Stefan Bellof stand vor dem Sprung an die Spitze der Formel 1, bevor er am 1. September 1985 beim Lauf der Langstrecken-WM in Spa-Francorchamps mit Porsche-Kollege Jacky Ickx vor Eau Rouge kollidierte und tödlich verunglückte. Heute jährt sich der Tod des größten Talents im deutschen Motorsport vor Michael Schumacher - des Mannes, der mit Ayrton Senna mithalten konnte - zum 30. Mal.
Gerhard Berger stand vor einem Rätsel. Der Österreicher hatte gerade mit Teameigner Walter Brun Platz 6 beim 1000-km-Rennen der Langstreckenweltmeisterschaft auf dem Hockenheimring herausgefahren. Doch was Stefan Bellof bei 35 Grad im Schatten und über 70 Grad im Auto aufführte, war für seinen Formel-1-Kollegen nur schwer nachzuvollziehen.
"Ich bringe bei der Affenhitze kaum eine gescheite Runde zusammen und der Kerl fährt nicht nur zwei Turns am Stück, sondern ist dabei auch noch schneller als alle anderen. Und das sind ja alles keine Wichser, sondern richtig gute Leute wie Stuck & Co."
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2:00,66 Minuten brauchte der gebürtige Gießener für die schnellste Rennrunde im blau-weißen Privat-Porsche. Er hatte den 956 B schon auf Startplatz 3 gestellt, während Berger und Brun im baugleichen Auto mit 3,93 Sekunden Rückstand auf Bellofs Zeit sieben Plätze weiter hinten starteten.
Nur 49 Tage nach dem Rennen in Hockenheim starb das größte Talent im deutschen Motorsport in nach einem Unfall in Spa - im Alter von 27 Jahren, 9 Monaten und 12 Tagen.
"Schumi-Wunder zwei Jahrzehnte früher"
"Wenn Stefan Bellof nicht verunglückt wäre, hätte Deutschland das Schumi-Wunder schon zwei Jahrzehnte früher erlebt", sagte Porsches damaliger Rennleiter Manfred Jantke später. "Von denen, mit denen ich gemeinsam gefahren bin, war Stefan Bellof der Beste. Er hatte das Fahren im Blut - der Hammer, was er mit dem Auto angestellt hat. An seine Rundenzeiten kam ich mit dem Porsche 962 nicht annähernd heran", sagte Teamkollege Strietzel Stuck im SPOX-Interview.
Abseits der Strecke ein dauerlächelnder Sunnyboy mit schrillem Lachen mutierte Bellof im Cockpit zum kompromisslosen Draufgänger, der sich keine Grenzen vorschreiben ließ. Er kannte keine Angst, bremste jede einzelne Kurve später an als sämtliche Konkurrenten. Bellof fuhr nicht an der Grenze der Leistungsfähigkeit seines Materials. Er fuhr darüber. Mit Leichtigkeit. Bis zum 1. September 1985 ging es gut.
Schon in seinem zweiten Kartjahr 1972 siegte Bellof bei sieben Rennen, 1980 gewann er die deutsche Meisterschaft. Er startete mehrmals freiwillig vom letzten Platz, um mehr Spaß zu haben - und gewann dennoch. Über Formel V, Formel 3 und Formel 2 rutschte er vor der Saison 1983 in einen Porsche-Werksvertrag. Er fuhr die Altherrenriege der Sportwagen schon beim ersten Test in LE Castellet trotz der Behinderung durch den Vorjahreswagen mit weniger Abtrieb in Grund und Boden.
"Stefan und ich bekamen die klare Ansage: 'Bloß nichts kaputtmachen'", erzählte sein Renningenieur Klaus Bischof Motorsport-Total: "Und was passiert? Da fährt er in seiner dritten Runde genauso schnell wie die alten Hasen mit dem neuen Auto." Bellof musste zum Rapport an die Box. Porsche vermutete, er habe das Auto überfahren. "An dem Auto war rein gar nichts - kein Rauch, keine qualmende Bremse. Und er hatte einen uralten Satz Reifen drauf", so Bischof.
