Große Politik statt großer Sport

Alexander Maack
30. November 201512:04
Maurizio Arrivabene, Toto Wolff und Christian Horner vereint - ein äußerst seltenes Bildgetty
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Langeweile prägte die Formel-1-Saison 2015 aus Sicht vieler Zuschauer. Mercedes dominierte das zweite Jahr der V6-Turbo-Hybrid-Ära wie schon das erste. War das zu erwarten? Ja. Doch die Formel 1 war trotzdem spannend. Weil im Hintergrund dank Red Bull und Renault aus GZSZ ein Dokumentarfilm wurde. Die Zukunft scheint geklärt und birgt doch schon wieder Probleme.

Rückblick. Im November 2013 konnte Remi Taffin seine Freude kaum im Zaum halten. "Red Bull und Renault haben eine großartige Partnerschaft. Nachdem wir in Indien die Weltmeisterschaften gewonnen haben, ist es fantastisch, sogar noch mehr Erfolg zu haben - besonders am Ende der V8-Ära", sagte der Einsatzleiter der Franzosen.

Davon ist im November 2015 nichts mehr geblieben. Das Traumpaar hat sich auseinandergelebt. Zwar ist nach dem öffentlichen Rosenkrieg wieder etwas Ruhe eingekehrt, seitdem klar ist, dass Red Bull weder mit Mercedes noch mit Ferrari in die Kiste hüpfen kann. Doch dass die früheren Ehepartner wieder unter einem Dach arbeiten? Unvorstellbar.

Red Bull prägt Saison 2015

Red Bull hat in Renault den Schuldigen für seine Misere gefunden. Und damit die Saison 2015 geprägt.

"Wir haben die Ziele, die wir uns selbst gesetzt haben, nicht erreicht", räumte Renaults F1-Geschäftsführer Cyril Abiteboul in Abu Dhabi ein: "Ich hoffe, dass man dieses Jahr nur als Abweichung von unserer gewöhnlich guten Form sehen wird. Platz 4 in der Weltmeisterschaft ist für Red Bull ohne Frage nur schwierig zu akzeptieren."

Der angeblich verbesserte Motor, den Daniel Ricciardo in Brasilien fuhr? Laut Red Bull ein Schuss in den Ofen, laut Renault ein echter Fortschritt. "War es eine Verbesserung? Hört auf Cyril. Was er sagt, stimmt absolut - und deswegen ist der Motor an diesem Wochenende nicht im Auto", machte sich Teamchef Christian Horner in Abu Dhabi lustig.

Mercedes' Erfolg verkommt zur Randnotiz

Während Mercedes bei seiner Dominanz an fast jedem Sonntag Zeit für eine kleine Verschnaufpause gehabt hätte, schlitterte die Konkurrenz hinterher. 16 Siege, 18 Pole Positions, 32 Podiumsplätze, 33 Starts aus der ersten Reihe im Jahr 2015 - die Fabelzahlen der Saison 2014 haben die Silberpfeile nochmals getoppt.

Mercedes' überragender Erfolg verkam neben dem Dauerzwist des besten Rennstalls der letzten Jahre mehr und mehr zur Randnotiz. Die Formel 1 zieht weniger Zuschauer an die Rennstrecken und vor den Fernseher. Die Nörgelei von Red Bull übertrug sich auf die Fans.

Dass die TV-Reichweite stetig sinkt, ist durch das veränderte Mediennutzungsverhalten einfach erklärt. Digitale Sender und Bewegtbildangebote im Internet nagen am Fundament der ehemaligen Quotengaranten.

Das ist aber nur eine Sichtweise. In Print- und Onlinemagazinen ist vom Sport ebenso wenig die Rede.

Die Formel 1 als Telenovela

Es geht um Anschuldigungen, fatale Missverständnisse und politische Ränkespielchen. Die Formel 1 präsentiert sich immer mehr wie eine Telenovela mit Motorsport-Hintergrund. SPOX

Das Verwirrspiel um die Trennung von Red Bull und Renault samt dem beabsichtigten Wechsel der Österreicher zu Mercedes, später Ferrari, noch später Honda ließ GZSZ wie eine realistische Dokumentation wirken. Dass der französische Automobilkonzern sich zum Ziel nahm, das ehemalige Werksteam in Enstone vom insolventen Lotus-Rennstall wieder ins eigene Unternehmen einzugliedern, und daraus eine monatelange Hängepartie machte, krönte die Vorkommnisse.

