belgien brachte er das unterlegene Auto sogar ins Q2. Bei den Autosport Awards, den Oscars des Motorsports, wurde er als Rookie of the Year ausgezeichnet.
Seine Opferbereitschaft, seine Begeisterung und sein Talent machten Bianchi beliebt. Er entwickelte sich dauerhaft weiter. Bescheiden erklärte er noch am 2. Oktober 2014, er sei "bereit, einen Ferrari zu fahren, wenn sich die Gelegenheit ergibt". "Ich will immer mehr", war einer seiner Lieblingssätze in Interviews. Drei Tage später verlor er für immer das Bewusstsein.
Was bleibt von Jules Bianchi? Die Erinnerung an einen hochtalentierten Fahrer, der sein Potenzial nie im passenden Auto abrufen durfte; einen bescheidenen, höflichen und stets gut gelaunten Menschen. Und dieses Märchen von zwei Punkten beim legendären Monaco-GP in einem Bauklotz-Auto.
Jules Bianchi im Steckbrief