6:11,13 Minuten
Keke Rosberg, amtierender Formel-1-Weltmeister, brauchte auf der Nordschleife des Nürburgring 30 Sekunden länger, um seine Runde abzuschließen, und startete trotzdem als Dritter. 6:11,13 Minuten brauchte Bellof im Training für einen Umlauf. Bis heute ist es der Rekord in der Grünen Hölle, die einzige Runde mit einem Schnitt von über 200 km/h, die jemals ein Pilot fuhr.
Schon einen Lauf zuvor hatte Bellof für eine Sensation gesorgt. In Silverstone fuhr sein Partner Derek Bell bei seinem Heimspiel die Qualifikation und kam gerade so in die Top 5. Bellof wollte es selbst versuchen, doch die Chancen standen schlecht. Bell hatte den einzigen Satz der superweichen Quali-Reifen benutzt. Porsche gab sich mit dem schlechten Ergebnis zufrieden.
"Ich bin zum damaligen Rothmans-Vertrauten gegangen und habe gesagt: 'Schau mal, ganz vorne steht ein Marlboro-Auto und ihr gebt hier Millionen aus. Das kann doch nicht sein. Geh doch mal zu unseren Chefs.' Und plötzlich hieß es von unserem Rennleiter Peter Falk, dass wir Bellof fahren lassen sollen", so Bischof. Bellof fuhr drei Sekunden schneller als alle anderen Autos.
Aufstieg in die Formel 1
Seine Leistungen zeigten Wirkung: Die Formel 1 interessierte sich für den 25-Jährigen. Er testete für McLaren, konnte Niki Lauda und Alain Prost jedoch nicht aus dem Cockpit verdrängen. Ein Engagement bei Bernie Ecclestones Brabham-Team scheiterte aufgrund des Porsche-Vertrags. Brabham fuhr den weltmeisterlichen BMW-Turbo.
So blieb für Bellof neben seinem Langstreckenengagement im Werksporsche, das er als erster deutscher Weltmeister auf der Rundstrecke beendete, in der Saison 1984 nur eine Rolle als Paydriver bei Ken Tyrrell, dessen Team mit Minardi die letzten Saugmotoren einsetzte. Im Qualifying hatte der Deutsche deshalb nicht den Hauch einer Chance. Ihm fehlten über 400 PS auf die Konkurrenz. Doch nach jedem Start außerhalb der Top 20 rauschte er an der Konkurrenz vorbei.
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Beim legendären Monaco-GP, als Ayrton Senna im strömenden Regen den Führenden Alain Prost im McLaren-Porsche jagte und wohl locker überholt hätte, machte auch Bellof auf sich aufmerksam. Zum Zeitpunkt des skandalösen Abbruchs lag Bellof auf Platz 3. Mit Saugmotor. Vom letzten Startplatz aus.
"Bellof war damals auf einem Niveau mit Ayrton Senna", sagte Berger später. In Monaco war er sogar schneller unterwegs als der Brasilianer und durfte realistisch auf den Sieg hoffen.
Doch das Rennen sorgte bei Porsche für Krieg. Jacky Ickx hatte als Rennleiter für den Abbruch in Runde 31 gesorgt, angeblich um seinem Freund Prost und seinem Arbeitgeber Porsche den Sieg zu sichern. Bellofs professionelles Verhältnis zum Star des Stuttgarter Konzerns war hinüber.
"Stefan hatte keine Ehrfurcht vor ihm", erklärte sein bester Freund Horst Langner später die Differenzen: "Er hat ihn aus Spaß 'Jakob' genannt. Das konnte der Ickx nicht leiden. Das Verhältnis zu ihm war: 'Ich bin eh schneller wie du.'"
Dunkle Wolken vor dem Tod
Knapp ein Jahr später trafen beide beim folgenschweren Unfall erneut aufeinander. Spa. Eau Rouge. Bergab, links, rechts, dann bergauf zur Radillon. "Da kann man nicht überholen", sagte Niki Lauda. Bellof versuchte es trotzdem, nachdem er Ickx rundenlang verfolgt und dabei Benzin gespart hatte.