Das Vorhaben der Franzosen hängt noch immer in der Schwebe. Ob es in Enstone weiter geht, ist nach wie vor davon abhängig, ob sich Konzernchef Carlos Ghosn von den Motorsport-Befürwortern im Unternehmen nach monatelangen Unterredungen mit Alain Prost und seinen Mitstreitern zur überreden lässt. Oder besser gesagt: Bernie Ecclestone muss Zahlungen aus den Millionen-Töpfen der Premiumhersteller zusichern. In Abu Dhabi fanden gleich mehrere Gespräche zwischen dem Formel-1-Boss und Renault statt.

Red Bull mit Renault? Es geht weiter!

Am Ende führt das monatelange Wechselspiel aus Schuldzuweisungen wohl dazu, dass die zerstrittenen Partner sich zusammenraufen. Renault bekommt sein Geld, weil sonst gleich drei Teams aus der Formel 1 aussteigen müssen, das frühere Traumpaar bildet nach der eigentlich beschlossenen Scheidung eine Zweckgemeinschaft.

Die Franzosen polstern durch Bernie und die Motorenlieferung ihr Budget auf, Red Bull bekommt die für den Motorsport nötigen Antriebe und wechselt ab der Saison 2017 mit seinen Teams zu Mercedes und/oder Ferrari, die erst die nötige Infrastruktur schaffen müssen.

Ausgerechnet der Verbleib des durch das aktuelle Hybrid-Reglement ins Hintertreffen geratenen Weltkonzerns aus Frankreich würde den GAU verhindern, für den die Regelhüter des Automobilweltverbands verantwortlich sind: Der von Motorenherstellern herbeigeführten Ausschluss mehrerer Teams.

Wolffs Wunsch bleibt ein Traum

Ohne Red Bull, Toro Rosso und Lotus wäre zwar der von Mercedes-Motorsportdirektor Toto Wolff favorisierte Plan zur Aufstockung des Starterfeldes mittels eines dritten Wagens der Topteams Realität geworden. Der hätte die Problemschraube allerdings um drei Umdrehungen angezogen.

Würden die Topteams die ersten Plätze mit drei Autos noch mehr unter sich ausmachen, bekämen die übrigen Konstrukteure weniger Aufmerksamkeit der Medien. Damit würden Werbeeinnahmen schrumpfen, weitere Privatiers in die Nähe der Insolvenz kommen.

Schon jetzt kämpfen neben Lotus auch Sauber und Force India, um ihr Budget auf demselben Level zu halten. Das als Virgin zur Saison 2010 eingestiegene Marussia-Team hatte es noch nie und rutschte Ende 2014 ins Insolvenzverfahren, bevor es als Manor gerade so überlebte. McLaren gleicht seine Verluste in der Formel 1 durch die Gewinne beim Sportwagenbau aus.

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Für die Krise in der Formel 1 tragen auch die Motorenhersteller die Verantwortung: Sie berieten die FIA bei der Ausarbeitung des seit der Saison 2014 gültigen Reglements. Dabei guckten sie allerdings ausschließlich auf ansprechende Hybridtechnik. Die für Entwicklung, Herstellung und Einsatz nötige Geldsumme blieb unbeachtet. Deshalb müssen die Kundenteams derzeit bis zu 30 Millionen Euro einplanen, um ihre Fahrer überhaupt aufs Gaspedal drücken zu lassen. Manors Jahresbudget ist lediglich doppelt so hoch.

"Wenn man es betrachtet, waren die Teams allesamt in spektakulärer Weise unfähig, Lösungen und sinnvolle Heilmittel für die Probleme zu finden", räumte Horner die Schuld aller Teams ein: "Ich denke, es gibt eine fundamentale Frage, die beantwortet werden muss. Sie ist: Was soll die Formel 1 sein?"

FIA geht Probleme an

Der Automobilweltverband hat das mittlerweile verstanden. Die Ausschreibung eines Alternativmotors ohne Energierückgewinnung zur Saison 2016 sollte das Problem beseitigen, Ferraris Vetomöglichkeit bei Regeländerungen umgehen. Doch die Teams stimmten dagegen.

Für die FIA ist das kein Problem. Das Ziel des Alternativmotors: Kostensenkung für die Kunden und garantierte Belieferung der Teams. Die Strategiekommission der Formel 1, bei der neben allen Teams, Automobilverband und F1-Rechteinhaber CVC auch acht Streckenbetreiber, zwei Sponsoren, ein Motorhersteller und der Reifenhersteller stimmberechtigt sind, beschloss vier Punkte bis zur Saison 2018 umzusetzen:

  • Belieferungsgarantie
  • Preisreduzierung für Kundenteams
  • Vereinfachung der Regularien bezüglich der Power Units
  • Verbesserter Lärm

Das politische Taktieren von Todt und Ecclestone hat also gewirkt. "Es ist eine gute Lösung für den Motorsport. Wir gehen jetzt in die richtige Richtung", sagte selbst Mercedes-F1-Aufsichtsratschef Niki Lauda: "Eine Meisterschaft mit zwei unterschiedlichen Motorenkonzepten wäre ein Wahnsinn gewesen und hätte die Formel 1 zerstört."

In Abu Dhabi setzten sich die Hersteller erstmals zusammen. Sollten sie bis Mitte Januar 2016 keine überzeugenden Lösungen präsentieren, wird der Alternativmotor wieder auf den Plan gerufen. Die Bewerber brauchen circa ein Dreivierteljahr, bis der Verbrenner ausgeliefert wird. Schon bei zwei Abnehmern wäre das Projekt refinanziert.

Haben die Teams endlich den Durchblick?

Es gibt eine Hoffnung, dass Horners Wunsch Realität wird. Die Teams scheinen endlich verstanden zu haben, dass sie in Strategiegruppe und Formel-1-Kommision den Sport verbessern sollen, statt sich eigensinnig Vorteile gegenüber der Konkurrenz zu erstreiten.

Die neue Aerodynamik-Formel, die in Artikel 3 des Technischen Reglements festgehalten ist, wurde bestätigt. Nachdem Red Bull das Grundgerüst geliefert hatte, die anderen Teams und die Experten der FIA ihren Input geliefert hatten, setzte Williams die Vorschläge in Papierform um.

"Am Ende kam ein größerer Diffuser, ein solider Frontflügel und ein für mich ziemlich attraktives Styling heraus", erklärte Williams' Technikchef Pat Symonds: "Es ist ein bisschen Retro, aber die Anweisung der Strategiegruppe war, die Autos schneller und das Aussehen besser zu machen. Ich denke, die beiden Sachen haben wir gemacht."

Neues Reglement birgt noch mehr Langeweile-Gefahr

Lediglich über die Konsequenzen streiten sich die Experten noch. Werden die Autos 2017 bei gleichbleibender Leistung der Hybridantriebe durch zusätzlichen aerodynamischen und durch breitere Reifen wesentlich erhöhten mechanischen Grip leichter zu fahren? Wird durch die Möglichkeit, später zu bremsen und durch stärkere Luftverwirbelung hinter den Autos das Überholen noch schwerer?

Beides ist wahrscheinlich. "Je mehr Downforce man beim Auto hat, desto schwerer ist es, einem anderen zu folgen. Und diese Autos haben mehr Downforce", sagt Simmonds: "Ich denke, das ist simpel aber nichtsdestotrotz ein zutreffender Ausblick."

Was soll die Formel 1 eigentlich sein?

Wo also geht die Reise der Formel 1 hin? Von der Optimallösung ist sie weit entfernt. "Basisdemokratie funktioniert in der Formel 1 nicht. Deswegen sind wir in der Situation, dass keine Entscheidungen getroffen werden", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff schon in Spielberg.

"Ich glaube, die Formel 1 sollte Unterhaltung sein", sagte Horner: "Es sollte ein technologisches Interesse geben, aber die Promoter und Rechteinhaber des Sports müssen zusammen mit den Regelgebern entscheiden, was das Produkt ist. Sie müssen eine Reihe von Regeln entwickeln, nicht die Ingenieure diese schreiben lassen."

Auch wenn die Teams sich nun offenbar endlich einig sind, wie die Zukunft der Serie aus ihrer Sicht aussehen soll, unabhängige Personen fehlten beim Verfassen der Regeln.

Ross Brawn, Mike Gascoyne, Gary Anderson sind nur einige Namen von erfahrenen Formel-1-Ingenieuren, die aktuell für kein Team arbeiten. Hätten sie das neue Reglement entwickelt, würde nie der Verdacht aufkommen, die Interessen Einzelner hätten es geprägt.

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