"Er hatte keine Lust. Er hat gesagt: 'Am liebsten würde ich gar nicht fahren", verriet Freund Langner.
"Ich habe geträumt, wir wären spazieren und plötzlich war er nicht mehr da. Und dann kam der Sonntag", sagte seine Lebensgefährtin.
"Wenn du da fährst, dann pass auf. Da könnte was passieren. Steck zurück", hatte ihm sein Vater mit auf den Weg gegeben.
Bellof setzte sich trotzdem ins Auto. Sein letztes Rennen auf Porsche sollte es werden. "Er wollte Thierry Boutsen helfen, dieses Rennen zu gewinnen", so Bischof: "Es gab keinen Grund, etwas Verrücktes zu machen. Stefan ist das Rennen zum Spaß gefahren und für seinen Freund."
Das Unglück von Spa
Bellof setzte sich mit seinem Kundenauto in Runde 77 bei der Anfahrt links auf der Innenbahn neben Ickx' Werksporsche. Der Belgier schmiss die Tür trotz geschwenkter Blauer Flaggen zu, die damals bedeuteten, dass ein schnelleres Fahrzeug zum Überholen ansetzt. Die Wagen knallten aneinander, Bellof drehte sich viermal, knallte mit 200 km/h frontal in die Leitplanken, die die Wucht nicht absorbieren konnten. Der Porsche rammte auch das dahinter liegende Betonfundament der Zuschauertribüne.
Alle Anwesenden wussten beim ersten Blick, wie schlimm der Unfall war. Nur drei Wochen zuvor war Manfred Winkelhock im gleichen Auto im kanadischen Mosport tödlich verunglückt. Ickx' Partner Jochen Mass rannte sofort von der Box zur Unfallstelle.
"Ich wusste, dass es vorbei ist", sagt der Deutsche Jahre später in einer NDR-Dokumentation: "Das Auto war nach unten weggebogen. Stefan hatte überhaupt keine Chance."
20 Minuten dauerten die Bergungsarbeiten. Bellof erhielt im Wrack sitzend eine Herz-Druck-Massage.
Ohne Erfolg.
Schuldfrage ungeklärt
"Das war glatter Selbstmord", sagte der unverletzte Ickx später. Bis heute machen ihn Bellofs Anhänger für den Unfall alleinverantwortlich. Bis heute ist der Unfall nicht abschließend untersucht, die Schuldfrage ungeklärt.
Mass, selbst Ziehvater seines jungen Landsmanns, weist bis heute eine Schuld des Belgiers zurück, spekuliert, dass Ickx besonders vorsichtig war und vom Gas ging. Sicher ist: Der Le-Mans-Rekordsieger fuhr die normale Linie, beachtete die Blauen Flaggen aber nicht.
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"Dass ich in den Unfall verwickelt war, bei dem er zu Tode kam, war schrecklich für mich", sagt Ickx viele Jahre danach: "Es war ein dummer, völlig unnötiger Unfall. Aber die Folgen für ihn waren grausam. Das sind Dinge, die man niemand vergisst. Niemals. Man kann es nicht rückgängig machen."
Ickx besuchte Angelika Langner nach der Jahrtausendwende. "Wir haben über alles gesprochen. Er hat geweint, wir haben beide geweint. Ich habe ihm nie einen Vorwurf gemacht. Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände, eben Schicksal", sagte sie.
Ferrari-Vertrag für Saison 1986
Fest steht: Deutschland verlor seinen begabtesten Fahrer, der schon wenig später im Konzert der Großen mitgemischt hätte. "Enzo Ferrari hat seinen Leuten gesagt: 'Den möchte ich gerne haben.' Der Vertrag für 1986 war fertig", berichtete Vater Georg Bellof später dem NDR.
"Wenn Stefan nicht verunglückt wäre, hätte es meine Karriere vielleicht nie gegeben, weil sich dann im Motorsport alles um Bellof gedreht hätte, weil er der Formel-1-Weltmeister und PS-Superstar geworden wäre", sagte Michael Schumacher noch im Jahr 2010.
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